Thesen zur Erneuerung bündnisgrüner Umweltpolitik

UmweltpolitikerInnen der Bündnisgrünen zur Krise der Umweltpolitik unter Rot-Grün

Die Unzufriedenheit über die Umweltpolitik der Regierung ist unübersehbar. Das muß für Bündnis 90/DIE GRÜNEN ein Warnsignal sein. Wer dieses Signal übersieht, setzt die Glaubwürdigkeit der Umweltpartei - und damit letztlich auch ihre Existenz - aufs Spiel. Deshalb muß die Grundsatzdebatte beginnen.

Daß gerade die Umweltpolitik im Kreuzfeuer der Kritik steht, ist nicht verwunderlich, denn wenige Bereiche des politischen Handelns haben sich in so kurzer Zeit so sehr verändert. Dabei war Umweltpolitik nicht nur Ausgangspunkt für zahlreiche innovative Technologien, sondern auch für intensive Diskussionen um neue politische Verfahren. Trotzdem sind die politischen Folgerungen aus der veränderten Situation bisher nicht ausreichend deutlich geworden.

Dabei geht es uns nicht um weitere Stapel von Konzeptpapieren. Es mangelt nicht an der Fomulierung von Zielen - im Gegenteil kann die Umweltpolitik bei den meisten Anliegen auf starke Unterstützung in der Bevölkerung und auch bei den Medien rechnen. Was offenkundig mißlingt, ist die öffentlichen Gestaltung einer Politik, die diese Unterstützung für ihre Reformen auch tatsächlich mobilisiert.

Die folgenden Thesen sollen einige der überkommenen Vorstellungen von Umweltpolitik in Frage stellen und bei der strategischen Neuorientierung der Umweltpolitik der Bündnisgrünen - von der Gemeinderatsfraktion bis zur Bundesregierung - behilflich sein. Dabei sparen sie das Thema Atom-Ausstieg bewußt aus: Nicht nur, weil die Auseinandersetzung darüber an anderer Stellle geführt wird, sondern auch, weil hinter diesem Großkonflikt die dringend notwendige umweltpolitische Grundsatzdebatte in Vergessenheit zu geraten droht.

1. Umweltschutz hat heute mehr Einfluß als je zuvor. Gleichzeitig wachsen die globalen Umweltprobleme.
Heute sind mehr Menschen als je zuvor in Deutschland beruflich mit Umweltfragen befaßt. Während das Verschwinden von Umweltthemen aus den spektakulären öffentlichen Auseinandersetzungen verwundert registriert wird, entfaltet die Umweltidee in einer leisen Revolution Wirkung bis in die letzte Produktionsstätte. Umweltmanagement-Systeme gehören in jedem modernen Betrieb zum Standard. Aber auch die Bedeutung des gezielt auf Umweltfreundlichkeit ausgerichteten Teiles der Wirtschaft wächst. Der Marktanteil von Umweltprodukten nimmt kontinuierlich zu.

Umwelt-Aktienfonds werden aufgelegt, Dow Jones plant einen Umwelt-Index. Keine Kommunalverwaltung, unabhängig von der politischen Couleur der Regierenden, wagt es, auf Abfalltrennung und verkehrsberuhigte Wohngebiete zu verzichten.
Ihrem überwältigenden Erfolg zum Trotz - an dem auch Bündnis 90/DIE GRÜNEN einen beträchtlichen Anteil hatten - ist die Umweltpolitik ins Gerede gekommen. Längst überwunden geglaubte Kampfbegriffe werden in der politischen Auseinandersetzung wiederbelebt: Eintreten für Umweltbelange sei technikfeindlich, gefährde Arbeitsplätze, sei ein Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung. Es wäre zu einfach, den Grund für diesen Widerspruch allein in der Tatsache zu suchen, daß mächtige Interessengruppen in Politik und Wirtschaft gegen angeblich übertriebene Umweltvorsorge mobilisieren -das war immer so. Auch die schwierige Konstellation im Bundeskabinett reicht zur Erklärung nicht aus.

Das politische Feld der Umweltpolitik selbst hat sich verändert. Es wirkt paradox: Wasser und Luft sind sauberer geworden - aber die Umweltsituation insgesamt bleibt höchst prekär. In manchen Bereichen sind aus klassischen "Feindbildern" wie der Chemischen Industrie Vorbilder geworden, z. B. bei der Wassereinsparung und Abwasserreinigung - trotzdem geben Umweltchemikalien weiter Anlaß zur Besorgnis. Abfallberge sind geschrumpft - die Verschwendung von Ressourcen und Energie in modernen Industriegesellschaften bleibt aber unvertretbar hoch.

Dabei bleibt trotz schwindender öffentlicher Aufmerksamkeit festzuhalten: Den weltweiten Zustand der Umwelt haben die Vereinten Nationen unlängst in ihrem ersten globalen Umweltbericht in einem markanten Satz zusammengefaßt: "Aus der globalen Perspektive hat sich die Umweltsitutation in der letzten Dekade weiter verschlechtert". Deutschland als einer der führenden Industriestaaten kann die Verantwortung für eine derartige Entwicklung nicht einfach von sich schieben - weder aus moralischer Sicht, noch unter dem Gesichtspunkt seiner langfristigen ökonomischen Interessen als Exportnation. Und auch die deutsche Umweltbilanz zeigt bei näherem Hinsehen neben Licht am Ende mancher Tunnel viel Schatten: Von einer Bewältigung der Umweltkrise sind wir weit entfernt.

2. Eintreten für Umweltschutz ist heute weniger spektakulär. Und Rigorismus verspricht weniger Erfolg.
Nicht nur die Inhalte, auch die Formen, in denen politisch und wirtschaftlich mit Umweltfragen umgegangen wird, sind Gegenstand einer dramatischen Umwälzung. Die alte Umweltpolitik lebte vom Umweltskandal, von der daraus entstehenden Konfrontation, vom "Vorführen" der Guten und der Bösen in der Öffentlichkeit. Sie setzte auf den Staat, der, wenn Bürger und "Umweltbewegung" ihn am Ende dazu zwangen, das Gute per Verordnung von oben durchsetzte. Daß die Medien so ausführlich berichteten, lag an dieser Form der Themenstellung selbst.

Heute fehlt das Medienecho weitgehend - nicht, weil dramatische Umweltprobleme verschwunden wären, sondern weil sie komplexer und damit weniger darstellungsfähig geworden sind. Wie, wenn nicht in Zuschauer-vertreibenden Tabellen und ermüdenden Fachdebatten, läßt sich die Wirkung eines Umwelt-Managementsystems darstellen? Wer sind die "Bösen", wenn nicht mehr die Herstellung in bilderträchtigen Chemieanlagen, sondern die bestimmungsgemäße Nutzung von problematischen Produkten - etwa Agrochemikalien - die Umwelt zunehmend belastet? Richtet sich die Kritik gegen all jene, die Öko-Produkte aus verschiedenen Gründen, z. B. auch wegen der Kosten, nicht kaufen möchten? Der moralische Rigorismus, der die frühe Thematisierung der Umweltkrise auszeichnete, schlägt unter den veränderten Bedingungen leicht zurück.

3. Bündnisgrüne Umweltpolitik ist Nachhaltigkeitspolitik. Sie besteht in der Verbindung ökologischer, ökonomischer und sozialer Ziele.

Deshalb müssen die Ziele der Umweltpolitik und der gesellschaftliche Rahmen, in dem sie verwirklicht werden können, im Gespräch mit der Gesellschaft neu formuliert werden. Bündnis 90/DIE GRÜNEN als Umweltpartei müssen diesen Prozeß nicht nur begleiten und mittragen - sie haben auch die Chance, sich dabei selbst zu verändern. Die alte Umweltpolitik war an Umweltmedien und den entsprechend organisierten traditionellen Verwaltungsvollzügen orientiert: Ihr Thema war die Vergiftung von Wasser, Boden und Luft. Die neue Umweltpolitik kann darauf nicht verzichten. Ihre Wirkung kann sie aber nur als Nachhaltigkeitspolitik entfalten: Wenn es ihr gelingt, ökologische, ökonomische und soziale Ziele zu verbinden.
Unter ökologischen Gesichtspunkten bedeutet Nachhaltigkeit die Wahrnehmung von Zukunftsinteressen. Dazu gehört die systematische Unterstützung von Innovationen: Ein effizientes und risikovermeidendes Stoffstrommanagement und die erforderlichen Quantensprünge bei der Energieeffizienz brauchen neue, teilweise erst noch zu entwickelnde Technologien, Verfahren und Dienstleistungen. Ökonomisch entsteht Nachhaltigkeit aus langfristigen marktwirtschaftlichen Rahmensetzungen, die eine dauerhafte Steigerung der Unternehmenswerte ebenso ermöglichen wie ausgeglichene Staatsfinanzen und existenzsichernde Einkommen.

Soziale Nachhaltigkeit impliziert, daß die ökologische Frage gemeinsam mit dem zweiten großen Thema der aktuellen Modernisierungskrise bewältigt werden muß: der Arbeitslosigkeit.

Umweltpolitik ist heute Gesellschaftspolitik: Sie beeinflußt die wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensqualität aller Menschen. Die Zeit, in der Umweltpolitik als Sektorpolitik erfolgreich sein konnte, neigt sich dem Ende zu. Das verändert ihre Verfahren: Die Fähigkeit zur Kooperation mit anderen Ressorts bei der Gestaltung von Infrastrukturentscheidungen oder bei der Bearbeitung wissenschaftlich-technischer Problemlösungen und das Geschick bei der Strukturierung gesellschaftlicher Debatten sind für Erfolg und Mißerfolg wichtiger als die Zuständigkeit für diese oder jene Verwaltungsvorschrift. Das bedeutet, integrierte Lösungen bereits im Planungsstadium zu erreichen, bevor Umweltschutz gegen Arbeitsplätze, wirtschaftliche Interessen oder infrastrukturelle Sachzwänge ausgespielt wird. Auch Energie-, Verkehrs-, Agrar- und Wirtschaftspolitik müssen sich deshalb am Leitbild der Nachhaltigkeit orientieren.

4. Bündnisgrüne Umweltpolitik ist Kooperationspolitik. Sie setzt stärker auf Dialog als auf Konflikt, zieht die Überzeugung der Anordnung vor.

Nachhaltigkeit impliziert Veränderungen der Lebensbedingungen und Konflikte mit Interessen der Gesellschaftsmitglieder. Die notwendigen Veränderungen ausschließlich von oben erreichen zu wollen, durch die "Umsetzung" von vorhandenen bzw. von Experten zu erarbeitenden "Konzepten", bedeutet, sich in einem unendlichen Kleinkrieg zu verzetteln. Erfolge sind deshalb nur durch die Kooperation höchst unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure zu erzielen.
Dazu bedarf es einer kommunikativen, impulsgebenden, selbstbewußten Politik. Die Gesellschaft als ganze muß entscheiden, welche Umweltqualität und welche Sicherheitsstandards sie will und was sie dafür zu geben bereit ist. Aufgabe der Umweltpolitik ist, den ökologischen Zukunftsinteressen eine gewichtige Stimme zu geben: Sie muß dafür sorgen, daß das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger für die Zukunft des Gemeinwesens nicht von besonders laut- oder finanzstarken Interessengruppen an den Rand gedrängt wird. Bündnisgrüne Umweltpolitik lädt deshalb die umweltpolitischen Akteure - gerade auch die Verursacher von Umweltschäden - zur Mitgestaltung ein, nimmt ihre Vorschläge und Interessen ernst und konfrontiert sie mit den Vorschlägen, Interessen und Lösungsvorschlägen anderer Gruppen. Dafür braucht sie einen anderen Politikstil als für die Durchsetzung von Grenzwerten und Verboten. Am Ende erst wird entschieden, wie ordnungsrechtliche Rahmensetzung, marktwirtschaftliche Instrumente und die freiwillige Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen zusammenwirken.

5. Neue Allianzen schmieden

Das Leitbild einer nachhaltigen Gesellschaft ist eine neue, sinnvolle Herausforderung für die Industrie, die gerade auf den gesättigten europäischen Märkten Innovationsinvestitionen ermöglicht. Intelligente staatliche Regulierung kann solche Innovationen fördern und so Zukunftsmärkte öffnen. Umwelt- und wirtschaftspolitischer Erfolg liegen dabei eng beieinander.
Oder anders ausgedrückt: Wer umweltpolitische Ziele erreichen will, braucht Verbündete in Wirtschaft und Gesellschaft. Bestes Beispiel: Klimaschutz und Energieeinsparung. Hier lassen sich ethische Ziele ("Klimaschutz als praktizierte Zukunftsverantwortung") und wirtschaftspolitische Ziele ("Energieeinsparung als Jobmaschine und Innovationsimpuls") trefflich zusammenspannen. Wer will eine Allianz aus Hochtechnologieunternehmen, der Bauwirtschaft, Einzelgewerkschaften, Umweltverbänden, Kirchen und entwicklungspolitischen Gruppen aufhalten? Allein bei der Wärmedämmung des Wohnungsbestandes kann nach realistischen Schätzungen bis zu einer halben Million Arbeitsplätzen neu geschaffen werden. Das setzt allerdings veränderte ökonomische und mietrechtliche Rahmenbedingungen für die Wohnungswirtschaft voraus. Investitionen in Wärmedämmung müssen sich durch geringere Betriebskosten amortisieren und auf die Miete umgelegt werden können.

Bereits praktisch wirksam wird eine Allianz aus Umweltschützern, Anlagenbauern, Landwirten und IG-Metall bei der Förderung von regenerativen Energien.

Zu einem ebenso unerwarteten wie wirkungsvollen Bündnispartner der ökologischen Bewegung entwickelt sich die Versicherungswirtschaft. Sie weiß, daß Risiken vom Supergau bis zu Umweltkatastrophen durch Klimawandel nicht mehr abzusichern sind und spürt an ihrem Geschäft, daß der gesellschaftliche Wohlstand schon längst durch Umweltschäden dramatisch vermindert wird.

6. Arbeitsplätze durch Umweltinnovationen schaffen.

Der Einstieg in die ökologische Steuerreform war ein erster Schritt. Bei der jetzt anstehenden ökotechnischen Innovationsoffensive zur Erneuerung der Energie-, Wasser- und Verkehrsinfrastruktur sollten Möglichkeiten zur Zusammenarbeit gezielt gesucht werden. Die "Verschlankung", d. h. die Steigerung der Ressourceneffizienz und die Senkung von Kosten in diesen Infrastrukturbereiche ist unter ökologischen wie ökonomische Gesichtspunkten eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung. Im Zentrum der Aufmerksamkeit sollten deshalb weniger die unvermeidlichen Abwehrkämpfe gegen die Fortsetzung alter Fehler stehen, als vielmehr die Realisierung von neuen Möglichkeiten zur Optimierung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielsetzungen.

Hier sollte auch die staatliche Verwaltung sich bewegen und enge Ressortinteressen überwinden. Gewiß: Ein Öko-Audit ersetzt keine staatliche Überwachung - aber in manchen Fällen kann es sogar mehr bewirken, weil es auch solche Gesichtspunkte mit bearbeitet, auf die diese mangels gesetzlicher Regelung keinen Einfluß nehmen kann - etwa die CO2-Einsparung. Deshalb können Verfahren, die die Öffentlichkeit beteiligen und sich im Spannungsverhältnis von gesellschaftlicher Verantwortung und ökonomischer Vernunft bewegen, in vielen Fällen wirksamer sein als ordnungsrechtliche Detailregelungen.

7. Umweltpolitik mit anderen Reformvorhaben verknüpfen

Umweltpolitische Ziele lassen sich sehr gut mit anderen staatlichen Zielen vereinbaren. Zum Beispiel: Das geplante, bislang aber blockierte Umweltgesetzbuch würde einen wichtigen Beitrag zu Verwaltungsvereinfachung, Verfahrensbeschleunigung und Bürgerbeteiligung leisten. Der Abbau ökologisch kontraproduktiver Subventionen in den Bereichen Landwirtschaft und Energie kann die Haushaltskonsolidierung erleichtern. In vielen Fällen bewirkt die Kappung umweltschädlicher Subventionen sogar mehr als die Einführung oder Erhöhung ökologischer Steuern und Abgaben. Eine Verkehrswegeplanung, die von Verkehrsprojekten den Nachweis ihrer Wirtschaftlichkeit verlangt, ist haushalts- und meist auch umweltschonender, denn die Herstellung von Chancengleichheit für alle Verkehrsträger bei Steuern und Abgaben sowie die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen verbessern die Marktposition von Schiene und Schiff und damit letzlich die Klimabilanz. Eine Abfallpolitik, die sich gegen überdimensionierte Entsorgungseinrichtungen wendet, sorgt auch für niedrige Müllgebühren und zufriedene Bürger.

8. Keine "halbierte" Umweltpolitik

Neue gesellschaftliche Bündnisse sollten wir auch im emotionalen Kernbereich des Umweltschutzes zustande bringen - dem Natur- und Landschaftsschutz. Denn nicht nur wird es ohne nachhaltige Agrikultur auf Dauer keine Kulturlandschaft mehr geben. Ein rationaler Prozeß des Gebens und Nehmens, in dem auch die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft und der landwirtschaftsnahen Verarbeitung Thema wird, ist überfällig. Weit mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze sind in diesem Sektor seit 1990 weggefallen - ein Mehrfaches z. B. der verbliebenen Arbeitsplätze in der deutschen Kohle.
Wer ökologische Ziele wie den Natur-, Landschafts- und Artenschutz oder den Erhalt der biologischen Vielfalt außen vor läßt, betreibt eine "halbierte Umweltpolitik". Damit wird nicht nur ein Herzensanliegen und Sympathiethema ignoriert, sondern auch aktuelle politische Chancen übersehen. In der Natuschutzbewegung führt die Diskussion über die Ergebnisse traditioneller Schutzgebietsstrategien inzwischen zu Überlegungen, den "Schutz vor Nutzung" (der in Einzelfällen selbstverständlich seine Berechtigung behält), durch ein Konzept "Schutz durch (ökologisch angepaßte) Nutzung" zu überwinden.
Damit bekommt der "klassische" Konflikt zwischen Naturschutz und Landwirtschaft eine neue Perspektive. Wenn Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucher kooperieren, sind sie ein starkes Trio. Umweltgerechte Landwirtschaft als bewußter Schritt zu einer regional orientierten, nachhaltigen Produktionsstruktur kann gerade im ländlichen Raum mit Unterstützung rechnen. Ökologisch und tiergerecht erzeugte Produkte sind von wachsender Bedeutung für den Markt und entwickeln steigende Einkommenspotentiale für den Agrarbereich. Und schließlich bedeutet die Ökologisierung der Landbewirtschaftung eine deutliche Zunahme der Arbeitsplätze (Schätzungen sprechen von einer Verdoppelung) in diesem Bereich. Die Bundesregierung sollte deshalb Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und speziell im ökologischen Landbau und langfristigen Schutz der biologischen Vielfalt vor agrarindustrielle Lobbyinteressen stellen. Auch die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wird hier zum Testfall.

9. Gesucht: Eine globale Perspektiver für Ökologie ohne Armut. Eine internationale Jugend-Umweltorganisation könnte dabei helfen.

Die Nord-Süd-Zusammenarbeit und die Verantwortung für die "Eine Welt" gehören zu den Ursprüngen grüner Politik. Heute sterben mehr Menschen denn je zuvor an verschmutztem Wasser. Klimaveränderungen bedrohen die Südhälfte des Globus weit schlimmer als die gemäßigten Zonen der Industriestaaten. Langfristrisiken wie die Meeresverschmutzung sind von einer angemessenen Bewertung und Bekämpfung weiter entfernt denn je.

Für Bündnis 90/DIE GRÜNEN ist wirksame Umwelt-Außenpolitik ein Kernpunkt der künftigen Weltinnenpolitik. Sie ist eine zentrale Voraussetzung für Friedenssicherung, Armutsbekämpfung und die Wahrung der Menschenrechte. Die Unterstützung von Ländern der Industrialisierungsschwelle bei der umweltverträglichen Gestaltung der von ihnen aufgebauten Infrastruktur gehört zu den Verpflichtungen eines modernen Industriestaates wie der Bundesrepublik. Der Hinweis, daß sich die Modernisierung Chinas nicht nach europäischem Vorbild vollziehen darf, reicht nicht aus: Was fehlt, ist die globale Perspektive für Ökologie ohne Armut.

Angesichts des rapide wachsenden Energiebedarfs und der ebenso sprunghaft wachsenden Mobilität in den neuen Industrieländern Asiens und Lateinamerikas ist es eine ökologische Überlebensfrage, diese Entwicklung mit den modernsten, umweltschonendsten Technologien zu bewältigen. Der Transfer von umwelttechnischen Innovationen und ökologischem know how müssen im Zentrum einer modernen, langfristig orientierten Wirtschaftspolitik stehen - ein Bereich, in dem der Nachholbedarf unübersehbar ist. Deshalb sollten wir gezielt das Bündnis mit UnternehmerInnen suchen, die mit Umweltschutz und Ressourceneffizienz international ihr Geld verdienen: Sustainability - made in Germany.

Die Mobilisierung von öffentlicher Aufmerksamkeit und gesellschaftlichem Engagement (z. B. durch eine internationale Jugend-Umweltorganisation, die ihre Tätigkeit zum 10. Jahrestag des Rio-Gipfels aufnehmen könnte) wäre ein erster Schritt.
10. Die technische Veränderung der Welt ist ein Politikum. Bündnis 90/DIE GRÜNEN sind die Partei der zukunftsfähigen technischen Innovation.

Moderne Gesellschaften kennen, anders als ihre Vorgängerinnen, fast immer unterschiedlichste technische Wegge zur Erreichung ihrer Ziele Zugleich zwingt ihnen der internationale Wettbewerb und die Globalsierung technischer Innovationen eine ständige, sich immer mehr beschleunigende Umwälzung aller Verhältnisse auf. Deshalb können und müssen moderne Gesellchaften sich zwischen vorhandenen und zu entwickelnden Möglichkeiten entscheiden.

Rationale, Chancen und Risiken abwägende Entscheidung über technische Alternativen ist wichtigste Voraussetzung für erfolgreiche Innovationsstrategien. Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben auf dem Gebiet der Energie- und Wasserinfrastruktur, beim Verkehrswesen und in der Kommunikationsbranche solche Innovationen entschieden gefördert. Die rationale Bewertung und aktive Unterstützung von zukunftsfähiger technischer Innovation muß ins Zentrum auch der öffentlichen Darstellung von Umweltpolitik gerückt werden.

Trotzdem gerät die Politik, wenn sie sich dieser Verantwortung stellt, fast immer in Konflikte mit mächtigen und finanzstarken Interessengruppen. Auch gegenwärtig wird wieder versucht, die spezifisch moderne Form der Entscheidung zwischen mehr oder weniger wünschenswerten Technologien als hinterwäldlerische Romantik zu verunglimpfen, weil "technikfeindlich" sei, wer sich gegen das Kochen von Wasser für die Dampferzeugung in Großkraftwerken mittels einer atomaren Kettenreaktion wendet. Hier wird eine extrem unflexible und auf keinem Markt mehr absetzbare Technologie vom Anfang der 50er Jahre, die nur hinter meterdicken Betonmauern praktiziert werden kann und sicherheitspolitisch völlig unbeherrschbar ist (was, wenn es in Serbien Atomkraftwerke gegeben hätte?) als "neu" zu verkaufen versucht. In Wahrheit fehlen diesem Verfahren die Merkmale zukunftsfähiger Technologien: Effizienter, präzise gesteuerter, spezifisch auf den jeweiligen Zweck angepaßter Einsatz der Ressourcen.

Die von den Bündnisgrünen vorgetragene Forderung nach gesellschaftlicher Beteiligung an der Entscheidung über technische Entwicklungen liegt deshalb im Zentrum, nicht am Rand moderner gesellschaftspolitischer Hoffnungen (und auch Befürchtungen) am Anfang des neuen Jahrtausends. Nicht nur unsere Wählerinnen und Wähler, sondern breite Teile gerade auch der bürgerlichen Öffentlichkeit erwarten von Bündnis 90/Die Grünen, daß sie technische Veränderungen auf ihre sozialen und die ökologischen Folgewirkungen befragen und nicht auf den pep-talk der Werbestrategen und mancher Politiker einschwenken. Voraussetzung dafür ist, bündnisgrüne Diskurse aus der Ecke abstrakter Verbotsforderungen zu holen. Innovationsförderung und Risikominimierung bedürfen einer engen Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft und bewußt geförderter kooperativer Strategien.

Fazit:

Nachhaltigkeit - das ist im 21. Jahrhundert ein anderes Wort für Solidarität, für die gemeinsame Arbeit an einer lebenswerten Zukunft. Dieses Versprechen bleibt der programmatische Kern der Umweltpartei Bündnis 90/DIE GRÜNEN Nachhaltigkeit ist der Schlüssel zum globalen Überleben und deshalb das zentrale Anliegen grüner Politik. Deshalb werden wir UmweltpoltitikerInnen der Grünen aus Bund, Ländern und Kommunen künftig der Geringschätzigkeit gegenüber Umweltfragen entschiedener entgegentreten und dafür in der Gesellschaft Bündnispartner suchen. Wir werden uns nicht nur zu Themen der Wirtschaftspolitik, sondern beispielsweise auch der Forschungs- oder Verkehrspolitik deutlicher zu Wort melden.
Ohne erfolgreiche Umweltpolitik ist heute keine erfolgreiche Politik zu haben - schon gar keine Rot-Grüne Reformpolitik.

UnterzeichnerInnen:
Henriette Berg, Staatssekretärin im Umweltministerium Schleswig Holstein
Ralf Fücks, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung, ehem. Umweltsenator der Hansestadt Bremen
Arnd Grewer, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie
Rebecca Harms, Fraktionssprecherin im niedersächsischen Landtag
Winfried Hermann, MdB und stv. Vors. Umweltausschusses des Bundestages
Ulrike Höfken, Agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion
Michaele Hustedt, Energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion
Tom Koenigs, Umweltdezernent der Stadt Frankfurt/Main
Winfried Kretschmann, Umweltpolitischer Sprecher im Landtag von Baden Württemberg
Reinhard Loske, Umweltpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion
Hans Mönninghoff, Umweltdezernent der Stadt Hannover
Johannes Remmel, Umweltpolitischer Sprecher im nordrhein-westfälischen Landtag
Gunda Röstel, Vorstandssprecherin der Partei
Roland Schaeffer, Mitarbeiter des Umweltdezernats der Stadt Frankfurt/Main
Albert Schmidt, Verkehrspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion
Rainder Steenblock, Umweltminister des Landes Schleswig-Holstein
Gerda Stuchlik, Umweltdezernentin der Stadt Freiburg/Br.
Franz Untersteller, Parlamentarischer Berater, Landtagsfraktion Baden-Württemberg
Michael Vesper, Bauminister des Landes Nordrhein-Westfalen

 


- Presse
Spiegel
Süddeutsche

- Kommentar vom BAG-Energie-Sprecher Thomas Myslik

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