G R Ü N E
Streit um Umweltpolitik "light"
Jetzt zanken sich die Grünen auch über ihre ureigene Domäne: Führende Realpolitiker haben ein Strategie-Papier für eine neue Umweltpolitik im Konsens mit der Wirtschaft vorgestellt. Die Parteilinke war nicht eingeweiht und reagierte mit heftiger Kritik.
Berlin - Bei den Grünen zeichnet sich ein Richtungsstreit über die für die Partei existenziell wichtige Umweltpolitik ab. Am Donnerstag stellten führende Realpolitiker in Berlin ein mit dem linken Flügel der Partei nicht abgestimmtes Zehn-Punkte-Papier für eine neue Umweltpolitik vor, das eine bessere und intensivere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft anstrebt.Es gelte, dem "Anschmieren zwischen Ökologie und Ökonomie ein für alle Mal ein Ende zu machen", sagte Grünen-Vorstandssprecherin Gunda Röstel bei der Vorstellung des Papiers. Wer heute umweltpolitische Ziele erreichen wolle, brauche Verbündete in Wirtschaft und Gesellschaft. In vielen Bereichen ließen sich "Innovationsbündnisse" schließen, die sowohl der Umwelt als auch beschäftigungs- und technologiepolitischen Zielen dienten. Die Atompolitik ist in dem Thesenpapier nicht berücksichtigt worden.
Die Zeiten, in denen umweltpolitische Ziele durch Konfrontation durchgesetzt werden könnten, seien weitgehend vorbei. Zudem seien die Möglichkeiten, über die Ordnungspolitik Umweltziele durchzusetzen, weitgehend ausgeschöpft, sagte Röstel. Es gehe inzwischen darum, kooperativ zu arbeiten und Anreize - auch über die Steuerpolitik - für mehr Umweltschutz zu schaffen.
Das Papier, das aus der Feder des umweltpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion im Bundestag, Reinhard Loske, stammt, sei inzwischen von 21 Umweltpolitikern aus Bund, Ländern und Gemeinden unterzeichnet worden. Sie werden alle dem realpolitischen Flügel der Partei zugerechnet. Mit dem Papier wollten sie das für die Partei existenzielle Thema Umweltpolitik "wieder beleben".Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne), der in den vergangenen Monaten für seine Umweltpolitik auch aus seiner eigenen Partei scharf angegangen worden ist, hatte ebenso wenig unterzeichnet wie die ebenfalls dem linken Flügel zuzurechnende nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn. Während Röstel wie Loske betonten, Trittin habe das Papier zwar nicht unterzeichnet, unterstütze es aber, hieß es in der Partei, der Bundesumweltminister stehe nicht in allen Punkten hinter dem Papier.
Höhn kritisierte das Papier öffentlich. Sie habe es nicht unterzeichnet, weil sie Vorbehalte habe, sagte sie. Es sei falsch, mit einem solchen Papier an die Öffentlichkeit zu gehen, bevor ein breiter parteiinterner Diskussionprozess begonnen habe. Es hätte vermieden werden müssen, dass wieder einmal der Eindruck entstehe, die Grünen hätten keine geschlossene Position, kritisierte Höhn. Es sei im Übrigen eine "Binsenweisheit", dass in der Umweltpolitik auch eine Kooperation mit der Wirtschaft angestrebt werden müsse.
Die ebenfalls zum linken Flügel zählende Vorstandskollegin von Röstel, Antje Radcke, hält das Papier für unzureichend. Es fehlten "viele Punkte", sagte sie. Vor allem bleibe offen, wie vorzugehen sei, falls umweltpolitische Probleme nicht in Kooperation und Konsens gelöst werden könnten.
Dieser Argumentation hielt der schleswig-holsteinische Umweltminister Rainder Steenblock entgegen, die Partei müsse in der Umweltpolitik "weg von der Kontrolletti-Mentalität". Die Partei müsse "aus dem Ghetto des Neinsagens, des Verhinderns, der Verbotspolitik heraus", sagte Steenblock, der das Papier mit unterzeichnet hatte.
Der zum linken Flügel der Grünen gehörende Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele kündigte im Berliner "Inforadio" an, im Herbst werde es ein linkes Thesenpapier geben. Es müsse geklärt werden, ob das Wahlprogramm der Grünen überhaupt noch gelte.Vorstoß der grünen Realos für eine neue Ökologiepolitik
Parteilinke begrüßt Umweltpapier
Ströbele: Auch wir sind nicht gegen Konsens mit der Wirtschaft
csc Berlin (Eigener Bericht) -Das vorwiegend von Realpolitikern der Grünen unterzeichnete Zehn-Punkte-Papier für eine neue Umweltpolitik wird auch von führenden Mitgliedern der Linken begrüßt. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele sprach von 'einem wichtigen Beitrag'. Der Süddeutschen Zeitung sagte der Berliner Grünen-Politiker, der zu den Exponenten der Parteilinken gehört: 'Wir haben nichts gegen einen Konsens mit der Wirtschaft.' Ströbele vermisst in den 'Thesen für eine Erneuerung bündnisgrüner Umweltpolitik' allerdings den Hinweis auf ordnungspolitische Maßnahmen für die Fälle, in denen es nicht zu einem Konsens mit der Industrie kommt. 'Manchmal muss der Staat auch ein Machtwort sprechen.' Ströbele nannte als Beispiel dafür die Bekämpfung des Sommersmogs.
Parteisprecherin Antje Radcke, die ebenfalls zum linken Flügel gehört, hat das Papier nicht unterzeichnet, weil sie wie NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn 'noch Diskussionsbedarf' sieht. Auch Radcke betonte, die Frage sei doch, 'was ist, wenn kein Konsens erreicht wird'. Einen Satz wie 'Konsens geht vor Ordnungspolitik' aber hätte auch sie unterschreiben können. Einen 'Riesenflügelkonflikt' um das Umweltpapier aber sieht Radcke ebenso wenig wie ihre Vorstandskollegin Gunda Röstel, die ihre Unterschrift unter den Text setzte. Röstel sagte im infoRadio, der Wirbel um das Papier zeige, dass hier ' ein wichtiger Debattenanstoß geleistet worden sei'.
In dem Papier, das der Umweltpolitiker Reinhard Loske erarbeitet hat, wird ein 'anderer Politikstil' der Grünen in der Umweltpolitik gefordert, der Abschied vom moralischen Rigorismus nimmt und auf Konsens statt Konflikt setzt. Umweltminister Jürgen Trittin hat das Papier nicht unterschrieben, seine Staatssekretärin Gila Altmann, auch eine Vertreterin der Linken, betonte aber im WDR, die Thesen deckten sich weitgehend mit der Praxis des Ministeriums.
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der die Umweltpolitik der Grünen in der Bundesregierung zuletzt heftig kritisiert hatte, begrüßte den Vorstoß ebenfalls. 'Die Grünen haben offenbar den Ernst der Lage begriffen', sagte der NABU-Geschäftsführer Gerd Billen der SZ. Billen vermisste aber Aussagen zur Umsetzung der Koalitionsvereinbarung, etwa zum Naturschutzgesetz, der Verkehrsplanung oder dem Umweltgesetzbuch. 'Da geht es dann zur Sache.' Bislang habe die rot-grüne Regierung die Umweltverbände 'sehr enttäuscht', meinte Billen. Die Regierung habe ihre Handlungsspielräume nicht genutzt. Aber auch die Grünen als Partei hätten beipielsweise die Chancen, die in der Agenda 2000 für Natur und Landwirtschaft steckten, 'nicht verstanden'.
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