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Annelie Buntenbach (MdB)

Bericht der Abgeordneten
Annelie Buntenbach und Hans-Christian Ströbele
zu der Reise nach Genua am 25. und 26. Juli 2001

Nach ersten Berichten und Zeitungsmeldungen über die Festnahmen in Genua nach dem G8-Gipfeltreffen am Montag, den 23. Juli 2001 hatten die Abgeordneten Cem Özdemir und Hans-Christian Ströbele am Vormittag des 24. Juli eine Pressemitteilung herausgegeben, in der die Aufklärung der Ereignisse in Genua, insbesondere der Umstände der Festnahmen und die Einsetzung einer internationalen unabhängigen Untersuchungskommission gefordert wurde.
[weitere PM von Ströbele und Buntenbach]

Bereits am Sonntag, den 22. Juli erhielt MdB Buntenbach erste Anrufe, in denen Sorge über Verbleib und Gesundheitszustand von FreundInnen und Angehörigen geäußert wurde, die zu den Protesten gegen den G8-Gipfel nach Genua gereist waren. Insbesondere die Nachrichten über die blutigen Festnahmen in der Diaz-Schule hatten Anlass zu Befürchtungen gegeben. Trotz der Versuche des Auswärtigen Amtes, Informationen von der Polizei aus Genua zu erhalten, wurde die Lage am Montag, den 23. Juli eher unübersichtlicher.
Im Laufe des Dienstags erreichten MdB Ströbele aus Italien Berichte und Meldungen, die Festgenommenen seien bei Ihrer Festnahme erheblich mißhandelt und in Polizeistationen geschlagen und gefoltert worden. Mehrere DemonstrantInnen aus Deutschland lägen schwerverletzt im Krankenhaus. Nächste Angehörige und AnwältInnen würden nicht zu den Gefangen gelassen. Vom deutschen Konsulat seien keine zuverlässigen Informationen zu erhalten. Immer dringlicher wurde von den AnruferInnen aus Italien die Bitte geäußert, Mitglieder des Bundestages sollten nach Genua kommen, um den Kontakt zu den Gefangenen herzustellen und Öffentlichkeit über die Vorgänge herzustellen.
Im Laufe des Nachmittags (Dienstag, 24. Juli) entschloß sich MdB Ströbele, am nächsten Morgen nach Genua zu reisen. Das Auswärtige Amt sagte telefonisch die Unterstützung durch das deutsche Konsulat in Mailand zu. Herr Höpfner und später Herr Hartmann vom Auswärtigen Amt halfen bei der Reisevorbereitung. Noch am selben Abend verständigten sich die Abgeordneten Ströbele und Buntenbach, die sich ganz unabhängig ebenfalls zur Reise entschlossen hatte, am folgenden Tag in Genua zusammenzutreffen und gemeinsam zu versuchen, die Gefangenen zu besuchen.

Gespräche in Genua

Am Mittwochmittag (25. Juli) gegen 12.00 Uhr kam MdB Ströbele in Begleitung eines Journalisten und des Bruders des Gefangenen Herrn A. in Genua an. Die Mutter dieses Gefangenen hatte noch in der Nacht telefonisch den MdB Ströbele darum gebeten, ihren Sohn aufzusuchen. MdB Ströbele wurde von der deutschen Generalkonsulin Mayer-Schalburg empfangen. Noch am Flughafen trafen sie mit einer Delegation von Deutschen aus der Koordinierungsstelle für die inhaftierten DemonstrantInnen zusammen, die von Mailand angereist waren.

Diese berichteten, sie seien in der Nacht zum Sonntag im Social Forum in Genua anwesend gewesen, als eine Durchsuchung durch die Polizei stattgefunden habe. Im Social Forum sei ein Presse- und Kommunikationszentrum anläßlich des G8-Treffens eingerichtet gewesen. Es sei auch versucht worden, von dort aus die Demonstrationen zu koordinieren. In der Nacht zum Sonntag, also viele Stunden nach Ende der letzten Demonstration, sei die Polizei in die Räume des Forums eingerückt. Alle Personen, die sich dort aufhielten, hätten sich auf den Boden legen müssen. Der Intervention eines Abgeordneten aus den Europäischen Parlament sei es zu verdanken gewesen, daß die Polizei die Räume lediglich durchsucht habe und nichts Schlimmeres passiert sei.

Bei den Leuten von Social Forum war eine Journalistin anwesend. Sie berichtete, sie sei mit einem befreundeten Journalisten ins Polizeipräsidium in Genua gebracht worden. Im obersten Stock gleich rechts neben der Treppe seien sie in einen Raum gebracht worden, an der Tür sei ein Schild gewesen mit der Aufschrift, "Narkotraffic" oder ähnliches. Im Raum mußten sie sich an die Wand stellen. Sie seien von Polizisten bedroht worden. Sie hätten ihre JournalistInnenausweise vorgehalten. Während diese überprüft wurden, seien sie bespuckt und gedemütigt worden. Die Polizisten hätten die Fäuste an ihren Kopf gehalten und mit den Gelenken geknackt. An der Wand habe ein Pornokalender gehangen. Dieser sei beiseite geschoben worden, dahinter habe ein Bild von Mussolini gehangen und faschistische Zeichen. Als ihre Ausweise überprüft waren, seien sie freigelassen worden.

Im Anschluß an die Durchsuchung des Social Forum Zentrums habe die Polizei die auf der anderen Straßenseite liegende Diaz-Schule gestürmt. Die Leute aus dem Social Forum Zentrum hätten dies beobachten können. Die Polizei habe das Gittertor auf den Vorhof zur Schule mit einem Fahrzeug eingedrückt. Dann sei eine große Anzahl von Polizisten in die Schule eingedrungen. Über der Schule kreisten zwei Hubschrauber. Vom Social Forum oder der Schule sei vorher keinerlei Gewalt ausgegangen. Die Schule habe Demonstranten zur Übernachtung gedient.

Kurz nach dem Eindringen der Polizei habe man Schreie und Gebrüll gehört. Schon bald seien Personen auf Krankentragen herausgebracht worden. Mit der Polizei seien bereits Krankenwagen gekommen, die auf der Straße vor der Schule standen. In diese Krankenwagen seien die Verletzten getragen worden. Alle anderen Personen aus der Schule seien abgeführt und mit Polizeifahrzeugen weggebracht worden. Es habe sich um mehrere Dutzend Personen gehandelt.
Nach Abzug der Polizei seien in der Schule überall auf dem Boden, an den Wänden und Türen Blutspritzer festgestellt worden. Die ganze Einrichtung sei zerstört gewesen. Kleidung, Gegenstände und sonstiger Reisebedarf sei in den Räumen verstreut gewesen.

Die Leute vom Social Forum berichteten auch, in den letzten Tagen seien in Genua immer wieder junge Leute aus Autos heraus ohne ersichtlichen Grund verhaftet und auf Polizeistationen geschlagen worden. Die Generalkonsulin bestätigte, daß am Montag und Dienstag (23. und 24. Juli) noch junge Deutsche aus Autos heraus verhaftet worden seien und sich jetzt in Gefängnissen in Genua befinden. Die Leute vom Social Forum fühlten sich deshalb in Genua nicht mehr sicher. Sie seien nach Mailand umgezogen und versuchten von dort aus, Hilfe für die Gefangenen zu organisieren. Bisher sei es nicht möglich gewesen, zu den Gefangenen Kontakt aufzunehmen. Auch nächsten Angehörigen, Müttern, Eltern, Geschwistern würde der Besuch verweigert. Die Angehörigen hätten lediglich von den ÄrztInnen erfahren können, daß die Gefangen versorgt würden und es ihnen den Umständen entsprechend gut gehe. Die vor den Krankenzimmern postierte Polizei würde jeden Kontakt der Gefangenen mit den Angehörigen verhindern. Auch RechtsanwältInnen hätten bisher mit den Gefangen nicht sprechen können.

Krankenhaus San Martino in Genua

MdB Ströbele fuhr mit der Generalkonsulin zunächst ins Krankenhaus San Martino in Genua, um die dort inhaftierten schwerverletzten Frauen zu besuchen. Die Leute aus Mailand baten, mit dem Fahrzeug immer in Sichtweite zu bleiben, denn sie fürchteten, angehalten und festgenommen zu werden.

Im Krankenhaus San Martino traf MdB Ströbele mit einer Krankenschwester zusammen, die in der Nacht der Einlieferung der verletzten jungen Leute anwesend war. Sie berichtete, die Verletzten hätten in vielen Sprachen geweint und gestöhnt. Es sei schrecklich gewesen. Die Verletzten seien noch im Krankenhaus von Polizisten drangsaliert und geschlagen worden. Am Sonntag, den 22. Juli hätten bei mehreren Notoperationen stattfinden müssen. Die Krankenschwester ist bereit, dem Abgeordneten ihre Telefonnummer für Nachfragen zur Verfügung zu stellen.

Im Krankenhaus erschienen zwei italienische Parlamentsabgeordnete, Graziella Mascia und Vinzenzo Marco. Mit ihnen wurde Zusammenarbeit und laufende gegenseitige Unterrichtung vereinbart.

Zunächst wurden MdB Ströbele und die Generalkonsulin zu den gefangenen Kranken nicht vorgelassen. Von einem Anwalt wurde mitgeteilt, die Gefangenen würden derzeit von einer Richterin vernommen. Diese werde auch über die Haft entscheiden.
Nach ca. eineinhalb Stunden wurden sie in die abgeschlossene Krankenabteilung eingelassen. Im Flur befanden sich sechs Polizisten und zwei Polizistinnen. Im Krankenzimmer lagen zwei junge Frauen, eine Spanierin und Frau B. aus Deutschland.

Frau B. berichtete, es gehe ihr inzwischen relativ gut. Sie habe noch Kopfschmerzen. In der Nacht zum Sonntag habe sie sich in der Schule aufgehalten, um dort bis zur Abfahrt der Eisenbahn zu übernachten. Völlig überraschend seien Polizisten in die Schule eingedrungen. Es seien Polizisten der Einheit Digos gewesen. Sie habe die Hände gehoben und gerufen: "Okay, Okay" und "Peace, Peace". An Gegenwehr sei überhaupt nicht zu denken gewesen. Sie habe niemanden gesehen, der Widerstand geleistet oder Gewalt ausgeübt habe. Die Leute hätten versucht, aus der Halle die Treppe hoch zu flüchten. Sie habe ein oder mehrere Schläge mit dem Knüppel auf den Kopf erhalten. Sie habe das Bewußtsein verloren und sei erst am Montag im Krankenhaus wieder aufgewacht. Sie habe eine schwere Gehirnerschütterung erlitten und eine erhebliche Verletzung am Kopf. Sie fühle sich aber besser. Die Behandlung im Krankenhaus sei ausreichend und in Ordnung. Ihr sei keinerlei Kontakt mit Verwandten erlaubt worden. In der Vernehmung habe sie der Richterin dieselben Angaben gemacht.
Frau B. ist eine Frau mit zierlicher Figur. Es ist nicht vorstellbar, daß diese Frau einen Polizisten ernsthaft gefährden oder ihm Widerstand leisten könnte.

Während des Gesprächs wurde die deutsche Gefangene Frau C., auf einem Rollbett ins Zimmer gefahren. Sie konnte zunächst nicht sprechen. Ihre richterliche Vernehmung hatte die Richterin abgebrochen, weil die Frau vor Schmerzen nicht mehr sprechen konnte. Sie erhielt schmerzlindernde Spritzen. Sie konnte nach einiger Zeit sprechen. Sie erzählte, sie sei in der Diaz-Schule von Polizisten zusammengeschlagen worden. Sie zeigte eine handtellergroße Platzwunde am Kopf. Außerdem sei sie von einem Polizisten mit Stiefeln in die Brust getreten worden. Blut sei in die Lunge gelaufen. Während sie sprach, rann durch einen Schlauch Blut aus der Lunge in ein Auffanggefäß. Sie klagt über erhebliche Schmerzen in der Brust. Sie ist sehr schwach. Auch diese Frau hat eine zierliche Figur. Sie berichtet, Widerstand oder Gewalt von Seiten der Überfallenen habe es nicht gegeben. Alle hätten nur Angst gehabt und versucht, sich zu verstecken.
Auf Frage der Generalkonsulin bat Frau C., in ihrem Heimatort einen Schwerbehinderten, den sie täglich betreut, pflegt und ausfährt, davon zu benachrichtigen, daß sie nicht kommen könne und er sich eine neue Betreuerin suchen müsse. Frau C. äußert sich positiv zur Behandlung im Krankenhaus.

Nach Verlassen der Krankenstation wurde MdB Ströbele nochmals vorgelassen und hatte Gelegenheit, einen schwerverletzten jungen Mann aus England in derselben Station kurz zu sehen. Ein Gespräch wurde nicht erlaubt.

Im Krankenhaus San Martino suchten die Generalkonsulin und MdB Ströbele danach den schwerverletzten Herrn D. aus Deutschland auf. Er liegt in einem anderen Gebäude in einem separaten Raum für frisch Operierte. Die kleine Zelle grenzt an einen Flur, von dem durch ein breites Fenster der ganze Raum eingesehen werden kann. Am Fenster stehen oder sitzen ständig zwei Polizeibeamte, die stets ein Auge auf den Gefangenen im Bett haben. Mindestens drei weitere Polizisten halten sich im Flur vor dem Zimmer auf. Im Flur wartet die Mutter des Verletzten darauf, zu ihrem Sohn vorgelassen zu werden. Zum Betreten des Krankenzimmers muß Krankenhausbekleidung übergezogen werden. Die Vorbereitung dauert wieder fast eine Stunde.
Der Gefangene Herr D. berichtete, er sei in der Schule niedergeschlagen und festgenommen worden. Er hat eine große Platzwunde am Kopf erlitten. Noch am Sonntag, den 22. Juli mußte er sich einer Notoperation unterziehen, da sich infolge des Schlages ein eigroßes Blutgerinnsel in seinem Kopf gebildet hatte. Die Operation sei gut verlaufen. Er fühle sich besser, aber leide noch unter Kopfschmerzen. Besonders leide er darunter, daß die Polizisten ihn ständig durch das Fenster beobachten und ihn versuchten zu ärgern. Er sei keine Sekunde unbeobachtet.
Er habe sich in der Schule nicht gewehrt und auch gar nicht wehren können. Er habe versucht, vor der Polizei in die oberen Stockwerke zu fliehen. Er sei zusammengeschlagen worden.
Im Krankenhaus werde er gut versorgt. Die Polizei habe ihm alles abgenommen, auch seine Papiere. Er habe Zeitungen gehabt, aber auch diese seien aus Sicherheitsgründen weggenommen worden.

Krankenhaus Galleria in Genua

Anschließend fahren die Besucher ins Krankenhaus Galleria. Nach längerem Warten werden sie vorgelassen zu dem schwerverletzten Herrn A. aus Süddeutschland. Dieser hatte am selben Tag Besuch von seinem Bruder, der mit MdB Ströbele aus Deutschland gekommen war. Vor seiner Tür wachen drei Polizisten. Während des Besuchs darf die Tür nicht geschlossen werden.
Der Gefangene kann kaum sprechen. Er kann den Unterkiefer nicht bewegen. Er berichtet, daß er in der Schule auf dem Boden gelegen und von einem Polizisten mehrere Schläge mit dem Knüppel ins Gesicht erhalten habe. Dadurch seien beide Seiten seines Unterkiefers gebrochen und zertrümmert worden. Diese seien im Krankenhaus unter Vollnarkose zusammengeschraubt worden. Er habe immer noch Schmerzen. In der Schule sei er gewesen, um zu schlafen. Sie hätten auf dem Boden gelegen und gerufen: "Wir ergeben uns." Geschlagen wurden sie trotzdem. Ein Polizist habe ihm eine Pistole zwischen die Augen gehalten und gerufen: "Murder, Murder". Anschließend wurden sie ins Krankenhaus gebracht. Er habe gesehen, wie auch auf andere am Boden Liegende von Polizisten mit Knüppeln und Stangen eingeschlagen wurde.
Er arbeite in bei einer "United Antirassismusintitiative". Seine Mutter hatte mitgeteilt, daß er bei der Aktion Sühnezeichen aktiv ist. Kontakt zu Angehörigen durfte er nicht aufnehmen. Erst heute sei sein Bruder dagewesen.

Als letzter Gefangener wurde am Mittwoch Herr E. im Krankenhaus Galleria besucht. Er liegt in einem Zimmer mit zwei anderen Patienten, abgeschirmt durch eine Stellwand. Am Bett sitzen zwei Polizisten. Auch er wurde in der Schule festgenommen. Er habe versucht zu flüchten. Gegenwehr oder Gewalt gegen die Polizisten habe es in der Schule nicht gegeben. Er sei am Kopf getroffen worden und zu Boden gegangen. Er erlitt eine große Platzwunde am Kopf. Er berichtet, daß er an den ersten Tagen im Krankenhaus mit Handschellen ans Bett gefesselt worden sei. Er sei auch auf dem Weg ins Krankenhaus noch geschlagen worden. Entsprechendes gaben andere bei späterer Befragung an.

Gefängnis in Vercelli

Danach fuhr die Delegation zu der eineinhalb Autostunden entfernten Stadt Vercelli. In dem Gefängnis dieser Stadt sind die zwei deutsche Frauen F. und G. inhaftiert. Noch unterwegs kommt die Nachricht, die Frauen und andere Gefangene seien soeben entlassen worden. Mdb Buntenbach, die inzwischen über Mailand aus Deutschland eingetroffen ist und vor dem Gefängnis wartet, bestätigt dies. Die Gruppe fährt trotzdem hin in der Hoffnung, die entlassenen Frauen noch anzutreffen und sprechen zu können. Die Nachricht von der Entlassung der beiden Frauen erreicht die Generalkonsulin und MdB Ströbele noch unterwegs nach Vercelli. Als sie dort ankamen, trafen sie die Frauen jedoch nicht mehr an.

Im Gefängnis in Vercelli waren die beiden deutschen Frauen F. und G. inhaftiert. Als MdB Buntenbach dort kurz nach 17.00 Uhr ankam, war die Haftprüfung soeben erfolgt. Vor dem Gefängnis befand sich eine Gruppe von 10-15 Personen, darunter AnwältInnen, JournalistInnen, Angehörige und FreundInnen, die auf die unmittelbar bevorstehende Entlassung von Inhaftierten warteten, welche zuvor in der Diaz-Schule festgenommen worden waren. Polizeifahrzeuge standen bereit, um die Entlassenen sofort abzutransportieren. Die Polizei versuchte den Kontakt zu den Wartenden nach Möglichkeit zu unterbinden. Erst nachdem sich MdB Buntenbach als Mitglied des deutschen Bundestages ausgewiesen hatte und nach Intervention des inzwischen hinzugekommenen Gefängnisdirektors war es möglich, wenigstens für zwei Minuten mit den beiden deutschen Frauen zu sprechen, die bereits in einem Polizeifahrzeug saßen.

Sie sagten, sie seien soweit in Ordnung. Sichtbare Verletzung war ein abgerissenes Nasen-Piercing, das sich inzwischen entzündet hatte. Die beiden Frauen teilten mit, sie würden gegen ihren Willen per Flug nach Hamburg abgeschoben. Eine der Frauen wollte zu Freunden, die sich noch in Mailand aufhielten, die andere wollte zwar nach Deutschland ausreisen, jedoch nicht nach Hamburg, sondern nach Süddeutschland. Es gelang MdB Buntenbach nicht, den Abtransport durch die Polizei zum Mailänder Flughafen aufzuhalten. Bei dem Versuch, die rechtliche Grundlage für diese Abschiebung herauszufinden, teilte eine Anwältin aus Vercelli mit, daß alle Freigelassenen, die nicht die italienische Staatsbürgerschaft besaßen, nach ihrer Freilassung durch den Haftrichter über die Grenze verbracht würden. Die Anwältin berichtete von dem Fall einer Person mit doppelter Staatsbürgerschaft, eine davon die italienische, die ebenfalls außer Landes gebracht wurde, obwohl sie von den Eltern vor dem Gefängnis abgeholt werden sollte.
Bei den gesamten Freilassungen dieses und des nächsten Tages wurde ebenso verfahren. Die Betroffenen wurden per Flugzeug, Zug oder Bus außer Landes gebracht. Diese Verfahrensweise war für die Betroffenen, ihre Angehörigen und FreundInnen ausgesprochen ärgerlich. Etliche Verwandte waren extra nach Italien gereist, um ihre Angehörigen dort abzuholen. Von den Haftentlassenen aus Pavia und Voghera, die in Polizeibegleitung in der Nacht zum Donnerstag Richtung Brenner verbracht wurden, machten viele ihre Befürchtung deutlich, nach der Entlassung wiederum schutzlos der Polizei ausgeliefert zu sein, von der sie bereits in der Diaz-Schule oder auf der Polizeistation misshandelt worden waren.

Die rechtliche Grundlage, auf die sich diese "Ausweisungen" bezogen, konnte erst im Verlauf des Donnerstag mit Hilfe des Generalkonsulats geklärt werden. Es handelt sich um ein Dekret aus dem Jahr 1965, aktualisiert durch das Schengen-Durchführungsabkommen, wonach das "alontoneamento" (die Entfernung) rechtmäßig ist, wenn eine besondere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit besteht. Wie die MdBs Buntenbach und Ströbele am Donnerstag beim Polizeipräsidenten erfuhren, wurde die Maßnahme direkt vom Innenministerium angeordnet und vom Präfekten von Genua umgesetzt. Vermutlich sollte mit dieser Maßnahme verhindert werden, daß die Inhaftierten vor Ort für Berichte und Interviews zur Verfügung stehen.
Spätabends erreichte MdB Buntenbach ein Anruf von Frau F. und Frau G., die inzwischen in Hamburg eingetroffen waren. Sie teilten mit, ihre Ausweispapiere seien von der italienischen Polizei einbehalten worden und sie könnten sich gegenüber dem Bundesgrenzschutz auf dem Flughafen nicht ausweisen. Der Beamte hatte in diesem Fall bereits eine erkennungsdienstliche Behandlung angedroht, um die Identität festzustellen, die ihm offensichtlich trotz Überstellung durch die italienischen Behörden nicht eindeutig erschien. Im Zuge des Telefonats konnte das Verfahren gefunden werden, die Eltern einer der Betroffenen anzurufen, um die Tochter abzuholen und sie auf diesem Wege zu identifizieren. Die andere konnte sich mithilfe eines Führerscheins ausweisen.

Im Laufe des Abends und in der Nacht zum 26. Juli wird von den Leuten des Koordinierungsausschusses in Mailand und dem deutschen Generalkonsulat berichtet, sämtliche Frauen aus dem Gefängnis in Voghera und die männlichen Gefangenen des Gefängnisses in Pavia, die in der Schule in der Nacht zum Sonntag, den 22. Juli festgenommen worden waren, seien freigelassen worden. Auch die im Krankenhaus Besuchten seien frei. Die RichterInnen hätten keinen Grund für die Inhaftierung feststellen können. Die Polizei sei abgezogen. Aus Gesundheitsgründen müßten die verletzten Personen aber weiter im Krankenhaus bleiben.

Auch MdB Ströbele wird in der Nacht in stündlichen Anrufen davon unterrichtet, daß die Freigelassenen in einen Bus verbracht und unter Polizeibegleitung nach Deutschland abgeschoben wurden.

Gespräch mit dem Questor von Genua

Am Mittwochnachmittag (25. Juli) war es der Generalkonsulin über Handy aus dem Auto heraus gelungen, ein Treffen mit dem Questor (Polizeipräsidenten) von Genua für den nächsten Morgen zu vereinbaren.
Der Polizeipräsident Colucci empfängt die BesucherInnen am Donnerstagmorgen (26. Juli). Es kommt der Chef der Bundespolizei Mortola hinzu.
Der Polizeipräsident erläutert zunächst das Vorgehen der Polizei im allgemeinen. Auf Fragen, wie es zu dem Eindringen der Polizei in die Diaz-Schule gekommen sei und zu dem harten Vorgehen der Polizei mit vielen Verletzten, erklärte er, Verantwortliche des Social Forums hätten sich vorher an die Polizei gewandt und mitgeteilt, in der Schule wären Leute aus dem "Schwarzen Block", und sie hätten keine Kontrolle mehr. Die Namen dieser Verantwortlichen des Social Forums seien ihm bekannt, er wolle sie aber nicht nennen. Außerdem seien Polizeifahrzeuge aus der Schule heraus mit Flaschen und Steinen beworfen worden. Die Polizei hätte deshalb hineingehen müssen. Die Türen seien verbarrikadiert gewesen. Man habe sie aufbrechen müssen. Die Polizisten seien in der Schule angegriffen worden, ein Polizist sogar von einem Mann mit einem Messer. Er sei nur deshalb nicht verletzt worden, weil er eine Panzerweste trug. Es könne sein, daß einzelne Polizisten übermäßig hart reagiert hätten. Etwaige Übergriffe würden aufgeklärt und verfolgt. Auf die Frage, ob die Polizei bereit sei, mit einer internationalen Kommission bei der Aufklärung zusammenzuarbeiten, lehnte er nicht ab, sondern verwies auf den Innenminister, der dies entscheiden müsse.
Auf die Frage nach den in der vergangen Nacht nach Deutschland Abgeschobenen verwies er auf das Schengener Abkommen, das dies zulasse. Er betonte, die Abgeschobenen könnten zu jeder Zeit wieder nach Italien unbeschränkt einreisen.

Gefängnis in Pavia

Nach dem Gespräch mit dem Questor fahren die Abgeordneten mit der Generalkonsulin ins eineinhalb Autostunden entfernte Gefängnis in Pavia. Dort befinden sich nach den Haftentlassungen vom Vortag noch vier junge deutsche Gefangene. Die Abgeordneten treffen den Beamten des Konsulats, der am Vortage fünf Stunden vor dem Gefängnis gewartet hatte, um die deutschen Gefangenen zu sprechen, aber nicht vorgelassen wurde. Es gelingt nur mühsam, die beiden Direktorinnen des Gefängnisses zu überzeugen, daß die Abgeordneten Zutritt erhalten sollen. Nur nach längerem Warten und Rücksprache mit dem Generalstaatsanwalt wird MdB Buntenbach auch zugelassen.

Der Gefangene Herr H. berichtet, er sei mit Herrn I. und Herrn J. seit einer Woche auf Campingtour gewesen. Sie seien zur Demonstration nach Genua gekommen. Am Sonntagmittag gegen 12.30 Uhr hätten sie sich auf dem Weg aus der Stadt verfahren. An einer Autobahnabfahrt seien sie von der Polizei angehalten und das Fahrzeug durchsucht worden. Man habe eine umwickelte Eisenstange, Messer und Gesichtsmasken im Fahrzeug gefunden. Sie seien zur Polizeistation begleitet worden, ein Polizeiauto hinter ihrem Wagen und eines davor, mit der Drohung: "Wenn Sie abhauen wollen, schießen wir." In der Polizeistation seien sie mit Knüppeln ohne erkennbaren Anlaß verprügelt worden. Er wies auf Schlagspuren in seinem Gesicht hin. Die Polizei habe sie aufgefordert, ein Schriftstück in italienischer Sprache zu unterschreiben. Sie hätten sich geweigert, weil sie Italienisch nicht lesen können. Man habe sie mit dem Knüppel bedroht und geschlagen, bis sie unterschrieben haben. Man habe ihnen dann mit dem Messer die langen Haare abgeschnitten und alle Papiere weggenommen. Danach wurden sie ins Gefängnis nach Pavia gebracht. Sie seien dort isoliert untergebracht. Bisher hätten sie nicht einmal zum Hofgang gedurft. Sie hätten keinen Kontakt zu ihren Angehörigen oder dem deutschen Konsulat aufnehmen dürfen. Telefonieren durften sie nicht mit der Begründung, sie hätten kein Geld in italienischer Währung.

Am Vortag (25. Juli) seien sie einer Richterin vorgeführt worden. Sie seien vernommen worden. Ein Anwalt sei anwesend gewesen, mit dem sie sich aber nicht hätten verständigen können. Dieser habe kein Wort deutsch verstanden. Bei der Richterin habe er auch nichts gesagt. Es sei bei der Vernehmung zwar ein Dolmetscher anwesend gewesen, doch der habe nur schlecht deutsch gesprochen. Sie hätten auch den Eindruck gehabt, er habe nicht alles übersetzt, was sie gesagt haben.
Sie hätten der Richterin erklären wollen, daß die Metallstange und die Messer wegen des Campingurlaubes im Auto waren. Gesichtsmasken hätten sie nicht besessen. Es könne sich nur um solche Teile handeln, die in Genua auf der Straße lagen, weil die DemonstrantInnen sich damit vor dem Tränengas schützen wollten. Solche Teile hätten sie aufgehoben und mit sich gehabt. Auch eine Taucherbrille. Ein Protokoll über die Gegenstände aus ihrem Auto in deutscher Sprache hätten sie erhalten. Ein Exemplar händigten sie den Abgeordneten aus.

Der Gefangene Herr I. war zugegen, als mit Herrn H. gesprochen wurde. Er bestätigte dessen Darstellung und ergänzte, im Fahrzeug sei auch ein Stadtplan von Genua sichergestellt worden, auf dem die rote Zone während des G8-Treffens eingezeichnet war. Diese sei von Social Forum zur Orientierung ausgegeben worden. Insbesondere den Plan habe man ihnen zu Last gelegt. Er wies auch auf Schlagspuren unter seiner Kleidung hin. Er erwähnte, sie müßten Hemden der Anstalt tragen und hätten nicht einmal eine Zahnbürste, weil ihnen alles abgenommen worden sei. Die Abgeordneten sind die ersten BesucherInnen seit der Festnahme am Sonntag (22. Juli) und der erste Kontakt nach draußen.

Danach werden die Gefangenen Herr J. und Herr K. aus Süddeutschland gebracht.
Herr J. wurde mit den beiden anderen festgenommen. Er berichtet die Vorgänge genau so wie I. und H. Er bittet um rasche Benachrichtigung seiner Familie.
Herr K. gibt an, er sei nur kurz in der Diaz-Schule gewesen, um sich die Zähne zu putzen und ins Internet zu schauen. Er habe dort nicht übernachten wollen. Als die Polizei eindrang, sei er unten in der Halle gewesen. Gewalt oder Widerstand sei von den Anwesenden nicht ausgegangen. Er sei in den ersten Stock geflohen und habe sich dort versteckt, als er sah, wie die Polizisten auf alle einschlugen. Dort wurde er festgenommen. Während des Gesprächs kam MdB Buntenbach dazu. K. berichtet weiter, die Polizei habe ihn in seinem Versteck in der Schule gefunden. Er sei am Mittwoch dem Richter vorgeführt worden. Dieser habe nach Vernehmung entschieden, einen Haftbefehl zu erlassen. Zur Begründung habe er auf das Fahrzeug verwiesen, mit dem K. angereist war. In diesem seien zwei Rucksäcke gewesen mit schwarzer Kleidung und Vermummungsgegenständen. In dem Bus sei der Ausweis von K. gefunden worden. Der Gefangene gibt an, das Fahrzeug gehöre seiner Freundin. Diese sei auch verhaftet worden, aber gestern aus dem Gefängnis in Voghera freigelassen worden. Er verlangt einen Rechtsanwalt. Er habe schon am Dienstag versucht, ein Fax an die deutsche Botschaft zu schicken, um einen Rechtsanwalt zu erreichen. Er sei bei dem Termin der richterlichen Vernehmung faktisch ohne Rechtsbeistand gewesen. Er bittet, seinen Vater und seine Freundin in Deutschland zu benachrichtigen. Die Rucksäcke stammten von Personen, die sie in ihrem Fahrzeug mitgenommen hätten.

Während dieses Besuchs erschien ein Abgeordneter des italienischen Parlaments von der grünen Partei. Man verabredete sich für später.

Ein Anruf bei der Freundin von Herrn K. am Freitag, den 27. Juli ergibt, daß sie tatsächlich im Gefängnis in Voghera war, bis sie am Mittwochabend freigelassen wurde. Sie gibt an, nach ihrer Festnahme in der Schule sei sie mit anderen festgenommenen Frauen in eine Polizeistation nahe Genua gebracht worden. Dort mußten die Frauen die ganze Nacht mit erhobenen Händen an der Wand stehen. Die Räume seien leer gewesen. Blutspritzer waren auf dem Boden und an den Wänden. Die Polizisten hätten sie gezwungen, breitbeinig und mit erhobenen Händen an der Wand stehenzubleiben. Sie seien beleidigt und bespuckt worden. Mit Knüppeln seien ihre Beine gespreizt und auseinandergehalten worden. Das Fahrzeug gehöre ihr. Die darin gefunden Rucksäcke gehörten weder ihr noch ihrem Freund K., sondern zwei Personen, die sie in ihrem Fahrzeug mitgenommen hätten.

Ortstermin an der Diaz-Schule

Vor dem Abflug von MdB Ströbele nach Deutschland besichtigten die Abgeordneten und die Generalkonsulin noch den Ort des Geschehens von Sonntagnacht.
Die Diaz-Schule ist ein altes Gebäude. Sie ist eingerüstet. Sie ist mit einem ca. fünf Meter hohen, engen Eisengitter von der Straße abgegrenzt. Zum Vorhof führt ein Tor, das geschlossen und abgesperrt ist. Die Schule liegt etwa 15 bis 20 Meter von dem Gitterzaun entfernt nach hinten versetzt. Offensichtlich wird sie derzeit renoviert. Das Gerüst steht wohl schon länger dort. Es besteht aus Eisenrohren und Brettern, die verklammert sind. Es liegen solche Eisenrohre auch lose herum. Zum Werfen von Gegenständen aus den Fenstern der Schule über den Zaun bedarf es wohl akrobatischer Fähigkeiten.

Gefängnis Ponte decimo in Genua

In Genua gibt es zwei Gefängnisse, in denen Deutsche inhaftiert sind: Ponte Decimo, wo acht Frauen und drei Männer einsitzen und Marassi, wo weitere sechs Männer gefangengehalten werden. Letzteres konnten die MdBs Buntenbach und Ströbele aus Zeitgründen nicht mehr aufsuchen. Als MdB Buntenbach gemeinsam mit einem Beamten des Generalkonsulats gegen 16.30 Uhr in Ponte Decimo eintraf, wurde gerade der Haftprüfungstermin für die acht Frauen durchgeführt. Sieben (L., M., N., O., P., Q., und R.) waren am Montag gemeinsam mit drei Männern verhaftet worden, die in derzeit in Marassi einsitzen, als sie mit zwei Wohnmobilen auf dem Weg aus Italien heraus waren. Die achte, Frau S., wurde zwar wegen ähnlicher Vorwürfe inhaftiert, wurde aber an anderer Stelle festgenommen.
Nach etwas mehr als einer Stunde Verzögerung konnte MdB Buntenbach alle acht Frauen in einer Gruppe sprechen. Die Behandlung im Gefängnis war nach ihren Aussagen in Ordnung, sie sitzen jeweils zu viert in einer Zelle, hatten Kontakt zu Anwälten und wurden durch das Generalkonsulat in Mailand betreut. Der Haftprüfungstermin hatte nicht zur erhofften Entlassung, sondern zur Anordnung von Untersuchungshaft geführt. Auf die Frage, was ihnen vorgeworfen wird, war die spontane erste Antwort "schwarze Kleidung", ansonsten ginge es um den Inhalt des Wohnmobils, mehrere dort in der Werkzeugkiste gefundene Hämmer sowie Messer u.ä. Konkrete Delikte im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen oder andere konkrete Straftaten werden ihnen weder einzeln noch als Gruppe vorgeworfen.
Der Vorwurf aufgrund der beschlagnahmten Gegenstände im Wohnmobil bezieht sich auf den italienischen Strafrechtsparagraphen 419, der im deutschen Recht wohl am ehesten mit einer Mischung aus dem deutschen §129a StGB und schwerem Landfriedensbruch vergleichbar ist. Die Mindeststrafe beträgt acht Jahre. Die Frauen hatten bereits mit ihren Anwälten vereinbart, am nächsten Tag Einspruch gegen das Ergebnis der Haftprüfung einzulegen. MdB Buntenbach hatte noch die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit den Anwälten. Wenn der Einspruch, der zu einem neuen Haftprüfungstermin in längstens zehn Tagen führt, negativ ausgeht, entscheidet die Justiz, ob sie einen Prozeß eröffnet. Das kann in Italien bis zu einem Jahr dauern. In dieser Zeit dürfen die Frauen nach dort geltendem Recht das Land nicht verlassen. Sie können bestenfalls, um nicht im Gefängnis bleiben zu müssen, in Italien unter Hausarrest gestellt werden. Damit hätte sie die Strafe schon vor Prozeß und Urteil getroffen, nämlich die wahrscheinlich irreparable Unterbrechung ihrer Biographien. Sie könnten nicht weiterarbeiten oder studieren, ihre Kinder kaum sehen.
Frau S. war deswegen verzweifelt. Auch die Schwierigkeit, Kontakt nach außen aufzunehmen zu Freunden und Angehörigen bedrückte sie sehr, deshalb war es in dieser Situation nur begrenzt möglich, ihr Fragen zu stellen. Sie betonte jedoch mehrfach, daß die Polizei bei ihrer Festnahme Gegenstände ins Auto praktiziert habe, die ihr nicht gehören würden und die sie nie zuvor gesehen habe. Das Protokoll über diese Gegenstände sei nun die Grundlage für die Anordnung der Untersuchungshaft.
Nach diesem Gespräch, das bis kurz vor 19.00 Uhr dauerte, hatte MdB Buntenbach noch Gelegenheit, für ca. eine Stunde Herrn T., U. und V. aus Ostdeutschland zu sprechen, die Montagabend (23. Juli) festgenommen worden waren und seit Dienstag, den 24. Juli in Ponte Decimo inhaftiert sind. Der Konsulatsbeamte und MdB Buntenbach waren am Donnerstag Abend der erste Außenkontakt, den sie hatten. Bis dahin war ihnen kein Telefonat gestattet worden, da sie nicht über Geld verfügten. Auch ein Gespräch mit einem Anwalt oder mit dem Konsulat hatte nicht stattgefunden.
Die jungen Männer hatten offensichtliche Verletzungen, die sich MdB Buntenbach nach Augenschein unmittelbar erschlossen. Herr U. hatte beide Augen blaugeschlagen, Herr T. eine aufgeplatzte Lippe. Beide Verletzungen waren inzwischen schon auf dem Weg der Besserung. Auf die Frage, wer ihnen diese Verletzungen zugefügt habe, berichteten sie von ihrer Festnahme. Als sie Montagabend (23. Juli) zu ihrem Auto gingen, das auf einem Parkplatz in Genua stand, fanden sie es offen vor. Polizisten durchsuchten gerade die Gegenstände im Auto. Das war ihnen am selben Tag bereits schon einmal passiert, allerdings ohne weitere Konsequenzen. Als sie auf das Auto zugingen, wurden sie festgenommen - von Fluchtversuch oder Widerstand gegen die Staatsgewalt, wie die Polizisten später behaupteten, kann nach ihren Angaben keine Rede sein. Sie wurden in die Polizeistation gebracht, dort auf den Boden geworfen und vier Stunden lang durch Schläge und Tritte misshandelt: "Wenn gerade ein Polizist neu reinkam, hat der mit frischer Kraft weitergemacht...". Sie wurden vor der Zelle in der Polizeistation liegengelassen, weiter mißhandelt, später in die Zelle gezogen. Dienstag, den 24. Juli in den frühen Morgenstunden wurden sie ins Gefängnis nach Ponte Decimo gebracht, wo sie keinen weiteren Mißhandlungen mehr ausgesetzt waren.
Sie wiesen uns darauf hin, daß das Protokoll über den Inhalt ihres Autos nicht korrekt sei, es enthalte z.B. ein abgerissenes Uniformteil eines Polizisten, das sie nie gesehen hätten und das ihnen mit Sicherheit nicht gehöre. Unterschrieben hätten sie das Protokoll nur, weil ihnen andernfalls weitere Misshandlungen angedroht worden seien. Einer der drei hatte einen Hund bei sich, über dessen Verbleib er sich große Sorgen machte. Sie baten dringend um einen Anwalt, der sie bei dem bevorstehenden Haftprüfungstermin unterstützen könne und baten das Konsulat, ihre Angehörigen zu verständigen.
Nach ihrer Rückkehr nach Genua gab MdB Buntenbach beim Genua Social Forum die Bitte um einen Anwalt für die drei Männer weiter und übermittelte später auf der Fahrt nach Mailand den vor Ort gebliebenen Deutschen von der Koordinierungsstelle die verschiedenen konkreten Bitten zu treuen Händen. Ihr Engagement bei dem Versuch, das Chaos zu koordinieren, den verschiedenen Inhaftierten zur Seite zu stehen, ist immens. Es benötigt und verdient jede Unterstützung.

Schlußfolgerungen

1. Keiner und keinem der von den Abgeordneten besuchten und gesprochenen deutschen Gefangenen in Italien wurde oder wird der Vorwurf gemacht, an einer konkreten Gewalttat selbst beteiligt gewesen zu sein. Alle sind viele Stunden oder Tage nach Ende der letzten Demonstrationen festgenommen worden und niemand in der Nähe von Demonstrationsgeschehen. Soweit bekannt, gilt dies auch für die anderen Festgenommenen aus Deutschland.

2.
Die Vorwürfe, die zum Erlaß von Haftbefehlen gegen die in den Gefängnissen verbliebenen Deutschen geführt haben, haben den Verdacht der Zugehörigkeit zum "Schwarzen Block" zum Gegenstand. Dieser Verdacht soll sich ergeben aus dem Auffinden von Gegenständen in den Autos wie Hämmer, Metallstangen, Messer, die - wenn sie auf einer Demonstration mitgeführt würden - einen Verdacht strafbarer Handlungen begründen könnten. Im Campingurlaub oder Wohnmobil sind es "normale" Gebrauchsgegenstände. Den Abgeordneten sind keine Belege oder gar Beweise dafür benannt worden, daß diese Gegenstände tatsächlich im Zusammenhang mit Demonstrationsgeschehen und von wem sie eingesetzt worden sein sollen. Sie befanden sich Tage später in Autos, wo sie von der Polizei gefunden worden sein sollen.
3. Die polizeilichen Protokolle über die Funde in den Fahrzeugen sind erheblich zweifelhaft. Die Unterschriften der Gefangenen unter diese Protokolle sollen mit Drohung und Knüppeleinsatz erzwungen worden sein. Die Gefangenen konnten die Protokolle nicht lesen und verstehen, weil einige in italienischer Sprache abgefaßt sind. Sie geben an, einzelne der Gegenstände vorher nie gesehen zu haben.
4. Die Glaubwürdigkeit der Angaben der Polizei unterliegt erheblichen Zweifel auch deshalb, weil es dieselben Polizisten sind, die Gefangene brutal zusammengeschlagen, mißhandelt und gedemütigt haben, also selbst erheblich verdächtig sind, grob gegen das Gesetz verstoßen und sich erheblich strafbar gemacht zu haben. Dies muß breits bei der nächsten Haftprüfung ausschlaggebend berücksichtigt werden und kann nicht erst in der Hauptverhandlung geklärt werden.
5.
Die Erzählungen der Gefangenen, die in der Diaz-Schule festgenommen wurden, erscheinen glaubwürdig. Sie stimmen mit den festgestellten Verletzungen überein. Sie sind weitgehend gleichlautend. Da die Gefangenen seit ihrer Festnahme keine Möglichkeit hatten, untereinander oder mit Dritten außerhalb zu kommunizieren - sie werden isoliert gehalten und streng bewacht und in verschiedenen Gefängnissen und verschiedenen Krankenhäusern - ist auszuschließen, daß sie ihre Darstellungen abgesprochen haben. Ihre Darstellungen werden auch von anderen Personen, die das Geschen von außerhalb und in der Schule beobachten konnten, bestätigt.
6. Schon die Festnahme der fast hundert Personen in der Diaz-Schule scheint ohne ausreichende rechtliche Begründung erfolgt zu sein. In allen Fällen, mit einer Ausnahme, wurden die Gefangenen in Freiheit gesetzt, sobald ein Richter darüber entschieden hatte.
7.
Vor allem aber waren die Gefangenen aus der Schule schweren Körperverletzungen ausgesetzt, ohne daß sie dafür einen konkreten Grund oder Anlaß geboten hatten. Die harten Schläge mit Polizeiknüppeln auf den bloßen Kopf waren lebensbedrohlich.
8.
Es ist keine Rechtfertigung für diesen Gewalteinsatz der Polizei in der Diaz-Schule ersichtlich. Selbst wenn davon auszugehen ist, daß es im Rahmen der Demonstrationen anläßlich des G8-Gipfels zu Gewalttaten aus den Reihen der Demonstrationen gekommen ist, rechtfertigt dies nicht die brutale Gewaltanwendung der Polizei in der Schule viele Stunden nach Ende der Demonstrationen.
9.

Die von den in der Schule und von später in Genua Festgenommenen geschilderte Behandlung in Polizeistationen wird durch objektive Befunde bestätigt. Die Festgenommenen wurden unverletzt eingeliefert und weisen nach dem Verlassen der Polizeistationen Schlagspuren an zahlreichen Körperstellen und auch am Kopf auf.
10. Das Festhalten der Gefangenen von Sonntag, den 22. Juli bis Mittwoch bzw. Donnerstag, den 26. Juli ohne richterliche Entscheidung, das Verbot der Kontaktaufnahme zu nächsten Angehörigen und zu Mitarbeitern des deutschen Konsulats steht fest. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die richterliche Entscheidung über die Haftfortdauer nicht spätestens am folgenden Tag, also am Montag, den 23. Juli eingeholt wurde. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass deutsche Konsulatsbeamte viele Stunden vor dem Gefängnis wie in Pavia warten mußten und die Gefangenen nicht sprechen durften. Es ist kein Grund genannt und auch keiner ersichtlich, warum die Gefangenen keinen Kontakt mit nächsten Angehörigen haben durften. Besonders bezüglich der Schwerkranken in den Genueser Krankenhäusern San Martino und Galleria trifft diese Behandlung auf völliges Unverständnis und ist mit humanitären Mindeststandarts nicht zu vereinbaren.
11.
Die Abschiebung von Gefangenen, denen kein Vorwurf gemacht wird, eine strafbare Handlung begangen zu haben, ist mit dem europäischen Grundrecht auf Freizügigkeit nicht zu vereinbaren. Das Verbot der Wiedereinreise nach Italien für einzelne Abgeschobene ist rechtlich nicht zu begründen. Es widerspricht auch der Auskunft, die die Abgeordneten von dem Polizeipräsident bei ihrem Besuch in Genua erhalten haben.
12.
Die Berichte und die festgestellten Fakten begründen den dringenden Verdacht, daß gegen Strafgesetze, gegen die Vorschriften der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und Vorschriften der Völkerrechts vorsätzlich in zahlreichen Fällen massiv verstoßen wurde.
13.
Eine umfassende und schonungslose Aufklärung aller Gewaltereignisse rund um den G8-Gipfel in Genua und insbesondere die Feststellung der Verantwortlichkeiten ist dringend geboten. Mit dieser Aufklärung sollte eine unabhängige, international zusammengesetzte Kommission von vertrauenswürdigen und fachkundigen Persönlichkeiten vom Europäischen Parlament beauftragt werden. Auf Grundlage des Kommissionsberichts müssen dann die notwendigen rechtlichen und politischen Schlußfolgerungen gezogen werden.


Berlin, den 30. Juli 2001


Annelie Buntenbach
, MdB Hans-Christian Ströbele, MdB

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