Liebe FreundInnen,
beide Beiträge unterscheiden sich von einander nicht so sehr inhaltlich wie im vorgeschlagenen Ansatz. Während Martin im ersten die Fortsetzung einer Nischenpolitik innerhalb der Grünen vorschlägt, unternimmt Michael den Versuch, eine pragmatische Alternative zu definieren.
Zu Martins Vorschlag kann ich nur sagen, dass er unrealistisch ist, weil:
1. er die Tatsache übersieht, dass wir, die aus der Partei Ausgetretenen,
uns nicht mehr mit ihr identifizieren. Wir können auf
lokaler Ebene mit grünen Gliederungen koalieren, aber nicht in ihren Listen
antreten. Unsere Kritik an die Grüne Partei umfasst die gesamte neoliberale
Politik der letzten Jahre.
2. er das Wahlprogramm 1998 als gemeinsame Plattform ansieht, während wir, viele der Ausgetretenen, dieses als einen sehr schlechten Kompromiss betrachten, den wir damals nur in der Hoffnung mitgetragen haben, durch die Regierungsbeteiligung einen Spielraum für eine künftige Reformpolitik öffnen wollten. Ist dieses Projekt durch den Kriegsaufbruch (ein von Joschka wohl mtiberücksichtigter Nebeneffekt) gescheitert, sehen wir keinen Bedarf, uns an einem schlechten, von der anderen Seite nicht eingehaltenen Kompromiss zu halten. Die gesamten Grundlagen der Grünen Politik stehen heute zur Disposition.
3. er außerhalb der Grünen keine Perspektiven für eine linke Politik in Deutschland sieht, während viele von uns schon seit fünf Jahren die aufeinanderfolgenden Kompromisse innerhalb und außerhalb der Grünen Partei für eine Bremse für die Entwicklung der Linke in Deutschland halten. Es gibt in diesem Land beträchtliche Mobilisierungs- und Reformpotentiale, die keinen Ausdruck finden, weil die Grünen ihnen nichts anbieten, die PDS im Westen unatraktiv erscheint und die öffentlichen Diskussionen ausbleiben. Diese Potentiale gilt es zu aktivieren.
Das Grüne Projekt ist gescheitert, in der Partei zu bleiben bedeutet sich in ständigen Grabenkämpfen zu zermürben und in der Öffentlichkeit mit Fischer und Konsorten identifiziert zu werden. Dies hat mit einem Reformprojekt nichts zu tun. Wenn wir uns nach Alternativen umschauen, sollten wir bereit sein, die gesamten Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu überlegen. Bielefeld ist kein Unfall der Deutschen Geschichte, sondern ein Wendepunkt.
Dagegen finde ich den anderen Beitrag ansatzweise richtig: Eine pragmatische
Regenbogen-Koalition aufzubauen, die neue Denkanstösse bringt, breite Schichten
mobilisiert und sich schrittweise formiert. Meine Zweifel an der Realisierbarkeit
dieser Perspektive sind nur pragmatischer Natur: Erlaubt das deutsche Wahlrecht
die Bildung von Parteibündnissen? Ich befürchte, dass es nicht möglich
ist. Wenn es so ist, dann bleibt nur die Vereinigung verschiedener Organisationen
in einer neuen Partei, in derer Satzung man die Selbständigkeit der beteiligten
Gruppen festschreiben kann. Dies würde den organisatorischen
Aufbau verlangsamen, aber Zeit für den Abbau von Vorurteilen schaffen.
Während dessen könnte man sich an Aktionsbündnissen und Koalitionen auf lokaler Ebene beteiligen. Zwei Bedingungen müssen dabei erfüllt werden:
a) Alle Beteiligte müssen, wenigstens in der Anfangsphase, gleichberechtigt
sein.
b) Alle müssen in erkennbarer Weise Zugestädnnisse machen.
Diese Einschränkungen richten sich wohl gemerkt auf mögliche Bündnisse mit der PDS. Ich befürworte sie sogar, aber unter klaren Bedingungen.
Wichtig erscheint mir, sich am Sonntag über eine Kampagne gegen den Krieg und für den Austritt aus dem Militärkomitee der NATO zu einigen. Weiter soll der zu gründende Koordinierungsausschuss beauftragt werden, die Grundsatzdiskussion, die Bündnispolitik und einen Delegierten-Kongress für Oktober zu organisieren. In der Nabelschau dürfen wir nicht verweilen. Minimale Grundlagen für das künftige Handeln sollen geschaffen werden.
Die Kunst besteht im Augenblick darin, eine Struktur aufzubauen, die weder zu lasch noch zu eng wird. Sie muss als Bezug dienen können, aber Spielraum für selbständig agierende Initiativen anbieten.
Dafür lohnt sich m.E. zu arbeiten.
Auf eure Kommentare freue ich mich im Voraus
Dr. Eduardo J. Vior
ehemaliger Sprecher der
LAG-Internationales in BaWü