Offener Brief an Sylvia Kotting-Uhl - zu: Der geplatzte
Traum von Dortmund
von Gerd Ruebenstrunk
Liebe Sylvia,
indem Du in Deinem Beitrag Eckhard Stratmann-Mertens als den grossen Buhmann hinstellst, der für Dich in Dortmund (und der Vorbereitung darauf) das böse "destruktive Element" war, machst Du es Dir nicht nur ziemlich einfach, sondern stellst uns alle, die wir für seinen Antrag gestimmt haben, als mehr oder weniger willfährige Idioten dar. Das ist eine Form der Argumentation, die ich als höchst demagogisch und abwertend empfinde.
Ich will hier nur für mich sprechen. Ich bin nie ein Mitglied der Grünen (oder einer anderen Partei oder linken Organisation) gewesen, war aber in den letzten 20 Jahren in verschiedenen zusammenhängen politisch aktiv. Nach dem grünen Kriegsparteitag bin ich eine Woche vor Dortmund zum Ruhrgebiet-Vorbereitungstreffen gefahren, bei dem ich Eckhard zum ersten Mal persönlich begegnet bin. Er hat dort seinen Antrag vor einer sehr unterschiedlichen Runde von vielleicht 50 Leuten vorgestellt, die diesem Antrag mit nahezu 98 Prozent zustimmten - und auch der Intention, die dahinterstand: Nämlich nach aussen ganz klar die Unabhängigkeit von den Grünen zu signalisieren, um nicht von Anfang an an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Aus diesem Grund habe ich in Dortmund für Eckhards Antrag gestimmt. Und auch deshalb, weil es einfach nur konsequent ist, nicht nur die Tat (den Angriffskrieg auf Jugoslawien) zu kritisieren, sondern auch die Täter (Joseph Fischer und Co. und die Mehrheit der grünen Partei).
Zu Deiner Information: Auf dem Bochumer Treffen waren zahlreiche Frauen (vielleicht sogar die Mehrheit) anwesend, die mit Sicherheit dem Machismus genau so ablehnend gegenüberstehen wie Du. Aber es war dort von Dominanz-Verhalten und Machismus überhaupt nichts zu spüren: 50 Leute haben offen und ohne jede Einschränkung miteinander diskutiert und sich eine Meinung gebildet. Es ist schon ziemlich armselig, wenn Du glaubst, eine Entscheidung, die Dir politisch nicht passt und die von der Mehrheit in Dortmund getragen wurde, als Resultat von Machismus und Dominanz-Verhalten hinstellen zu müssen. Offensichtlich kannst Du nicht akzeptieren, dass man auch anderer Meinung als Du sein kann - und zwar aus guten politischen Gründen.
Was ich besonders fatal finde, ist die Tatsache, dass Du einen politischen Konflikt personalisierst. Andererseits stehst Du damit genau in der Tradition vieler anderer linker Grüner, die im Vorfeld von Dortmund und auch auf dem Treffen selber immer wieder versucht haben, mit moralischem Argumentieren einer politischen Diskussion und Entscheidung aus dem Weg zu gehen. Ob es nun Brandreden gegen die PDS waren (zu deren Wahl ja niemand aufrufen wollte) oder schuldgefühl-induzierende Bitten (z.B. von Daniel Kreutz), doch bloss nicht die Konsequenz zu zeigen, die die linken Grünen vermissen lassen.
Zu Deiner Einschätzung der Vorbereitungsgespräche für Dortmund kann ich nur sagen, dass das eine ziemlich diffamierende Art ist. Wir alle wissen, dass es in einem solchen Netzwerk (und auch in der Vorbereitung) unterschiedliche Interessengruppen gibt. Und dass diese Gruppen versuchen, ihre Vorstellungen durchzusetzen, ist doch auch klar. Im Nachhinein die eine Seite mit Begriffen wie "Eckhard-Verträglichkeit" runterzumachen, ist doch auch ein Beispiel dafür, wie Du versuchst, von politischen Argumenten abzulenken. Dass Dir diese Argumente nicht passen, kann ich gut verstehen; dass Du auf diese Art nachtrittst, allerdings nicht.
Für mich persönlich ist eine "Eckhard-Verträglichkeit" ebenso unwesentlich wie eine "Sylvia-Verträglichkeit". Und ich hoffe, dass das bei der Mehrheit der in Dortmund Anwesenden ebenso ist. Ob einem Eckhard oder einer Sylvia die eigene politische Position passt oder nicht passt, tut doch nun gar nichts zur Sache. Und wenn Du Eckhard "populistische Rhetorik" vorwirfst, dann weiss ich nicht, wie Du den Beitrag von Daniel Kreutz oder die Anti-PDS-Tirade bezeichnen willst.
"Der geplatzte Traum" schreibst Du. Das will ich gerne glauben, dass Dein Traum (und der von Ströbele und Co.) geplatzt ist. Für mich gilt das nicht. Für mich wäre ein Traum geplatzt, wenn sich die Mehrheit in Dortmund den Opportunismus als Gründungsbegriff auf die Fahnen geschrieben hätte. Das ist zum Glück nicht passiert.
Jetzt ist es an Euch linken Grünen, Euch zu entscheiden, ob Ihr wirklich ein unabhängiges Netzwerk wollt. Denn die Entscheidung von Dortmund ist eine klare Entscheidung für Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von der grünen Partei und von den grünen Linken. Und beides ist wichtig. Und das hat auch nichts mit fehlendem Respekt vor Grenzen zu tun, wie Du unterstellst. Denn der Beschluss von Dortmund macht für keinen Grünen das Agieren in seinem Parteizusammenhang unmöglich. Denn schliesslich sollte es sich auch bei den Grünen herumgesprochen haben, dass es neben einer Mehrheitsmeinung immer auch eine Minderheitsmeinung gibt; die kennt sogar das Bundesverfassungsgericht.
Und wenn es Konsequenzen nach sich gezogen hätte - was dann? Wäre es nicht herrlich, wenn die Parteiführung versuchen würde, die sieben MdBs und die Hunderte oder Tausende von Mitgliedern mit Parteiausschlussverfahren zu überziehen, die sich an dem Netzwerk beteiligen würden? Würde das nicht endlich eine klare Entscheidung herbeiführen, was die Grünen wirklich für eine Partei sind? Und wäre nicht das genau in Eurem Interesse?
Und noch ein letztes Wort zu den von Dir angesprochenen "Gefechtsritualen". Die findet man zwar auf jedem Grünen-Parteitag, aber in Dortmund war davon eigentlich nichts zu spüren. Gerade die Ablehnung, zwei sich ergänzende Grundsatzanträge alternativ abzustimmen, zeigt doch sehr deutlich, wie wenig die Mehrheit der Anwesenden an solchen Ritualen interessiert sind. Im Gegensatz zu den linken Grünen, die ihren Gefechtsritualen so verhaftet waren, dass sie für diese Entscheidung der Mehrheit nur Hohn und Spott übrig hatten.
Was Du, Sylvia, in Deinem Beitrag machst, ist ebenso ein Gefechtsritual. Du baust ein einfaches Feindbild auf, Du instrumentalisierst den Kampf gegen Machismus für Deine Zwecke und Du bist völlig unfähig zu akzeptieren, dass die Dortmunder Entscheidung keine Entscheidung gegen die linken Grünen war. Sie war eine Entscheidung für klare und konsequente politische Positionen; der Entschluss, sich zurückzuziehen, war eine Entscheidung der linken Grünen.
Du rufst "Haltet den Dieb!" und zeigst mit dem Finger auf Eckhard Stratmann-Mertens. Aber schon mein Vater hat immer darauf hingewiesen: Drei andere Finger Deiner Hand zeigen auf Dich.
Ich würde mich dennoch freuen, irgendwann einmal im Rahmen des Netzwerkes in einer weniger emotional aufgeheizten Atmosphäre mit Dir persönlich über wirklich wichtige Fragen diskutieren zu können.
Gerd Ruebenstrunk (bonbini@pobox.com)
Antwort an das Forum@BasisGruen.de