Neuerscheinung am 15.9.2000 im VSA-Verlag:
208 Seiten; DM 26,80; öS 196,-; sfr 25,- ISBN 3-87975-793-3 Bestellungen über den Buchhandel oder direkt als e-mail bei VSA: Besuchen Sie uns auch auf unserer Web-Seite: http://www.vsa-verlag.de |
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Bevor eine öffentliche Diskussion über die Sicherheitspolitik
der Bundesrepublik Deutschland beginnen konnte, wussten Scharping und die
Bundesregierung schon, wie die Bundeswehr in Zukunft auszusehen habe. Das
Kabinett beschloss im Juni 2000, die Bundeswehr auf 277.000 Soldaten zu
verkleinern, dabei aber die Krisenreaktionskräfte von 66.000 auf 150.000
aufzustocken und die Wehrpflicht beizubehalten.
Die AutorInnen dieses Buches wollen die verdrängte, gleichwohl dringend notwendige Diskussion über die Rolle des Militärs in Deutschland befördern. Das Resultat der Analysen und Bewertungen: Die 2000er Bundeswehrreform bedeutet eine wichtige Weichenstellung, die Bundeswehr wird interventionsfähig oder "kriegsführungsfähig" gemacht. Notwendig, wenngleich bislang noch zu sehr in der politischen Defensive, ist dagegen eine Debatte, ob nicht eine nicht-angriffsfähige bzw. angriffsunfähige Armee die richtige Lösung für die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage wäre. Überlegungen zum Thema "Wirtschaftssanktionen" - als Alternativen für eine langfristig antimilitärische Sicherung des Weltfriedens durch eine bundesdeutsche Außenpolitik, die sich wesentlich als ziviler Akteur versteht - beschließen diesen Band. Ulrich Cremer/Dieter S. Lutz: Vorwort 7
Ulrich Albrecht ist Professor für Politische Wissenschaften und
Friedensforscher am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Vorwort
Wir wollen mit diesem Buch die verdrängte, gleichwohl dringend notwendige Diskussion über die Rolle des Militärs in Deutschland befördern. Die beschlossene Bundeswehr-Reform wird nicht für die Ewigkeit sein. Die Wehrpflicht wird in den nächsten Jahren wahrscheinlich auch in Deutschland fallen. Im vorliegenden Band werden verschiedene Sichtweisen derer dargestellt, die die Wehrpflicht ablehnen. Bei der Bewertung anderer Elemente der Bundeswehr-Reform sind die Beiträge durchaus kontrovers. Das Spektrum reicht von Angelika Beer, die die Bundeswehr zu "internationalem Krisenmanagement" beitragen lassen möchte, bis hin zu Tobias Pflüger, der die Teilnahme der deutschen Armee am Jugoslawien-Krieg als "Vorboten für künftige Kriegsbeteiligung" sieht. Die 2000er Bundeswehrreform, bei der es nicht nur um Zahlen geht, bedeutet eine wichtige Weichenstellung: Die Bundeswehr wird interventionsfähig oder "kriegsführungsfähig" gemacht. Für eine Debatte, ob nicht eine nicht-angriffsfähige bzw. angriffsunfähige Armee die richtige Lösung für die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage wäre, kann sich in der Gesellschaft kaum noch jemand begeistern. Landesverteidigung ist out, Krisenintervention steht auf der Agenda. Die Bundeswehr-Reform steht natürlich in Zusammenhang mit der deutschen
Teilnahme am völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg der NATO. Dieser war
die erste Anwendung des im April 1999 verabschiedeten neuen Strategischen
Konzepts der NATO. Danach reklamiert sie für sich das Recht, Kriege
auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates zu führen (vgl. den Beitrag
von Ulrich Cremer "Die neue NATO-Strategie"). Der NATO-Krieg
hatte international wie national eine Katalysator-Funktion, machte er
doch deutlich, welchen Rückstand die europäischen NATO-Staaten
gegenüber den USA in puncto moderner Militärtechnik aufwiesen.
Der Krieg hat die politischen Differenzen zwischen den einzelnen NATO-Mächten
stärker hervortreten lassen. Die Europäische Union versucht
sich unter deutsch-französischer Führung jetzt auch militärisch
von den USA zu emanzipieren. Kernpunkte sind dabei die Beseitigung der
EU-Defizite bei den Lufttransportkapazitäten sowie der Satellitenaufklärung
(siehe dazu den Beitrag von Dieter Engels). Damit setzt ein ressourcenverschlingender
Rüstungswettlauf der NATO mit sich selbst ein. Dabei geht es nicht,
wie im Kalten Krieg, um Atomwaffen, die gegeneinander gerichtet werden,
sondern um die konkurrierenden Potenziale, die gegen Dritte einsetzbar
sind (vgl. hierzu die Beiträge von Reinhard Mutz und Ulrich Cremer
"Militärische Emanzipationsversuch der EU"). Die USA, die
in den nächsten Jahren ihre Militärausgaben weiter erhöhen
wollen, fordern zwar von den europäischen NATO-Staaten mehr Rüstungsanstrengungen,
aber eine Abkoppelung in Form einer autonomen EU-Armee wollen sie verhindern.
Zweiter Konfliktpunkt zwischen EU und USA sind die US-Pläne für
eine Raketenabwehr. Zwar bleibt die technische Realisierbarkeit nach dem
fehlgeschlagenen Test im Juli 2000 unsicher, aber das Projekt droht geltende
Rüstungskontrollregime außer Kraft zu setzen und beeinflusst
das Verhältnis zu China und Russland negativ - auch wenn es sich
offiziell gegen "Schurkenstaaten" wie Irak, Iran, Libyen, Jugoslawien
oder Nordkorea richtet, die neuerdings etwas vornehmer "Risikoländer"
genannt werden (siehe hierzu den Beitrag von Götz Neuneck und Jürgen
Scheffran "Die neuen Raketenabwehrpläne der USA - Stand, Probleme
und Alternativen"). Charakteristisch für die bundesdeutsche Sicherheitspolitik ist,
dass wichtige Entscheidungen nicht von der Politik, sondern von Gerichten
getroffen werden. 1994 machte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
den Weg frei für Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr. Im Jahr
2000 entschied der Europäische Gerichtshof die Jahrzehnte alte deutsche
Auseinandersetzung um die Einbeziehung von Frauen in die Armee. Bedeutet
die Öffnung der Bundeswehr für Frauen eine Niederlage des Pazifismus?
Zwei kontroverse Beiträge von Astrid Albrecht-Heide sowie Sibylle
Raasch sollen dieses Thema beleuchten, das auch einen Zusammenhang mit
der Wehrpflicht-Debatte hat. Angelika Beer geht jedenfalls davon aus,
dass freiwilliger Zugang von Frauen einerseits und Wehrpflicht für
Männer andererseits auf Dauer nicht vereinbar sein werden. Auch von
dieser Seite gerät die Wehrpflicht unter Druck. Wir möchten mit dem vorliegenden Band verschiedene Sichtweisen vorstellen, die in der Diskussion um die Bundeswehrreform häufig nicht einbezogen sind - gerade weil von vielen eine politische Debatte über Sicherheitspolitik und die Rolle des Militärs in der Bundesrepublik Deutschland nicht gewünscht wird. Das schließt unvermeidlich ein, dass Positionen zu Wort kommen, mit denen die Herausgeber, deren eigene Positionen in Einzelfragen und deren Parteizugehörigkeit durchaus unterschiedlich sind, nicht überstimmen. Ulrich Cremer/Dieter S. Lutz August 2000
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