A und O

 

Eine Tramödie als Beitrag

zur Selbstfindungsdiskussion der Grünen

Ähnlichkeiten mit der Realität können vorkommen, sind aber nicht böse gemeint. Für entstehende Kränkungen und Beleidigungen entschuldigt sich der Autor präventiv. Der Text versteht sich als Beitrag zur politischen Kultur der Grünen nach dem Linux-Prinzip: Parteiinterner Gebrauch kostenlos, Verbreitung und Verbesserung erwünscht. Das Copyright liegt bei Rainer Kluckhuhn, Stucken 25, 32657 Lemgo, e-mail: R.Kluckhuhn@online.de

 

Personen:

Frauke (Fr) Fraktionsvorsitzende der Grünen im städtischen Rat, gewiefte Taktikerin,

Hundebesitzerin

Ortwin (Orti) Ortsverbandssprecher, aufrechter Demokrat, Lehrer, Aktienbesitzer

Josefine (Jo) Kassiererin, selbständige Bäckerin, praktizierende Buddhistin

Max für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, schon etwas älterer Student

Viele Mitglieder (Mit) ( werden reihum immer vom nächsten gelesen)

Ort: Grüner Saal im Hotel Stadtpalais, ein Ort irgendwo in NRW

Zeit: Kurz nach der Kommunalwahl, September 99

Noch ein Tip: Mit verteilten Rollen deutlich und langsam lesen, so dass es möglich wird, mitzudenken.

 

Orti Ich eröffne hiermit die Ortsverbandssitzung und freue mich , dass viele so zahlreich erschienen sind. Auf der Tagesordnung stehen heute 1) Überlegungen zum Ergebnis der Kommunalwahl (12.9.99) 2) Wie geht es weiter im Stadtrat 3) Unsere Finanzen, Verschiedenes. Zu TOP 1: Der Trend hat auch vor unserer Stadt nicht Halt gemacht. Mehr sagt jetzt dazu Frauke.

Fr Ich habe vor der Presse das Ergebnis nicht beschönigt, es ist eine Niederlage, mit der wir aber noch nicht gestorben sind. Das Leben geht weiter. Es gab Telefonate mit den anderen Fraktionen. Vielleicht kriegen wir in Verhandlungen doch wieder einen stellvertretenden Bürgermeister durch.

Mit Bürgermeisterin!

Fr Und dann gab es noch ein Angebot: Wenn wir zur Stichwahl den K. unterstützen, gibt es Dreizehner -Ausschüsse und wir haben ein Mitglied drin.

Mit (mit Betonung) Mit-glied-in!

Mit Quatsch! Das Glied ist männlich!

Fr Die Lage ist zu ernst. Wir sollten uns nicht mehr im Gliederkampf verschlechtern..äh..im Geschlechterkampf zergliedern ..äh... zerfleischen. Die SPD hat eine Zählliste angeboten, damit sind wir sogar stimmberechtigt. Bei Achter-Ausschüssen bleiben wir aber draußen.

Mit (zum Nachbarn) Sind wir jetzt nur noch Ausschuss?

Orti Die CDU feiert ihren Sieg und hat die Macht übernommen. Dabei haben die viel weniger Stimmen, als bei der letzten Kommunalwahl. Ist das Demokratie?

Jo Der Wahlsieg gehört eigentlich der Partei der Nichtwähler. Viele Rot-Grün-Wähler fühlten sich von der Bundesregierung betrogen und sind enttäuscht zu Hause geblieben. Unsere Wähler scheinen es nicht zu wissen: Schöne Worte in den Medien einerseits und List und Tricks andererseits gehören zum politischen Geschäft. Mit Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit kommt man nicht weit. Die CDU-Wähler kennen das seit vielen Wahlperioden und manche aus ihrer eigenen Erfahrungswelt. In Bayern lebt die CSU gerade von dieser Schlitzohr-Mentalität.

Fr Ja, einen Grund für die Politikverdrossenheit sehe ich auch in der immer größer werdenden Kluft zwischen der individuellen Erfahrung des Bürgers und den Erfordernissen des Politikerdaseins. Demokratische Politik ist so kompliziert, dass ihre erfolgreiche Bearbeitung viel Zeit- und Denkarbeit beansprucht. Da bleibt kaum noch Kapazität, alles auch dem Wähler erklärbar zu machen! Die Amerikanisierung des Wahlkampfes ist für mich aber kein Ausweg. Populistische Sprüche und nicht einhaltbare Wahlsieggeschenke setzen Dummheit voraus; unsere Wähler sind damit nicht dauerhaft zu locken. Die zwangsläufige Enttäuschung verstärkt den Rückzug der Bürger. Die Überwindung des Grabens zwischen der großen Politik und dem sich klein fühlenden Wähler ist unsere Zukunftsaufgabe.

Orti Ich denke, der Seelenzustand des Wählers entscheidet mehr und mehr, nicht die rationale Überlegung, besonders, wenn die Unterschiede zwischen den Parteien immer undeutlicher werden. Die Verunsicherung des heutigen Menschen, seine Angst vor Arbeitslosigkeit, vor gesellschaftlichem Abstieg und einer unsicheren Zukunft wird durch das Hin- und Her der Politik noch gesteigert. Wenn die Regierungsparteien Probleme offen und kontrovers diskutieren, kommt das in der Öffentlichkeit an als Unsicherheit, Dilletantismus, Streitsucht usw. Das hat auch Stimmen gekostet. Was wir brauchen, sind Menschen als Politiker, die klare und stetige Ziele vor Augen haben und sie mit freundlicher Beharrlichkeit vertreten, statt bei jedem Stimmenrückgang aus Angst vor Machtverlust ihr Programm umzuformulieren.

Mit Sind wir ein Volk von Angsthasen? Der Wähler hat Angst vor Arbeitsverlust und unsicherem Lebensstandard. Der Gewählte hat Angst vor Stimmverlust und unsicherer Macht. Die Stimmzetteldemokratie funktioniert so: Wenn du als Politiker nicht dafür sorgst, dass ich Arbeit habe und ein schönes Auto flott fahren kann, wähle ich dich nicht mehr, dann hast du auch keinen Job mehr und kannst deinen SL auch nicht mehr halten. Freie Fahrt für freie Bürger! Ist das wirklich das Lebensziel des Menschen. Was bleibt? Nicht wählen sondern auswandern? Aber wohin? Oder besser: Einen Mutigen wählen! Und selbst was ändern!

Mit Die Lobbyarbeit gegen die Bundesregierung ist nicht zu unterschätzen! Als ich gestern meine Tochter zum Kiefernorthopäden brachte, fand ich im Wartezimmer verteilt diese Zettel der Bundeszahnärztekammer. Da wird z.B. auch über Benzinpreiserhöhungen geschimpft und dem Patienten wegen Behandlungseinschränkungen Angst gemacht. Und dann heißt es: "Machen Sie Ihrem Ärger Luft. Verpassen Sie der Regierung das verdiente Knöllchen! Füllen Sie Ihren persönlichen Strafzettel für Schröder und seine Regierung aus!" Die vorgedruckten Postkarten lagen gleich dabei!

Fr Ja- da können wir was von der Opposition lernen: Nicht zimperlich sein mit Propaganda, und alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen für die eigenen Ziele mobilisieren. Was die neue Regierung alles geändert hat, ist doch in der Anfangshektik untergegangen. Die Erfolge von Rot-Grün sind doch überhaupt nicht in den Köpfen der Wähler...

(Sie wird abgelenkt durch den hereintretenden Ober)

Zum Beispiel die Steuerentlastung...

(Der Ober zeigt einen Essensteller und sucht den Besteller)

Ober (auch Mit) Einmal Rinderbraten mit Gemüse!

Fr Ja hier kommt das Essen hin!... Und die Erhöhung des Kindergeldes!

(Der Ober stellt das Essen vor sie hin. Braten- und Knoblauchgeruch breiten sich aus)

Oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall... Ah, danke. Hat aber lange gedauert!

Ober Tut mit leid. Der Koch ist wieder krank.

Max Ich wollte an Jo anknüpfen. Der Kosovo- Sündenfall hat uns viele Stimmen gekostet. Der Krieg wäre bei besserer Vorarbeit unnötig gewesen, aber er war für die Grünen in der Regierungsbeteiligung unausweichlich. Das ist aber leider bis heute nicht genügend diskutiert und klar gemacht worden. Auch deswegen war die Enttäuschung der Grünen-Wähler abzusehen. Schon während des Kosovo-Krieges sind Mitglieder ausgetreten- wegen der Diskrepanz zwischen Programm und Realität. Da kann man es dem Wähler nicht verdenken, wenn er dasselbe feststellt und entsprechend handelt.

Fr Aber viele sind dringeblieben trotz Bauchschmerzen und haben in Bielefeld auf der BDK Joschka den Rücken freigemacht. Er hat dann ja auch gute Arbeit geleistet, meine ich.

Mit Ich meine, die Partei hat ihm schon viel Vorschuss gegeben, nicht nur in Bielefeld. Er sollte mal was zurückzahlen.

Mit Wie hätt’s denn ausgesehen, wenn in Bielefeld die Mehrheit gegen den Kriegseinsatz abgestimmt hätte, so wie bei uns hier? ... Regierungskrise-- Große Koalition--die Grünen wieder in der Opposition!

Fr Ja, und wir hätten jetzt mehr Stimmen und nicht die PDS. Und einige Mandate mehr im Rathaus und die Geschäftsstelle brauchten wir auch nicht aus Geldnot dichtzumachen und und und... Bleiben wir auf dem Teppich. Wir machen realitätsbezogene Politik.

Mit Joschka hätte sich nicht an einen negativen Beschluss gehalten, sondern als Einzelkämpfer weitergemacht. Er braucht die Partei jetzt auch nicht mehr: Er ist beliebtester Politiker in Deutschland und kennt Madame A. gut. Wie abgehoben der schon ist, zeigen seine parteischädigenden Spiegeläußerungen mit der Forderung zum Röstel -Rücktritt.

Mit Das ist aber nicht geklärt. Er hat sich offiziell entschuldigt und in der taz wird er zitiert "Ich muß wieder ins Geschirr."

Mit (spricht erregt) Ja an die Kan -Kan- Kandarre sollten wir ihn legen. Der Fis - Fis- Fischer kriegt den Part- Part- Parteivorsitz und muß uns endlich Rede und Antwort stehen. Ich hätte da noch einige Fragen zu Ram- Ram- Rambouillet und hu- hu- humanitären Na- Na- Nah- Tod.

Mit Die Trennung von Amt und Mandat nehmen andere Parteifreunde auch sehr ernst, z. B. die Christa hat sich seit ihrer Ernennung auch noch nie hier in einer Versammlung sehen lassen. Und einige Amtsinhaber sind schon so weit getrennt, dass sie die Kontonummer für die fälligen Spenden vergessen haben.

Orti Die Diskussion ist sehr zerfahren. Wir sind noch bei TOP 1 und ich erinnere an unseren Beschluss, die Versammlung vor Mitternacht zu beenden. Also, wir müssen auch noch Ratsarbeit und das andere besprechen.

Max (hebt beide Hände) Antrag zur Geschäftsordnung: Aufhebung der Tagesordnung und statt dessen Diskussion um die neue Programmatik der Partei. Begründung: Wir sollten nicht unbedingt meinen: Koalitio ergo sum.

Mit Kannste das auch auf Deutsch?

Max Entschuldigung! Ich meine, unser Selbstverständnis sollte nicht allein in Koalitionsüber- legungen stecken bleiben, weil wir meinen, nur durch eine Beteiligung an der Macht kämen wir weiter. Die Grünen haben sich lange Zeit gescheut, eine Partei zu werden, weil sie große Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie hegten. Jetzt werden viele Bürger skeptisch und wählen nicht mehr; natürlicherweise gerade die, die unserer Denkweise nahe stehen. Wir sollten deshalb nicht verlorenen Mandaten und Koalitionen hinterherweinen, sondern unsere Fähigkeit nutzen, außerparlamentarische Entwicklungen in eine andere Politik umzusetzen. Gerade wenn wir jetzt durch die Wahlergebnisse an einigen Stellen nicht mehr so stark an die parlamentarische Arbeit gefesselt sind, gibt es neue Freiräume zeitlicher und personeller Art. Mein Antrag: Diskussion um das Selbstverständnis der Partei.

Fr Gegenrede: Wie willst du eine andere Politik machen, wenn du keine Macht hast? Um die zu bekommen, sind die Grünen doch Partei geworden und wir stressen uns im Wahlkampf! Ja, und die Stichwahl ist noch nicht entschieden. Wir sollten unsere Kommunalarbeit gut machen. Langfristig merkt das der Bürger. Und in ganz NRW heißt es auch bald wieder: Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf.

Mit (stöhnend) Schon wieder samstags früh aufstehn und Stand aufbaun? Ich komme mir bald vor wie ein Politmanager. Wie muß es da erst Uwe ergangen sein, bei seinen vielen Wahlkampfterminen. Die Arbeit bleibt leider meistens an wenigen hängen. Ich zweifle auch manchmal an dem Sinn des ganzen. Bis auf einige Gags wie der Bahnfahrt haben wir doch ähnliches gemacht wie die anderen Parteien. Wenn der Wähler alle paar Jahre sein Kreuzchen machen darf, führen wir ihm unseren Tanz vor, wie die anderen ihren. Von einer alternativen Partei, die in Bewegungen verankert ist, spürt man immer weniger. Es war irgendwie normal und mühselig.

Mit Und durch eine einzige deplazierte Äußerung eines Exponenten wird viel wieder kaputt gemacht. Beispiel die Fischer-Äußerung. So was kann ich nicht nachvollziehen. Da fühlt man sich als Fußtruppe kräftig mit Dreck bespritzt.

Fr Spitzenpolitiker haben es schwer. Die Medien verfolgen sie auf Schritt und Tritt. Sie müssen jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ein kleiner Pups zur falschen Zeit, schon wird daraus in der Öffentlichkeit ein Donnergrollen.

Orti Jetzt müssen wir aber über den Antrag von Max abstimmen. Wer ist für die Absetzung der TOP’s und die sofortige Diskussion eines neuen Grundsatzprogramms? 13 Stimmen. Wer ist dagegen? 11 Stimmen. Keine Enthaltungen. Die Diskussion um das neue Programm der Grünen ist eröffnet.

(Stille...schweigende Ratlosigkeit breitet sich aus)

Mit Ich- äh- ich kenne das alte gar nicht.

Mit Es gibt doch schon einige Papiere dazu, hab’ ich im Internet gesehen. Irgendwas mit neuer Mitte und Chancen. Kann ich mal ausdrucken.

Jo Wir haben doch selbst einen Kopf. Gebrauchen wir ihn! Für mich heißt die Frage: Wie wollen wir leben? Welche Vorstellung haben wir von unserer Zukunft und der unserer Kinder?

Mit Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es ist!

Orti (klebt ein weißes Tapetenstück auf die holzvertäfelte Stirnwand des Raumes und schreibt mit dickem Filzer darauf): Wie wollen wir leben?

Mit Ich denke wir diskutieren jetzt das neue Parteiprogramm der Grünen?

Mit Gibt es eine Verbindung zwischen einem Parteiprogramm und dem alltäglichen Leben?

Orti (schreibt hinzu) Und Politik machen?

Jo Wollen wir immer weiter Wachstum und immer mehr Verbrauch der natürlichen Ressourcen für einen fragwürdigen Wohlstand? Natürlich und gesund leben wir schon lange nicht mehr. Der Anstieg der Stress- und Umweltkrankheiten zeigt, dass wir auf dem Holzweg sind. Und glücklich oder zufriedener sind wir durch den technischen Fortschritt auch nicht geworden- oder? Die Entwicklung geht immer rasender voran. Schneller sein, größer werden, Neues bieten, sonst gehst du unter, heißt es in Wirtschaft und Handel, selbst bei den Bäckern. Und dann wird von Sachzwängen gesprochen, als ob wir alle einem Naturgesetz unterworfen wären.

Fr Und wie willst du ohne Wachstum Arbeitsplätze schaffen? Wenn wir bei der Globalisierung nicht innovativ und flexibel genug sind, werden wir schnell abgehängt. Die Japaner haben die Unterhaltungselektronik, die Amis die Computertechnik und wir die Arbeitslosen.

Max Verglichen mit vielen Ländern besonders in der dritten Welt ist die Arbeitslosigkeit gar nicht so hoch. Selbst Spanien hat trotz hohem Wirtschaftswachstum prozentual doppelt soviel Arbeitslose. Aber der Deutsche lebt, um zu arbeiten, nicht umgekehrt. Deswegen definiert er sich durch die gesellschaftlich anerkannte Erwerbsarbeit. Ein Arbeitsloser muß sich hier wertlos fühlen. Der daraus resultierende psychische Schaden ist ebenso gravierend wie der materielle.

Mit So isses: Tuste nix- haste nix- biste nix!

Jo Die global vorhandene Menge an Arbeit ist begrenzt und wird durch den technischen Fortschritt immer weniger. Statt dankbar zu sein, dass Automation uns die Arbeitsbelastung abnimmt und Zeit für Kultur, Muße und Meditation gibt, jammern wir hinter der Arbeit her. Ich denke, Arbeit und Wohlstand gibt es bei uns genug, beides muß nur gerechter verteilt werden. Menschen in anderen Nationen und Erdteilen haben da eher Nachholbedarf.

Orti (schreibt auf die Tapetenrolle) --Arbeit genug und Wohlstand --Beides muss gerechter verteilt werden

Mit Jo, willst du Werbung für deinen Buddha machen, wenn du von Meditation sprichst?

Jo Meine Erfahrung ist, dass ich damit zufriedener werde und nicht mehr so hinter Klamotten und Anerkennung hergiere. Ich meine, in unserer westlich-christlichen Kultur ist es uns gelungen, die Außenwelt mit immer mehr Produkten anzureichern, aber die Innenwelt des Menschen ist verarmt. Die wahren Fragen des Lebens sind weniger beantwortet als vor tausend Jahren: Welchen Sinn hat das Ganze? Wie kann das Leid des Menschen verringert, wie kann echtes Glücksempfinden vermehrt werden? Wo lernen wir die Kunst des sinnvollen Lebens und auch die des Sterbens? Wie können wir dem allgemeinen Kult der Ablenkung und Verblendung entgehen? Was uns angeboten wird, sind meiner Erfahrung nach nur Ersatzbefriedigungen. Mein Ziel ist: Echte Bedürfnisse klären und deren Erfüllung anstreben.

Mit Kann man das als Teil dieser Gesellschaft überhaupt leisten? Das ist doch so, als ob man mit verbundenen Augen den richtigen Weg finden muß.

Jo Jeder kann sich prüfen mit dem Vorher-Nachher-FreudundLeid-Test, nämlich, bin ich nach einem Ereignis auf Dauer zufriedener als vorher und habe ich Freude erlangt, ohne anderen Wesen Leid zuzufügen?

Orti (schreibt) --Echte Bedürfnisse klären und sie erfüllen

Max Wir müssen zu einer anderen Definition von Arbeit kommen: Gute Laune unter seinen Mitmenschen zu verbreiten ist für mich heute eine wertvollere Arbeit als einen weiteren überflüssigen Konsumartikel unters Volk zu bringen. Die ökologische Bilanz eines Arbeitslosen ist doch vorbildlich: Wer keinen Blödsinn produziert und weniger konsumiert, verbraucht auch weniger Ressourcen.

Mit Und hat Zeit zum Fahrrad fahren und Gemüse züchten! Aber was mache ich, wenn mein Sohn unbedingt so ein Tamagotschi haben will und was sonst noch so auf den Markt geworfen wird.

Orti (schreibt) --Neue Definition von Arbeit

--Aufwertung der gesellschaftlich wertvollen Tätigkeit

--Recht auf Muße und Kultur

Mit (nimmt den Filzer und schreibt hinter die letze Zeile.) ...und gute Laune

Fr Wir Grünen haben diese Verzichts- und Müslipolitik ja stark vertreten und sind damit auf die Nase gefallen. Noch heute bekomme ich manchmal die 5-Marks-Geschichte um die Ohren gehauen. Warum wird diese zukunftsweisende Politik nicht vom Wähler gewürdigt?

Mit Jeder schaut nur bis zur eigenen Nasenspitze und meint, was schon Mozart sagte: Jeder denkt an sich, keiner denkt an mich.

Jo Und meint: Warum soll gerade ich verzichten, wenn der andere noch mehr für sich beansprucht! Diese Haltung wird z.B. durch die Werbung massiv gefördert. Schneller Genuß sofort , das ist die Devise in unserer Suchtgesellschaft, und die Abhängigkeit wird immer noch weiter getrieben. Kennt ihr die Glücksloswerbung im Fernsehen: Er sieht sie wegschwimmen: "Wo will’ste hin?" "Ich kauf’ mir ein Auto". "Bring’ mir eins mit"! Da ist man als Bescheidenheitsapostel doch der Depp vom Dorf.

Orti (schreibt auf) --Nachhaltige Lebensfreude statt schnellem Genuß

Mit Jetzt bleib’ aber wirklich auf dem Teppich! Du kannst die Zeit nicht zurückdrehen. Auch wenn Werbung und Privatsender sich negativ auswirken, können wir sie nicht verbieten. Oder willst du bei einem Werbespot einblenden lassen: Der grüne Minister informiert: Gucken gefährdet das Gemeinwohl.

Orti Privatsender zuzulassen war aber eine politische Entscheidung. Welche Blüten der Quotenkampf treibt, kann jeder im Wohnzimmer auf sich wirken lassen. Die Werbungsinvestitionen in Deutschland sind mittlerweile höher als die gesamten staatlichen Ausgaben für Bildung. Wenn wir eine negative Entwicklung nicht aufhalten können, müssen wir versuchen, den Menschen die Folgen klarer zu machen, so dass sie wissen, was langfristig auf sie zukommt; eine politisch- pädagogische Aufklärung sozusagen: Wenn ihr heute eure Kinder zu Konsumtieren konditioniert, müßt ihr euch nicht wundern, wenn sie morgen immer mehr fordern. Oder ökologisch gesehen: Wenn ihr heute das Holz des Floßes verheizt, auf dem wir leben, werdet ihr morgen im kalten Wasser schwimmen. Und Alternativen müssen gezeigt werden, die annehmbar sind. Dann kann wirklich gewählt werden, und jeder weiß, was er tut.

Mit Nach dem Motto: Wer nicht hören will, muß fühlen. Aber ein direkt sichtbares Verursacherprinzip gibt’s ja meistens nicht. Die Welt ist so kompliziert geworden, dass das Opfer meistens den Täter, die Ursache seines Leidens kaum feststellen kann. Außerdem: Unter der Umweltverschmutzung leiden die am meisten, die sie am wenigsten zu verantworten haben., z. B. die höchste Anreicherung an Umweltgiften findet sich in den Lebewesen der Arktis -Antarktis.

Mit Und wenn du dich vor den Gefahren der Atomkraft schützen willst, darfst du nicht neben dem AKW bauen sondern da, wo der Chef desselben sein Haus hat. Zudem ist das Gedächtnis der Menschen sehr kurz. Der Atomausstieg als Tschernobyl -Effekt ist längst vergessen. Drohungen vor einer schlimmen Zukunft und auch der pädagogische Zeigefinger haben immer einen sauren Beigeschmack; das schreckt besonders Jungwähler eher ab. Wir brauchen Mut und Kreativität für Gegenentwürfe zum gängigen Lebensmuster.

Orti (schreibt) --Ursachen von Fehlentwicklungen verdeutlichen

--Kreativität und Mut für Gegenentwürfe

Mit Das Problem Nr. 1 die Arbeitslosigkeit haben die Grünen schon wieder verdrängt, typisch für die Beamten- und Mittelschichtspartei. Aber wenn die Arbeitslosenzahlen weiter steigen, gibt’s demnächst einen Farbenwechsel - wie in Österreich. Was tun die Grünen denn für den Wirtschaftsstandort Deutschland? Bisher sind die Investoren doch eher abgeschreckt worden, z. B. durch die Ökogesetze.

Max (steht auf, nimmt eine Rednerpose ein und spricht langsam jedes Wort betonend) Ich halte jetzt mal eine Ansprache: Deutschland ist nicht das verlorene Land, der von der globalen Industrie vergessene Standort, das öde Eiland in einer sonst prosperierenden Welt. Deutschland ist die Heimat der Dichter und Denker, der Geburtsort vieler Wissenschaftler und Nobelpreisträger, die Wirkungsstätte von zahlreichen Ingenieuren und hochqualifizierten Arbeitern. Wir haben bedeutende Erfindungen gemacht. Die Autos der Erde fahren mit Daimler- und Ottomotoren, Telefon, Fax und sogar der Computer erblickten hier das Licht der Welt. Unsere Fähigkeiten wie Fleiß, Zuverlässigkeit und Genauigkeit sind berühmt, die Qualität unserer Produkte ist sprichwörtlich. Wenn wir uns in Ost und West unserer Tugenden besinnen, statt immer zu klagen, wenn wir unseren Mut zum Risiko entdecken statt in Pessimismus zu verharren, wenn wir endlich zusammen unsere Zukunft anpacken statt dem Gestern nachzuweinen, dann wird Deutschland im nächsten Jahrtausend eine große Zukunft vor sich haben. Prost!

(Er hebt sein Bierglas und einige mit ihm)

Mit (zur Nachbarin) Sowas hätte der Schröder mal sagen sollen, statt immer von Altlast und Sparen zu reden.

Mit Aber so denkt er doch! Kennst du das: Willy Brandt 1975: Demokratie wagen! Schröder heute: Volks-wagen!

Mit Max, du meinst, dass die Deutschen im internationalen Rattenrennen dann wieder vorne liegen? Wem nützt das und wem schadet es? Klar, einige machen groß Kohle und es heißt, jeder hat die Chance dazu in der freien Wirtschaft. Damit werden wir geködert. Aber insgesamt wird die Hatz doch immer unmenschlicher. Schau dir mal genauer die sogenannte amerikanische Vollbeschäftigung an. Und wenn wir vorn liegen, geraten andere ins Hintertreffen und werden stärker angetrieben, um wieder nach vorn zu kommen. In diesem Siegerprinzip stehn die Verlierer schon fest: Es ist ein großer Teil der Bevölkerung und auf jeden Fall die Natur, die Gerechtigkeit und manchmal auch der Frieden.

Mit Uns wird doch immer noch vorgemacht: Wenn du dich nicht anstrengst, nach vorn zu kommen, tut es ein anderer und du mußt in seinen Abgasen leben. Genauso wechseln sich die Nationen alle paar Jahre ab. In den 50-er und 60-er Jahren war die BRD das Wirtschaftswunderland, dann kamen die Japaner, jetzt sind die Amis vorn, demnächst ist Euroland dran, und mittendrin liegt Deutschland...

Orti Richtig! Das kann man gut an den Börsenkurven dieser Länder ablesen.

Fr Und mit der wachsenden Wirtschaft wird dann medial auch wieder Optimismus verbreitet. Wenn Rot-Grün Glück hat, passiert das rechtzeitig und bei den nächsten Bundeswahlen kommen die Wählerstimmen zurück.

Mit Das isses! Das Ergebnis von Wahlen ist nur eine Frage von Timing. Die alte Regierung bleibt dran, wenn rechtzeitig vorher die Wirtschaft aufdreht; aber eine neue wird gewählt, wenn die Aussichten trüb sind. Deswegen gibt’s auch nur zwei grosse Parteien in den meisten Ländern, die sich dann abwechseln. Da kann man noch so guten Wahlkampf machen, der allgemeine Trend siegt. Deswegen macht nicht so viel Stress, achtet auf den Lustgewinn. Und der Rat an die Regierung: Ruhig bleiben und aussitzen.

Mit Du sagst Timing. Wie kann man denn am Zeitzeiger drehen? Oder ist der Gang der globalen Wirtschaft tatsächlich so schwer zu beeinflussen wie das Wetter?

Orti Wenn wir die Wirtschaft schon wenig beeinflussen können, wird eine langfristige Vorhersage ebenso schwer sein wie die des Wetters. Ihr kennt das: Der Flügelschlag des Schmetterlings im Himalaya löst einen Hurrikan vor Florida aus. Aber die Ökonomie wird von Menschen gemacht. Der mächtigste sitzt in USA und ist wenig bekannt. Alan Greenspan, Chef der Fed, der dortigen Notenbank. Wenn der eine Zinsentscheidung fällt, reagieren die Börsen der Welt mit Milliarden-Ausschlägen. Oder der Fondsmanager George Soros, der durch seine Devisenspekulationen gegen den thailändischen Baht die Lawine der asiatischen Wirtschaftskrise ausgelöst hat, mit verheerenden Folgen für viele Menschen dort.

Mit Du solltest mal einen Kurs in Ökonomie geben statt in Ökologie. Die Grünen haben da großen Nachholbedarf, um die rasanten Veränderungen in der globalisierten Wirtschaft zu verstehen. Und da sind auch Wählerstimmen zu holen. Die Partyplauderer reden nicht mehr über Frieden oder Umwelt sondern über die Börse. Die neue Zielgruppe der Grünen: Aktienbesitzer! Und das werden immer mehr!

Orti Im Ernst: Die ersten großen Privatisierungen von Staatseigentum geschahen in den 60er Jahren unter sozialem Aspekt. VW, Veba und RWE verkauften Anteilscheine als Volksaktie. Das Volk sollte direkten Vorteil haben an dem von ihm erarbeiteten Gewinn eines Unternehmens. Und so ist es heute mit den Belegschaftsaktien. Wenn die Belegschaft insgesamt die meisten Aktien hat, gehört ihr quasi der Betrieb.

Mit Das ist ja Sozialismus auf kapitalistischem Wege!

Orti (greift zum Filzer und will etwas aufschreiben, zögert aber) Und Demokratie: Wenn du statt eines neuen Mercedes dir Daimler- Aktien kaufst, kannst du anteilmäßig mitbestimmen. Mit nur einer Aktie, momentan ca. 150 DM, hast du das Recht bei einer Hauptversammlung ans Rednerpult zu gehen und gegen die Minenproduktion von Daimler abstimmen zu lassen. Viele der alternativen Firmen, z. B. die Windkraftanlagen bauen, sind Aktiengesellschaften, weil sie nur so an das notwendige Kapital kommen.

Mit Und als Aktionär treffen sie sich dann wieder: Der Wähler, der Angst vor Arbeitsverlust hat und der Politiker mit seiner Angst vor Machtverlust. Und sehen: Wir sitzen alle in einem Boot, nur du am Steuer und ich am Ruder und beide haben Angst, dass der andere das Boot zum Kentern bringt.

Mit Der am Ruder hat’s aber bequemer, kriegt keine nassen Füße und kann auch die Richtung bestimmen.

Mit Dann müssen sie halt mal wechseln. Ach wie heißt das? Rotieren!

Mit Nur beim Umsteigen oder mit unerfahrenem Steuermann kentert das Boot noch leichter!

Mit Also bleiben alle dort, wo sie am besten hinpassen. Aber sie dürfen ihre Positionen nicht für persönliche Vorteile mißbrauchen, sondern müssen an alle im Boot denken.

Mit Da hast du aber viel Vertrauen. Die meisten Politiker sind doch korrupt.

Mit Nur die Grünen nicht?! Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

Max Klar ist, wir sind nicht die angeketteten Galeerensträflinge, die ohnmächtig zum Kapitän aufschauen, sondern wir gucken genau hin, damit die Erhobenen nicht zu Erhabenen werden. Kritikfähigkeit ist bei den Grünen eine herausragende Eigenschaft. Aber wie kann vermieden werden, dass zuviel Skepsis die Arbeit behindert, dass Mißtrauen die notwendige Kraft und Kreativität für neue Aufgaben raubt? Der Sprung in die große Politik hat die Grünen jetzt sehr deutlich mit einer neuen Erfahrung konfrontiert: Mein Parteikollege aus den alten Tagen steht nicht mehr neben mir in der Demo-Reihe sondern auf der ersten Seite der Zeitungen, spricht im TV, macht Karriere...! Wie kommt das bei mir an? Welche Empfindungen habt ihr dabei?

Mit (nach kurzem Schweigen) Worauf willst du hinaus?

Fr Vielleicht, dass dadurch der Abstand zueinander viel größer wird, das gegenseitige Kennen sich verringert, Vertrauen schwindet. Man fragt sich, wie er sich verändert, wenn er die Macht schmeckt.... Was könnte man tun, damit der Häuptling nicht abhebt, sondern auf dem Stammesboden bleibt? Zum Beispiel, ihn immer wieder in den Kreis einladen und die Friedenspfeife rauchen. Wenn Erfolge und echte Leistungen neidlos anerkannt werden, braucht er weniger Zuwendung durch Showauftritte und Interview- Alleingänge reinzuholen. Und manchmal Nachsicht üben: Das enorme Arbeitspensum und der notwendige Einsatz ist nur zu schaffen mit einer Prise Selbstüberschätzung und Darstellungslust.

Mit Das ist wirklich ein A und O- Programm: Anders und originell. Politik aus dem Unterbauch, oder anders gesagt: Die Seele regiert mit! Was Kalle Marx wohl zu dieser Geschichts- und Politikauffassung gesagt hätte? Er müßte sein Werk neu schreiben. Damals war ja auch die Lewinski- Verlockung noch nicht so bekannt.

Jo (atmet tief durch, bevor sie spricht) Das war nicht nur eine Geschichte von Klassenkämpfen, sondern die Menschen haben auch gemeinsam gegen die feindliche Natur gekämpft, um ihr Überleben zu sichern und sich die Erde untertan zu machen. Erst in diesem Jahrhundert sind die Menschen zu Einzelkämpfern geworden und sich selbst der größte Feind: Kriege und vom Menschen verursachte Katastrophen fordern mehr Opfer als die Natur. Aber die Entwicklung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und die des menschlichen Bewußtseins machen eine neue Erkenntnis möglich: Zum ersten Mal in der Geschichte ist die Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen möglich, wenn alle am gleichen Strang ziehen. Nicht mehr Kampf gegen die Naturgewalten außen und in sich ist das Bestreben, sondern die Menschheit erkennt sich wieder als Teil der Natur selbst, die nur überlebt, wenn sie im Gleichgewicht bleibt. Wenn der Mensch seine innere Harmonie findet, ist er bestrebt auch die äußere herbeizuführen. Friede, solidarische Gerechtigkeit und Bewahrung der Natur sind die Ziele der Zukunft. Schaut euch die Parteien an, mit ihrer Vergangenheit, ihren Programmen und Machern und dann urteilt, wer die Zukunft am ehesten meistern kann.... Wir Grünen haben auch Fehler gemacht. Das ist menschlich. Aus Fehlern kann man lernen. Wichtig ist, wie damit umgegangen wird.

Fr Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung von Politikerkollegen ist für mich der menschliche Umgang miteinander, d.h. wie zuverlässig und ehrlich ist der andere.

Orti (schreibt) --Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit anstreben

--Menschlichen Umgang pflegen

(So kann die Diskussion noch stundenlang weitergehen und die Tapete sich immer mehr füllen.

Aber jedes Theaterstück hat ein Ende. Hier sind zwei zur Auswahl: Happy End oder Shappy End)

Happy End

(Herein kommt Tom, genannt der Müßiggangster, Zopfträger, Outfit wie ein Alt-Hippie, mit Gitarre):

Tom Tschuldigung, wir ham bei Frieda noch ‘n bisschen Musik gemacht. Habt ihr schon angefangen?

Orti Hoffentlich ist gleich Schluß. Du kommst reichlich spät. Dafür kannst du uns was singen!

Tom (greift in die Saiten, Akkorde in G,D7,C und Melodie nach dem Beatles-song Give peace a chance ) Ev’rybody is talking about Wahlkampfauftritt, Plakatieren, Stand besetzen, Sheets verteilen, diskutieren, koalieren, Wählerstimmen, Niederlagen, Aufhörn-oder Weitermachen..., und jetzt alle:

All we are sailing, give Greens a chance...

Shappy End

(Plötzlich bellt Fraukes Schäferhund los, der die ganze Zeit still unter dem Tisch gelegen hatte.)

Fr Che, was ist los? Hast du kein Shappy mehr?

(Geschirr und Trinkgläser fangen an zu scheppern. In der Holzwand knackt es. Quer durch die beschriftete Tapete geht ein Riß. Ein dumpfes Grollen ist zu hören.)

Orti (mit zittriger Stimme) Erdbeben auch bei uns! Die Sitzung ist geschlossen. Rette sich wer kann!

(Alle verlassen fluchtartig den Saal)