Fischer rechnet mit grünen Nato-Kritikern ab
Heftige Debatte bei Europawahl-Treffen der Partei in Aachen
Cohn-Bendit attackiert Linke
Von Wulf Schmiese
Aachen Ein Fest war geplant, doch es wurde eine Schlacht. Auf ihrer
zentralen Europawahlveranstaltung am Montag abend schlugen die Grünen
gegen die Kritiker der Kosovo-Politik zurück. Soweit, daß klar wurde,
wo die
Regiertungspartei genauer: die Regierenden in der Partei auf keinen
Fall
mehr geortet werden will: links. Ausgerechnet Linke provozierten dieses
Bekenntnis.
"Geht doch zur PDS, ihr Faschistenknechte", entfuhr es einem sonst
sehr
zurückhaltenden Diplomaten aus dem Planungsstab des Auswärtigen Amts.
Bis zum Auftritt des Chefs, Außenminister Joschka Fischer, lief dessen
hochrangiges Gefolge nervös vor der Bühne in der Aachener Kongreßhalle
auf
und ab. Noch war nicht sicher, ob Besänftigung oder Widerstand Farbbeutel
verhindern würden.
Die Angriffsstrategie bestimmte schließlich Daniel Cohn-Bendit,
Spitzenkandidat der französischen Grünen. Als trillernde Pfeifen und
die
üblichen "Mörder, Kriegstreiber"-Rufe seine Rede verhindern
wollten, versuchte
der Ex-Sponti auf ein höheres Niveau zu flüchten. Auf französisch
rechtfertigte
er die Nato-Strategie im Kosovo.
Die Krachmacher verstanden nun erst recht nichts mehr und dröhnten "Hau
ab!". Das reichte. "Ihr sprecht die Sprache Milosevics. Ihr sprecht
die Sprache
der Nationalsozialisten, die meine jüdischen Eltern aus Deutschland vertrieben
haben." Cohn-Bendit fuhr die schwersten Geschütze auf und landete
einen
Volltreffer nach dem anderen. "Wo wart Ihr, als zwei Jahre lang in Sarajewo
serbische Bomben einschlugen? Wo wart Ihr, um gegen die sowjetische
Aufrüstung zu demonstrieren?"
Ihre Moral, die erhobenen Zeigefinger, sollten sich die "linken deutschen
Besserwisser" sonstwo hinstecken. Cohn-Bendit sprach es nicht zitierbar
aus. Man könne nicht auf ein UN-Mandat warten, "weil Chinesen, die
in Tibet
morden, und Russen, die Tschetschenien auf dem Gewissen haben, es
niemals geben werden".
Außenminister Joschka Fischer, der erschöpft von den G-8-Verhandlungen
aus
Köln nach Aachen gefahren war, konnte keine deutlicheren Worte finden.
Er
rettete sich durch einen Trick, forderte die Pazifisten auf die Bühne.
"Kommt
schon her, stellt Euch. Diskutiert mit mir hier vorne."
Die Friedenstuch- und Bannerträger fühlten sich ertappt. Ihr Zaudern
half nichts,
die Fischer-freundliche Mehrheit im Saal zwang sie ans Mikrofon. Dort gab es
nur Gestammel, ideologische Phrasen, die der Außenminister zu gut aus
der
eigenen "militanten Vergangenheit" kannte, wie er belustigt zugab.
Seinen
Freund "Danny" Cohn-Bendit pfiff er zurück, als der sich
frei nach Helmut Kohl
zu prügeln begann mit den Demonstranten, die überwiegend dem
Aachener
Friedensforum, autonomen Hochschulgruppen und der DKP
angehörten.
Die überraschendsten Worte fielen leise. Heide Rühle, EU-Spitzenkandidatin
der deutschen Grünen, forderte am Rande ihrer Wahlveranstaltung einen
endgültigen Bruch mit den Linken in der eigenen Partei. "Wir können
nicht
mehr für beide Seiten offen sein", sagte jene Frau, die über
Jahre hinweg als
Bundesgeschäftsführerin der Grünen versucht hatte, Fundis und
Realos zu
einen. Nie konnte Heide Rühle deshalb einem Flügel zugerechnet werden.
Befreit vom Dilemma des Amts und erzürnt über die "Weltfremdheit
bei Teilen
der Grünen" sprudelt es nun, wenige Tage vor der Wahl, aus ihr heraus:
"Der
Spagat zerreißt uns. Die Grünen müssen sich jetzt entscheiden,
wofür und
nicht wogegen sie sind. Deutschland darf sich nicht mehr aus der Weltpolitik
heraushalten."
Nach dem Kosovo-Krieg müsse die Wandlung der Partei weitergehen. "Wir
müssen uns ganz klar von der SPD-Linken distanzieren und auch in der Sozial-
und Wirtschaft modern und libertär werden." Etwa gegen das 630-Mark-Jobs-
Gesetz erwarte sie grünen Protest. "Nur durch klare Wandlung können
wir
überleben."
© DIE WELT, 10. 06. 1999