"DIE WELT" - 10.06.1999

Fischer rechnet mit grünen Nato-Kritikern ab

Heftige Debatte bei Europawahl-Treffen der Partei in Aachen
­ Cohn-Bendit attackiert Linke

Von Wulf Schmiese

Aachen ­ Ein Fest war geplant, doch es wurde eine Schlacht. Auf ihrer
zentralen Europawahlveranstaltung am Montag abend schlugen die Grünen
gegen die Kritiker der Kosovo-Politik zurück. Soweit, daß klar wurde, wo die
Regiertungspartei ­ genauer: die Regierenden in der Partei ­ auf keinen Fall
mehr geortet werden will: links. Ausgerechnet Linke provozierten dieses
Bekenntnis.

"Geht doch zur PDS, ihr Faschistenknechte", entfuhr es einem sonst sehr
zurückhaltenden Diplomaten aus dem Planungsstab des Auswärtigen Amts.
Bis zum Auftritt des Chefs, Außenminister Joschka Fischer, lief dessen
hochrangiges Gefolge nervös vor der Bühne in der Aachener Kongreßhalle auf
und ab. Noch war nicht sicher, ob Besänftigung oder Widerstand Farbbeutel
verhindern würden.

Die Angriffsstrategie bestimmte schließlich Daniel Cohn-Bendit,
Spitzenkandidat der französischen Grünen. Als trillernde Pfeifen und die
üblichen "Mörder, Kriegstreiber"-Rufe seine Rede verhindern wollten, versuchte
der Ex-Sponti auf ein höheres Niveau zu flüchten. Auf französisch rechtfertigte
er die Nato-Strategie im Kosovo.

Die Krachmacher verstanden nun erst recht nichts mehr und dröhnten "Hau
ab!". Das reichte. "Ihr sprecht die Sprache Milosevics. Ihr sprecht die Sprache
der Nationalsozialisten, die meine jüdischen Eltern aus Deutschland vertrieben
haben." Cohn-Bendit fuhr die schwersten Geschütze auf und landete einen
Volltreffer nach dem anderen. "Wo wart Ihr, als zwei Jahre lang in Sarajewo
serbische Bomben einschlugen? Wo wart Ihr, um gegen die sowjetische
Aufrüstung zu demonstrieren?"

Ihre Moral, die erhobenen Zeigefinger, sollten sich die "linken deutschen
Besserwisser" sonstwo hinstecken. Cohn-Bendit sprach es ­ nicht zitierbar ­
aus. Man könne nicht auf ein UN-Mandat warten, "weil Chinesen, die in Tibet
morden, und Russen, die Tschetschenien auf dem Gewissen haben, es
niemals geben werden".

Außenminister Joschka Fischer, der erschöpft von den G-8-Verhandlungen aus
Köln nach Aachen gefahren war, konnte keine deutlicheren Worte finden. Er
rettete sich durch einen Trick, forderte die Pazifisten auf die Bühne. "Kommt
schon her, stellt Euch. Diskutiert mit mir hier vorne."

Die Friedenstuch- und Bannerträger fühlten sich ertappt. Ihr Zaudern half nichts,
die Fischer-freundliche Mehrheit im Saal zwang sie ans Mikrofon. Dort gab es
nur Gestammel, ideologische Phrasen, die der Außenminister zu gut aus der
eigenen "militanten Vergangenheit" kannte, wie er belustigt zugab. Seinen
Freund "Danny" Cohn-Bendit pfiff er zurück, als der sich ­ frei nach Helmut Kohl
­ zu prügeln begann mit den Demonstranten, die überwiegend dem Aachener
Friedensforum, autonomen Hochschulgruppen und der DKP
angehörten.

Die überraschendsten Worte fielen leise. Heide Rühle, EU-Spitzenkandidatin
der deutschen Grünen, forderte am Rande ihrer Wahlveranstaltung einen
endgültigen Bruch mit den Linken in der eigenen Partei. "Wir können nicht
mehr für beide Seiten offen sein", sagte jene Frau, die über Jahre hinweg als
Bundesgeschäftsführerin der Grünen versucht hatte, Fundis und Realos zu
einen. Nie konnte Heide Rühle deshalb einem Flügel zugerechnet werden.
Befreit vom Dilemma des Amts und erzürnt über die "Weltfremdheit bei Teilen
der Grünen" sprudelt es nun, wenige Tage vor der Wahl, aus ihr heraus: "Der
Spagat zerreißt uns. Die Grünen müssen sich jetzt entscheiden, wofür und
nicht wogegen sie sind. Deutschland darf sich nicht mehr aus der Weltpolitik
heraushalten."

Nach dem Kosovo-Krieg müsse die Wandlung der Partei weitergehen. "Wir
müssen uns ganz klar von der SPD-Linken distanzieren und auch in der Sozial-
und Wirtschaft modern und libertär werden." Etwa gegen das 630-Mark-Jobs-
Gesetz erwarte sie grünen Protest. "Nur durch klare Wandlung können wir
überleben."

© DIE WELT, 10. 06. 1999