BasisGrünLinks NRW
Der vorläufige Koordinierungskreis

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Pressemitteilung Nr. 1/2000
15.06.00


NRW: Ein Koalitionsvertrag der Neuen Mitte


Gleich wie die Entscheidung des Landesparteitags der Grünen am kommenden Wochenende ausfällt, sicher ist bereits jetzt: Der Umbau des Landes nach dem neoliberalen Konzept der Neuen Mitte wird beschleunigt vorangetrieben. Wenn nicht mit den Grünen, dann eben mit der FDP. Denn die im Koalitionsvertrag beschriebene „Allianz für Nordrhein-Westfalen“ ist weniger eine zwischen Parteien als eine von Politik und Wirtschaft. Es bedürfte keiner erheblichen Änderungen, um den Vertrag auch für Rot-Gelb passend zu machen.

Der Kurs ist quer durch alle wesentlichen Politikfelder klar auf das zentrale Ziel ausgerichtet, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts NRW zu stärken und ein möglichst hohes Wachstum zu erreichen. Dazu sollen „grundlegende Veränderungen“ stattfinden, „Kräfte entfesselt“ und „unternehmerischer Tatkraft und unternehmerischen Initiativen zum Durchbruch“ verholfen werden. Die Unternehmen will man „umfassend unterstützen“, wo sie selbst die „Chancen von Globalisierung und Marktöffnung nutzen“. Ebenso umfassend ist Möllemanns Forderung nach mehr Tempo bereits Rechnung getragen.

Dass dies mit weiteren Gefährdungen unserer ökologischen Lebensgrundlagen einhergeht und angesichts der empirisch längst belegten Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung im shareholder-value-Kapitalismus keine Perspektive zur Überwindung der Massenerwerbslo-sigkeit bieten kann, spielt da keine Rolle mehr. Stattdessen bekennen sich jetzt auch Grüne zur Zukunft für die Klimakiller: zur Braunkohle als „Grundlage unserer Energieversorgung“ und zum weiteren Ausbau von Straßen- und Luftverkehr, damit „die Wirtschaft ihre Mobilitätsbedürfnisse umfassend wahrnehmen“ kann. Gemeinsam will man die risikoreichen Gen- und Nanotechnologien fördern. Noch so dick aufgetragene Nachhaltigkeitsrhetorik und Lippenbekenntnisse zu den Klimaschutzzielen von Rio können nicht mehr verdecken, dass Ökologie im Zweifel hinter Wirtschaftsinteressen zurückzustehen hat und eher zur Nischenpolitik wird.

Dazu trägt auch die für alle Bereiche verallgemeinerte Strategie des Konsenses mit der Wirtschaft bei - sei es in großen Konsensrunden oder in Form der private-public-partnership. Dass schon ihr Pilotprojekt, der „Ausbildungskonsens NRW“ die Lehrstellenkrise nur mit medialer Schauschlägerei zudeckt, kümmert nun auch die Grünen nicht mehr. Mit der verallgemeinerten Konsens-Strategie begibt sich die dem Allgemeinwohl verpflichtete Politik in eine neue, unmittelbare Abhängigkeit von Interessenvertretern des Kapitals, die mit demokratischen Ansprüchen nur schwer vereinbar sein dürfte.

Die zur „nachhaltigen Finanzpolitik“ geweihte Sparpolitik wird massiv verschärft, um zugleich die verheerenden Folgen der – ausdrücklich unterstützten – Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung für den Landeshaushalt abzufangen, die Nettokreditaufnahme zu senken und neue Investitionen zur Standortstärkung zu finanzieren. Sämtliche finanzwirksamen Aussagen des Koalitionsvertrags stehen unter „Finanzierungsvorbehalt“. Was davon tatsächlich zum Zuge kommt, bestimmen die interessenpolitischen Kräfteverhältnisse in künftigen Haushaltsberatungen. Spielraum für neue Investitionen und für die
beabsichtigte Milderung des chronischen LehrerInnenmangels an den Schulen soll durch Kürzungen der „konsumtiven“ Ausgaben geschaffen werden, die insbesondere den größten Teil der im weitesten Sinne sozial relevanten Ausgaben bilden. Damit ist programmiert, dass Sozialpolitik zur Verliererin verschärfter Verteilungskämpfe wird.

Auch Arbeitsmarktpolitik wird als Dienstleistung für Unternehmen verstanden. Sie soll vor allem „betriebliche Modernisierung“ zur „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ fördern. Hinter dem wohlklingenden Versprechen, „Brücken in den ersten Arbeitsmarkt, vor allem für Geringqualifizierte, zu bauen“, verbirgt sich ausweislich der bereits praktizierten Politik der letzten Jahre die Verfolgung einer Niedriglohnstrategie. Dienstleistungspools sollen Frauen „annähernd“ existenzsichernde Beschäftigung bieten. Kein Zufall, dass eine Wendung gegen zweit- und drittklassige Arbeitsmärkte wie im Koalitionsvertrag 1995 nicht mehr vorkommt. Hieß es damals noch, weitere Arbeitszeitverkürzungen seien unverzichtbare und wirksame Beiträge zum Abbau der Erwerbslosigkeit und zur Gleichstellung von Frauen, soll Arbeitszeitpolitik jetzt ausdrücklich „wettbewerbsorientiert“ stattfinden.
Bildungswesen, Forschung und Wissenschaft sollen vor allem anderen darauf ausgerichtet sein, den Anforderungen der Wirtschaft zu entsprechen. Das sparpolitische Zwangskorsett des „Qualitätspakts“, zu dem sich jetzt auch die Grünen offen bekennen, ist „Grundlage“ des weiteren marktförmigen Umbaus der Hochschullandschaft. Auf deren chronische Unterfinanzierung antwortet man u.a. mit der Öffnung für „private Berufsakademien“ und „privat finanzierte Lehrstühle“. Die Stärkung eines privaten Bildungsmarktes und die Umlenkung von Ressourcen in die Spitzenausbildung wird die Chancen-Ungleichheit beim Bildungszugang weiter vergrößern..

Die erschreckende Polarisierung in Arm und Reich ist kein Thema. Der Verfassungsgrundsatz von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, der angemessenen Heranziehung der wirtschaftlich Starken, um zur Bewältigung der sozialen Krise beizutragen, ist im Politikentwurf der Neuen Grünen und der Neuen SPD rückstandsfrei entsorgt. „Bürgerschaftliches Engagement“ und „privat-öffentliche Allianzen“ sollen die Lücken füllen, die der gewollte Rückzug des Sozialstaats zugunsten der „Eigenverantwortung“ hinterlässt. Wie die Erfahrung lehrt, wird die „Unterstützung“ der kommunalen Sozialhilfepolitik eher der Bekämpfung der Armen als der Bekämpfung der Armut dienen.

Die totale Wirtschaftsgesellschaft ist kein zukunftsfähiges Konzept. Die neoliberale System-veränderung, auf die der Koalitionsvertrag insgesamt erkennbar zielt, ist jenem „sozialen und ökologischen Umbau“ diametral entgegengesetzt, der einstmals grüne wie sozialdemokratische Reformkräfte inspirierte. Diesen Vertrag abzulehnen, müsste urgrüne Pflicht sein.

Dass die Neuen Grünen für diesen Vertrag werben, ist allerdings verständlich. Schließlich haben sie ihr wichtigstes Verhandlungsziel erreicht: Sie dürfen – einschließlich ihrer Umweltministerin – an der Regierung bleiben.


V.i.S.d.P: Daniel Kreutz, Brüsseler Str. 12, 50674 Köln

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