Marianne Hürten

15.6.00

Nein zum Koalitions-Vertrag!!

Weitere Argumente und Antworten auf Befürworterthesen:

        1. These: Auf die Ausstrahlungskraft unserer jetzt neu zugeschnittenen Ministerien und deren positive Arbeit können wir nicht verzichten.
          Es ist unbestritten, dass beide grünen Ministerien in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet haben, in der Öffentlichkeit gut rübergekommen sind und dass wir dies auch in der Zukunft von ihnen erwarten können, wobei sich durch die neuen Themenfelder Stadtentwicklung, Kultur und Sport neue Möglichkeiten bieten.
          Fakt ist aber auch, dass uns die hervorragende Ministeriumsarbeit und die auch insgesamt von mir positiv bewertete vergangene Koalition nicht davor bewahrt hat, 2,9% unserer Stimmen zu verlieren. Angesichts der mit diesem Koalitionsvertrag sehr viel schwieriger werdenden Gesamtsituation, ist zu befürchten, dass wir in der Koalition zu einer Art Dame und Herr ohne Unterleib werden: gute Leute und gute Arbeit an der Spitze aber die Basis und die Wählerinnenstimmen bröckeln weiter ab, wegen all dem was wir mal eben so mitverantworten müssen.

        1. These: Wer die ganze Zeit mitverhandelt, darf anschließend nicht zum Ergebnis "nein" sagen!
          Die Partei (LPR) hat Barbara und mir den Verhandlungsauftrag gegeben. Diesen Auftrag haben wir angenommen und bis zum Schluss gewissenhaft ausgefüllt. Wir haben uns bemüht, in den Themenfeldern Arbeit, Gesundheit, Soziales, Frauen, Kinder, Jugend und Familie, für die wir die Verantwortung trugen, das Bestmögliche raus zu holen. Bei allen internen Beratungen haben wir allerdings betont, dass das Gesamtergebnis für uns nur tragfähig ist, wenn Clement sich bei der Raumordnung, beim Luftverkehr und beim Straßenbau nicht durchsetzt, sondern zum Kompromiss bereit ist.
          Ob man oder frau "ja" sagt zu einem Verhandlungsergebnis, das entscheidet sich immer, wenn das Gesamtergebnis auf dem Tisch liegt. Das ist so, wenn einem nach langem Gefeilsche der vom Händler genannt letzte Preis immer noch zu hoch ist, dass war beim ÖTV-Tarifvertrag so und das ist für uns jetzt beim Koalitionsvertrag so. Wer andere Spielregeln will, soll das sagen und mit der Partei diskutieren.

        1. These: Es ist WählerInnenbetrug, wenn man vor der Wahl sagt: Wer rot-grün will, muss grün wählen und danach die Koalition ablehnt.
          Richtig, wir haben für eine rot-grüne Koalition mit einem starken grünen Faktor geworben, aber es war auch klar, dass es dabei nicht um eine Koalition um jeden Preis gehen kann und dass bei der SPD die Bereitschaft zu einem Neuanfang auf gleicher Augenhöhe gegeben sein muss. Genauso gut könnte man sagen: Auf der Grundlage des grünen Programms ist der Koalitionsvertrag Betrug an unseren WählerInnen.
          Uns geht es aber nicht darum mit gegenseitigen Unterstellungen zu arbeiten, sondern wir müssen ein Verhandlungsergebnis bewerten und die daraus zu erwartenden Folgen für die grüne Partei.

        1. These: Wer jetzt den Koalitionsvertrag ablehnt, schädigt damit unsere besten Leute, die die Verhandlungsführung inne hatten.
          Das ist falsch! Nicht das mangelnde Verhandlungsgeschick unserer Leute sondern die Unbeweglichkeit der SPD und die fehlende Kompromissbereitschaft bei Clement und Co an für uns zentral wichtigen Punkten sind für das Ergebnis verantwortlich. Genauso wenig, wie der ÖTV-Vorsitzende Mai dafür die Verantwortung übernehmen muss, dass Otto Schily bei den Tarifverhandlungen keine akzeptable Erhöhung zugestanden hat, müssen z.B. Bärbel und Michael dafür gerade stehen, dass Clement sich stur gestellt hat. Das wäre absurd.

        1. These: Wir müssen auf jeden Fall eine sozialliberale Koalition verhindern!
          Der Wunsch eine FDP-Regierungsbeteiligung zu verhindern war auch für uns Motiv, in den Verhandlungen mit der SPD nicht vorschnell klein bei zu geben, sondern bis zum Schluss zu versuchen, das Bestmögliche rauszuholen. Als wesentliches Motiv für grüne Regierungsbeteiligung ist das aber zu wenig. Wir wollen schließlich nicht Verhinderungs- sondern Reformmotor sein. Trotzdem gilt es natürlich zu bewerten, was bei einer FDP-SPD-Koalition anders würde, welche Schäden zu erwarten sind. Die FDP hatte zwei Wahlbotschaften: Tempo, Tempo, Tempo, weg mit dem Stau und mehr Geld für Bildung. Viel mehr Tempo als die SPD uns in den Koalitionsvertrag diktiert hat, kann auch die FDP nicht machen und mehr Geld für Bildung wollen wir auch, haben wir auch ausgehandelt. Schaden nähmen wahrscheinlich unsere auf Chancengleichheit und demokratische Teilhabe orientierten Konzepte. Wenn die SPD sich darüber hinaus von der FDP Einschnitte ins soziale Netz abhandeln ließe oder frauenpolitischen Rückschritt vereinbaren würde, wäre das sicherlich schmerzlich. Aber es gilt dabei zweierlei zu bedenken:
          a) die Motivation der SPD gegenüber dem auch für sie wichtigen WählerInnenpotential unsoziale oder frauenfeindliche Politik zu verkaufen ist sicherlich begrenzt
          b) angesichts der zu erwartenden Finanzsituation sind schmerzhafte Einschnitte auch unter rot-grün wahrscheinlich. Das Verhalten der SPD in den Koa.-Verhandlungen lässt kaum Hoffnung aufkommen, dass für uns wichtige Förderprogramme geschont werden, im Gegenteil, gerade bei denen ist drastisches Einschneiden zu befürchten, zumal der Finanzminister dafür Sorge getragen hat, dass bei uns wichtigen Projekten im Koa.-Vertrag eher wage Formulierungen zu finden sind während bei teueren SPD-Anliegen klare definitive Aussagen getroffen werden.
          Auch wir wollen NRW nicht leichten Herzens Möllemann überlassen. Angesichts des vorliegenden Koalitionsvertrags bewerten wir aber das mit dieser rot-grünen Koalition verbundene Risiko für die grüne Partei höher, zumal Clement ja heute schon die Befristung dieser Koalition bis zur Bundestagswahl im Hinterkopf hat und das gute Verhältnis zu Möllemann weiter pflegen will.

        1. These: Die Ablehnung des Koalitionsvertrags gefährdet Rot-Grün in Berlin!
          Die rot-grüne Bundeskoalition hat nach anfänglichem Schlingern einen festen Tritt gefunden und trägt sich selbst. Rot-grüne Bundesratsmehrheiten gibt es nicht, können daher auch nicht gefährdet werden. Daher sehen wir keine Risiken für die Bundesebene. Zumal Schröder schlecht beraten wäre, zwei Jahre vor der Bundestagswahl eine Koalitionskrise samt Partnertausch herbeizuführen.

        1. These: Der Koalitionsvertrag ist eine gute Grundlage, wir müssen nur das Beste daraus machen und intelligente Strategien entwickeln.
          Der alte Koalitionsvertrag war an vielen Stellen besser. Aber auch in den vergangenen Jahren haben wir immer wieder feststellen müssen: Um das Beste daraus zu machen, brauchen wir die Kooperationswilligkeit unseres Koalitionspartners. Die ist heute weniger vorhanden, denn je. Auch noch so gute Strategien werden uns nicht vor den Blockaden und Alleingängen der NRW-SPD bewaren.

        1. These: Wer die Koalition ablehnt, hätte vorher aussteigen müssen, jetzt ist es zu spät!
          Wir haben in der Verhandlungskommission gemeinsam entschieden, uns nicht aus dem Saal provozieren zu lassen, sondern zu verhandeln und der LDK das Ergebnis vorzulegen. Diese Vorgehensweise entspricht unseren basisdemokratischen Strukturen. Die LDK muss entscheiden, ob der Koalitionsvertrag trägt oder nicht und ob die NRW-SPD ein vertrauenswürdiger Partner ist. Wer verlangt, dass die Ablehnung der Koalition zu einem frühen Zeitpunkt von wenigen Verhandlungsmitglieder getroffen wird, will eine andere Partei. Wir sind nach wie vor der Auffassung, derartig grundlegende Entscheidungen kann nur die LDK treffen und sie muss sie wirklich frei treffen können. Das hat sie vor fünf Jahren getan, das hat sie in Jüchen getan und das wird sie am Wochenende in Bonn tun.