JuLiA
Jugend will Veränderung !
von Christian Meyer (KV Holzminden), Marco Rieckmann (KV Lüneburg) und Philipp Hagenah
(KV Northeim)
GRÜNE ohne Jugend ?
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN laufen seit einiger Zeit die jungen WählerInnen davon. Dieser
Trend hat sich bei den letzten Landtagswahlen sowie der Europawahl '99 unter dem Rahmen
des grünen Regierungsprofils bedrohlich verstärkt. Der derzeitige Kurs von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN ist - wie immer mensch ihn auch bewertet - für junge Menschen nicht mehr
attraktiv.
In der Gruppe kritischer, veränderungsbereiter, nach Alternativen suchender Jugendlicher
haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch das derzeitig vermittelte Erscheinungsbild in der
alltäglichen Praxis viele Sympathien und Unterstützung eingebüßt.
Dieser Prozess einer gegenseitigen Entfremdung und mangelnden Kommunikation hat mehrere
Ursachen, die Bündnis 90/Die Grünen schrittweise überwinden müssen, um wieder Nr. 1
bei den kritischen und reformbereiten Jugendlichen zu werden.
Kritik und Protest äußern sich heute anders als noch vor Jahren, und die zunehmende
Wahlabstinenz für GRÜN durch diese Gruppe sollte allen Beteiligten zu denken geben, als
ein stilles, aber ernstes Zeichen für den Wunsch nach Veränderung.
Dieses Papier will einige Probleme beschreiben und erste Antworten und Vorschläge für
eine Veränderung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sinne junger, kritischer Menschen geben.
Es soll aber nur der Anfang und die Grundlage für eine ernsthafte, breite und
vielfältige Debatte im Landesverband sein, die durch den Ausfall der Jugend-LDK zunächst
auf das Frühjahr 2000 verschoben wurde.
Zur Frage der inhaltlichen/thematischen Ausrichtung und Positionierung von BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN verweisen wir auf das Papier "Raus aus der neuen Mitte! - Wege zu einem
klaren grüne Profil", das wir an dieser Stelle grundsätzlich begrüßen.
Dieses Papier beschäftigt sich im Unterschied dazu eher mit den Grundlagen, Strukturen
und Profilveränderungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter jungen Leuten, um
Wiederholungen im inhaltlichen/programmatischen Bereich zu vermeiden.
Junge Zielgruppen der GRÜNEN: Angepaßt oder alternativ ?
Bündnisgrüne Politik kann nicht alle Jugendlichen gleich erreichen. Die Erwartungen und
politischen Vorstellungen der Jugend sind bunt und verschieden. DIE Jugend gibt es nicht.
Und DIE Jugend hatten wir - auch in noch so glorreichen Zeiten - nie vollständig auf
unserer Seite. Für verändernde, alternative Politik müssen wir die Gruppe der
kritischen, veränderungsbereiten Jugend wieder zurückgewinnen und unseren Rückhalt dort
verbreitern. Diese kritischen, veränderungsbereiten und fortschrittlichen jungen Menschen
gilt es für grüne Politik (wieder) zu begeistern, wenn grüne Politik Zukunft haben
soll.
Nur mit dieser jugendlichen Basis können wir über kampagnenfähige Überzeugungsarbeit,
attraktive Kommunikation und konkrete Erfolge, weitere Jugendliche für Grüne Politik
gewinnen, ohne uns inhaltlich zu verbiegen.
"Was schert mich mein Programm "von gestern" ?"
Das derzeitige Regierungsprofil
Die Partei vermittelt sich derzeit in der Regierungsbeteiligung Jugendlichen überwiegend
als eine opportunistische Kraft, die wenn es um die Macht geht, alles abnickt und
vergisst, was sie einmal gefordert und versprochen hat. Alles was einer machtbewußten,
opportunistischen Regierungspolitik im Wege steht wird abgeräumt: Von der Frauen- und
Ostquote bei den MinisterInnen über den Grundsatz des Antimilitarismus und der
Gewaltfreiheit bis hin zum Primat der Ökologie. Was vor der Wahl noch auf Plakaten stand
- von "Wähl Grün und Du mußt nicht zum Bund" bis zu "Atomausstieg mit
Sicherheit" - war plötzlich nicht ganz so gemeint. Das kennen Jugendliche von
anderen Parteien - bei Grüns ist es neu.
Die Substanz und Glaubwürdigkeit grüner Reformpolitik sinkt dadurch beträchtlich. Da
ist es kein Wunder, wenn die nur halbherzige gesellschaftliche Mobilisierung für
durchgreifende Reformvorhaben wie den Doppelpaß oder den Atomausstieg eher mau ausfällt.
Vier Schritte zur Revitalisierung der Partei:
Step 1: Glaubwürdigkeit erneuern !
Bündnis 90/Die Grünen waren für viele Jugendliche die Alternative zu den herkömmlichen
Parteien. Die Grünen waren anders, frech und alternativ und stellten die Verhältnisse
grundlegend in Frage. Dieses "fortschrittliche Alternative sein" muss wieder zu
einem Markenzeichen bündnisgrüner Politik werden.
Unsere modernen Werte wie Ökologie, globale Solidarität, Gleichstellung, demokratische
Emanzipation, Menschenrechte und Frieden sind gerade unter der Jugend nicht out, sondern
leiden unter einem Glaubwürdigkeitsmangel. Durch zunehmende Anpassung an hergebrachte
Politikinhalte und -stile hat Bündnis 90/Die Grünen Glaubwürdigkeit eingebüßt.
Zwischen den auch bei uns vorkommenden Wahlversprechen und der überwiegend praktizierten
Politik in Koalition und Opposition klafft in letzter Zeit eine schwer zu vermittelnde
Kluft, die mit Akzeptanzverlusten bei veränderungswilligen JungwählerInnen einhergeht.
Die Unterscheidung zwischen Anpassung und Kompromiss, zwischen Aufgabe von Zielen und
inhaltlicher Erneuerung wird gerade für jugendliche Nicht-PolitikexpertInnen immer
schwieriger und führt zu Resignation, Frust und fehlender Glaubwürdigkeit. Die fehlende
Konsequenz inhaltlicher Forderungen und auch das beliebig erscheinende Aufgeben von
Politikzielen hemmen unsere Mobilisierungs- und Motivierungsfähigkeit, die für wirksame
Kampagnen unerlässlich sind. Anstatt unsere Vorstellungen in die Gesellschaft zu tragen
und Menschen von unseren Positionen zu überzeugen, werden eindeutige Niederlagen, wie
z.B. bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, zu Erfolgen umdefiniert. Nur wenn
erkennbar wird, dass Ziele aufgrund der Gegenwehr der SPD nicht umgesetzt werden können
und diese von Bündnis 90/Die Grünen aber trotzdem weiter verfolgt werden, bleiben wir
glaubwürdig.
Nicht unsere Ziele und Forderungen stoßen auf mangelnde Zustimmung, sondern der
notwendige Glauben an eine wenigstens in Kernbereichen konsequente Vertretung durch
Bündnisgrüne Funktionsträger geht zurück. Standhaftigkeit statt Einknicken ist gefragt
und gerade bei der Jugend zustimmungsfähig.
Step 2: Offenheit und Basisdemokratie vermitteln !
Bündnis 90/Die Grünen haben immer andere, offenere Strukturen als die anderen Parteien
gehabt. Dies geschah vor allem in dem Bewusstsein, dass das verknöcherte, reglementierte
und hierarchische Gebaren der "Altparteien" vor allem Jugendliche abschreckte
und abschreckt. Deshalb gab und gibt es bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erfolgreiche Ansätze
für alternative und vor allem offenere Strukturen. Ämtertrennung, Frauenquote, Rotation,
Öffentlichkeit von Sitzungen, SprecherInnen statt Vorsitzenden, imperatives Mandat und
die Mitarbeit und Einbindung auch von Nicht-Mitgliedern sind Beispiele dieser
basisdemokratischen Ansätze.
Diese weitgehende Offenheit grüner Strukturen ist einer unserer Pluspunkte bei der
Einbeziehung gerade von Jugendlichen, und wir sollten diese besser vermitteln anstatt sie
falschem Opportunismus preiszugeben. Leider ist die uns auszeichnende Offenheit, die auch
die effektiven Möglichkeiten der Beteiligung für neue Leute bei Bündnis 90/Die Grünen
einschließt, Stück für Stück zurückgegangen.
Die anderen Parteien haben überwiegend weit größere Probleme mit dem jugendlichen
Nachwuchs als Bündnis 90/Die Grünen, deshalb wäre billige Nachahmung verheerend.
Offene und basisdemokratische Strukturen sind für reformwillige, querdenkende und
kritische Jugendliche attraktiver als autoritäre, geschlossene Systeme. Die Hierarchien,
Nicht-Zuständigkeiten und obrigkeitliche Besserwisserei der anderen Parteien brauchen wir
nicht. Jugendliche wollen keine festen Strukturen, starre Regeln und gleichen Trott.
Veränderung, Flexibilität (im Verfahren) und echte Mitwirkung sind attraktiv.
Deshalb sollten wir unsere alternativen - sich von den anderen Parteien abgrenzenden
(Profilgebung!) - Strukturen nicht anpassen, sondern erneuern und ausbauen in Richtung
stärkerer Partizipation und Offenheit von unten.
Auch die zeitliche Begrenzung von Ämtern und Funktionen ist für NeueinsteigerInnen und
Jugendliche innerhalb oder außerhalb der Partei von großer Bedeutung. Denn permanente
personelle Erneuerung schafft frischen und jungen Wind und Ideen in die Parlamente und
Vorstände. Diese einzigartige Attraktivität der Grünen Partei sollten wir nicht
ungezügeltem Personenkult oder erstarrender Verkrustung opfern.
Offene Mitwirkung und Einbeziehung der Jugend ist gefragt, statt Ausgrenzung manchmal
unbequemer, neuartiger Lebensperspektiven.
Step 3: Grüne Politik muß wieder unterscheidbarer werden !
Bündnis 90/Die Grünen sind immer weniger die Alternative zu den herkömmlichen,
althergebrachten Parteien. Neue Ideen, kritische Denkanstöße und andere Wege zeichneten
und zeichnen Grüne Politik aus. Gerade Jugendliche sind für neue Politikansätze offen
und begeisterungsfähig.
Bündnis 90/Die Grünen müssen in Zukunft wieder unterscheidbarer werden. Auch und gerade
in Koalitionen müssen Unterschiede und Abgrenzungen zu den anderen Parteien und ihren
Politikinhalten und -stilen deutlich erkennbar werden. Ohne klares Profil gibt es keine
Akzeptanz oder Zustimmung unter jungen WählerInnen. Es muß klar sein, für welche
Inhalte Bündnis 90/Die Grünen stehen und welche Umsetzungen sie in Opposition oder
Regierung erreichen wollen und erreicht haben. Grüne Erfolge und inhaltlichen Ziele
müssen erkennbar und besser vermittelt werden. Dies geht in unserer Medienlandschaft nur
durch Abgrenzung und Streit. Über Harmonie wird leider nur unzureichend berichtet.
Bündnis 90/Die Grünen müssen auch innerparteilich weiterhin streiten und diskutieren.
Das macht eine lebendige und für Jugendliche attraktive Partei aus und sorgt für
permanente zukunftsfähige Weiterentwicklung grüner Ideen. Fairer Streit um die Sache
statt um Personen ermöglicht kritischen Jugendlichen eine eigenständige Positionierung
auf der Grundlage der bündnisgrünen Werte.
Ein Hinterherlaufen hinter dem angeblichen gesellschaftlichen "Mainstream" wird
dabei immer nur zum zweiten Platz, aber zu keiner Stimme, geschweige denn aktiven
Unterstützung, führen !
Step 4: Das Unmögliche möglich machen !
Attraktive Politik braucht Fernziele, Utopien einer anderen, besseren Welt, für die es
sich einzusetzen lohnt. Eine Partei braucht diese langfristigen Visionen, um in der
Alltagspolitik nicht unterzugehen. Dabei darf es aber keine Trennung zwischen
"realer" Alltagspolitik in Regierungen und Parlamenten und "irrealen
Visionen für die Parteibasis" geben. Grüne Ziele wie "eine Welt ohne
Armeen", "der Sieg über Hunger und Armut" oder eine "vollständig
ökologische Energieversorgung" müssen bei jedem Schritt im Blick behalten werden.
Die pragmatische Auseinandersetzung um die Wehrpflicht betrifft dabei auch die
grundsätzliche Militarisierung der Gesellschaft, die Aufstockung des
Entwicklungshilfeetats verbessert das Leben vieler Menschen und ein zu dürftiges
ökologisches Umsteuern gefährdet das globale Klima und das Überleben der Menschheit.
Deshalb darf es bei grüner Politik keine inhaltliche Beliebigkeit nach Meinungsumfragen
und Medienstimmungen geben, sondern eine Ausrichtung an den Fernzielen. Ohne dem Ziel
einer feministischen, ökologischen, sozialen, gewaltfreien und basisdemokratischen Welt
wäre eine grüne Reformpartei überflüssig. Viele zunächst abgetane und verächtlich
gemachte Utopien wurden später Realität : Von der Abschaffung der Monarchien, der
Einführung des Sozialstaates bis zum Fall der Berliner Mauer.
Für Jugendliche sind langfristige Utopien und Leitbilder für die grundlegende politische
Ausrichtung wichtiger als pragmatische Alltagspolitik. Zunächst kommt das Ziel, dann die
konkrete Umsetzung.
Deshalb müssen wir die Ziele grüner Politik mehr in den Vordergrund stellen. Jugendliche
müssen grüne Leitbilder besser vermittelt bekommen. Zunächst muß klar werden, daß der
Treibhauseffekt und die Klimakatastrophe gerade junge Leute immer stärker bedrohen wird
und das der zunehmende Autoverkehr daran einen immer größeren Anteil hat. Erst dann
können die Notwendigkeit und ökologische Richtigkeit von Benzinpreiserhöhungen
glaubhaft vermittelt und verstanden werden.
Deshalb dürfen die Fundamente grüner Politik nicht vergessen werden. Wir können nicht
verlangen, dass Jugendliche von sich aus die komplette Parteigeschichte der Grünen und
ihre Leitbilder und Ziele kennen. Stattdessen müssen wir täglich aufs neue Utopien auch
gegen den Medienmainstream vermitteln. Umwelt mag zwar in den Medien out sein, jedoch ist
die reale ökologische Bedrohung weiter am wachsen. Nur weil nicht mehr permanent tausende
von Menschen vor den Atomkraftwerken demonstrieren, ist das Risiko eines Super-GAUs nicht
geringer geworden.
Grüne Realpolitik sollte sich deshalb eher dadurch auszeichnen, Realitäten wie die
zunehmende Umweltzerstörung, Verarmung und Ausgrenzung breiter Bevölkerungskreise
anzusprechen und nicht irreale Pseudo-Debatten über Liberalismus und angeblich mangelnde
Wirtschaftsnähe zu führen.
Grün ist die Zukunft - und die Jugend !
Bündnis 90/Die Grünen müssen wieder stärker auf kritische und alternative Jugendliche
zugehen und im Dialog mit ihnen stehen, um eine langfristige Zukunft zu haben. Ohne
überzeugte und engagierte junge Menschen erstarrt und erlahmt jede Partei.
Nur durch eine Neubesinnung auf Glaubwürdigkeit und Offenheit können wir unsere Chancen
bei der Jugend wieder verstärken. Die inhaltlichen Grundwerte und Konzepte von Bündnis
90/Die Grünen haben Zukunft - auch und gerade bei der Jugend und müssen weiterentwickelt
werden : Gleichstellung der Geschlechter, ökologische Lebensweise, Frieden und
Menschenrechte, Solidarität mit den Schwachen, Emanzipation von Homosexuellen, Rechte der
MigrantInnen u.v.m. - noch nie war eine gesellschaftliche Akzeptanz für grüne Werte
unter der Jugend so hoch wie heute. Nutzen und verstärken wir sie - das ist unser Ziel!
Kontaktadressen :
Christian Meyer (24, KV Holzminden)
Tel. & Fax : 05531-6912, email: Christian.Meyer.GAJB@t-online.de
GAJB-Mitglied im Länderrat von Bündnis 90/Die Grünen, Fraktionssprecher im Kreistag
Marco Rieckmann (21, KV Lüneburg)
Tel.: 04131-732098, email: 15883@mail.rz.uni-lueneburg.de
Schatzmeister im Landesvorstand der Grünen Jugend Niedersachsen
Philipp Hagenah (19, KV Northeim-Einbeck)
Tel.: 05561-73246, Mitglied im Landesvorstand der Grünen Jugend Niedersachsen
Bisherige UnterstützerInnen : Swaantje Fock (26, KV Osnabrück), Katja Dörner (23, KV
Bonn), Markus Beckedahl (22, KV Rhein-Sieg), Sabine Kiel (35, KV Hannover-Stadt,
Sprecherin BAG Wissenschaft und Hochschule), Kolja Knust, (17, KV Hannover-Stadt), Jan Korte (22, KV Osnabrück-Land), Christopher Schmidt (22, KV
Soltau-Fallingbostel, Fraktionssprecher im Kreistag), Willi Wrensch (21, KV Braunschweig),
Julian Bierwirth (23, KV Northeim-Einbeck), Florian Hanisch (19, KV Holzminden, Mitglied
im Kreisvorstand), Konstantin Knorr (18, KV Hannover Land), Niklas Forreiter (KV
Göttingen, Mitglied im Kreisvorstand), André Schneider (19, KV Northeim-Einbeck), Katja
Husen (23, KV Braunschweig, Sprecherin des GAJB), Stieg Tangmann (16, Grüne Jugend
Göttingen)