Grüne nach der Europawahl - eine erste Analyse
Die ersten Hochrechnungen zur Europawahl lagen gerade mal eine Stunde vor, da erkärte die Grüne-Vorstandssprecherin Gunda Röstel in der ElefantInnenrunde von ARD und ZDF, dass mit dem grünen Wahlergebnis das vorübergehende Tief bei den Bündnisgrünen überwunden und das jetzige Wahlergebnis schon wieder dem der Bundestagswahl entspräche. Renee Krebs, niedersächsische Landesvorsitzende, legte zwei Tage später in der Hannoverschen-Allgemeinen Zeitung (HAZ) vom 15.06.99 in ähnlicher Weise nach. "Ein Ergebnis , mit dem zumindest die niedersächsischen Grünen zufrieden sein können, (...) die Tendenz für die Partei sei aber steigend."
Wie solide sind diese Aussagen, wenn sie mit den nackten Fakten konfrontiert werden?
Prozentual sank das grüne Stimmenergebnis von 10,1 % (letzte
Europawahl 1994) auf 6,4 % ab, einen höheren prozentualen Verlust als 3,7 % hatte keine
andere Partei aufzuweisen. Noch drastischer und klarer wird es, wenn mensch die absoluten
Stimmen vergleicht, da die diesmalige deutlich geringere Wahlbeteiligung rein mathematisch
das prozentuale Ergebnis geschönt hat. Die Stimmen für Bündnis 90/DIE GRÜNEN in
Niedersachsen verringerten sich um knapp
50 % von 298 780 auf 158 838. In 37 Wahlkreisen lag Grün selbst bei dieser geringen
Wahlbeteiligung unter 5 %. Frühere grüne Hochburgen wie Göttingen verzeichnen Verluste
von über 5 %.
Unterzieht mensch die Wahlergebnisse einer ernsthafteren Analyse
unter Berücksichtigung einer sich verändernden grünen Mitglieder- und
WählerInnenstruktur, dann bleibt folgendes anzumerken:
· Die früheren hohen prozentualen grünen Ergebnisse bei Europawahlen resultierten im
wesentlichen auf der im Vergleich zu anderen Parteien erheblich höheren
Mobilisierungsfähigkeit der grünen StammwählerInnen. Dies hatte eine positive
Signalwirkung für Nachfolgewahlen als auch ein Plus für die grünen Finanzen
(Wahlkampfkostenrückerstattung ) zur Folge. Diese Mobilisierung ist diesmal aus diversen
Gründen (Kriegshaltung, unbefriedigende Rot-Grün-Ergebnisse) nicht gelungen mit den
damit verbundenen Konsequenzen.
· Berücksichtigt mensch ferner, dass es für Bündnis 90/DIE GRÜNEN auch Zugewinn durch "Fischermans Fans" aus der sogen. politischen Mitte gegeben hat, dann liegt die Zahl der "zu Hause gebliebenen" GrünwählerInnen sogar bei deutlich über 50 %.
· Der Grüne Wahlkampf war geschwächt durch die Weigerung zahlreicher Parteigliederungen, sich wegen der genannten Gründe inhaltlich und organisatorisch am Wahlkampf zu beteiligen. Hinzu kommt, dass es sich beiden derzeit rd. 200-250 Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten allein in Niedersachsen aus den Grünen ausgetreten sind, sehr oft um Ex-Grüne handelt, die sich in der Vergangenheit besonders intensiv - sowohl inhaltlich als auch organisatorisch - bei den Grünen engagiert haben. Die fehlten nun.
· Die PDS hat trotz leichter Zunahme in den alten Ländern der
BRD den Großteil der früheren GrünwählerInnen - auch als Proteststimme - nicht für
sich gewinnen können - obwohl es in einzelnen Wahlbezirken wie Hannover-Linden (ehemals
grüne Hochburgen) sogar zweistellige PDS-Ergebnisse gab. Die Ex-GrünwählerInnen sind
aber auch nicht bei anderen Parteien
gelandet, sondern schlicht bei dieser Wahl zu Hause geblieben.
Lt. HAZ vom 15.06.99 "mehren sich in jüngster Zeit bei den Grünen die Stimmen, dass es vielleicht ein Fehler sein könne, wenn die Partei programmatisch zu sehr in die Mitte dränge und die linke Seite zu sehr der PDS überlasse." Gunda Röstel hat in der besagten ElefantInnenrunde stattdessen die Parole ausgegeben, sich weiter in Richtung Mitte zu bewegen.
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Magaretha Wolff hat dem noch die Spitze aufgesetzt und im Gegensatz zu vielen aktiven GewerkschaftlerInnen sowie linken Sozialdemokraten ausdrücklich das neoliberale Schröder/Blair-Papier begrüßt (FR v. 15.6.99). Und von der bisher als "ausgleichend" beschriebenen Heide Rühle sind nun neuerdings auch andere Töne zu hören, so schreibt die Welt v. 10.6.99 " Die überraschendsten Worte fielen leise. Heide Rühle, EU-Spitzenkandidatin der deutschen Grünen, forderte am Rande ihrer Wahlveranstaltung einen endgültigen Bruch mit den Linken in der eigenen Partei. "Wir können nicht mehr für beide Seiten offen sein", sagte jene Frau, die über Jahre hinweg als Bundesgeschäftsführerin der Grünen versucht hatte, Fundis und Realos zu einen. Nie konnte Heide Rühle deshalb einem Flügel zugerechnet werden. Befreit vom Dilemma des Amts und erzürnt über die "Weltfremdheit bei Teilen der Grünen" sprudelt es nun, wenige Tage vor der Wahl, aus ihr heraus: "Der Spagat zerreißt uns. Die Grünen müssen sich jetzt entscheiden, wofür und nicht wogegen sie sind. Deutschland darf sich nicht mehr aus der Weltpolitik heraushalten."
Mensch braucht kein(e) ProphetIn sein, um zum Schluss zu kommen, dass mit einer solchen grünen Politik die Erosion der Partei an ihrem linken Rand sich zukünftig noch verstärken wird. Die Attraktivität des grün-alternativen Netzwerkes sowie seine Notwendigkeit wird durch diese Entwicklung dagegen weiter wachsen.
Felicitas Weck