Die schleichende Mutation von "Alternative - Die
Grünen"
Einige Ideenskizzen zur möglichen Rettung/Wiederbelebung eines
links-ökologischen Projektes (10.9.99)
Adelheid Winking-Nikolay, parteilose Landtagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein, die wegen
des Rechtskurses ihrer ehemaligen Landtagsfraktion dieser sowie B`90/Die Grünen im März
99 den Rücken kehrte, hat einen neuen Begriff geprägt: Sie spricht nur noch von Bündnis
90/Die Gelben. (siehe auch taz Hamburg vom 23.08.99). Kürzer und prägnanter läßt sich
die Entwicklung der ehemaligen grünen Partei kaum beschreiben. 20 Jahre nach der
Herausbildung einer Grünen Partei ist es notwendig, das zwangsläufig bittere Fazit zu
ziehen: Das originäre grüne Gesellschaftsprojekt in Deutschland ist (vorerst?)
gescheitert.
Bielefeld - Die grüne Wende oder nur eine - zweifelsohne markante Etappe - einer sich
schon länger abzeichnenden Entwicklung?
In der taz vom 21.05.99 hat Charlotte Wiedemann eine Woche nach dem Bielefelder
"Kriegsparteitag" unter der Überschrift "Partei der Lähmung, über die
einstigen Alternativen, die sich heute alternativlos an die Macht klammern",
folgendes Resümee gezogen:
"Die Partei ist nicht tot, sie zerfällt nicht in zwei Hälften und sogar die
Niederlage bei der kommenden Europawahl wird nun vielleicht etwas voreilig prognostiziert.
Aber der Krieg verändert die politische Landschaft und er verändert am meisten die
Grünen. Besser gesagt: Er beschleunigt Entwicklungen, macht sichtbar, was vorher noch
verschwommen erschien."
Was viele gedacht - einige auch gehofft haben - die Partei hat sich an der Kriegsfrage
nicht gespalten. Ein zahlenmäßig kleiner Personenkreis - darunter allerdings
größtenteils früher besonders aktive Grüne - hat die Partei verlassen, ein größerer
Teil der Bielefeld-KritikerInnen verharrt in politischer Emigration, ein weiterer Teil
kündigt "den innerparteilichen Burgfrieden", verbleibt aber zunächst in der
Partei. Die Europawahlen hätten für B`90/die Grünen noch schlimmer kommen können, die
Konturen von B`90/Die Gelben werden sichtbarer. Die taz-Autorin hat auf ganzer Linie Recht
behalten.
Bielefeld war nicht der Anfang, aber ein wesentlicher Katalysator für die Beschleunigung
des Niedergangs der grünen Partei. Bereits der an sich begrüßenswerte Ansatz der
Grünen Partei, nach dem Zerfall der DDR nicht im Kolonialistenstil wie CDUSPDFDP der
dortigen Bevölkerung das westdeutsche Parteiensystem überzustülpen, sondern - auch im
Namen gleichberechtigt - einen demokratischen Zusammenschluss zu Bündnis 90/die Grünen
zu erreichen, wurde von den sog. Realos in der Partei zielgerichtet genutzt, die grüne
Partei an den gesellschaftlichen Mainstream heranzuführen. Bisherige einigermaßen klare
Analysen des kapitalistischen Gesellschaftssystems der BRD in grünen Wahlprogrammen
wurden mit Rücksicht auf "unsere bündnisgrünen Brüder und Schwestern im deutschen
Osten" weichgespült, um diese angeblich nicht sozialistisch zu verschrecken.
Die Entwicklung bekam drive. Der inhaltlich richtige, aber dilletantisch der
Öffentlichkeit erläuterte und noch dilletantischer zurückgenommene Magdeburger
5-DM-Benzinbeschluss machte deutlich, die Grünen sind erpressbar, wenn das "gesunde
Volksempfinden" Druck macht. Eine Lektion, die Oberautomann Gerhard Schröder vorher
begriffen hatte und spätestens seitdem gnadenlos ausnutzt. Praktisch als Buße für die
Magdeburger "Radikalität" musste sich Grüns im Bundestagswahlkampf besonders
kompatibel zum herrschenden Mainstream zeigen. Keine Forderung mehr nach sofortigem
Atomausstieg, nach Abschaffung der NATO oder einem arbeitsmartktwirksamen Abbau der
Wochenarbeitszeit. Stattdessen z.B. Forderungen nach Senkung des Spitzensteuersatzes und
was man in den Chefetagen der deutschen Konzerne noch so gerne hörte. Dafür gab es von
dort auch Lob: "Die Grünen sind erwachsen geworden."
Als in Bielefeld von der Parteitagsmehrheit die wesentliche grüne Grundsäule
"Antimilitarismus und Pazifismus" gefällt wurde, gab es kein Halten mehr.
Nahezu jede Woche wurde von den sog. Realos mit großem Medienspektakel eine neue Sau
durchs Dorf getrieben, noch vorhandene urgrüne Triebe und Wurzeln gezielt zerstört. Die
Taktik ist immer die gleiche. Hardcore-Realos fordern als sog. "Junge Wilde" die
Säuberung der Partei von allen "68-er Positionen und Personen", die
niedersächsische grüne Landtagsabgeordnete Silke Stokar fordert laut Braunschweiger
Zeitung vom 5.7.99 einen "grünen" Verfassungsschutz, hessische Grüne wollen
Joschka zum Parteihäuptling machen, Oswald Metzger und Co. fordern Jürgen Trittins
Rücktritt als Bundesumweltminister - diese Punkte werden zumindest kontrovers in der
Partei andiskutiert. Völlig unter geht dabei, dass praktisch nebenbei weitere wichtige
ehemalige grüne Positionen geschliffen werden. Dies wird von den Linken innerhalb der
Grünen zwar kritisiert, findet in der Öffentlichkeit aber bei weitem weniger Resonanz
als die Bielefelder Auseinandersetzungen.
Ø "Das gentechnisch-kritische Profil der Grünen ist nicht erkennbar" urteilt
Greenpeace in der FR vom 30.7.99.
Ø "In der Partei verbreitet sich die Ansicht, Integrationspolitik ist ein Randthema;
allein das Thema scheint einigen in der Partei schon lästig. Sie denken, mit der
"Reform" des StaatsbürgerInnenrechtes und ein paar Alibiausländern sei
Integration erledigt" schreibt Atti Özdemir, Vorsitzender der grünnahen
MigrantInnenvereinigung "Immigrün" in der taz vom 31.8.99 und verläßt
enttäuscht die Partei.
Ø Festschreibungen von mindestes 25 Jahren Laufzeit für AKW`s werden inzwischen von
vielen Grünen für erstrebenswert gehalten,- schließlich will die SPD ja mindestens 35
Jahre.
Ø Klammheimlich wird von der Grünen Bundestagsfraktion auf ursprüngliche finanzielle
Ausgleiche zur "Ökosteuer" für Arbeitslose, Geringverdienende, RentnerInnen
und StudentInnen verzichtet.
Ø Der Schrödersche Rentenbetrug wird von der Fraktionsmehrheit als noch nicht weitgehend
genug bezeichnet, usw. usw.
Ø
Linke Fraktionsgrüne kündigen nun den Widerstand gegen den sozialen Kahlschlag an, aber
in der Wortwahl weit weniger scharf als beispielsweise der ehemalige saarländische
Ministerpräsident Reinhard Klimmt (SPD). Auch das sollte mal innergrüns zum Nachdenken
führen.
Wie weiter und ob überhaupt weiter?
Wohlwissend, dass ich ggf. nach dem Motto "Die größten Kritiker der Elche waren
früher selber welche" für manche, insbesondere engagierte Linke, die (noch?) in den
Grünen arbeiten, einige Punkte zu pointiert rübergebracht habe, die Quintessenz lässt
sich nicht leugnen. Das originäre grüne Projekt ist gescheitert, ob B`90/Die Grünen in
der Mitte überleben werden, ist nicht erst seit den Wahlen vom 5.9.99 zumindest offen
(Stand dieses Artikels 9.9.99). Marginalisierung im Osten der Republik, Verlust der
StammwählerInnen im Westen, die 5 %-Hürde wird für die Partei wieder zur
Schreckensbarriere. Wenn die Vorhersage für einen 6-er im Lotto doch auch so einfach
wäre.
Vordergründig sollte es für Menschen, die mit B`90/Grüne gebrochen haben, egal sein,
was mit dieser Partei zukünftig passiert. Doch es geht viel mehr "über den
Deister", wie es in der "Hannöverschen" Region heisst: Alternative
Strukturen jenseits der Partei, emanzipatorische Erfolge, entwickelt aus der 68-er
Bewegung, werden in einen Topf geschmissen mit dem Scheitern von B`90/Grüne und von der
angepassten Gesellschaft gleich mitentsorgt. Und die vorbereitende Drecksarbeit für
dieses gesellschaftliche Rollback haben entscheidende Kräfte innerhalb der grünen Partei
selbst eingeleitet. "Die Konterrevolution frißt ihre eigenen grünen Kinder, sie
werden nicht mehr gebraucht".
Was kann sich aus dem grünen Scherbenhaufen im Westen und der grünen Nichtexistenz im
Osten der Republik überhaupt entwickeln? Patentlösungen gibt es sowieso nicht und der
weitverbreitete Frust in und ausserhalb der grünen Dissidenten verhindert auf absehbare
Zeit die kritische Masse für einen linksökologischen organisatorischen Neuanfang als
Partei. Zwischenlösungen sind gefragt, von denen nachfolgend einige stichpunktmäßig
angerissen werden:
a) Grün-Alternatives Netzwerk: Die Grundbausteine sind verfügbar: Regenbogen Hamburg,
grünlinks Niedersachsen, das Ruhrgebietsbündnis, Linke Liste Berlin,
Basisgrüninitiativen in weiteren Bundesländern. Nach dem nicht so geglückten Start in
Dortmund soll jetzt ein neuer Versuch einer bundesweiten Vernetzung versucht werden. Auch
das Spektrum der bisherigen AnsprechpartnerInnen muss erweitert werden. Ich denke an die
SPD-Linke - ja, die gibt es vereinzelt noch - , von denen ebenfalls etliche eine neue
politische Heimat suchen. Und das Niveau der Diskussion in und um die SPD-Linke - so z.B.
zum Jugoslawienkrieg in ihrer "Zeitung für Sozialistische Politik und Wirtschaft
3/99" - könnte das angestrebte Netzwerk inhaltlich anreichern.
Die objektiv vorhandenen "Berührungsängste" zwischen Grünen, Nichtgrünen und
insbesondere den Nichtmehrgrünen, sowie ärgerliche persönliche Animositäten und
Schratigkeiten müssen in diesen Bündnissen überwunden werden. Das wird nicht einfach,
aber selbst wenn es gelingt, was folgt danach?
b) Das Modell "Olivenbaum" oder "Regenbogen bundesweit" (habe ich im
Grünlinks-Niedersachen-Rundbrief Juni 1999 beschrieben), beinhaltet die sicherlich nicht
einfache Übertragung des italienischen Olivenbaumbündnisses auf die Bundesrepublik, ein
Wahlbündnis von bereits existierenden sich als linksökologisch verstehenden
Organisationen, Teilorganisationen und Einzelpersonen bei Wahrung ihrer jeweiligen
politischen Eigenständigkeit. Ein grünalternatives Netzwerk könnte für dieses Modell
ein wichtiger Bestandteil sein.
c) Das "Tschiesche-Modell". Der ehemalige Fraktionsvorsitzende von Bündnis
90/Die Grünen im Sachsen-Anhaltinischen Landtag Hans-Joachim Tschiesche machte vor Jahren
im SPIEGEL den Vorschlag, die Grünen als Westpartei und die PDS als Ostpartei zu einer
gemeinsamen linken ökologischen Partei zusammenzubringen. Die durch einen solchen
Zusammenschluss erfolgenden Absplitterungen auf beiden Seiten der Parteien würden einem
solchem Zukunftsprojekt nur förderlich sein. Eine gewagte Option, die vermutlich am
parteiorganisatorischen Egoismus beider Parteien scheitern würde.
d) Aufbau einer linken Opposition innerhalb der Grünen. Meines Erachtens nach ist dieser
Zug längst abgefahren.
e) Unmittelbarer Aufbau einer neuen Grünen Partei. Der Weg in eine Sekte und ein
zusätzliches Maß an Frustration ist höchstwahrscheinlich.
f) Stärkung der bisher noch nicht sehr starken ökologisch ausgerichteten Kräfte in der
PDS. Ggf. eine Option für einige, aber wahrscheinlich derzeit für die meisten keine
Lösung. Andre Brie, von den Medien als Chefideologe der PDS bezeichnet, spricht von einer
kulturellen Barriere zwischen der grün-alternativen Bewegung in Westdeutschland und der
ostgeprägten PDS. Da müssten sich beide Seiten massiv bewegen, um diese Hürde zu
überwinden, z.B. über das Modell "Olivenbaum".
Es gibt keine einfachen Lösungen. Trotzdem: Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde
Vögel fliegen!
Michael Braedt, Clausthal-Zellerfeld (Grünlinks Niedersachsen)