Heidi Meinzolt-Depner


LANDESVERSAMMLUNG in LINDAU 10./11.7 99
- Beitrag zur allgemeinen Aussprache -


Liebe Freundinnen und Freunde aus alten und jungen Tagen,

mit schöner Regelmäßigkeit finden bayrische Landesversammlungen im Sommer in
Lindau statt und jedesmal, 1991/94/97 - das habe ich gerade noch einmal in
Presseausschnitten nachgelesen - ist der Tenor fast identisch ( z.B. Zitat
Lindau 94): "Grüne gehen wieder auf Reformkurs !"
Und so steht auch heuer wieder die "Runderneuerung" mit Strukturveränderungen
auf dem Plan. Das könnte fast so etwas wie ein politisches Heimatgefühl
bedeuten, aber das Gegenteil ist der Fall: ich frage mich, auf welchem
Demokratieverständnis beruht diese stete Neuauflage eigentlich?

Die Parteiführung - und nun auch eine Kommission - legen immer wieder die
Strukturreform vor - jedes Mal wird sie mit Mehrheit und begründet abgelehnt
- schließlich soll die Partei, mit kräftiger Medienunterstützung, genügend
weichgeklopft sein, so daß man sich Hoffnungen machen darf, sie durchzubringen.

Und da schreiben die Jungen Kritiker der sog. "2. Chance", die Zeiten hätten
sich geändert! Ja, wer von uns ist denn da von vorgestern?

Es könnte doch auch sein, daß viele Menschen ein Profil der Partei wollen, das
sie von anderen Parteien unterscheidet; es könnte z.B. sein, daß Grüne nicht die
ewig gleichen Gesichter und wohltemperierten Reden der durchgestylten
Berufspolitiker wollen - der Profis, die dann doch nur das sagen können, was
die Toleranzspanne zuläßt, die uns die globalisierte Industrielobby und ihr
Generalvertreter Schröder vorgeben.

Die bedeutendste Quote zur Listenaufstellung haben inzwischen diejenigen, die
schon in den Parlamenten sind - wozu dann ständig von Mißtrauenskultur reden?

Eine kritische Auseinandersetzung mit den Umsetzungsmöglichkeiten grüner Politik
in der Gesellschaft und dem Umsetzungswillen - ja! Da bin ich dafür!

Wenn aber die "Machbarkeit" von der Methode zum politischen Ziel wird, dann
reduziert sich Grüne Politik, dann reduzieren sich die Ideen, die Visionen von
gesellschaftlicher Veränderung und man/Frau denkt nur mehr das Machbare und
macht das Mögliche!

( Der Machbarkeitswahn ist genauso wie ein mit dem Rasenmäher sauber
geschnittener Vorgarten mit Hollywoodschaukel, oder vielleicht der Golfrasen. Da
gibt es keine wilden Wiesenblumen mehr: )

Das ist langweilig, das strahlt keine Dynamik aus und verleitet niemand mehr
dazu, sich ins Gras zu legen und dem Zug der Wolken zuzuschauen ; alles wird
dann von der Politik irgendwie mehr oder weniger gut erledigt und die
Politikverdrossenheit zahlt es uns zurück!

Margarethe du hast schon vor mehr als 2 Jahren "mehr Mut zu grünem
Macchiavellismus"! gefordert und jetzt gibt die Befindlichkeitsanalyse im
Vorspann des Strukturpapiers selbstgerecht die Marschroute in dies Richtung
vor. Das Papier ist zum Kotzen belehrend, es hat wirklich nichts Verbindendes,
es grenzt aus und ist eher ein Flügelkampfgeschoß - wie die sog. "2. Chance".

Ich muß es deutlich sagen: Ich will mich nicht für Strukturen stark machen, die
für diese Art autoritärer Machtpolitik das Terrain säubern. Was ich mir
wünsche, ist nach wie vor ein mutiger, emanzipativer Politikansatz; eine
Politik, die offen ist gegenüber Neuem und Experimentellem und die möglichst
viele Menschen beteiligt.

Ich will die innere Demokratie stärken, die Macht kontrollieren will und kann.
Aber was jetzt als Strukturreform auf dem Tisch liegt, ist die Pervertierung
dieses unseres bisher gemeinsamen demokratischen Grundverständnisses: weil es
darin um Loyalität gegenüber einer enger werdenden Spitze geht, eine Spitze, die
allein die Verantwortung trägt und nicht mehr die Kollektivität und jeder
Einzelne. Damit wird Verantwortung delegiert und die Kontrolle von oben nach
unten verkehrt.

Und nun zum Abschluß: Der Kriegsfall hat diese schwelende Auseinandersetzung in
der Partei um Machbarkeit und Autorität zugespitzt. Hier sind die Gegensätze
buchstäblich aufeinandergeprallt, unabhängig von der jeweiligen
Gewissensentscheidung. Das ist nicht mit einem harmlos daherkommenden Randsatz
im Papier der Strukturkommission erledigt, wo es heißt: der Bundeswehreinsatz
mit friedenserzwingenden Maßnahmen sei "ein Beispiel für den Veränderungsprozeß,
den die Basis nicht eigeninitiativ mitgestaltet" habe.

Da sind Maßstäbe völlig über den Haufen geschmissen worden: deutsche Soldaten
haben sich das erste Mal an einem Krieg der NATO ohne UN-Mandat beteiligt und
das mit ausdrücklicher mehrheitlicher Befürwortung der Grünen - gegen das
Programm und trotz einer Antikriegshaltung.

Da hat sich die Grüne Partei Deutschlands auch dann nicht für einen Stop der
Bombardierung ausgesprochen, als nicht nur der größte Teil der Grünen Parteien
in Europa dies längst forderten, und das Desaster der Zerstörungen durch die
Bomben und die Zuspitzung der Vertreibungen offensichtlich waren. Pazifismus als
Ausdruck des Prinzips der Gewaltfreiheit wurde in der eigenen Partei zum
Schimpfwort!

Liebe Freundinnen und Freunde, das ist der Ernstfall! Und das ist ein tiefer Riß
durch die Partei, der auf dem Hintergrund dessen, was ich vorhergesagt habe, die
Glaubwürdigkeit unserer politischen Ideen und Jedes Einzelnen von uns
fundamental in Frage stellen.

Jetzt sind wir soweit, daß der Ballast der Kriegsgegnerinnen abgeworfen werden
soll und mit ihnen linkes, antiautoritäres Gedankengut, denn es stört die neue
Rationalität in ihrer Selbstgerechtigkeit. Dieser Zeitenwechsel kommt von innen!

Aber genau deshalb ist dies ein Appell an alle die sich in den vergangenen
Wochen, Monaten, Jahren für zivile und friedliche Lösungen engagiert haben, die
dichte Netze aus Spontaneität und Visionen weben und keine Politikverwaltung,
kein Zementieren von Dauerabos auf Posten wollen. Dies ist ein Appel, daß wir
uns wehren gegen Spaltung und Marginalisierung! Denn auch unsere Artisten in der
Zirkuskuppel brauchen die Netze.

Nur in der Gesamtheit sind wir stark als Grüne Partei, mit unseren Grünen
Kollegen in Europa und in der Welt. Und nur so - nicht wenn wir das Erbe einer
Nullnummer FDP übernehmen, besonders aus bayrischer Perspektive - nur so sind
wir ein konstanter, eigenständiger Faktor in der deutschen politischen
Landschaft.
Da lohnt es sich mitzumachen!

 

Heidi Meinzolt-Depner