Übersicht:
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Vorbemerkung
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Abbau der Arbeitslosigkeit?
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Forcierung des Systemwechsels
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Frauenfeindliche Vorschläge
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Weitere Bewertungen
einzelner Vorschläge
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„Quick-Vermittlung“
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PersonalServiceAgenturen
(PSA/Leiharbeit)
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„Ich-AG“ und „Familien-AG“
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„Mini-Jobs“
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„BridgeSystem“ und
„Förderung älterer Arbeitnehmer“
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"AusbildungsZeit-Wertpapier“/Jugendliche
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Fazit
I. Vorbemerkung
Aus Sicht des SoVD ist die Massenerwerbslosigkeit von jeher das gesellschaftliche
Grundübel, das die Leistungsfähigkeit und die finanzielle Stabilität
des Sozialstaats untergräbt. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert
führen insbesondere die von der Erwerbslosigkeit verursachten Einnahmeausfälle
bei Sozialversicherungsbeiträgen sowie die durch die Beschäftigungskrise
bedingten Mehrausgaben zur finanziellen Erosion der Sozialversicherung
und produzieren vermeintliche „Sachzwänge“ für Politiken der
Leistungskürzung und damit der Demontage sozialstaatlicher Garantien.
Vorschläge, die für sich in Anspruch nehmen, Wesentliches zur
Bewältigung der Arbeitsmarktkrise beizutragen, verdienen daher die
besondere Aufmerksamkeit des SoVD.
Im Folgenden wurden die Formulierungen der Kurzfassung der Hartz-Vorschläge
zu Grunde gelegt.
II. Abbau der Arbeitslosigkeit?
Der Bericht der Hartz-Kommission hält eine Reduzierung der Erwerbslosigkeit
um 2 Mio. bis 2005 für eine „plausible Zielgröße“ der vorgeschlagenen
Maßnahmen (13 Module).
Demgegenüber hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) der Bundesanstalt für Arbeit überzeugend dargelegt, dass
die Wirkung wesentlicher Einzelmodule sowie die Gesamtwirkung der 13 Module
auf Beschäftigung und Erwerbslosigkeit „nicht seriös abgeschätzt“
werden können. Das IAB hat an mehreren Stellen grobe Fehler in der
Hochrechnung der möglichen Reduzierungseffekte nachgewiesen. Daher
seien „die den Vorschlägen zugerechneten Effekte weder im geplanten
Umfang noch in der vorgesehenen Frist auch nur annähernd zu erreichen“.
Insbesondere im Falle Ostdeutschlands und anderen Regionen mit desolater
Arbeitsmarktlage liefen die Vorschläge „weitgehend ins Leere“.
Das IAB weist (wie auch zahlreiche andere Kommentatoren) darauf hin,
das die entscheidende Voraussetzung für einen Rückgang der Erwerbslosigkeit
in der Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung liege, d.h.
in einer entsprechenden Ausweitung des Angebots an Arbeitsplätzen.
Hierzu seien auch Arbeitszeitverkürzungen „unverzichtbar“. Die Hartz-Vorschläge
setzten demgegenüber jedoch ganz überwiegend auf arbeitsmarktpolitische
Instrumente, deren Auswirkungen auf das Arbeitsplatzangebot „eher gering“
sein dürften. Durch diese Schwerpunktsetzung in Verbindung mit dem
Versprechen, die Erwerbslosigkeit in den kommenden drei Jahren auf unter
2 Mio. zu drücken, entstehe „der nicht zu rechtfertigende Eindruck,
als sei vor allem eine zu geringe Effizienz der BA für die hohe Arbeitslosigkeit
verantwortlich und auch der Schlüssel zur Lösung des Problems
sei ebenfalls vor allem dort zu suchen“.
So weit Effekte eines Abbaus der registrierten Erwerbslosigkeit zu
erwarten sind, dürften sie maßgeblich in der „Bereinigung“ der
Arbeitslosenstatistik begründet sein.
Damit besteht hinreichender Grund zu der Einschätzung, dass das
Hartz-Papier die Kette unseriöser politischer Versprechungen, die
die geweckten Erwartungen absehbar enttäuschen (müssen), um ein
weiteres Glied verlängert. Die Kritik, dass die Funktion des Hartz-Papiers
weniger in der Erschließung von Wegen zu einem effektiven Abbau der
Erwerbslosigkeit besteht, sondern vor allem der politischen Überdeckung
des arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Scheiterns der Regierungskoalition
im Wahlkampf dient, ist somit kaum von der Hand zu weisen.
III. Forcierung
des Systemwechsels
Gleichwohl bliebe die Umsetzung der Hartz-Vorschläge nicht ohne
Wirkungen auf Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungssystem. Ihre Kernelemente
zielen auf
? eine Verschärfung der „aktivierenden“ Politik gegenüber
den Erwerbslosen, also die Erhöhung des Drucks zur Annahme von bad
jobs und unterwertiger Beschäftigung (z.B. „Neue Zumutbarkeit“, v.a.
Umkehrung der Nachweispflicht fehlender Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten;
sechs Monate PSA-Leiharbeit zum Nulltarif (nur Arbeitslosengeld); Senkung
des Niveaus der Lohnersatzleistungen). Das Motto „Eigenaktivitäten
auslösen“ als „neue Leitideee“ knüpft nahtlos an jene absurde
Diagnose an, dass angeblich mangelnde Eigenaktivitäten und mangelnde
Flexibilität von Erwerbslosen bei der Stellensuche als maßgebliche
Ursa-che der Beschäftigungskrise anzusehen seien („Faulenzer-Debatte“
des Bundes-kanzlers). Die Bekämpfung der Erwerbslosen an Stelle der
Bekämpfung der Erwerbslosigkeit wird fortgesetzt und weiter entwickelt.
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eine weitere Deregulierung des Beschäftigungssystems durch Ausweitung
prekärer Niedriglohn- und Dienstbotenbeschäftigung (Leiharbeit
in PersonalSer-viceAgenturen (PSA) unterhalb der regulären betrieblichen
Arbeitsentgelte; An-hebung der 325-Euro-Grenze für Mini-Jobs in Privathaushalten
auf 500 Euro), Förderung neuer Scheinselbstständigkeit („Ich-AG“),
Deregulierung der Leiharbeit (Aufhebung der verbliebenen Beschränkungen
des Arbeitnehmer-Überlassungsgesetzes) und damit „Neutralisierung“
des Kündigungsschutzes.
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eine verstärkte Umwidmung der Arbeitsförderung zur Arbeitgeberförderung
(Wirtschaftsförderung). Nicht nur beinhalten verschiedene Module Angebote
an Arbeitgeber zur Senkung ihrer Personal(vorhalte)kosten zu Lasten öffentlicher
Förderung und zu Lasten der betroffenen ArbeitnehmerInnen. Auch das
neue Finanzierungsinstrument des „JobFloaters“ kommt Unternehmen zu Gute.
Sie er-halten für die über die Probezeit hinausreichende Beschäftigung
vormals Er-werbsloser die „Option auf ein Finanzierungspaket“. Die Beschäftigung
von Men-schen zum Zweck privatwirtschaftlicher Renditeerzielung wird zunehmend
zu ei-nem öffentlichen Subventionstatbestand.
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eine Beschleunigung des Ausstiegs aus der paritätischen Beitragsfinanzie-rung
der Sozialversicherung. Unternehmen, die im Rahmen einer freiwilligen „Beschäftigungsbilanz“
aktive Beschäftigungssicherung oder eine positive Be-schäftigungsentwicklung
nachweisen, sollen einen „Bonus“ bei den Beträgen zur Arbeitslosenversicherung
erhalten. Da allgemein erwartet wird, dass die Kon-junktur demnächst
wieder anzieht und stabilisierende/positive Beschäftigungswir-kungen
mit sich bringt, sind Einnahmeausfälle für die Arbeitslosenversiche-rung
und Entlastungen der Wirtschaft auf breiter Front zu erwarten.
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die Abwendung von der Verfassungspflicht der Unternehmen, im Rahmen des
dualen Ausbildungssystems ein ausreichendes und auswahlfähiges Aus-bildungsplatzabgebot
zu gewährleisten. Stattdessen soll das erforderliche Aus-bildungsplatzangebot
zukünftig von den BürgerInnen durch den Kauf von „AusbildungsZeit-Wertpapieren“
sowie durch Spenden an Stiftungen finanziert werden.
Auch wenn die Gewerkschaften verhindern konnten, dass Vorschläge zu
pauschalen nominellen Kürzungen von Lohnersatzleistungen (bisher:
Arbeitslosengeld und –hilfe; künftig: Arbeitslosengeld I und II) ausdrücklich
aufgenommen wurden, sieht das Hartz-Papier mit dem „Verzicht auf die jährliche
Anpassung des Bemessungsent-gelts“ die Absenkung des Niveaus der Lohnersatzleistungen
im Verhältnis zur allgemeinen Entwicklung der Arbeitsentgelte vor.
Im zeitlichen Verlauf werden damit generelle Kürzungen realisiert.
Weitere Verschlechterungen auch des „Sozialgelds“ (soll der bisherigen
Sozialhilfe zum Lebensunterhalt „für nicht erwerbsfähige (?)
Personen“ entsprechen) könnten im Zuge der beabsichtigten Pauschalierung
erfolgen. Auch die Formulierung, dass das „Arbeitslosengeld I“ nur „im
Grundsatz“ dem bisherigen Arbeitslosengeld entspreche sowie der Umstand,
dass Aussagen zu Niveau und Ausgestaltung des „Arbeitslosengelds II“ nicht
enthalten sind, muss als Offenhaltung weiterer Verschlechterungsoptionen
verstanden werden.
Indem sie weiterhin den bekannten, neoliberal inspirierten Doktrinen
folgen, sind die Hartz-Vorschläge insgesamt geeignet, den Systemwechsel
vom Sozialstaat zum workfare state bzw. zum „Wettbewerbsstaat“ voranzutreiben.
IV. Frauenfeindliche
Vorschläge
Der Deutsche Juristinnenbund befürchtet, „dass die Vorschläge
nur auf typisch männliche Erwerbsbiographien abzielen und die Frauen
Verliererinnen dieser Arbeitsmarktreform sind“ (Offener Brief an Hartz
v. 05.08.02). Folgende Punkte bestätigen diese Einschätzung:
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In kaum verhülltem Widerspruch zu den geltenden gleichstellungsrechtlichen
Bestimmungen in der EU und in Deutschland (u.a. Gender Mainstreaming) steht
der Vorschlag einer „familienfreundlichen Quick-Vermittlung“. Demnach sollen
„Arbeitslose, die besondere Verantwortung für abhängige betreuungsbedürftige
Personen oder Familienangehörige tragen“, bei der Vermittlung bevorzugt
wer-den. Neben allein Erziehenden sind dies vor allem meist männliche
„Familiener-nährer“. Frauen, die zuvor nicht erwerbstätig waren
oder aufgrund eines relativ geringen Erwerbseinkommens nur als „Zuverdienerinnen“
gelten, würden bei der Arbeitsvermittlung planmäßig benachteiligt.
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Mit der beabsichtigten Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung
bei haushaltsnahen Dienstleistungen (Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze
auf 500 Euro) wird ein Niedriglohn-Segment erweitert, in dem fast ausschließlich
Frauen tätig sind. Bestrebungen, solche besonders prekären Beschäftigungsverhältnisse
in reguläre Arbeitsverhältnisse umzuwandeln (z.B. durch Schaffung
von Dienst-leistungspools) werden damit konterkariert. Umgekehrt ist eine
weitere Ersetzung regulärer Beschäftigung durch Mini-Jobs zu
erwarten. Die geplante Ablösung der gegenwärtigen Sozialversicherungsbeiträge
von 22% durch eine Sozialversiche-rungspauschale von 10% dürfte nicht
nur zusätzliche Einnahmeausfälle bei der Sozialversicherung zur
Folge haben, sondern auch die soziale Sicherung der Mi-ni-Jobberinnen verschlechtern
statt verbessern.
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Die „Ich-AG“ als neue Form staatlich geförderter Scheinselbstständigkeit
kann durch mitarbeitende Familienangehörige zur „Familien-AG“ erweitert
werden. In der Regel wird damit Frauen die Rolle von mitarbeitenden Familienangehörigen
(„Selbstausbeutung“; kein Arbeitnehmerstatus) bei einem männlichen
AG-Inhaber zugedacht.
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Das „BridgeSystem“ als neue Form des Vorruhestands ist für Frauen,
die in al-ler Regel die geringenen Rentenansprüche haben und die weiterhin
den 18-prozentigen Rentenabschlag hinzunehmen hätten, meist nicht
zugänglich.
Insgesamt laufen die Vorschläge auf eine Zementierung und Verschärfung
von geschlechtshierarchischen Strukturen der Erwerbsgesellschaft hinaus
und sind mit dem Gleichstellungsziel rechtlich und/oder tatsächlich
nicht vereinbar.
V. Weitere
Bewertungen einzelner Vorschläge
1. „Quick-Vermittlung“
Zur Beschleunigung der Vermittlung sollen von Erwerbslosigkeit bedrohte
Arbeit-nehmerInnen verpflichtet werden, das künftige „JobCenter“ bereits
am Tag der Kün-digung einzuschalten. Widrigenfalls sollen für
jeden Tag der verspäteten Meldung pauschale Abschläge beim Arbeitslosengeld
greifen.
Nach Angaben des IAB melden sich schon bisher etwa die Hälfte
der Gekündigten vor Eintritt der Erwerbslosigkeit, so dass die Arbeitsverwaltung
entsprechend „prä-ventiv“ tätig werden kann. In der Einführung
einer Meldepflicht am Kündigungstag sieht das IAB die Gefahr einer
künstlichen Ausweitung des BewerberInnenpools, indem auch all diejenigen,
die den Eintritt der Erwerbslosigkeit durch eigene Suchak-tivitäten
abwenden können, zur Meldung genötigt werden.
2. PersonalServiceAgenturen
(PSA/Leiharbeit)
Träger von PSA sollen vorrangig private Dritte werden. Somit werden
Outsourcing und Privatisierung arbeitsmarktpolitischer Aufgaben voran getrieben.
Erwerbslose werden unter Sanktionsandrohung („Neue Zumutbarkeit“) zur
Arbeit in PSA verpflichtet. Während der ersten sechs Monate (Probezeit)
liegt das Nettoent-gelt „in Höhe des Arbeitslosengeldes“. Für
die Betroffenen bedeutet dies Pflichtar-beit zum Nulltarif. Das IAB misst
dem ganz offen eine „Aktivierungsfunktion“ zu, weil erwartet wird, das
Erwerbslose aus Angst vor der Verpflichtung zu PSA-Leiharbeit ihre anderweitigen
Suchanstrengungen verstärken.
Offenbar geht die Hartz-Kommission bereits von der Bereitschaft der
Gewerkschaf-ten aus, niedrigere Sondertarife für PSA-Leiharbeit zu
vereinbaren („tariflich ver-einbarter PSA-Lohn“). Anspruch auf betriebsübliche
Entgelte ist ausdrücklich nur für den Fall der Übernahme
in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis vorgesehen. Der
„PSA-Lohn“ muss begrenzt bleiben, um gegenüber bestehenden kommerziellen
Lei-harbeitsfirmen wettbewerbsfähig zu bleiben.
Vorbehaltlich des Abschlusses von Tarifverträgen sollen alle gesetzlichen
Be-schränkungen von Leiharbeit aufgehoben werden (Aufhebung des AÜG).
Das IAB hält die Ausweitung der Beschäftigung in Leiharbeit dann
für möglich, wenn es zu einem Abbau von Überstunden zugunsten
des Einsatzes von LeiharbeiterInnen kommt. Ansonsten sind Verdrängungseffekte
gegenüber bereits vorhandenen Lei-harbeitsunternehmen zu erwarten,
da das gesamtwirtschaftliche Beschäftigungspo-tenzial für Leiharbeit
durch die zusätzliche Errichtung von PSA nicht zunimmt.
Dass der gegenüber regulären Arbeitsverhältnissen strukturell
prekäre und teil-weise faktisch entrechtete Charakter der Leiharbeit
(fehlender Belegschaftszu-sammenhang und daraus resultierende erhebliche
Einschränkungen bei der wirksa-men Wahrnehmung von Rechten aus Betriebsverfassungs-
und Tarifrecht) in keiner Weise thematisiert wird, erscheint unter den
gegebenen Umständen bereits normal.
3. „Ich-AG“ und „Familien-AG“
Neben der Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung soll
die „Ich-AG“, die durch mitarbeitende Familienangehörige zur „Familien-AG“
wird, einen „neuen Weg zur Bewältigung des Problems der Schwarzarbeit“
weisen. Die „Ich-AG“ soll als „Vorstufe einer vollwertigen Selbständigkeit“
Schwarzarbeit von Erwerbslosen legalisieren. Für drei Jahre sollen
Zuschüsse gezahlt werden, die sich an der Höhe des Arbeitslosen-gelds
zuzüglich der von der Arbeitsverwaltung entrichteten Sozialversicherungsbei-träge
orientieren. Bis zu einer Verdienstgrenze von 25.000 Euro soll die Besteuerung
auf eine Pauschale in Höhe von 10% begrenzt bleiben.
Das IAB sieht demgegenüber das wesentliche Problem bei Existenzgründungen
Er-werbsloser in der mangelnden wirtschaftlichen Tragfähigkeit der
Projekte und fehlen-den unternehmerischen Qualifikationen, die durch die
Subventionierung nicht beho-ben werden. Da die repressiven Rahmenbedingungen
der „aktivierenden“ Politik Be-troffene dazu verleiten können, den
Ausweg im Abenteuer „Ich-AG“ zu suchen, be-fürchtet das IAB eine verstärkte
Problematik von „’Kümmerexistenzen’, Pleiten und Schulden“.
Der Vorschlag der Hartz-Kommission formuliert eine ausdrückliche
Einladung an Klein- und Handwerksunternehmen, statt regulärer ArbeitnehmerInnen
künftig zu 50% „Ich-AGen“ zu beschäftigten. Die Substitutionseffekte
gegenüber regulärer Erwerbsarbeit und eine neue Scheinselbständigkeit
werden somit nicht nur still-schweigend in Kauf genommen, sondern ausdrücklich
nahegelegt.
Wenn es um eine wirksame Bekämpfung der Schwarzarbeit ginge, dürfte
nicht aus-geblendet bleiben, dass ein Großteil der Schwarzarbeit
nicht von Erwerbslosen, son-dern von regulär Beschäftigten erbracht
wird. Die einseitige Ausrichtung der Be-kämpfung der Schwarzarbeit
auf Erwerbslose zeigt an, dass es eher um die Be-kämpfung von Erwerbslosen
geht.
4. „Mini-Jobs“
Zur Bekämpfung der Schwarzarbeit bei Dienstleistungen in Privathaushalten
soll die Geringfügigkeitsgrenze von bisher 325 Euro auf 500 Euro angehoben,
die bisherigen Sozialversicherungsbeiträge von 22% durch eine Pauschale
von 10% ersetzt wer-den. Die steuerliche Absetzbarkeit der Dienstbotenbeschäftigung
(„Dienstmäd-chenprivileg“) soll wieder eingeführt werden.
Der Text (Kurzfassung) enthält keine Hinweise darauf, ob und welche
Sicherungsan-sprüche an die Sozialversicherung die Mini-Jobberinnen
mit der 10%-Pauschale er-werben werden.
Zu erwarten sind Einnahmeausfälle bei der Sozialversicherung und
bei der Be-steuerung von Besserverdienenden (Mitnahmeeffekte des „Dienstmädchenprivi-legs“)
sowie – entsprechend der bisherigen Erfahrungen mit geringfügiger
Beschäfti-gung – Substitutionseffekte gegenüber regulärer
Beschäftigung.
Da die Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung höher
belastet bleiben als die aus Schwarzarbeit, wird die Attraktivität
der Umwandlung in „Mini-Jobs“ für die Ar-beitenden eher gering bleiben.
5. „BridgeSystem“
und „Förderung älterer Arbeitnehmer“
Mit dem „BridgeSystem“ sollen Erwerbslose ab 55 Jahren „auf eigenen
Wunsch“ aus dem Arbeitsmarkt entlassen werden. Sie erhalten dazu „statt
des Arbeitslosengeldes eine kostenneutral errechnete monatliche Leistung“.
Ihr Sozialversicherungsschutz bleibt erhalten.
Es handelt sich um eine neue Form des Vorruhestands zum Zweck der Bereinigung
der Arbeitslosenstatistik (IAB: „Das Bridgesystem kann die Arbeitslosenzahl
sen-ken, indem es ältere Arbeitslose aus der Statistik drängt“).
Insbesondere für Betrof-fene mit geringeren Rentenansprüchen
ist sie wegen der 18%igen Rentenabschläge eher unattraktiv. Frauen
werden davon i.d.R. aus finanziellen Gründen keinen Ge-brauch machen
können.
Die Alternative für Erwerbslose dieser Altersgruppe soll in der
(wohl pflichtigen) An-nahme einer „niedriger bezahlten“ Arbeit bestehen,
wobei eine „Lohnversiche-rung“ „in den ersten Jahren“ nach Eintritt der
Erwerbslosigkeit „einen Teil“ des Ein-kommensverlustes ersetzt.
Möglicherweise flüchten Betroffene in das „BridgeSystem“,
um der „aktivierenden“ Politik zu entkommen.
Die Kritik am BridgeSystem macht sich überwiegend daran fest,
dass die neue Form des Vorruhestands den (behaupteten) „demografischen
Erfordernissen“ einer weite-ren Verlängerung der Lebensarbeitszeit
zuwider laufe. Diese Kritik ist aus sozial- und arbeitsmarktpolitischer
Sicht zurückzuweisen. Eine Verlängerung der Lebensar-beitszeit
mindert die Chance auf einen Lebensabend bei voller Gesundheit und be-hindert
den Zugang jüngerer Menschen ins Erwerbssystem
6. „AusbildungsZeit-Wertpapier“/Jugendliche
Zur Finanzierung zusätzlicher Ausbildungsplätze soll das
„AusbildungsZeit-Wertpapier“ (AZWP) eingeführt werden, das von gemeinnützigen
Stiftungen verkauft wird. Eltern oder Großeltern etwa sollen das
Wertpapier erwerben, um dem Kind/Enkel eine Ausbildungsfinanzierung zu
sichern. Durch den Verkauf der AZWP sowie freiwillige Zuschüsse und
Spenden soll ein Kapitalstock aufgebaut werden, der die Ausbildungsfinanzierung
garantiert.
Damit wird die bisherige, von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts
bestätigte Verpflichtung der Unternehmen, im Rahmen des dualen Ausbil-dungssystems
ein ausreichendes und auswahlfähiges (d.h. 1,25-faches der Nachfra-ge)
Ausbildungsplatzangebot zu gewährleisten, auf die Bürgerinnen
und Bürger überwälzt.
Das IAB weist auf die weitreichenden, lebensprägenden Folgen einer
durch den Druck der „aktivierenden“ Politik zu Stande gekommenen Berufswahlentscheidung
hin. Zudem stellt Druck zur Annahme eines Ausbildungsplatzes in einem nicht
er-wünschten Beruf eine Einschränkung des Grundrechts der Berufswahlfreiheit
dar.
An die Schulen ergeht die Aufforderung, die SchülerInnen früher
als bisher in theo-rie- bzw. praxisorientierte Unterrichtsformen zu selektieren.
Die ohnehin erschrek-kende soziale Ungleichheit der Bildungschancen (PISA)
wird damit absehbar ver-schärft.
VI. Fazit
Die Vorschläge der Hartz-Kommission sind abzulehnen. Die Probleme
liegen nicht nur im Detail, sondern vor allem in der generellen Richtung,
in der sie unsere Gesell-schaft verändern.
Folgendem Kommentar der „tageszeitung“ ist zuzustimmen:
„Vermögen ist kein Thema, man konzentriert sich auf
die Armut und debattiert: Zeit-arbeit unter Tarif, Niedriglöhne oder
ein neues „Arbeitslosengeld II“. Stets kreist der Diskurs um die unteren
Schichten. Dabei wird unterstellt, dass der Arme nicht mehr arm sei, wenn
er arbeiten könnte. Nichts ist ferner der Realität. Die Armut
wird unter den Armen umverteilt. Wer jetzt schon Arbeit hat, aber wenig
verdient – der wird bald erleben, dass sein Einkommen noch weiter sinken
kann. Die Billigkonkurrenz der Niedriglöhner macht es möglich.
Die scheinbar so „überparteiliche“ Kommission ist Partei – für
die Wohlhabenden.“ (taz, 17./18.08.02)
Umso mehr besteht dringender Bedarf, alternative Vorschläge
zur Bewältigung der Massenerwerbslosigkeit aufzugreifen und
zu unterstützen, wie sie immer wieder – aber bislang ohne Chance auf
mediale und öffentliche Wahrnehmung – vorgetragen werden.
Aktuell ist in diesem Zusammenhang beispielweise auf den Aufruf
„1 Million Arbeitsplätze durch öffentliche
Daseinsvorsorge,
Zukunftsinvestitionen, Arbeitszeitverkürzung
und Umverteilung“
(siehe unter www.politikwechsel.org)
und/oder die
„Initiative für eine sozialstaatliche Arbeitsmarktpolitik“ (siehe
unter www.aktive-arbeitsmarktpolitik.de)
zu verweisen. |