Hans-Jürgen Schubert,
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14. Mai 2000

An den Landesvorstand
Bündnis 90 / DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein
(auch als Offener Brief)

Zum Parteiausschluss-Antrag gegen Wolfgang Neskovic

Liebe Freundinnen und Freunde,

da ich auf meine eigene Kritik am Pro-Kriegs-Kurs der Grünen auch schon den Rat erhielt, unsere Partei zu verlassen, drängt es mich nun geradezu, euren Parteiausschluss-Antrag gegen Wolfgang Neskovic ungebeten zu kommentieren.

Nicht, dass ich Wolfgang verteidigen möchte: er gehört eher zu den Tätern als zu den Opfern des parteipolitischen Geschehens und kann sich gut selbst verteidigen. Ich räume auch ein, dass euer Ausschluss-Antrag anlässlich Wolfgangs Aufruf, die Grünen zur vergangenen Landtagswahl in S-H nicht zu wählen, möglicherweise begründbar ist; soweit ich sprachliche Strukturen verstehe, handelt es sich tatsächlich um einen Aufruf und nicht um ein deliberatives Räsonnieren über die Lage der Nation. Auch wird man nicht guten Gewissens behaupten können, Wolfgang sei im Vollbesitz einer - was immer das sein mag - grünen Streitkultur. Diese ist aber auch bei anderen AktivistInnen unserer Partei nicht ausgeprägt und auch bei mir in den Auseinandersetzungen um den Krieg zum Teil suspendiert.

Soweit sei alles zugegeben, um die Argumente nicht auf Nebenschauplätzen zu vergeuden. Wichtig ist mir aber, dass meine Rechtfertigung von Spielregelverstößen auf den Ausnahme-Anlass des Krieges beschränkt bleibt. Mir liegt nicht daran, von dieser großen Frage her auf die tägliche politische Praxis zu verallgemeinern: nicht jede Diskursunfähigkeit ist ein 'Querdenken', nicht jede unabgesprochene private Verlautbarung ist 'Kritikfähigkeit'. Manchmal ist mir sogar der Ausgangspunkt einer 'linken'
Kritik an euch unklar, solange das Allerweltswort 'links' nicht in seiner ökonomischen Bedeutung definiert wird. Dieser Brief versteht sich deshalb auch nicht als Pauschalkritik am Landesvorstand, sondern als Kritik an dieser einen Maßnahme des Parteiausschluss-Antrags. Diese umständliche Einleitung war nötig, um nicht allzu sehr missverstanden zu werden.

Die Hauptfrage scheint mir zu sein: Warum werden Satzungsparagrafen und Streitkulturnormen bei den Grünen zur Zeit und besonders im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien nur gegen diejenigen verwendet, die auf der Grundlage unseres Bundesprogramms den Krieg durch Worte und Handlungen kritisieren, jedoch nicht gegen die BefürworterInnen des Nato-Militarismus?

Niemand ist so einfältig, anzunehmen, dass die Satzung um der Satzung willen angewandt wird: formale Bedenken treten immer dann auf, wenn einem die politische Richtung nicht gefällt, und Interessen, die wohlweislich nicht explizit artikuliert werden, kommen gern in Form von Verfahrensvorschlägen daher. Die gegenwärtige politische Restauration wird bei den Grünen bekanntlich als 'Strukturdebatte' durchgeführt, und die Anpassung an die eingeschränkten Partizipationsformen anderer Parteien heißt sogar 'Parteireform'.

In eurem Parteiausschluss-Antrag zitiert ihr die Satzung folgendermaßen: 'Bündnis 90 / DIE GRÜNEN hat die Aufgabe, ... entsprechend dem gültigen Programm die Ziele von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN in Schleswig-Holstein durchzusetzen und sich an Wahlen zu beteiligen ...' Ich vermute, dass auf Bundesebene ähnliches gilt. Unserem gültigen Bundesprogramm nach sollen folgende Ziele durchgesetzt werden:

'Nur durch Entmilitarisierung und das Primat der Politik ist erreichbar, daß zivile Konfliktbearbeitung nicht mehr dem alten militärischen Denken untergeordnet wird. Friedenspolitik kann sich nicht hinter Bündniszwängen oder vermeintlichen internationalen Notwendigkeiten verstecken. Die Bundesrepublik muß ihre neu gewonnene Souveränität friedenspolitisch nutzen. ... Selbst die Möglichkeit des Ersteinsatzes von Atomwaffen wird von der NATO nicht ausgeschlossen. Ihre Doktrin, weltweit Schutz vor 'Destabilisierung' zu bieten, programmiert bewaffnete Abenteuer, in die auch Deutschland hineingezogen werden könnte. Bündnis 90 / Die Grünen akzeptieren nicht, daß die NATO ihre Rolle zu Lasten der UNO und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ausweitet, um ihre eigene militärische Dominanz durchzusetzen. ... Bündnis 90 / Die Grünen tragen militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze nicht mit.'

Wenn es euch also darum geht, entsprechend der gültigen Programmatik die Ziele der Grünen durchzusetzen: habt ihr dann auch einen Antrag auf Parteiausschluss des Mitglieds J. Fischer gestellt, insofern er 'den Interessen der Partei aktiv entgegentrat'? Wenn ein Aufruf, die Partei nicht zu wählen, mehr ist als der Wortlaut 'ich rufe auf usw.', dann war jeder Fernsehauftritt von J. Fischer während des Krieges ein Aufruf, die Grünen nicht mehr zu wählen. Die Aussage der grünen Bundestagsabgeordneten und Militärsprecherin A. Beer in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung während des Krieges, die Diskussionen um die Militäreinsätze
sollten beendet werden, um die Soldaten nicht zu 'verunsichern', war vor dem Hintergrund des deutschen Militarismus im 20. Jahrhundert ein schwerer Schaden für die Partei. Die Aufzählung der Parteischädigungen durch grüne KriegsbefürworterInnen ließe sich fortsetzen.

In eurem Ausschluss-Antrag stellt ihr ganz richtig fest, es sei vor der Landtagswahl offen gewesen, ob die Grünen die 5%-Grenze überschreiten könnten. Die Gefährdung der parlamentarischen Existenz der Grünen durch massenweise Abkehr der Wählenden war also auch eurer Ansicht nach schon vor Wolfgangs Aufruf gegeben. Habt ihr Ausschluss-Anträge gegen die parteischädigenden VerursacherInnen der Wahlniederlagen mehrerer Landesverbände gestellt? In Nordrhein-Westfalen sind die Grünen jetzt wieder die größten Verlierer. Falls ihr die Reduzierung der Partei Wolfgang Neskovic als Leistung zutraut, ehrt ihn das natürlich; er wäre dann wohl auch der Geeignete, durch einen Pro-Grünen-Wahlaufruf beim nächsten Mal die Stimmenanzahl für unsere Partei zu verdoppeln? So einfach wird alles, wenn man nach einer Wahl das Programm in die Schublade legt und die Satzung hervorholt.

Der Ausschluss-Antrag ist ein politisches Armutszeugnis, das der Landesvorstand sich selbst ausstellt. Verliererin des Verfahrens wird ein weiteres Mal die Glaubwürdigkeit unserer Partei sein.

Mit freundlichem Gruß
Hans-Jürgen S.
Mitglied der Lübecker Bürgerschaft