Peter v. Hof

Arbeit - was ist das ?

Liebe Freundinnen und Freunde,

in unserer Arbeit denken wir oft in relativ festen Strukturen. Es geht
zumeist um Entscheidungen innerhalb eines von der uns bewussten Realität
vorgegebenen Rahmens. Eine wichtige Frage ist auch die nach der
Machbarkeit.

Ab und zu - eigentlich doch viel zu selten - stellen wir in dieser Routine
eine viel wichtigere Frage: "Was wollen wir eigentlich WIRKLICH?" Eine
gewisse Betriebsblindheit macht sich im Laufe der Jahre breit. Immer
seltener traut sich noch jemand echte Visionen vorzustellen, obwohl einige
sogar noch in unserem Wahlprogramm stehen.

Diese Diskrepanz trennt auch zunehmend im Land und im Bund die Basis und
die Regierungsverantwortlichen. Die Einen wollen die Welt verbessern und
die Anderen sind in den Vorgaben gebunden. Die Kluft wird zunehmend
breiter und bedroht immer mehr auch die Identifikation der traditionellen
Wähler mit uns - kann die GRÜNEN als Partei und Regierungsmitglied selbst
tödlich gefährden.

Derzeit herrscht Wirtschaftsaufschwung. Wir haben es geschafft - heißt es.
Doch ein Grossteil des Aufschwungs ist exportbedingt - liegt am starken
Dollar oder schwachen Euro. Ein weiterer Teil ist Stimmungsmache - wichtig
für die Wirtschaft ist immer der Mut etwas zu investieren. Es kann bergauf
gehen, doch es ist noch immer eine Gratwanderung.

Viel zu viele wirklich wichtige Fragen sind nach wie vor nicht ausreichend
beantwortet: Arbeitsersetzende Technologien, demografischer Wandel in den
Industriestaaten, Bezahlbarkeit des Sozialsystems, Ausschluss von immer
mehr Menschen vom sozialen Miteinander, Angleichung der Lebensstandards
weltweit durch die internationale Konkurrenz, weltweite Konkurrenz der
Staaten und Fiskalsysteme, unkontrollierbare internationale Finanzmärkte,
weitgehend noch ungeregelte Globalisierung.

Es wird geflickt was das Zeug hält, doch eine echte Änderung traut sich
niemand zu - zu groß wäre wohl auch der Widerstand derer, die derzeit den
meisten Vorteil haben. Auch wäre es nötig die internationalen Bedingungen
zu berücksichtigen. Fast unmöglich erscheint das.

Einige sagen, es müsste alles anders werden, andere befürworten
ungehemmten Liberalismus - das Recht des stärkeren, einige träumen (wieder
oder noch?) vom wahren Sozialismus, daneben gibt es Leute, die sich an
irgend welchen radikalen Botschaften zu halten suchen.

Ich finde, wir sollten wieder etwas mutiger auf unser Wahlprogramm zurück
greifen und Gedanken wie die Wertschöpfungsabgabe nicht nur zaghaft
ansprechen oder andeuten (zuletzt auf Bundesebene wohl durch Andrea
Fischer) und gleich wieder dementieren, sondern selbstbewusst vortragen.

Wir sollten uns unserer Rolle bewusst sein:
Wir sind im Umbruch von der Industriegesellschaft in eine globalisierte
Informations-, Dienstleistungs- und Handelsgesellschaft. Wir sind die
Jenigen, die diesen Umbruch steuern sollen - mit allen Gefahren und
Risiken sowie auch mit allen Weichenstellungen und Chancen für die
Zukunft.

Ein altes Naturgesetz lautet "actio est reaktio". Natürlich wird es auf
alle unsere Anstrengungen Reaktionen in entgegengesetzter Richtung geben.
Natürlich sind es gerade die Stärksten im Staat, die am meisten fest
halten an dem, was jetzt besteht. Ihnen ist im Moment eher egal, was
später einmal passiert. Ihnen ist die Taube in der Hand wichtiger als der
Spatz auf dem Dach. [Anm.: Kein Schreibfehler!]. Es Bedarf einer gewissen
Überzeugungskraft, um die breite Masse so weit zu mobilisieren, dass auch
sie nicht vor lauter Arbeit oder Sorge um das nötige Geld nichts mehr von
korrupten Politikern wissen will - sondern nach vorne drängt und die
Veränderung erst ermöglicht.

Wichtig ist, dass die neu entstehenden Märkte, die neu entstehenden
Branchen entstehen, bevor an anderer Stelle Arbeitsplätze fallen, weil
neuere Technik oder enger geplante Prozesse den Menschen ersetzen. Wichtig
ist auch, dass sich dort nicht "hire & fire" durchsetzt. Wenn sich erst
solche Unsitten durchsetzen, dann kann der sozial denkende Mitbewerber
auch nicht mehr anders, weil er sonst auf Grund zu hoher Preise nicht mehr
mithalten kann... Reine Deregulierung kann es also nicht sein.
Durchforsten und ausmisten von verwachsenen Strukturen ist nötig, aber im
rahmen der EU, die neben dem zugegeben oftmals etwas höheren Preis auch
einen Technologiestandard, Qualität und einen Standort zu bieten hat,
müssen wir uns nicht unter dem Vorwand drohender Konkurrenz die
Arbeitskultur zerstören lassen.

Hier gilt es Mut zu beweisen und sich durch zu setzen. Nicht das Buckeln
vor der Lobby, die Geld und Macht hat und sich neuen (kurzfristigen)
Vorteil verschaffen wollen (bis andere nach ziehen) ist die Aufgabe der
Politik. Das Gemeinwohl, die Volkswirtschaft ALLER Bürger und Bürgerinnen
(incl. Gäste) soll mit Fingerspitzengefühl gesteuert werden und an
Visionen orientiert werden. Eins ohne das Andere kann es langfristig nicht
geben, wenn es langfristig bergauf gehen soll. Mitlaufen als Lemming ist
ebenfalls nicht unsere Aufgabe.

Nutzen wir also die positive Entwicklung des vergangenen Jahres und würzen
sie mit ein paar neuen Ideen, die z.T. sogar schon in den Schubladen
liegen. Die Begeisterung müssen wir wecken und daneben die Fähigen mit
heran ziehen, um umzusetzen, was wir erreichen wollen.

Nach der Wahl in NRW (14.05.00) haben wir auch wieder etwas mehr Freiraum,
denn 2000 gibt es keine wichtige Wahl mehr. Erst im Frühjahr 2001 geht es
mit BaWü, Hessen, Rheinland-Pfalz weiter und im Herbst 2001 folgen Hamburg
und Niedersachsen.

Die Zeit ist günstig - packen wir es an !

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Angeregt zu diesen Zeilen hat mich der folgende Artikel:

Kundgebungen zum 1. Mai

A r b e i t - w a s   i s t   d a s ?

Was einst für Fron und Mühsal stand, hat heute fast sakralen Charakter

Von CATHARINA AANDERUD
In Zeiten, in denen Börsenfieber, Internet-Hype und StartUp-Euphorie die
beherrschenden Themen sind, gerät leicht aus dem Blick, dass an dieser
Entwicklung nur eine vergleichsweise kleine Anzahl von Menschen beteiligt
ist und es ein Zurück ins "Paradies" der alten Arbeitswelt
kontinuierlicher Vollbeschäftigung nicht geben wird. Wenn künftig nur noch
kleine Eliten fest in dauerhaften Strukturen arbeiten werden und für die
anderen 80 Prozent das eintritt, was der Soziologe Ulrich Beck als
"Brasilianisierung" bezeichnet - nämlich fragmentierte Biografien mit
unsicheren, wechselnden Arbeitsverhältnissen und Perioden der
Erwerbslosigkeit - bedeutet das einen radikalen Bruch mit einer Vielzahl
von Wertvorstellungen, die sich um das Thema Arbeit und seine Bedeutung
für unser Leben ranken.

Denn neben der Sicherung des Lebensunterhaltes sind auch unsere psychische
Identität und gesellschaftliche Partizipation an sie gebunden; darüber
hinaus scheint sie zum zentralen Sinnstifter geworden zu sein. Eine
zunehmende Erwerbsfixierung macht sich breit: Arbeit gewinnt mit
zunehmender Verknappung dieses Gutes, das einmal für Fron und Mühsal
stand, inzwischen einen fast sakralen Charakter: Sie ist so bestimmend für
unser Sein und Selbstbewusstsein geworden wie einst die Religion.

Umgekehrt vermag eine Gesellschaft, die ihren Dreh- und Angelpunkt, ihre
Sinnkomponente in der Erwerbsarbeit gefunden hat, denjenigen, die aus dem
Arbeitsprozess ausgeschlossen sind, keinerlei Sinnzusammenhänge mehr zu
vermitteln.

Absurderweise erreicht diese Entwicklung, Arbeit zum einzig gültigen
Maßstab für die Wertschätzung eines Menschen zu machen, ihren Höhepunkt
gerade in dem Moment, wo es an der Zeit wäre, den eigenen Sinnhorizont ein
Stück weit von der unsicherer werdenden Erwerbsarbeit abzukoppeln und
andere Tätigkeiten - vor allem im zwischenmenschlichen Bereich - stärker
mit Sinn zu erfüllen. Und so sind es in erster Linie auch mentale
Blockaden, das krampfhafte Festhalten am gestern noch Gültigen, die eine
längst überfällige öffentliche Debatte über einen Umbau und eine
Neugestaltung von Arbeit und Leben verhindern.

Denn wir leben ja längst in einem von vielen inzwischen als unhaltbar
empfundenen Paradoxon: Während ein Teil der Bevölkerung bis zur
Erschöpfung arbeitet und dabei zwar reicher, aber immer "zeitärmer" und
mußeloser wird, versinkt der andere Teil mit großem Zeitreichtum in Armut
und Apathie, während das Geld und die Kraft fehlen, die freie Zeit
sinnvoll zu gestalten.

Der überhöhte Stellenwert, den die Erwerbsarbeit genießt, versperrt zudem
den Blick auf die vielfältigen Formen der Arbeit, die in einer
Gesellschaft geleistet werden und entwertet sie. Dies ist insofern fatal,
als sich unser Wirtschaftssystem weitgehend auf nicht bezahlte Arbeit wie
Haus-, Erziehungs- und Versorgungsarbeit stützt. Wenn nur wichtig ist, was
auf dem Markt passiert und Tätigkeiten wie das Sorgen für andere, das
Zuhören und Sicheinlassen auf ihre Bedürfnisse - was zunächst gar nicht
mit Arbeit in Verbindung gebracht wird - nicht nur nicht bezahlt, sondern
auch abgewertet und missachtet werden (weil nur das zählt, was bezahlt
wird), darf man sich über das Schwinden von Wärme, Einfühlungsvermögen und
Gemeinschaftsgefühl nicht wundern.

Die entfesselte Ökonomie ist dabei, die Resourcen, auf denen sie aufbaute,
langsam aber sicher zu verbrauchen. Auf dem Weg in die
Tätigkeitsgesellschaft, auf die wir zusteuern, wird es zunächst darum
gehen, die vielfältigen Formen von Arbeit als gleichwertig zu sehen,
wertzuschätzen und insbesondere Versorgungs- und Erwerbsarbeit in ein
besseres Gleichgewicht zu bringen. Dazu gehört auch eine gleichmäßigere
Verteilung der Familienverpflichtungen zwischen Männern und Frauen. Nur
wenn es gelingt, die überzogene Erwerbsfixierung etwas zu lockern,
entsteht für jeden Einzelnen Zeit und Raum für ein balanciertes Leben
zwischen Beruf, Muße und unentgeldlichem Engagement für andere - mit
anderen Worten: Lebensqualität.

© 2.5.2000, Ein Service vom Hamburger Abendblatt


Wie wäre es mit ein paar - konstruktiven - Kommentaren?!!

Beste Grüße
aus Hamburg
Peter v. Hof
--
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