Bärbl Mielich, Sprecherin der BAG Gesundheit, Arbeit Soziales
Christoph Erdmenger, Sprecher der BAG Wirtschaft und Finanzen

23.9.99

 

 

An den Bundesvorstand
z.H. Antje Radcke

an alle Landesverbände

 

MEHR INHALT WENIGER STRUKTUREN

Das nachfolgende Papier zur laufenden Rentendiskussion ist ein Zwischenergebnis der letzten Sitzung der BAG Soziales. Es gibt ausserdem den Diskussionsstand der interessierten Mitglieder aus der BAG Wirtschaft wider. Beide BAG en werden sich in ihren nächsten Sitzungen im Oktober bzw. November abschliessend damit beschäftigen.

Wir wollen die Diskussion innerhalb der Partei endlich auf konkrete Füsse stellen, denn wir brauchen eigene Konzepte und Vorschläge, wenn wir in der öffentlichen Debatte gerade zur Zukunft der Renten überhaupt vorkommen wollen.

Unser Papier geht an alle Landesverbände mit der Bitte um Weitergabe an interessierte Mitglieder oder LAGen. Wir werden die Behandlung des Themas "Rente" auf dem nächsten Länderrat beantragen, sollte dies nicht ohnehin vom Bundesvorstand geplant sein. In diesem Sinne verstehen wir die Verschickung unseres Diskussionspapiers auch als Einstimmung

Wir erwarten zudem gespannt Reaktionen und Verbesserungsvorschläge!

 

Bärbl Mielich + Christoph Erdmenger

 


23.9.99

Positionspapier zur geplanten Rentenreform

Das System der Rentenfinanzierung mit einer solidarischen Kostenverteilung zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen funktionierte in Zeiten geringer Arbeitslosigkeit problemlos. Die Koppelung der Beiträge an den Faktor Arbeit und die in den letzten Jahren konstant hoch gebliebene Erwerbslosigkeit erfordern ein Umdenken bei der Finanzierung eines Rentensystems, das auch die kommenden Generationen noch in Anspruch nehmen sollen. Dazu kommt der demographische Wandel in unserer Gesellschaft, der nach allen Berechnungen seinen Höhepunkt in 2030 haben wird.

Die Reform des Rentensystems muß diesen beiden wesentlichen Fakten Rechnung tragen, soll sie auch über eine längere Zeit tragen.

Gleichzeitig besteht mit einer Rentenreform die Chance, zukunftsfähige Arbeitspolitik und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden und deutliche Signale in diese Richtung in die Gesellschaft zu tragen. Diese Chance muß genutzt werden.

Ziel einer grundlegenden Rentenreform muß die Stärkung des Vertrauens in das Soziale Sicherungssystem sein, daß Armut im Alter verhindert und BürgerInnen, deren Einkommen dem Durchschnittsverdienst in etwa entspricht, die Sicherung ihres Lebensstandards im Alter ermöglicht.

Die jetzt vorgelegten Eckpunkte und Sparmaßnahmen des Bundesarbeitsministers entsprechen in einigen Bereichen durchaus diesen Zielen.

Sparen alleine wird die strukturellen Probleme allerdings nicht lösen. Wir brauchen die Diskussion um die Verbreiterung der Einnahmenseite. Dazu wollen wir mit unserem Positionspapier einen Beitrag leisten.

Grundsicherung in die Rente einziehen

Die jetzt erstmals vorgesehene soziale Grundsicherung als Sockel in der Rente ist ein deutlicher Fortschritt in Richtung der Vermeidung von Altersarmut und wird von uns ausdrücklich begrüßt. Allerdings fehlen zwei wesentliche Faktoren zur konkreten Ausgestaltung völlig.:

Wie hoch soll die Grundsicherung sein? Das Niveau muss deutlich über dem jetzigen Sozialhilfeniveau liegen!

Wer soll das bezahlen?

Die jetzt geplante Anpassung der Renten an die Inflationsrate, die eine defacto Absenkung des Rentenniveaus bedeuten, ist nur akzeptabel, wenn die Umsetzung des Grundsicherungsmodells in naher Zukunft erkennbar ist. Die angepeilte Einführung im Jahr 2003 liegt nach der nächsten Bundestagswahl und damit nicht unbedingt in der Verantwortung der jetzt Regierenden. Eine Einführung der sozialen Grundsicherung in dieser Legislaturperiode ist unabdingbar, wenn wir innerhalb des umlagefinanzierten Systems bleiben, umstrukturieren und gleichzeitig Signale an die junge Generation geben wollen, in die Zukunft der Rente zu investieren.

Soziale Gerechtigkeit umsetzen

Die durch das Arbeitsministerium geplante Absenkung der Beitragssätze bei den ArbeitslosenhilfebezieherInnen mindert deren Rentenansprüche entsprechend. Sie werden so durch die Erwerbslosigkeit doppelt und möglicherweise langfristig benachteiligt. Eine geplante Einsparung im Haushalt des Arbeitsministeriums, die vor allem auf dem Rücken der Erwerbslosen ausgetragen wird, verstärkt die einseitige soziale Belastung erheblich und muß zurückgenommen werden.

Die Rentenreform den tatsächlichen Lebensbedingungen anpassen

Bisher gilt: wer 49 Jahre seines/ihres Lebens gearbeitet hat, erreicht den vollen Anspruch der Rente. Dieses Modell, das sich hauptsächlich an der Erwerbsbiographie von Männern orientierte, gehört der Vergangenheit an. Wir brauchen in der Rentenreform die Reaktion auf die veränderten Lebensbedingungen. Und wir haben die Chance, neue Impulse zu setzen:

Wertschöpfungsabgabe als Finanzierung eines Teils der Rente prüfen

Die Finanzierung der Rente durch die hälftigen Beiträge von ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeberinnen ergänzt durch den steuerfinanzierten Bundeszuschuß wird nach allen Berechnungen für die bestehenden und auch die geplanten zusätzlichen Leistungsansprüche (Grundsicherung, Weiterbildung, Kindererziehung u.a.) nicht ausreichen.

Wir wollen die Kosten anders verteilen, indem Abgaben auch auf kapitalintensive Branchen ausgedehnt werden!. Die Finanzierung des ArbeitgeberInnenanteils auf Basis der gesamten Wertschöpfung muß endlich geprüft und damit die technischen Details der Umsetzung konkretisiert werden. Durch die Umstellung auf die Wertschöpfungsabgabe ergeben sich Preissignale, die lenkend auf den Arbeitsmarkt einwirken, indem Abgaben nicht allein auf Lohnkosten anfallen, sondern mit der Ausweitung auf die Bruttowertschöpfung auch auf Kapitalkosten ausgedehnt werden.

Die Hinterbliebenenrente muß reformiert werden.

Ausgehend von der Tatsache, daß alle jetzt beschlossenen Reformen erst für die nächste Generation greifen, muß auch die Hinterbliebenenrente auf Realitätstauglichkeit und soziale Gerechtigkeit überprüft werden.

Die Reform der Hinterbliebenenrente wird durch zwei Trends erforderlich: Erstens sind immer mehr Frauen erwerbstätig und zweitens arbeiten auch in Familien oft beide Ehepartner. Wir streben den individuellen Rentenanspruch für Frauen und Männer an. Dieser kann sich, orientiert am "Partnerschaftsmodell" aus dem Haus Riester wahlweise so aufspalten, daß in beiderseitigem Einvernehmen der jeweilige individuelle Rentenanspruch 50% des gemeinsamen Anspruchs beträgt.

Die beiden zusätzlichen Wahlmöglichkeiten im Vorschlag des Arbeitsministers lehnen wir ab: Sie würden die Hinterbliebenen mit einem letztlichen Rentenanspruch von bis zu 140% (Teilhabemodell!) weitaus besser stellen als alle übrigen RentnerInnen.

Risikostreuung im Rentensystem, aber nicht gegen den Arbeitsmarkt

Die private Vorsorge als zusätzliche Pflichtabsicherung ist seit den jüngsten Meldungen aus dem Hause Riester vom Tisch.. Richtig ist die Einsicht, daß heute ein Kapitalstock gebildet werden muß, um die Spitze des demographischen Wandels abfedern zu können. Richtig ist auch, daß es zumindestens riskant wäre, weiterhin die Höhe der Einnahmen im Rentensystem ausschließlich von der Summe an rentenpflichtigen Einkommen abhängig zu machen. Auch der Vorschlag, den solchermaßen notwendigen Kapitalstock nicht als einen riesigen staatlichen Fonds zu organisieren, sondern für vielfältige staatlich lediglich überwachte Anbieter zu öffnen, ist zielführend.

Dennoch läßt sich ein solches Modell nur akzeptieren, wenn die Einkommen in gleichem Maße von Rentenbeiträgen entlastet würden. Dies kann durch die Verbreiterung der Finanzierungsquellen, z.B. auf Wertschöpfungsbasis (s.o.) geschehen. Oder wie jetzt lediglich "angedacht" durch steuerliche Begünstigung zumindest der unteren Einkommen Anreize schaffen. Dennoch wäre dieses Modell der Einstieg in den Ausstieg aus dem solidarischen Finanzierungsmodell von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen durch die einseitige Zusatzzahlung. Es bedeutet defacto die Erhöhung des Arbeitnehmeranteils um letztlich 2,5%

Ostdeutsche Spezifika nicht vergessen

RentnerInnen in den neuen Bundesländern haben sich zwar durch das damalige Recht auf einen Arbeitsplatz insgesamt durchgängig Ansprüche erworben. Allerdings sind sie im Gegensatz zu vielen RentnerInnen in den westlichen Bundesländern meistens ausschließlich auf die Rentenzahlungen angewiesen. Einkünfte aus Pensionsfonds oder Betriebsrenten haben sie nicht. Um eine Rentenreform zu entwerfen, die auch die Lebensbedingungen der Menschen in allen Teilen Deutschland berücksichtigt, müssen die Auswirkungen der Rentenreform für verschiedene Personengruppen berechnet werden.