Kreisverband Aichach-Friedberg
Ulrike Proeller, Kreissprecherin
Hartwaldstraße 27
86415 Mering Mering,

31. Oktober 1999

An
Bündnis 90/Die Grünen
Bundesvorstand
Platz vor dem Neuen Tor 1
10115 Berlin


Antrag auf Einberufung einer außerordentlichen Bundesversammlung

Der Kreisverband Aichach-Friedberg beantragt hiermit gemäß der Satzung des Bundes verbandes, § 11 (5) die Einberufung einer außerordentlichen Bundesversammlung, um über den weiteren Verbleib von Bündnis 90/Die Grünen in der Koalition mit der SPD zu entscheiden. Die außerordentliche Bundesversammlung soll sobald als möglich, spätes- tens aber bis Ende Januar 2000 stattfinden.

Einstimmig beschlossen auf der Kreisversammlung in Dasing am 27. Oktober 1999.


Begründung:
Der Kreisverband Aichach-Friedberg ist geschlossen der Überzeugung, dass für Bündnis 90/Die Grünen die einzige Möglichkeit, glaubwürdig, wählbar und letztlich politisch existent zu bleiben, in einem Ausstieg aus dieser Regierungskoalition besteht.

Nach nunmehr einem Jahr grüner Regierungsbeteiligung ist von dem Politikwechsel, für den wir uns engagiert und den wir unseren Wählerinnen und Wählern versprochen haben, nichts zu spüren. Wir müssen zudem erkennen, dass nicht einmal die wenigen grünen Positionen, die Eingang in die Koalitionsvereinbarung gefunden haben, politisch ernsthaft umgesetzt werden. Dass wir im vergangenen Jahr politisch praktisch nichts erreicht haben, wäre alleine schon schlimm genug. Doch die Beteiligung an dieser Regierungskoalition zerstört die zentralen Grundwerte unserer Partei. Dies ist gerade für unsere, so sehr auf Grundüberzeugungen gebaute Partei eine Katastrophe.

Als der Bundessicherheitsrat die Lieferung von Kampfpanzern in die Türkei gegen die Stimme von Joschka Fischer genehmigte, wurde eine Linie überschritten. Unser unbedingter Einsatz für Menschenrechte und für Gewaltlosigkeit ist seit diesem Tag unglaubhaft geworden.

Wir sehen den einzigen Weg zum Erhalt unserer Identität und zur Rückgewinnung unserer Glaubwürdigkeit in der schnellen Beendigung der Koalition mit der SPD. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschlossen, den Antrag auf Einberufung einer außerordentlichen Bundesversammlung zu stellen. Wir hoffen, dass sich uns weitere Kreisverbände anschließen, damit das notwendige Quorum von 10% zustande kommt.

 

Initiative „Grün bleibt glaubwürdig"

Wir Bündnisgrünen sind vor einem Jahr mit konkreten Hoffnungen und Zielen in die Bundesregierung gegangen. Wir sind angetreten für eine ökologische Wende, eine gerechtere Lastenverteilung zwischen Arm und Reich, eine konsequente Achtung der Menschenrechte und den Einstieg in eine vorausschauende Friedenspolitik.

Wir wussten alle, dass es nicht leicht werden würde, als kleiner Partner in einer Koalition mit der SPD unsere Ziele zu verwirklichen. Den Meisten unter uns war klar, dass es Kompromisse würde geben müssen, manchmal auch schmerzhafte Kompromisse. Ein Jahr rot-grüner Koalition hat nun aber alle Hoffnung auf eine soziale und ökologische Reformpolitik zerstört. Mit uns hat die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung das Vertrauen in diese Regierung verloren. Dies ist auch die Schuld von B90/Die Grünen, denn wir haben zu oft und zu lange aus Partei- und Koalitionssolidarität geschwiegen und durch unser Schweigen die Politik des vergangenen Jahres mitgetragen. Wir sind als Partei angetreten, weil wir anders sein wollten, als die etablierten Parteien. Wir haben die Macht nicht um ihrer selbst willen angestrebt, sondern weil wir unser Land gestalten und verändern wollten. Wir müssen jetzt erkennen, dass wir in dieser Regierung bisher nichts Substantielles erreicht haben und unter Gerhard Schröder auch in Zukunft nichts werden erreichen können. Statt dessen hätten wir das Land aus der Opposition heraus im letzten Jahr wahrscheinlich stärker verändern können. Nachdem schon durch die erzwungene Blockade der Altautoverordnung unsere Umweltpolitik und mit ihr Jürgen Trittin national und international um seine Glaubwürdigkeit gebracht worden war, ist die brutale Durchsetzung des Panzerexportes in die Türkei im Begriff, gleich zwei Grundpfeiler unseres grünen Selbstverständnisses zu zerstören: Unsere Friedenspolitik und den weltweiten Einsatz für die Menschenrechte.
Die Lieferung eines Testpanzers in die Türkei ist selbstverständlich eine Vorentscheidung für die spätere Genehmigung des Panzerexportes. Jeder, der sich in der Wirtschaft auskennt, weiß, dass es undenkbar ist, der Industrie erst zu gestatten, sich an der Ausschreibung zu beteiligen, um ihr dann später die Ausfuhr der Panzer zu verbieten.
Wenn wir dieses falsche Spiel weiter mitspielen, wird sich B90/Die Grünen in drei Jahren keine Gedanken mehr darüber machen müssen, ob sie die Koalition mit der SPD fortsetzen will. Es wird diese Partei in der heutigen Form dann nicht mehr geben.

Schon jetzt häufen sich die Parteiaustritte, und es sind gerade die langjährigen und engagierten Mitglieder, die uns verlassen.
Es ist jetzt höchste Zeit, dass wir, die grüne Basis, um den Erhalt unserer Partei kämpfen. Dabei geht es weder um den Gegensatz zwischen Fundamentalismus und Realpolitik, noch um Rechts oder Links. Wir wollen, dass die verschiedenen Strömungen auch weiter ihren Platz in unserer Partei haben und dass niemand zum Parteiaustritt gezwungen ist, weil in Berlin hartgesottene Politprofis glauben, die Grünen an die Wand drücken zu können. Wir wollen den Austritt aus dieser Regierungskoalition. Nicht weil wir nicht regieren wollen, sondern weil unsere Glaubwürdigkeit, uns selbst und unseren Wählern gegenüber, ein zu hohes Gut ist, um es dem bloßen Machterhalt zu opfern.