in: "Freitag", 17. September 1999

Stefanie Christmann

Die Borniertheit der Verlierer


WAHLNIEDERLAGEN

Eine Politik, die vorgibt »Es gibt keine Alternative«, ist selbst keine waehlbare Alternative

Niedergang als Normalitaet: Die Zahl der Stimmen fuer die CDU steigt nicht - aber als relativer Sieger gewinnt sie dennoch nach dem Saarland Thueringen und in NRW. Der Begrenztheit seines Repertoires entsprechend wundert Schroeder sich nicht. Stattdessen erklaert er die Nichtwaehler zum Problem. Aber sind nicht primaer diejenigen das
Problem, die sie frustrieren? Allen voran Gerhard Schroeder? Schliesslich sind im Herbst '98 die Menschen in der Hoffnung auf Wandel und Umbruch zu den Urnen gegangen. Dann wurde ihnen gesagt: Es gibt keine Alternative. Weshalb sollten sie nun also nochmal ihre Zeit mit dem Weg zur Stimmabgabe vertun, wenn es in der Politik ohnehin
keine Alternativen mehr geben soll?

Dass etwa im reichen Essener Sueden die Wahlbeteiligung bei 70, im armen Essener Norden bei 30 Prozent lag, zeigt schlaglichtartig, wer sich etwas von Politik verspricht und wer nicht. Der von wirtschaftlicher und kultureller Partizipation tendenziell ausgeschlossene Teil der Gesellschaft, der frueher auf die SPD hoffte, erkennt SPD und
Demokratie nicht mehr als geeignete Instrumente an, die eigene Lage zu verbessern. Kein Wunder bei dieser Koalition, enthaelt doch das Sparpaket und enthielt der Rentenvorschlag der frueheren Landesvorstandssprecherin der thueringischen Gruenen, Katrin Goering-Eckardt (MdB), zusaetzliche Massnahmen (Streichung der
Hinterbliebenenrente etc.), diese Gruppe - mehr als ein Drittel der Bevoelkerung - dauerhaft, auch im Alter draussen zu halten.

Unter denen, die heute Politik missstalten, sind viele durch Bildung und Partei in kurzer Zeit nach oben gespuelt worden. Die zermuerbenden alltaeglichen Existenzkaempfe des unteren Drittels sind ihnen fremd. Die neuen »Volks«-Vertreter gehen ueber die zunehmende Hoffnungslosigkeit der Modernisierungsopfer hinweg, als seien diese
Menschen Objekte, blosse Zahlen. Diese Repraesentanten des Souveraens haben keinen Respekt vor Armen, die aber auch Souveraen sind. Woher nehmen Schroeder, Goering-Eckardt & Co. die masslose Arroganz zu erwarten, von den kompetenten Leistungstraegern des psychischen und materiellen UEberlebens gewaehlt werden zu wollen?

Wie hervorragend der Wahlkaempfer Reinhard Klimmt war, machten die Wahlen in Thueringen und NRW offenbar. Aber falls Schroeder gehofft haben sollte, Klimmt rasch einzubinden, wuerde in Saarlands Bruderland NRW der SPD ein paar Stimmen retten, hat er sich in der politischen Klarsicht der WaehlerInnen getaeuscht. Zu offensichtlich ist, dass Schroeder im Rahmen seiner symbolischen Politik zwar notfalls innerparteiliche Gegner einbindet, dass er deshalb aber nicht seinen Standpunkt veraendert: Es gibt keine Alternative ist seine Devise geblieben.

Es wird der SPD nur gelingen, Waehler anzuziehen, wenn sie soziale Gerechtigkeit tatsaechlich zum Projekt macht, also Reichtum ueber Vermoegens-, Einkommens- oder Erbschaftssteuer sozialpflichtig macht, Beamte und Besserverdienende in die Sozialversicherung einbezieht, um Menschen, die auf Erwerbslosen- und Sozialhilfe angewiesen sind, integrieren zu koennen. In diesem Herbst und Winter sind Taten gefordert, denn Schroeders Worten glaubt weniger als ein Jahr nach seiner Wahl niemand mehr.

Eichels Vorstellung, eine Generation duerfe nicht auf Kosten der naechsten leben, ist richtig. Das bestreiten auch die Waehler nicht, wie die Popularitaetswerte fuer den Finanzminister belegen. Aber die BuergerInnen verlangen, dass sozial gerecht gespart wird. Wenn Hans Eichels Konzept von Generationengerechtigkeit auf die Nutzung der
Ressourcen ausgedehnt wuerde, was viel wichtiger waere als die Sanierung der Finanzen, wuerde die Jugend, die sich laut Shell-Studie positive Veraenderungen vor allem von Greenpeace erhofft, vielleicht sogar zur Wahl gehen.

Wieviel Chancen hat Schroeder noch? Falls die Koalition sich, wenn nicht im Sinne der Demokratie, dann wenigstens zum Zweck des Machterhalts, dazu durchringen sollte, soziale Haerten abzubauen, braucht sie neue Einnahmequellen. Der CDU-Chef wird nicht den gefuegigen kleineren Partner einer inoffiziellen grossen Koalition spielen.
Schaeuble hat aber bereits angekuendigt, dass er die Bundesratsmehrheit der Union fuer Nachbesserungen zugunsten des Mittelstands nutzen will. Also nicht fuer die Unterschicht.

UEber Schroeders Zukunft wird teilweise im Bundesrat, vor allem aber in NRW entschieden. In der traditionellen SPD-Bastion sind die SPD-Waehler der grossen und kleinen Parvenus ueberdruessig. Die Skandale selbst sind gar nicht alle spektakulaer, aber ihre ploetzliche Vielzahl ruft Ekel hervor. Dass dieser alte und neue Filz ploetzlich
oeffentlich wird, hat Gruende. Johannes Rau naemlich hatte mit sanfter Hand die Landespressekonferenz fest im Griff, »Wir in NRW« schloss die Journalisten ein - waehrend Clement mit seinem haeufig cholerischen Temperament die Presse in kuerzester Zeit gegen sich aufbrachte, beispielsweise mit Drohbriefen, als er wegen der Affaere um die
Dortmunder Trickfilmfirma (100 Mio. Landessubventionen fuer 25 Arbeitsplaetze) in der Kritik stand. Sein Vorbehalt gegen das vom WDR geplante »Ballungsraumfernsehen« und seine Idee, stattdessen im Raum Dortmund mit auswaertigen TV-Investoren zusaetzliche Konkurrenz um den, bisher genau abgegrenzten, Werbemarkt der NRW-Medien zu schaffen, steigerte bei den Regionalen das Interesse, der SPD am Zeug zu flicken. Anders als Eichel, Klimmt und Dewes kann - und vor allem: sollte - der Ministerpraesident in NRW sich deshalb nicht auf unguenstigen Wind aus Berlin herausreden. Zumal Clement als vehementer Kriegsbefuerworter und unternehmerorientierter Modernisierer ohnehin pars pro toto des Schroeder-Kurses ist.

Fuer Schroeder wird es eng: Kanzler wird er nur bleiben, wenn die SPD NRW haelt. Mit Clement ist das fraglich. Muentefering, Raus heimlicher Kronprinz, koennte das Ruder in NRW herumreissen, ist aber in Berlin unabkoemmlich. Die SPD auf konstruktiven Kurs bringen und die Stimmung in NRW fuer die SPD drehen - beides kann er kaum schaffen. So dass Schroeder nun fuer acht Monate die Geisel seines Duesseldorfer Kompagnons ist, der ihm politisch so sehr aehnelt. Mit einer Landtagswahl begann Schroeders Siegeszug, mit einer Landtagswahl
koennte er enden.

Selbst wenn auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember wieder eine Aufbruchsstimmung erzeugt wuerde, die in Kiel truege: Die entscheidende Wahl findet am Rhein statt, und Wolfgang Clement wird im Mai 2000 nicht nur gegen die CDU und ihren Kandidaten Ruettgers, sondern auch gegen etliche Medien der Region antreten muessen, die er sich zum Feind gemacht hat. Die etwa 2000 SPD-Abgeordneten, die gerade in Stadt- und Gemeinderaeten ihr Bedeutung gebendes Amt verloren haben, werden kaum fuer Landtagswahlkampf zu gewinnen sein. Im Gegenteil: Clement und Schroeder erwartet ein Aufstand der Enttaeuschten.

Darauf hoffen, dass es in Schleswig-Holstein und NRW gemeinsam mit den Gruenen nochmal reicht? Seit die gruene Partei kein Lebensgefuehl mehr verkoerpert, und seit die engagierte Basis zur Durchsetzung des Kosovo-Krieges an den Rand gedraengt wurde, ist das Mobilisierungspotentil der Gruenen selbst gering. Und worin unterschiede sich der tonangebende Mainstream der Partei inhaltlich noch vom Absteiger SPD? Auf sie zu hoffen, koennte vergeblich sein.

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