Der Tagesspiegel
vom 21. September 1999Krisenstimmung bei den Grünen
Auszüge aus dem Thesenpapier des BundesvorstandsNach dem Debakel bei der Sachsen-Wahl hat der grüne Bundesvorstand die Lage analysiert und empfiehlt Konsequenzen. Wir dokumentieren Auszüge aus dem Thesenpapier des Bundesvorstands
Es ist uns als Bundespartei auch bei der Landtagswahl in Sachen nicht gelungen, einen inzwischen seit eineinhalb Jahren andauernden Abwärtstrend bei Wahlen zu stoppen und umzukehren. Wir befinden uns in einer kritischen
Situation. Nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung des gesamten Führungsteams auf Bundesebene und mit einer besseren Koordinierung mit den Landesverbänden ist ein Aufbruch aus der Abwärtsspirale zu schaffen.Wir warnen davor, die nächsten Monate, in denen wir die positive Wende erreichen wollen, mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, Suche nach Sündenböcken oder schädlichen Personalauseinandersetzungen zu vertun. Das gilt für alle Seiten. Der Bundesvorstand ist bereit und willens, seinen Teil der Führungsverantwortung im guten Zusammenwirken mit Fraktionsführung, MinisterInnen und Landesvorständen zu tragen und erwartet dafür auch die
erforderliche Rückendeckung. Alles andere muss gegebenenfalls ein Parteitag entscheiden.Die entscheidenden Schwächen unserer Partei liegen derzeit in der Politik auf Bundesebene, auch wenn in der rot-grünen Koalition wichtige Reformprojekte bereits auf den Weg gebracht wurden. Zu sehr verschwimmt in manchen Bereichen das grüne Profil. Wir agieren zu vielstimmig und richten damit Verwirrung an. Deshalb halten wir eine klare Konzeption und Zuspitzung unseres Handelns für erforderlich.
Es ist nicht zu bestreiten, dass es bei uns im ersten Jahr der Koalition ein Führungsdefizit gegeben hat. Der Bundesvorstand ist angesichts der komplexen Entscheidungsstrukturen einer Regierungskoalition nicht allein in der Lage dieses Defizit zu beseitigen. Um das erforderliche Teamspiel zu verbessern, bedarf es des Willens zur Kooperation in der Führung und auch einer guten Aufgabenteilung innerhalb des gesamten Teams.
Zwei Konsequenzen sind für uns heute schon deutlich. Zum einen brauchen wir als ein wirksames Führungszentrum, das Bundesvorstand, Fraktionsvorstand und VertreterInnen der Länderebene integriert, ein Präsidium der Partei. Es muss kleiner und handlungsfähiger sein als der heutige Parteirat. Dazu erwarten wir von der Strukturreformkommission einen konkreten Vorschlag. Die Vereinbarung von Amt und Mandat sollte für Bundesvorstandsmitglieder nicht kategorisch ausgeschlossen sein. Dagegen werden wir weder die Frauenquote noch die Doppelspitze der Partei in Frage stellen. Alle Vorschläge bedürfen einer sorgfältigen Debatte in der ganzen Partei.
Besondere Anstrengungen der Bundespartei bedürfen die sowohl im Jahr 2000 anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen als auch der Aufbau unserer geschwächten Parteistrukturen in Ostdeutschland. Alles zusammen wird ausschlaggebend sein für unsere Konkurrenz sowohl mit der PDS wie mit der FDP um die Rolle als bundesweit dritte Kraft im Parteiensystem. Vorschläge zum Aufbau einer besonderen Wahlkampforganisation auf Bundesebene sollen hinsichtlich Konzeption und Finanzierung ebenso geprüft werden wie konkrete Initiativen zur von der Bundesebene getragenen Stärkung der ostdeutschen Landesverbände.
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