Hamburger Abendblatt 20.9.99

Joschkas "Meuchelmord"

 

Fischer will die beiden Frauen an der Gruenen-Spitze loswerden - "diese Arroganz kann nicht wahr sein"

Von ANDREAS THEWALT

 

Berlin - Bei den Gruenen ist der Teufel los, da auch sie wie die SPD eine Wahlniederlage nach der anderen kassieren und im Osten der Republik in die Bedeutungslosigkeit versinken. Nun flammen die seit langem schwelenden Diskussionen ueber geeignetes Spitzenpersonal und eine Reform der komplizierten Fuehrungstrukturen wieder auf und mischen sich mit beinharten Fluegelkaempfen. Die "Spiegel"-Meldung, wonach Aussenminister Joschka Fischer sich staerker um die Parteifuehrung kuemmern und die Vorstandssprecherinnen Antje Radcke und Gunda Roestel loswerden wolle, schlug bei den Gruenen wie eine Bombe ein. Radcke wuetete: "Diese Arroganz kann einfach nicht wahr sein. Fischer hatte genuegend Zeit, sich in die Arbeit von Partei und Fraktion einzumischen." Das habe er nicht getan. "Er scheint zu glauben, dass die Partei auf den Knien vor ihm rumrutscht und um seine Hilfe fleht." Wenn er jetzt "die Wohltat seiner verstaerkten Mitarbeit ueber die Partei ausschuetten will", finde sie das "voellig daneben". Im uebrigen seien sie und Roestel bis Dezember 2000 gewaehlt. Auch Fraktionschefin Kerstin Mueller wurde deutlich: "Demontagen mitten im Wahlkampf, so reisst man die Partei herunter." Niedersachsens Gruenen-Chefin Renee Krebs sprach gar von einem "politischen Meuchelmord" Fischers an der wahlkaempfenden Gunda Roestel.

Heute wird in Berlin der Parteirat der Gruenen tagen, und dabei duerfte es maechtig rundgehen. Prominente Gruene gehen davon aus, dass Joschka Fischer "der Kopf gewaschen wird", und zwar auch von den ihm nahe stehenden "Realos".

Die aktuellen Probleme der Gruenen wurzeln in ihrer Entstehungsgeschichte als Buergerbewegung mit basisdemokratischen Idealen. Sie wollten Macht auf moeglichst viele Schultern verteilen und verboten es deshalb ihren Aktivisten, ein Parteiamt und ein Parlamentsmandat gleichzeitig auszuueben. Sie legten obendrein Wert auf die Foerderung von Frauen und erfanden auch deshalb "Doppelspitzen". An der Spitze von Parteigremien, Rats- und Parlamentsfraktionen sollen deshalb moeglichst immer zwei stehen: Es duerfen auch zwei Frauen sein, aber zwei Maenner eigentlich nicht.

Im Laufe der Jahre veraenderte sich die "Doppelspitze" zu einem Instrument im Stroemungskampf der Gruenen. Die "Fundis" wollen in der Spitze vertreten sein und die "Realos" auch. Das fuehrt in der Praxis inzwischen eher zu einer gegenseitigen Blockade der politischen Stroemungen, hemmt eine programmatische Weiterentwicklung der Partei und verlaengert die Entscheidungswege. Auch die Trennung von Amt und Mandat hat inzwischen in den Augen vieler Gruener mehr Nach- als Vorteile. Denn wenn Amts- und Mandatstraeger in verschiedenen Gremien sitzen, aber nur in Ausnahmefaellen in gemeinsamen Gremien sitzen duerfen, dann koennen sie auch leicht aneinander vorbei arbeiten. In Oppositionszeiten faellt derlei nicht weiter auf. Jetzt sind die Gruenen im Bund aber Regierungspartei, und deshalb ist die Struktur ein Problem. Als einer der ersten hatte dies Fischer erkannt, das Zugpferd der Gruenen und ihr heimlicher Parteivorsitzender, der aus dem Hintergrund viele Strippen zieht. Nicht immer ist sein Bemuehen von Erfolg gekroent. So holte er sich vor einiger Zeit beim Parteitag in Erfurt eine blutige Nase bei dem Versuch, seiner Partei eine Strukturreform schmackhaft zu machen.

Nun kommt der naechste Versuch. Nach allem, was bei den Gruenen zu hoeren ist, kann es als wahrscheinlich gelten, dass die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben wird. Das Problem mit der Doppelspitze ist hingegen offenbar nicht ganz so einfach zu loesen. Anders als die Realos, die mit Fischer ueber einen herausragenden Kopf verfuegen, sind die "Regierungslinken" ein Fluegel ohne echte Fuehrung. Bundesumweltminister Juergen Trittin ist angeschlagen und ueberall heftig umstritten. Das Machtvakuum auf der Linken moechte angeblich gerne Christian Stroebele aus Berlin ausfuellen, kann es aber dem Vernehmen nach noch nicht.

Gleichzeitig sorgt sich der linke Fluegel , er koenne in der Partei in die Bedeutungslosigkeit gedrueckt werden. Also klammern sich hier viele zaeh an die gueltigen Strukturen.

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Joschka Fischer will in den Ring

Machtkampf bei den Gruenen

 

Berlin - Die Gruenen stehen vor einer neuen Zerreissprobe. Ihr Spitzenpolitiker, Aussenminister Joschka Fischer, fordert personelle Konsequenzen an der Parteispitze und verlangt nach einem Bericht des "Spiegel" eine grundsaetzliche Reform der Parteistrukturen. Er stiess damit allerdings auf heftigen Widerstand bei Linken und Realos.

Die Parteisprecherinnen Gunda Roestel und Antje Radcke wiesen die AEusserungen Fischers empoert zurueck und warfen ihm Arroganz und Partei schaedigendes Verhalten vor. Es stehe Fischer ueberhaupt nicht an, solche Forderungen zu erheben, sagte Frau Radcke. Darueber entscheide immer noch der Parteitag. Frau Roestel warf Fischer vor, gegen alle demokratischen Gepflogenheiten zu verstossen.

Aussenminister Fischer ist bereit, sich mehr um die Parteiarbeit zu kuemmern und in den kommenden zweieinhalb Jahren mehr als bisher zu Wahlkampf und Werbungszwecken zur Verfuegung zu stehen. Allerdings schraenkte er ein: "Ich mache das, aber ich mache das nicht allein."

Zudem stellte er Bedingungen: Roestel und Radcke sollen durch ein anderes Duo ersetzt werden. Fuer die Parteispitze wuenscht er drei Stellvertreter. Ein Generalsekretaer soll die personelle und strukturelle Reform der Partei einleiten. Ein Sonderparteitag soll die Trennung von Amt und Mandat aufheben.

Die Hamburger Gruenen reagierten auf den erneuten Fuehrungsstreit verstaendnislos. "Das ist eine ueberfluessige Diskussion", sagte GAL-Vorstandssprecher Peter Schaar, der dem Realo-Fluegel angehoert. GAL- Vorstandssprecherin Kordula Leites vom linken Fluegel kritisierte, die Konzentration auf eine Person sei eine Kurzschlussreaktion und Scheinloesung, die die Gruenen nicht nach vorn braechten.

Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Gruene) sprach sich gegen Joschka Fischer als Parteivorsitzenden aus. Die parlamentarische Geschaeftsfuehrerin der Gruenen-Bundestagsfraktion, Kristin Heyne, begruesste dagegen, dass Joschka Fischer wieder mehr Verantwortung fuer die Partei uebernehmen wolle. (dpa)