Die Welt, 20.9.99

Fischer will die Niederlagen der Gruenen zur Reform nutzen

Realos fordern Ende des Quotengestruepps

Von Armin Fuhrer

 

Berlin - Haeufig sind es die Stunden schwerer Krisen, die einem Land oder einer Organisation einen Modernisierungsschub bescheren. Die Gruenen duerfen fuer diese These als Lehrbeispiel gelten: Nach der Serie der katastrophalen Wahlniederlagen der vergangenen Wochen macht sich die einstige OEko-Partei jetzt mit erstaunlicher Hast daran, heilige Kuehe der vergangenen Jahre auf einen Schlag zu schlachten. Die Parteispitze soll komplett umstrukturiert und damit gestaerkt werden.

Einem solches Ansinnen, schon vor Jahren zumindest ansatzweise vom damaligen linken Vorstandssprecher Juergen Trittin und manchen Vertretern des Realo-Fluegels gefordert, hatten sich die Fundis vom linken Fluegel und vor allem die bei den Gruenen maechtige Basis, die der Parteifuehrung prinzipiell kritisch gegenuebersteht, verweigert. So hatte sich die Partei nach der Regierungsuebernahme in Bonn nur zur Schaffung eines voellig machtlosen 25-koepfigen Parteirats durchringen koennen. Seine Aufgabe ist es, die Arbeit von Bundespartei, Fraktion und Landesverbaenden zu koordinieren. Seine Kompetenzen sind indes gleich null - dem zahnlosen Gremium kommt allenfalls eine beratende Funktion zu.

Unter der schwachen Stellung der Parteispitze haben die Gruenen von jeher gelitten, weil sie eine effektive Arbeit und rasche Reaktionen auf neue Entwicklungen unnoetig behinderten. Das scherte Basis und Parteitagsdelegierte indes lange Zeit wenig - ihnen war basisdemokratische Selbstbefriedigung wichtiger als effektive Arbeit. Je mehr die junge Partei aber in verantwortliche Positionen einzog, offenbarten sich die Schwaechen der Struktur. Insbesondere die Tatsache, dass es keine Vorsitzenden, sondern Vorstandssprecherinnen gibt, erweist sich als Mangel. Denn davon, dass sie wirklich die Zuegel der Partei in Haenden halten, kann keine Rede sein.

Nachteilig - das sehen gerade Gruene vom Realo-Fluegel so - ist auch die Doppelspitze, die es seit den Gruendungstagen der Gruenen gibt. Demnach muss die unmittelbare Parteispitze immer aus zwei gleichberechtigten Personen bestehen, die zudem nach einem komplizierten Quotensystem ausgewaehlt werden. Auf Platz eins hat bei den Gruenen, die Feminismus und Frauenquote hoch halten, grundsaetzlich immer eine Frau zu stehen. Dies gilt uebrigens fuer alle zu vergebenden Posten und Mandate - selbst auf den Laenderraeten, den kleinen Parteitagen, darf eigentlich nur ein Mann reden, wenn zuvor eine weibliche Delegierte gesprochen hat. Bei der Besetzung der Doppelspitze kommen indes weitere Quotierungen hinzu, die zwar nirgends offiziell festgeschrieben sind, aber zum Seelenheil der Partei bislang unabdingbar waren. Dazu gehoert die Fluegelquote, nach der jeder der beiden Fluegel vertreten sein muss; dazu gehoert auch die Ostquote, nach der immer ein Mitglied aus den oestlichen Landesverbaenden einen der zwei Posten besetzen muss.

In diesem Quotengestruepp verhedderten die Gruenen sich nach der Bundestagswahl, weil sie im Kabinett drei Ministerposten erhielten - und zwei Maenner nach Ansicht vieler Parteimitglieder als ehemalige Landesminister mit Profil unbedingt ins Kanzleramt einziehen sollten: Joschka Fischer und Juergen Trittin. Da mit Andrea Fischer nur eine Frau am Kabinettstisch Platz nahm, setzten ihre Geschlechtsgenossinnen vor dem Parteitag im November durch, dass sie diesmal sowohl beide Sprecherposten besetzen durften als auch Zugriff auf einen der beiden Posten in der EU-Kommission haben wuerden.

Die Kritik an diesen Quotierungen wurde auch innerhalb der eigenen Reihen spaetestens nach der Regierungsuebernahme in Bonn/Berlin immer lauter. Sie verhinderten eine effiziente Arbeit - und vor allem verhinderten sie, dass die wirklich faehigen Koepfe auf die wichtigen Posten kaemen, so die Kritiker.

Genau das ist auch der Hauptgrund, der nach Ansicht immer mehr Gruener, wie Aussenminister Fischer, gegen die Trennung von Amt und Mandat spricht. Demnach darf kein Parteimitglied, das ein Mandat - also zum Beispiel einen Bundes- oder Landtagssitz hat - auch einen Parteiposten bekleiden; das Gleiche gilt natuerlich auch umgekehrt. Einige realpolitisch orientierte Landesverbaende hatten in der juengeren Zeit damit begonnen, diesen Grundsatz aufzuweichen.

Gunda Roestel, die jetzt in die Kritik geratene Vorstandssprecherin, die seit langem eine der profiliertesten Vorkaempferinnen fuer eine Strukturreform der Partei ist, hatte offenbar in Erwaegung gezogen, fuer den Fall eines Einzugs in den saechsischen Landtag die Parteisatzung zu brechen, indem sie beides - Amt und Mandat - bekleiden wollte. Damit, so hiess es in ihrer Umgebung, haette sie die Partei zu einer Entscheidung zwingen wollen. Daraus ist nun, nach der erneuten Wahlschlappe der Gruenen in Sachsen, nichts geworden. Ironie des Schicksals: Gerade diese Niederlage wie auch das Debakel der Vorwochen haben die parteiinterne Diskussion jetzt voll in Fahrt gebracht.

 

Mehr Informationen zur Struktur der Gruenen:

http://www.gruene.de/index2.htm


 

Grosse gruene Koepfe

Leitartikel von Torsten Krauel

 

Kleine Koalitionspartner leben von grossen Personen. Ein kleiner Koalitionspartner muss auf Bundesebene die Zuegel in der Hand haben, wenn er fuer die Bevoelkerung wichtig werden soll. Der kleine Partner, nicht die grosse Volkspartei, muss als berechenbar gelten; an ihm muss zuverlaessig abzulesen sein, welchen Kurs eine Koalitionsregierung im Grossen und Ganzen einschlagen wird.

Kleine Parteien leben von grossen Personen, die diese Berechenbarkeit verkoerpern. Denn die Chefs der grossen Volksparteien neigen, von den Fluegeln ihrer Parteien gezwungen, zu sehr zum Taktieren. Solche Berechenbarkeit des kleineren Koalitionspartners muss notwendigerweise inhaltlich unscharf bleiben, denn die Taktiererei grosser Volksparteien entspringt ja meistens gerade programmatischen Streitigkeiten. Da darf der kleine Partner nicht allzu unbeweglich an eigene Grundsaetze gebunden sein, denn gerade dann wuerde ja die Beweglichkeit preisgegeben, die noetig ist, um sich auf die Seite der einen oder anderen Stroemung der Volkspartei zu schlagen und so den Ausschlag zu geben. Ein paar dehnbare Grundmaximen genuegen.

Durch seine inhaltliche Unbestimmtheit, seine schiere Allgegenwart und seinen glaubwuerdigen Vetoanspruch verkoerperte Genscher solche Berechenbarkeit fuer die FDP. Als nach Genschers Abgang das Spitzenpersonal der Freien Demokraten immer blasser und Helmut Kohl immer berechenbarer wurde, sank der Stimmenanteil der Freidemokraten rasch - obschon oder vielmehr, weil zugleich deren Programmatik immer deutlicher erkennbar wurde. Die FDP machte sich zu unbeweglich. Waere sie inhaltlich noch so vage geblieben wie zu Genschers Zeiten, Schroeder regierte heute mit den Liberalen.

Die Gruenen haben zwar ihre Programmatik so weit verwaessert, dass ihre Beweglichkeit inzwischen ausreichend gesichert erscheint - aber sie haben eben keine grossen Personen, die berechenbar die Zuegel in der Hand halten. Die doktrinaere Trennung von (Partei-)Amt und (Abgeordneten-)Mandat verhindert diese Klarheit. Viele ihrer faehigen Koepfe haben wegen dieser Doktrin keine Chance, die Position der Gruenen nachhaltig zu beeinflussen. Viele ihrer nur durchschnittlich begabten Koepfe haben einzig wegen des Vorteils, kein Abgeordnetenmandat zu besitzen (was auch etwas ueber die Begabung aussagt), in hoeheren Parteiaemtern jede Chance, die Gruenen unberechenbar erscheinen zu lassen. Die Moeglichkeit, wie einst Genscher auf eine sich streitende Union, so als Gruene heute auf die sich streitende SPD Druck auszuueben, ist der Partei Joschka Fischers verwehrt - aus eigener Verbohrtheit.

Es war abzusehen, dass ambitionierte Mitglieder der Gruenen dies nicht mehr lange hinnehmen wuerden. Signale dafuer gab es in den vergangenen Wochen genug. Die Zeiten, in denen die Gruenen eine vor Aktivitaet berstende "Bewegung" waren, sind laengst vorueber. In den Strukturen der achtziger Jahre erstarrt, verliert die Partei Ende der neunziger Jahre - wie schon die FDP zehn Jahre zuvor - ihre einst beachtliche kommunale Basis; geblieben sind ihr nur mehr eine Anzahl unkonventionell und kreativ denkender Einzelpersonen. Eine Partei, deren programmatisches Fundament zerbroeckelt und die auf buergerliche Leihstimmen angewiesen ist, um die Fuenf-Prozent-Huerde zu nehmen, muss solche Talente an die Spitze stellen. Die Trennung von Amt und Mandat verhindert genau dies.

Joschka Fischer wittert nun die Gelegenheit, nach seiner persoenlichen Umgestaltung auch die von Niederlage zu Niederlage stolpernde Partei in neue Gewaender zu kleiden. Hoffentlich ist es das letzte Mal, dass ein Vorstoss des Aussenministers unter derart dubiosen Umstaenden stattfinden muss: einen Tag vor der Landtagswahl, und als Presseindiskretion.

Grosse Parteien haben grosse Politiker, kleine Parteien kleine - so laesst sich zwar die innere Machtbalance bewahren, aber als Koalitionspartner werden die Gruenen ueberfluessig. Der einzige Weg, das zu verhindern, besteht im Aufstand ihrer zu kurz gekommenen Talente gegen das Mittelmass in der Partei. Die Realos muessen geschlossen aus der Deckung kommen. Anderenfalls gilt: Die FDP wankt, weil sie ein klares Programm, aber keine grossen Koepfe hat, und die Gruenen stolpern, weil sie kein Programm haben und ihre grossen Koepfe an die Leine legen. Und so stuerzen beide kleine Parteien zur gleichen Zeit.

 

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