Berliner Zeitung: 20.9.99
Meinung

Ayatollah Fischer

Arno Widmann

Buendnis 90/Die Gruenen sind tot. Die Partei ist verschwunden. Vor aller Augen und an den sichtbarsten Ort: auf die Regierungsbank. Darum glauben wir, es gebe sie noch. Es gibt aber nur noch Joschka Fischer. Der Hinweis auf die bewundernswert tapfere Gesundheitsministerin Andrea Fischer, auf den schnoeseligen Umfaller Juergen Trittin, auf die wackere Fraktionsvorsitzende Kerstin Mueller, auf den schwaebischen Falstaff Rezzo Schlauch und seinen Landsmann Cem OEzdemir und die nicht so vielen anderen, die wir ab und zu im Fernsehen oder auf Wahlplakaten sehen, trifft nicht.

Ohne Joschka Fischer waeren die Gruenen 1998 nicht in den Bundestag gekommen. Es war sein Verdienst, dass die kleine Truppe das schaffte, und es war zu einem wesentlichen Teil seine Energie, die den Widerstrebenden in der
SPD und in der eigenen Partei ein Nicken abzwang zu "Rot-Gruen". Ohne Fischer waeren die Gruenen im Oktober 1998 beerdigt worden.

Kein Wunder, dass in dieser Partei nichts gegen ihn geschieht. Alle wissen: ohne ihn sind wir nichts. Jetzt aber bekommen die Gruenen es mit der Angst zu tun. Fischer scheint verrueckt geworden zu sein. Haette er seine Attacke auf die Parteispitze nicht ein paar Monate frueher oder aber ein paar Tage spaeter starten koennen? Was zettelte er eine Personaldiskussion vor den Wahlen in Sachsen und Berlin an? Er schadet damit ja nicht nur der von ihm nicht sonderlich geschaetzten Gunda Roestel, sondern auch seiner derzeitigen Lieblingsgruenen, der Berliner Spitzenkandidatin Renate Kuenast. Und er gefaehrdet die Koalition. Ist denkbar, dass ein von Tag zu Tag mehr unter Druck geratender Gerhard Schroeder weiter mit den Gruenen - die bekanntlich niemals seine Traumpartner waren
- koaliert, wenn die in der Republik nirgends mehr eine Rolle spielen? Muss Schroeder nicht die Gelegenheit ergreifen und den Gruenen das Leben schwer machen, schon um abzulenken von seiner Unfaehigkeit, die eigene Partei fuer
seine Politik zu gewinnen?

Fischer liebt den Gestus des gewieften Taktikers, er imitiert mit grossem Geschick Hans-Dietrich Genscher, aber er ist vor allem und zuallererst das Gegenteil davon, naemlich Sponti. Nicht der heitere, spielerische Typus, den sein jahrelanger Gegenspieler Daniel Cohn-Bendit unerreicht verkoerpert, sondern Fischer ist der Sponti als Choleriker. Einer, der monatelang sich in der Tretmuehle selbst verwirklichen kann, dann aber alles satt hat, einen Wutanfall bekommt und Freund und Feind in langen - geradezu bajuwarischen - Schimpfkanonaden niedermacht.

Joschka Fischer greife nach der Macht schreiben die Kollegen. Sie verkennen, dass er sie schon hat. Er wird auch auf der Parteiratssitzung am Montag wieder der Sieger sein. In der Partei kann er naemlich gar nicht verlieren. Er hat kein Amt, das man ihm nehmen koennte, er traegt fuer keine einzige Entscheidung die Verantwortung. Egal, was
passiert, Fischer gewinnt immer. Fischer hat die Macht in der Partei. Gaebe man ihm ein Amt, er verloere etwas von ihr. Fuer die Partei waere das ganz sicher ein Gewinn. Aber die Gesundheitsministerin Andrea Fischer hat sicher Recht, wenn sie sagt, man koenne nicht Aussenminister sein und gleichzeitig die Gruenen fuehren.

Das kommt Joschka Fischer entgegen. Denn sein Ideal ist der Ajatollah Khomeini, dem gleichgueltig war und sein konnte, wer unter ihm Ministerpraesident war. Joschka Fischer versteht sich so sehr auf die kontinuierliche
Erzwingung der Unterwerfung - also das, was man gemeinhin als Organisation bezeichnet -, dass darueber leicht sein Wissen in Vergessenheit geraet, dass die wahre Herrschaft die ist, bei der die Unterworfenen allen Launen ihres Gurus freiwillig, ja begeistert folgen. Diesen Stand vermittelt kein Amt. Er wird Personen bereitet. Wenigen und selten. Joschka Fischer weiss, wie diese Macht schmeckt.

Fischer muss auf die Khomeini-Option verzichten, er darf nicht laenger den Guru spielen, sondern muss ein Parteiamt
annehmen und einstehen fuer Dinge, die er tut oder unterlaesst. Mit anderen Worten: Weil in der gruenen Partei sonst niemand dazu in der Lage ist, muss Fischer Fischer bekaempfen. Vielleicht schafft er ja sogar das. Schliesslich hat er auch den Schweinehund in sich erfolgreich bekaempft, der der Hundertfuenfzig-Kilo-Marke so bedrohlich nahe
gekommen war.

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