Erklärung des Norddeutschen BÜNDNISGRÜNEN Linkentreffens vom 2.5.99

I. Die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis90/Die Grünen muß einen wirksamen gesellschaftlichen Beitrag gegen den Krieg leisten.

Das Norddeutsche Linkentreffen vom 2.5.99 in Hamburg sieht in den Eckpunkten für einen Leitantrag des Bundesvorstandes zur Sonder-BDK keine akzeptable Kompromißlinie für die Partei. Mit dem Plädoyer für militärischen Druck gegen Serbien und der Unterstützung des Fischer-Planes stellt sich der BuVo hinter die Kosovo-Politik der Bundesregierung. Gerade diese Politik ist es aber, die von großen Teilen der Partei mißbilligt wird. Mit seinen Eckpunkten integriert der Bundesvorstand nicht, er polarisiert. Er grenzt die Anti-Kriegs-Kräfte der Partei aus. Der Riß, der seit der Unterstützung des NATO-Angriffskrieges durch die GRÜNEN Regierungs-mitglieder und die Mehrheit der Bundestagsfrakion durch die Partei geht, kann nicht durch For-melkompromisse gekittet werden. Entweder entscheidet sich die BDK für eine Unterstützung und Fortsetzung der kriegerischen Kosovo-Politik der Bundesregierung oder für eine Anti-Kriegs-Politik.

Eine Semantik, die den NATO-Angriffskrieg zu einer humanitären Intervention verniedlicht, ist ab-solut unakzeptabel. Wer in der gegenwärtigen Situation den Krieg mit all seinen Menschen-rechtsver-letzungen und Folgen für die Zivilbevölkerung und die Umwelt nicht als solchen be-schreibt, ver-harmlost die Zerstörungen, die die NATO-Bombardements in Jugoslawien und den angrenzenden Ländern anrichten.

Folgende Punkte in einem Beschluß der Hagener BDK halten wir für unverzichtbar und werden in diesem Sinne einen entsprechenden Antrag einbringen:

1) Die NATO bzw. die Bundesregierung muß den ersten Schritt zur Lösung des Konflikts tun. Aus diesem Grund ist die sofortige und einseitige Beendigung aller NATO-Luftangriffe vernünftig und unverzichtbar. Eine bloße Unterbrechung der Luftangriffe (Feuerpause) wäre ein-deutig zu kurz gesprungen. Die Wiederaufnahme der völkerrechtswidrigen NATO-Bombenangriffe bliebe damit möglich, obwohl die Bombardements - wie selbst von den Befürworte-rInnen dieser Posi-tion eingeräumt - die offiziell verkündeten Ziele nicht erreicht, sondern im Gegenteil die Pro-bleme im Kosovo verschärft haben. Die NATO-Angriffe haben so auch dem Terror-Regime Milosevics für seine brutale Vertreibungspolitik genutzt.

2) Der Bruch von Völkerrecht und Grundgesetz durch NATO bzw. Bundesregierung / Bundestag darf nicht verharmlost werden, da damit die internationale Rechtsordnung ausgehöhlt wurde.

3) Die politische Verantwortung auch von GRÜNEN Regierungsmitgliedern und MdBs für das Zu-standekommen des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien und die Vernachlässigung ziviler Konfliktbearbeitungsformen muß benannt und kritisiert werden.

4) Der Beschluß muß eine unmißverständliche Absage an den serbischen und albanischen Nationa-lismus enthalten und deutliche Forderungen an die jugoslawische Regierung beinhal-ten, die brutale Vertreibungspolitik zu beenden. Wie auch in der Vergangenheit, durch die von den NATO-Staaten beförderte Aufteilung Jugoslawiens in ethnisch definierte Staaten, schürt und ver-schärft der Angriffskrieg der NATO den Nationalismus in der Region.

5) Die Überwachung eines Waffenstillstandes und Friedensprozesses im Kosovo über ein UN-Man-dat für Kampfeinsätze (Kap. VII-Mandat) ist unakzeptabel. Die NATO kann bei der Überwachung als Kriegspartei nicht die Führungsrolle übernehmen. Die Teilnahme deutscher, französischer, britischer und US-amerikanischer Einheiten scheidet nach Lage der Dinge aus. Jede Absicherung muß dem Gebot der Neutralität entsprechen und ist an Zustimmung beider lokalen Konfliktparteien sowie ein UN-Mandat zu binden.

6) Der in der Wirklichkeit vorhandene Zusammenhang zwischen der neuen NATO-Strategie, die die Selbstmandatierung der NATO und somit die Aufhebung des UN-Gewaltmonopols vor-sieht, und dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien muß benannt werden. Die Zustimmung der Bundesregierung zur neuen NATO-Strategie muß kritisiert werden. Deutschland muß die Umsetzung der Strategie auch in künftigen Konflikten blockieren.

7) Ein positiver Bezug auf den Fischer-Plan ist nicht akzeptabel, da er den genannten Kriterien in keiner Weise gerecht wird:
Der Plan rückt keineswegs die UNO als Konfliktvermittlungsinstanz ins Zentrum, sondern die Rolle der UNO beschränkt sich darauf, Aktivitäten, die die NATO ohnehin vorhat, mit einer Le-gitimation zu versehen. Es geht also um die Instrumentalisierung der UNO.
Der Plan sieht ein Kapitel VII Mandat für den Truppeneinsatz im Kosovo vor. Die Zustim-mung der beiden lokalen Konfliktparteien ist also nicht zwingend.
Als Truppen sind nach wie vor NATO-Einheiten ergänzt um Truppen anderer Länder vorge-sehen, sonst wäre die Erwähnung "no double key" (einheitlicher Befehlsstrang) unnötig. Es ist bekannt, daß die USA der UNO keine Truppen unterstellt, also soll es sich wohl um einen NATO-Kom-mandostrang handeln. NATO-Truppen aus den USA, F, GB und D sind jedoch in dem Konflikt Kriegspartei und taugen nicht als neutrale Überwachungskräfte. Neu ist nur das Label: Jetzt kann auch UNO statt NATO auf den Helmen stehen.
Der Plan übersieht, daß D als Kriegsteilnehmer keine neutrale Vermittlungsrolle spielen kann. Solange man selbst mitschießt, ist Zurückhaltung bei der Vermittlung angezeigt.


II. GRÜNE FDP oder soziale Reformpolitik?

Die Auseinandersetzungen um die Aussen- und Militärpolitik der rot-GRÜNEN Bundesregierung haben einen anderen schweren innenpolitischen und innerparteilichen Konflikt - den Streit um die Ausrichtung der rot-GRÜNEN Wirtschafts- und Sozialpolitik - in den Hintergrund gedrängt.

Die Ansprüche vieler GewerkschafterInnen, grüner und sozialdemokratischer Mitglieder und vor allem vieler WählerInnen an eine soziale Alternative zum autoritären Neoliberalismus der Ära Kohl wurden bislang nicht erfüllt.

Das Koordinatensystem der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik wird überwiegend weiter von neoliberalen Prämissen bestimmt. In beiden Regierungsparteien gibt es starke und einflußreiche Strömungen, die sich für weitere Steuerentlastungen des Unternehmenssektors einsetzen, als hätte es keine Gewinnexplosion und massive Steuerentlastungen in der Ära Kohl gegebenen. Die neo-liberalen Flügel in den beiden Regierungsparteien um Bodo Hombach, Gerhard Schröder,Oswald Metzger und Margareta Wolf machen sich stark für einen Niedriglohnsektor. Gefordert wird eine repressive Arbeitsmarktpolitik: über Zwang und Leistungskürzungen sollen die Menschen auch (unzumutbare) Arbeitsverhältnisse eingehen, die weder existenzsicherndes Einkommen noch eine individuelle Per-spektive von nachhaltiger Integration und beruflicher Qualifzierung bieten. Eine besonders unerfreuli-che Rolle spielt dabei die Mehrheit der GRÜNEN Bundestagsfraktion, die sich mit der Verabschie-dung der wirtschaftspolitischen Plattform "Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt" als sozial-politischer Scharfmacher in der Koalition profiliert hat. Der Wett-bewerb um die höchste steuerliche Nettoentlastung für die Unternehmen zwischen den beiden neoliberalen Flügeln der Regierungspar-teien und die Festschreibung der Diskriminierung der ge-ringfügig Beschäftigten sind Ausdruck der wirtschaftspolitischen Kräfteverhältnisse in der neuen Regierung. Prekäre und geringfügige Beschäf-tigung (630-Mark Jobs) trifft hauptsächlich Frauen. Statt eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung - auch als Chance für die gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Hausarbeit zwischen Frauen und Männern - ins Zentrum für eine alternative Gesellschaftspolitik zu stellen, werden alte Rollenmuster zementiert. Die sozialen Reformflügel der beiden Regierungsparteien konnten bislang nur wenige Akzente setzen. Der neo-liberale und unternehmerfreundliche Konsens in der Regierungskoalition läßt im Übrigen für einen Ausstieg aus der Atomenergie keinen Raum.


III. Die Zukunft der Linken in den GRÜNEN

Die Konfliktunfähigkeit der rot-GRÜNEN Mehrheit gegenüber nationalistischen und konservativen Kräften in der Auseinandersetzung um ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht, die Kontinuität neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik unter rot-GRÜNEN Vorzeichen und vor allem die Militarisierung der deutschen Aussenpolitik stellen eine bittere Zäsur für die bundesdeutsche Linke dar.

Wenn es nicht gelingt, in den GRÜNEN eine Mehrheit für eine Politik der Umverteilung, der sozialen und demokratischen BürgerInnenrechte und für eine radikale Ökologiepolitik wiederherzustellen sowie einen Ausstieg aus der Militarisierung der Aussenpolitik durchzusetzen, wird sich sehr schnell die Frage nach der Perspektive der unterschiedlichen linken Strömungen in den GRÜNEN stellen. In der im Augenblick alles überlagernden Frage der NATO- und Bundeswehrangriffe auf Jugoslawien wird auf der Hagener BDK deutlich werden, ob die GRÜNEN ihre politische Handlungsfähigkeit wiedergewinnen können oder sich der NATO-Räson unterordnen werden.

Die Diskussion wollen wir nach der Bundesdelegiertenkonferenz gemeinsam fortsetzen und die Ergebnisse und Konsequenzen gemeinsam besprechen. Die unterschiedlichen Traditionen und Strömungen der linken GRÜNEN sollten als organisatorischer und kultureller Zusammenhang weiterentwickelt werden. In den politischen Feldern Feminismus, BürgerInnenrechte und Ökologie haben die linken GRÜNEN ein Politikverständnis entwickelt, das unseres Erachtens in anderen linken Parteien keine Entsprechung findet.

Ob das innerhalb der Partei Bündnis 90/Die GRÜNEN möglich ist, ist eine noch offene Frage und hängt von den Auseinandersetzungen der nächsten Wochen ab. In jedem Fall sind wir auf die Unter-stützung der uns nahestehenden gesellschaftlichen Strömungen außerhalb der Partei ange-wiesen, mit denen wir auch eine Verständigung über die weiteren Schritte versuchen werden.


Hamburg, 2.5.99

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