Liebe KollegInnen,
der programmatischen Erklärung von Januar zufolge will BasisGrün Menschen mit wie ohne grünes Parteibuch gleichermaßen zur Verfolgung gemeinsamer gesellschaftspolitischer Ziele organisieren. Wenn dieser Anspruch eingelöst werden soll, wird er in gemeinsame Projekte politischer Intervention übersetzt werden müssen, an denen mensch sich jenseits der Parteibuchfrage beteiligen kann.
Daher möchte ich mit nachfolgendem Beispiel verdeutlichen, dass es auch auf lokaler Ebene möglich ist, öffentliche politische Projekte stattfinden zu lassen, die unterschiedliche politische und gesellschaftliche Potenziale der Opposition gegen die neoliberale Revolution zumindest ansatzweise erreichen und zusammenführen können.
Daniel Kreutz, MdL (NRW)
Die Kölner Initiative "Umverteilen!"
Im Herbst 1999 bildete sich in Köln auf Initiative einzelner linker SozialdemokratInnen um die Zeitschrift spw eine gemeinsame Initiative mit einzelnen Leuten aus Grünen, PDS, DKP und linken GewerkschafterInnen, um unter dem Motto "Umverteilen!" eine Tagesveranstaltung zu Reichtum und Armut in Deutschland vorzubereiten. Regelmäßig beteiligt waren ca. 8 bis 12 Personen, nicht als VertreterInnen ihrer jeweiligen Organisationen, sondern als VertreterInnen gemeinsamer politischer Anliegen.
Über ihre Kontaktstrukturen warben sie ca. 50 weitere UnterstützerInnen, hauptsächlich FunktionsträgerInnen aus der SPD und den DGB-Gewerkschaften, die den Veranstaltungs-Aufruf unterzeichneten und sich mit einem kleinen (MdLs/MdBs: größeren) Beitrag an der Finanzierung beteiligten. Finanzielle Unterstützung ließ sich zusätzlich über parteinahe Stiftungen einwerben.
Einblick in das politische Selbstverständnis der Initiative geben sowohl der Aufruf zu der Veranstaltung, als auch das politische Vorwort zu der Dokumentation, die ab Anfang Mai in Buchform erhältlich sein wird (Bezugsadresse siehe unten). Beide Texte sind im Anhang wiedergegeben.
Die Veranstaltung am 29. Januar 2000 war für die Beteiligten eine insgesamt ziemlich positive Erfahrung in heutiger Zeit. Rund 150 Leute nahmen von Samstag Morgen 10 Uhr bis Abends gegen 18 Uhr teil, die ansonsten normalen "Abbröckelungstendenzen" im Laufe des Nachmittags hielten sich in engen Grenzen. Es gab einen hochspanndenden Eröffnungvortrag eines Wissenschaftlers von einem Institut der Ev. Kirche, vier lebendig diskutierende Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Aspekten von Reichtum und Armut sowie eine (leider eher schwache) Podiumsdiskussion zum Abschluss mit VertreterInnen aus Wissenschaft, Gewerkschaft und sozialen Initiativen in freier und kirchlicher Trägerschaft.
Für einen konkreten praktischen Anknüpfungspunkt weiterer Aktivitäten hatte die Ankündigung der neuen schwarz-gelben Ratsmehrheit in Köln gesorgt, den "Köln-Pass" (verbilligte ÖPNV-Fahrkarten und Tickets für öffentliche Einrichtungen der Stadt für Erwerbslose und Sozialhilfeberechtigte) zugunsten eines einkommensunabhängigen "Familien-Passes" zu streichen.
Die Veranstaltung unterstützte die öffentliche Gegenwehr, und die Initiative "Umverteilen!" spielte in den folgenden Wochen keine unwichtige Rolle bei der kurzfristigen Organisierung einer Demonstration vor dem Rathaus am 29. Februar.
Auf der Kölner Mai-Kundgebung wird "Umverteilen!" mit einem eigenen Info-Stand präsent sein und mit dem Vertrieb der Dokumentation auch für den Gedanken parteienübergreifender "Einmischungs-Kooperation" von "links unten" werben.
Die bisherigen Erfahrungen in Köln bestätigen die Möglichkeit, den "Crossover"-Gedanken auch auf die lokale Ebene herunterzubrechen und davon ausgehend nützliche Initiativen politischer Einmischung zu entwickeln. Nicht verschwiegen werden sollte der Wert eines ebenso professionellen wie solidarischen Initiativen-"Managements", die in Köln von einem spw-Kollegen übernommen wurde.
Derzeit berät die Initiative über weitere Aktivitäten für die zweite Jahreshälfte. Durchaus denkbar ist, dass sie auch als lokaler Multiplikator für die Großveranstaltung zur Halbzeit von Rot-Grün fungieren könnte, die vom "Frankfurter Netzwerkebündnis" für den 23./24.09. vorbereitet wird.
Dokumentarischer Anhang:
Anlage 1:
Aufruf zur Tagung "Umverteilen!"
Umverteilen!
Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich."
Bert Brecht
Viele hatten Hoffnungen auf den Regierungswechsel gesetzt. Und in den ersten Monaten waren die Signale der neuen rot-grünen Regierung noch positiv: Wiederherstellung der vollen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Rücknahme von Verschlechterungen beim Kündigungsschutz, Erhöhung des Kindergeldes und steuerliche Entlastungen für ArbeitnehmerInnen.
Viele dieser Hoffnungen sind heute zerstört. Dem Rücktritt Oskar Lafontaines folgte nicht nur der erste Krieg, den die 'Berliner Republik' führte, sondern auch die Rückkehr zu den Grundlinien der alten, neoliberalen Politik. Soziale Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit wurde vertagt, statt dessen sparen Schröder, Eichel und Fischer wieder bei den Armen, um die Wirtschaft mit zusätzlichen Steuergeschenken zu bedienen. Auf den Regierungswechsel folgte also nicht der notwendige Politikwechsel.
Tatsache ist: Geld ist genug da!
Das Geldvermögen privater Haushalte ist seit 1991 um 63,9% gewachsen und betrug 1998 5266 Milliarden DM netto. Der Netto-Zuwachs liegt im Jahresdurchschnitt etwa beim 15-fachen aller Sozialhilfeausgaben zum Lebensunterhalt. 5 Prozent der Haushalte verfügen über fast ein Drittel dieses Vermögens sowie über die Hälfte der Vermögenseinkünfte. Nach dem Ergebnis der 1995 zum letzten Mal erhobenen Vermögensteuerstatistik gab es im früheren Bundesgebiet 155.179 Personen oder Haushalte, die zur Vermögenssteuer mit mindestens einer Million DM Gesamtvermögen herangezogen wurden. Das Netto-Geldvermögen der Produktionsunternehmen betrug nach Angaben der Deutschen Bundesbank 1998 5.579 Milliarden DM. Mehr als 10% der deutschen Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze; während der Reichtum männlich ist, ist diese Armut überwiegend weiblich. Entgegen allen anders lautenden Behauptungen ist Deutschland kein Hochsteuerland, sondern belegte 1996 im europäischen Vergleich mit einer Abgabenquote von 38,2% einen mittleren Platz; hinter Ländern wie z.B. Dänemark, Frankreich, Luxemburg oder den Niederlande. (Quelle: Bundesfinanzbericht 1999)
Wir fordern eine Politik für Arbeit und soziale Gerechtigkeit!
* Abbau der Massenerwerbslosigkeit und Förderung einer gerechten Verteilung der Arbeit zwischen Frauen und Männern durch radikale Verkürzungen der Arbeitszeit bei Sicherung auskömmlicher Einkommen.
* Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit durch ein öffentliches Beschäftigungsprogramm u.a. in den Bereichen Bildung, Erziehung, Gesundheit, Kultur und Umweltschutz.
* Gegen Ausbildungsplatzmangel und Jugendarbeitslosigkeit durch eine gesetzliche Umlagefinanzierung der Berufsausbildung für ein ausreichendes und auswahlfähiges Ausbildungsplatzangebot.
* Wir brauchen reguläre Arbeitsplätze mit existenzsichernden Einkommen statt eines neuen Niedriglohnsektors.
* Die Armutsrisiken in den sozialen Sicherungssystemen müssen durch die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung beseitigt werden.
* Mit dem Verfassungsauftrag der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist Ernst zu machen: Notwendig ist die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Besteuerung von Spekulationsgewinnen.
* Statt SozialhilfeempfängerInnen in perspektivlose Pflichtarbeit zu drängen oder mit Entzug der Arbeits- und der Aufenthaltserlaubnis zu bedrohen, sind ausreichend viele arbeits- und sozialrechtlich abgesicherte Arbeitsplätze zu schaffen.
* Der öffentliche Raum ist für alle da! Bettelverbote, Platzverweise und andere Repressionen, mit denen Arme aus den Städten vertrieben werden sollen, werden von uns entschieden bekämpft.
* Und wir fordern, öffentlich über den Reichtum zu reden, wir fordern sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene eine regelmäßige und aussagekräftige Reichtumsberichterstattung.
Wir rufen alle, die diese Forderungen unterstützen wollen, auf, an der Tagung "Umverteilen !" teilzunehmen und sich gemeinsam mit uns für Arbeit und soziale Gerechtigkeit zu engagieren.
(60 AufruferInnen)
Anlage 2:
Vorwort zur Tagungsdokumentation "Umverteilen!"
Die Tagung "Umverteilen!" am 29. Januar 2000 war keine Veranstaltung wie manch andere. Dies nicht nur wegen des thematischen Rahmens: In heutiger Zeit ist es bemerkenswert, wenn 150 BürgerInnen einer Stadt öffentlich mit ExpertInnen über den Skandal einer dynamisch fortschreitenden Gesellschaftsspaltung in Reichtum im Überfluß oben und Armut und Unterversorgung unten debattieren. Wo sich das Bedürfnis, ja die dringende Notwendigkeit artikuliert, mit der 'Sozialpflichtigkeit des Eigentums' Ernst zu machen, um der sozialen Desintegration eine Perspektive zukunftsfähiger Teilhabegesellschaft entgegenstellen zu können.
Bemerkenswert ist zweitens, wer sich da zusammengefunden hat, um solche Debatten wieder stattfinden zu lassen: Ein bunter Kreis von SozialdemokratInnen, Grünen, von PDS- und DKP-Aktiven sowie von GewerkschafterInnen, die über alle Partei- und sonstigen Grenzen hinweg darin übereinstimmen: an eigenständiger politischer Initiative von unten führt kein Weg mehr vorbei, seit unübersehbar wurde, dass der Regierungswechsel von Kohl zu Schröder, von Schwarz-Gelb zu Rot-Grün nicht den von den WählerInnen ersehnten Politikwechsel brachte, sondern eher die verschärfte Fortsetzung des alten, neoliberalen Kurses mit anderen Mitteln.
Der weitgehende Ausfall einer parlamentarischen Opposition, die demgegenüber Ansprüche sozialer Gerechtigkeit, der ökologischen Nachhaltigkeit und der Emanzipation verteidigen würde hat das Tempo der 'Revolution von oben' noch beschleunigt. Unter zusätzlichem Druck einer starken rechten Opposition treibt der rot-grün geführte demokratische Staat seine Selbstentmachtung gegenüber einer kapitalistischen Wirtschaft voran, deren Akteure ihren Macht- und Besitzegoismus mit dem Schlagwort "Globalisierung" zum Naturgesetz erheben und seine Beachtung zur vornehmsten Aufgabe der Allgemeinheit erklären.
Nachdem die SPD aufhört, 'sozialdemokratisch' zu sein, die Grünen aufhören, 'sozial-ökologisch' zu sein, Gewerkschaftspolitik immer öfter die Frage aufwirft, wofür man noch Arbeitgeberverbände braucht, sich unter PDS-KollegInnen Sorge ausbreitet, das auch ihre Partei dem politischen Mega-Trend folgen könnte - und nachdem sie die Erfahrung machten, dass es auf der Linken über organisatorische Grenzen hinweg mehr Gemeinsamkeiten gibt als mit den jeweils "eigenen" Neoliberalen - nach alledem halten die InitiatorInnen der Initiative "Umverteilen!" gemeinsame politische Selbsthilfe von links-unten für endgültig unumgänglich. Raus aus der Zuschauerdemokratie - gleichsam Arsch huh und Zäng ussenander - ist der gemeinsame Impuls.
Könnte sich dies gar als neuer Ansatz des Politikmachens erweisen? Politik jenseits und quer zu Parteien? Kann darin eine Chance liegen, das verbreitete, aber politisch sprachlose tiefe Unbehagen an der real existierenden Gesellschaftsentwicklung auf die Bühne öffentlicher Auseinandersetzung zurückzubringen? Wir wissen es nicht. Allzuoft ist linke Euphorie im Katzenjammer geendet. Und eine Tagung in Köln macht noch längst keine Bewegung.
Dennoch glaubt die Initiative "Umverteilen!", das der Versuch in Köln es wert ist. Wo wäre auch die plausiblere, vielversprechendere Alternative für diejenigen, die vor der Gewalt des Turbo-Kapitalismus nicht einfach kapitulieren oder in Sekten-Nischen überwintern wollen? Die schlichte Weiterverfolgung bekannter Partei- und Organisationsroutinen ist es sicher nicht.
Neoliberale Veränderung, Umverteilung von unten nach oben findet keineswegs nur in der 'großen' Politik statt. Die von der rechten Ratsmehrheit durchgedrückte Abschaffung des KölnPasses, durch den ein Minimum an Teilhabe und Mobilität auch für die Armen in Köln bezahlbar war, zählt zu den spektakuläreren Meilensteinen jenes Übergangs von der Bekämpfung der Armut zur Bekämpfung der Armen, die schon zuvor mit dem 'Bedarfsermittlungsdienst' eingeleitet war. Der massive Privatisierungsangriff auf städtische Betriebe und ihre Beschäftigten verdeutlicht, dass der Rückzug der Politik aus der Wirtschaft und der Umbau des öffentlichen Sektors zu 'normalen' ökonomischen Wettbewerbsmärkten auch vor Ort stattfindet.
Deshalb beließen es die InitiatorInnen und TeilnehmerInnen der Tagung "Umverteilen!" auch nicht beim Debattieren allein, sondern organisierten Einmischung gegen die Abschaffung des KölnPasses. Dazu beizutragen, dass sich verstärkt öffentliche, solidarische Gegenwehr regt, und dies zu verbinden mit dem Werben für die Einsicht, das notwendige Ziele vor Ort notwendige Politikwechsel im Großen erfordern, bleibt gemeinsames Leitmotiv über die Tagung hinaus. Weitere Aktivitäten dazu sollen folgen.
Bezugsadresse für die Tagungs-Dokumentation:
spw-Verlag, Fresienstr. 26, 44289 Dortmund
Tel.: 0231/402410, E-Mail: verlag@spw.de
192 Seiten, Preis: 7 DM + Porto