Marco Eilers Mitglied des Landesvorstandes Anger 14 99084 Erfurt Tel.: 0171/4700534 Email: marco.eilers@firemail.de
Deren Papier erkennt zwar die zentrale Bedeutung einer neu zu organisierenden Arbeitsmarktpolitik an, besticht aber durch das eindimensionale Problembewusstsein der Autoren. Im Interesse einer grundlegenderen und ganzheitlichen Diskussion, sind folgende Anmerkungen unerlässlich:
Das gesamte Konzept enthält schon in der Überschrift einen
richtungsweisenden Denkfehler. Schon mit dem betitelten und durchaus
kreativ, sowie modern klingendem erdachten Namen "Flexicurity",
stellt die gegenwärtigen Dimensionen einer geforderte Flexibilisierung
als unverrückbare und zu akzeptierende Instanz dar. Aufgrund der Tatsache endlos steigender Unternehmensgewinne, besonders
der großen Aktiengesellschaften, und angesichts der vom wirtschaftlichen
Wachstum längst entkoppelten Tarifabschlüsse, stellt dies
eine intellektuelle Farce dar.
Eine Reihe von Arbeitgebern forderte für die internatonale und
exportorientierte deutsche Wirtschaft eine Intensivierung der Bemühungen
im bildungspolitischen Bereich, während bei ihnen die eigene Bereitschaft
für die Fortbildung der eigenen Mitarbeiter immer weiter zurück
ging. Auch die Praxis einer Reihe von Arbeitgebern über mangelnde Fachkräfte zu klagen und selbst den eigenen zu bringenden Beitrag für die berufliche Bildung zu negieren, zeugt von einer mangelnden eigenen solidarischen Bereitschaft. Bildung ist ein sehr kostenintensives Gut, weshalb es für deren Finanzierung geboten ist, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und bei der Erbschaftssteuer die Freibeträge zu senken, sowie deren Abgabenhöhe nach oben zu verändern.
Auch die zunehmende Praxis einiger Firmen, Menschen mit vollmundigen
Offerten anzuwerben und sie schon bei einer absatzbedingten temporären
Durststrecke nach der amerikanischen Methode "hire and fire"
zu entlassen, torpediert den inneren sozialen Frieden in der Gesellschaft. Zur Belohnung eigener fehlender Bemühungen werden aus den arbeitnehmerlastig gezahlten Steuereinnahmen des Staates noch Lohnzuschüsse an die Arbeitgeber ausgeschüttet, damit sie überhaupt und wenn auch nur für die Dauer eines staatlichen Anspruchs auf finanzielle Beihilfen, sogenannte schwer zu vermittelnde Personen einstellen.
Trotz des unvollständigen Denkansatzes des Konzeptes "Flexicurity", möchte ich positiv hervorheben, dass die Erkenntnis insgesamt zur Notwenigkeit einer neugestalteten Arbeitsmarktpolitik gereift ist. Die arbeitslosen BürgerInnen sollten zukünftig gegenüber dem Arbeitsamt als Kunden und nicht als Bittsteller auftreten können, was auch für die anderen Behörden zu gelten hat. Sie sind nur bedingt für die strukturellen wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen der Vergangenheit verantwortlich, was zu einer Bringschuld des Staates gegenüber den arbeitssuchenden Mitmenschen führen muss und im "Flexicurity- Konzept" auch angemerkt ist. Da sie als einzelne Individuen mit ihrer misslichen Lage schon ein ganzes Bündel von finanziellen und sozialen Einbußen zu verkraften haben, sind alle weiteren Repressionsmaßnahmen sofort einzustellen. Das Arbeitslosengeld und später die -hilfe, die sozialen Folgen im eigenen Umfeld, sowie die damit einhergehende psychische Belastungssituation reichen als negative Folgeerscheinungen, zur Motivation eine erneute Tätigkeit zu suchen, vollkommen aus. Die gegenwärtigen, besonders unter der Kohl- Regierung erweiterten
Zumutbarkeitsregeln auf arbeitssuchende Menschen, wie übermäßig
lange Anfahrtswege zur Arbeit unter Androhung von Sanktionen bei Nichterfüllung,
sind umgehend zu beseitigen. Um eine Gleichberechtigung zwischen den vom Arbeitsamt anspruchsberechtigten
Personen und den auf Sozialhilfe angewiesenen Menschen herzustellen,
sind auch die Zwangsarbeiten unter Androhung von Sanktionen bei Arbeitsverweigerung,
mit der rechtlichen Legitimationsgrundlage des Bundessozialhilfegesetzes
(BSHG) abzuschaffen. Hierbei bestehen in der Intensität des Zwangs
zur Durchführung der "gemeinnützigen Arbeiten" auch
wesentliche Unterschiede vor Ort, da deren Ausführung den Kommunen
mit meist eigenen Beschäftigungsgesellschaften obliegt. Sie sind
in diesem Ausmaß erwiesenermaßen nicht dazu geeignet, Menschen
auf den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern und bewirken eine nach unten
gehende Spirale von immer niedrigeren Anspruchsvoraussetzungen gegenüber
dem Arbeitsamt.
Absolut inakzeptabel ist von den drei Verfassern folgender Satz: Arbeit
muss sich lohnen. Unnachvollziehbar ist außerdem die Integration von Zeitarbeitsfirmen für die Arbeitsmarktpolitik. Diese sich ausweitetende Beschäftigungsform konterkariert für den Arbeitnehmer vereinbarte Lohnstandards. Nutznießer ist erstens der Arbeitgeber, der tarifvertragliche Regelungen umgehen und je nach Bedarf, ohne weitere Verpflichtungen Menschen beschäftigen kann und die Zeitarbeitsfirma selbst. Sie behält ein in der Höhe aushandelbaren Betrag des Arbeitslohns als Vermittlungsgebühr ein, während sich der Arbeitnehmer als benötigter und auch tätiger Mensch mit einem Dumpinglohn abfinden muss. Derartige Auswüchse einer neoliberalen Arbeitsmarktpolitik müssen umgehend unterbunden werden. Als ein sozial- und arbeitsmarktpolitisch relevantes Ziel sehen auch die drei Verfasser den Abbau von Überstunden. Nicht nur deren Abbau ermöglicht mehr Menschen eine berufliche Existenz, auch eine forcierte Teilzeitoffensive würde den Arbeitsmarkt deutlich entlasten. Sie ist ein zentrales Instrument, um die vorhandene Arbeit hierzulande gerechter zu verteilen und würde zu einer wesentlich wirkungsvolleren gesellschaftlichen Integration, der nicht so stark belastbaren Mitmenschen führen. Der öffentliche Dienst ist dazu aufgefordert, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Als einen begrüßenswerten Punkt in meiner Bewertung möchte
ich die wiederholte Betonung der drei Verfasser für eine soziale
Grundsicherung hervorheben, die den betroffenen Empfängern durch
pauschalierte Leistungen unnötige und auch diskriminierende bürokratische
Prozesse erspart. Sie würde den längst fälligen Abbau
staatlicher Bevormundung über die privaten Ausgaben jedes einzelnen
bewirken. Zur Stärkung des sozialen Friedens und zur Verbesserung der finanziellen Lage für breite Teile der Bevölkerung ist der Flucht immer weiterer Arbeitgeber aus den Flächentarifverträgen entgegen zu wirken. Unbestritten ist die teilweise schwierige finanzielle Lage einiger Unternehmen, weshalb aber die Flächentarifverträge bei Bedarf sinnvollerweise Ausnahmeregelungen zulassen. Ansonsten ist die Schaffung wirkungsvoller Mechanismen gegen die sich ausbreitenden Niedriglöhne höchst prioritär. Ziel unserer Politik hat bei einer Wahrung der Tarifautonomie die Sicherstellung adäquater Rahmenbedingungen für beide Tarifvertragsparteien, weshalb den Gewerkschaften noch in dieser Legislaturperiode ein Verbandsklagerecht, wie bei den Naturschutzverbänden zugestanden werden muss. Eine Ursache hoher Arbeitslosigkeit besteht in der gegenwärtig besonders aktuellen tausendfachen Freisetzung von Mitarbeitern zu Gewinnmaximierungszwecken einiger weniger. Begünstigt wird diese Entwicklung, durch die um sich greifende Welle von Fusionen großer Konzerne trotz erträglicher Gewinne. Diese volkswirtschaftlich schädliche Praxis ist zukünftig mit einem schärferen Kartellgesetz zu unterbinden. Ein weiteres Problem besteht bei den Aktiengesellschaften in der Unplanbarkeit ihres zukünftigen Stammkapitals. Die verstärkte Praxis von Anlegern, in kurzfristigen Intervallen mit ihrem Vermögen zu pokern, kann volkswirtschaftliche Desaster auslösen, bei der die demokratisch legitimierten Instanzen ins Abseits geraten. Beispiele sind hier die Ostasienkrise, oder aktuell der Verfall des Wertes der Telekomaktie aufgrund unseriöser Praktiken der Deutschen Bank. Somit werden viele Arbeitnehmer in ihrer Existenz Opfer eines kurzfristigen Gewinnstrebens, dem wir mit einer Devisenumsatzsteuer Einhalt gebieten müssen, um derlei Praktiken unattraktiv zu gestalten. Um wirtschaftlich schwer abzuschätzende Turbulenzen aufgrund überhitzter Stimmungen an Kapitalmärkten nicht auch noch einen weiteren Nährboden zu bereiten, ist von Privatisierungen der Sozialversicherungsabgaben ganz abzusehen. Es ist zu vermeiden, dass der Staat mit Anreizen das Spekulationsfieber erhitzt, was gerade für Entwicklungsländer, wo mit kurzfristiger Gewinnabsicht, aber ohne dauerhaftem Vertrauen in die Anlage, schwerwiegende entwicklungspolitisch nicht beabsichtigte, Folgewirkungen entstehen können.
Große Probleme in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bereiten die sich verstärkenden Kapitalakkumulationsprozesse, die zu einem immer größeren Machtpotential einer kleinen Gruppe von Menschen führt, die nicht demokratisch legitimiert eigene Interessen ungeachtet des Allgemeinwohls in die Tat umsetzt. Trotz verschleiernder Taktiken realisiert die große Mehrheit der Bevölkerung die Entwicklung zu einer immer ausgeprägteren Polarisierung. Die sich abbauende Chancengleichheit für eine positive Gestaltung der eigenen Biografie, gepaart mit sozialen Härten, lassen die Akzeptanz demokratischer Strukturen fortlaufend sinken. Dies wird sich gepaart mit Gefühlen der Hilflosigkeit, auch bedingt durch mangelnde basisdemokratische Strukturen, zukünftig ohne eine politische Kurskorrektur bestenfalls in Wahlenthaltung äußern. Mit einer spürbaren Abnahme der staatlichen Handlungspräferenz bei wichtigen politischen Weichenstellungen, werden die Kräfte, die einen Abbau lang erstrittener Bürgerrechte und die Aufstockung des Polizeiapparates fordern, an Nährboden gewinnen. Deshalb ist es ein Gebot der Stunde von Bündnis 90/Die Grünen, mit einem mutigen Konzept, den sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fehlentwicklungen entgegen zu wirken.
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