Bernd Parusel
(Bereich ImmigrantInnen und Flüchtlinge, Bündnis 90 / Die Grünen Berlin)


Betr.: gewaltsame Abschiebungen


Liebe Freundinnen und Freunde,

an Bord von Flugzeugen hat der Bundesgrenzschutz offenbar keine Machtbefugnis. Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Flugkapitäns dürfen BGS-Beamte in Flugzeugen keine Zwangs- oder Gewaltmaßnahmen an Asylsuchenden anwenden. Das geht aus einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 31. August 1999 hervor.

Die SZ berichtet darin über die Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion. Darin heißt es wörtlich:

"Die polizeilichen Befugnisse dieser Beamten enden mit dem Schließen der Außentüren des Flugzeugs. Die Polizeivollzugsbeamten sind daher ab diesem Zeitpunkt im Hinblick auf ihre Rechte und Befugnisse an Bord den übrigen
Passagieren gleichgestellt und haben keinen Sonderstatus."

Die SZ weiter über das Schreiben des Innenministeriums: "Ein Tätigwerden der Polizisten, etwa die Anwendung unmittelbaren Zwangs, bedürfe der Ermächtigung durch den Flugkapitän, der an Bord nach dem Schließen der Außentüren die alleinige und unumschränkte Kommandogewalt innehabe."

Dieser Sachverhalt wirft ein neues Licht auf gewaltsame Abschiebungen: Wenn BGS-Beamte an Bord keine hoheitlichen Rechte genießen und nur auf ausdrückliche Anordnung des Flugkapitäns handeln dürfen, dann sind Zwangsmaßnahmen wie Fesseln oder körperliche Gewalt an Asylsuchenden "strafbare Handlungen von Passagieren an Mitreisenden".

Wenn BGS-Beamte also Gewalt anwenden (vor allem, wenn die Gewalt lebensgefährliche Formen annimmt), dann wären andere Passagiere, das Bordpersonal und der Flugkapitän dazu verpflichtet, einzuschreiten und Hilfe zu leisten. Denn wenn der Abzuschiebende sich wehrt, auch wenn er sich heftig wehrt, dann ist dies kein strafbares Verhalten, sondern lediglich "Notwehr gegen rechtswidrige Handlungen Unbefugter, nämlich der Beamten, die an Bord keine Vollzugsrechte haben", schreibt die SZ.

Dies wirft weitere Probleme auf, denn wenn bei Gewaltanwendung die Passagiere und die Crew nicht einschreiten und keine Hilfe leisten, dann kann dies unterlassene Hilfeleistung sein.

Passagiere dürfen sich ermutigt fühlen, Asylsuchende vor Gewaltanwendung durch BGS-Beamte zu schützen. Die SZ zitiert eine Ausländerrechtsexpertin und meint: "Niemand habe zu befürchten, wegen des Widerstands gegen Staatsbeamte belangt zu werden, da diese im Flieger keine staatlichen Sonderrechte hätten."

Wenn die Passagiere allerdings wegschauen, so kann das unterlassene Hilfeleistung sein.

Insgesamt läßt sich sicherlich sagen, daß die Antwort des Bundesinnenministeriums eine Reihe von Problemen aufwirft bzw. verdeutlicht. Daß Abschiebungen menschenrechtlich äußerst bedenklich sind, ist schon lange klar. Aber der vom Innenministerium geäußerte Sachverhalt stellt jetzt die Rechtmäßigkeit gewaltsamer Abschiebungen insgesamt in Frage. Es wird klar, daß Abschiebungen nicht nur ein gravierendes menschenrechtliches Problem darstellen und sogar zum Tod von Asylsuchenden führen können (so wie Ende Mai im Falle des Sudanesen Aamir Ageeb), sondern offenbar auch strafrechtliche Risiken für Flugzeugkapitäne, Bordpersonal und Passagiere in sich bergen.

Dies ist ein weiterer Grund dafür, von gewaltsamen Abschiebungen dringend abzusehen.

Allen Interessierten empfehle ich die Lektüre des zitierten SZ-Artikels: "Grenzschützer haben an Bord nichts zu sagen", Süddeutsche Zeitung vom Dienstag, den 31. August 1999, Seite 11.

Über Anmerkungen und Rückmeldungen würde ich mich freuen. (Bitte aber direkt an mich, nicht über den Verteiler!)

Bernd Parusel