Presseerklärung
Thema: Atom/Energie
Lingen, den 15. Dezember 1999
Anläßlich des Erörterungstermins für das geplante Atommüllzwischenlager im niedersächsischen Lingen erklärt Wolfgang Kühr, Energiepolitischer Sprecher des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. ( Einwender für den BBU e.V.):Sofortige Stillegung der Atomanlagen statt neuer Atommüllager
- geplantes Zwischenlager in Lingen ist hochgefährlich
und dient unabsehbarem Weiterbetrieb des Reaktors.Trotz Behauptung der Bundesregierung, aus der Atomenergie aussteigen zu wollen propagiert sie neue Atommüllzwischenlager an den Atomkraftwerken, die den Betrieb der Reaktoren für weitere 35 Jahre ermöglichen. Dies ist kein Beitrag zur Beendigung der Atomenergienutzung, sondern zur Weiternutzung der Reaktoren nach den Vorstellungen der Betreiber.Gegen das erste geplante Lager am Atomkraftwerk Emsland (Lingen II) hat der BBU neben anderen Anti-Atom Initiativen, Verbänden und Einzelpersonen Einwendung erhoben:
* Das geplante Zwischenlager wird nach der Inbetriebnahme ein zunehmend hohes Aktivitätsinventar besitzen und das Gesamtaktivitätsinventar am Standort drastisch erhöhen.
* Das Atomkraftwerk Lingen wurde nach § 7 AtG (Atomgesetz) genehmigt. Durch die Genehmigung des Standortzwischenlagers Lingen erfährt diese Genehmigung eine wesentliche Änderung. Es muß von der Nutzungsänderung her § 7 AtG als Genehmigungsparagraph verwendet werden. Außerdem müßten Zwischenlager ohnehin nach dem § 7 AtG genehmigt werden.
* Wie dem Sicherheitsbericht zu entnehmen ist, beruhen viele Aussagen des Antragstellers auf Vermutungen und nicht auf durchgeführten Untersuchungen. Daher sind die Unterlagen im Sinne der mit der Atomrechtlichen Verfahrensordung verbundenen Ziele nicht auslegungsreif. Die Auslegung der Unterlagen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist somit unzulässig. Der Zeitpunkt der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren erlaubte keine ausreichende Prüfungsmöglichkeit. Das Verfahren befindet sich in einem sehr frühen Verfahrensstand und damit noch auf sehr allgemeinem Niveau. Es liegt noch keine sicherheitstechnische Bewertung des Antragsgegenstandes vor. Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren ist daher unzureichend. Die Bekanntmachung der Auslegungs- und Einwendungsfrist sowie die Hälfte der Auslegung selbst erfolgten in den Sommerferien. Ausgelegt wurde nur während der Dienstzeiten der auslegenden Ämter. Das Sicherheitsgutachten des TÜV wurde nicht mit ausgelegt, so daß eine Abwägung der mit dem Zwischenlager verbundenen Gefahren nicht möglich ist. Der Erörterungstermin ist so kurze Zeit nach der Einwendungsfrist geplant, daß eine gründliche Bearbeitung der Einwendungen vorher unmöglich ist.
* Für die Genehmigung zur Einlagerung von Kernbrennstoffen nach § 6 AtG muß ein Bedürfnis nachgewiesen werden. Dieser Nachweis kann nicht geführt werden, da es in der Bundesrepublik kein geschlossenes Konzept zur Beseitigung bestrahlter Kernbrennstoffe und radioaktiver Abfälle gibt. Die Atomanlagen werden seit Jahren betrieben, ohne das geeignete Standorte zur Endlagerung vorhanden sind. Die Randbedingungen für ein solches Konzept wurden in der Vergangenheit aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen immer wieder verändert. Die derzeit diskutierte direkte Endlagerung erfordert zwar eine längere Zwischenlagerung von Brennelementen, der Antragsteller hat sich jedoch in keiner Weise festgelegt, diesen Weg mit den eingelagerten Brennelementen auch zu verfolgen. Ein Bedürfnis für die Lagerung von innen kontaminierten Leerbehältern ist nicht gegeben. Zur Zwischenlagerung sollen neue CASTOR eingesetzt werden, die daher nicht kontaminiert sein können. Eine Entladung von Brennelementen aus diesen Behältern ist grundsätzlich erst bei der Konditionierung für die Endlagerung notwendig. Ein Endlager wird in absehbarer Zeit aber nicht zur Verfügung stehen.
* Die Kapazität des Zwischenlagers reicht nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz aus, um die Brennelemente aus 50 - 55 Betriebsjahren des AKW-Lingen aufzunehmen. Aufgrund der beantragten Kapazität des Lagers ist zu befürchten, daß auch Atommüll aus anderen Atomkraftwerken in Lingen eingelagert wird. Dies bedingt eine zusätzliche Belastung der betroffenen Bevölkerung.
* Im Rahmen der Rechtssystematik in der BRD ist für ein Zwischenlager der beantragten Art eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich. Die UVP - Richtlinie der EG schreibt eine Umweltverträglichkeitsprüfung für ein solches Vorhaben vor.
* Dem Antrag ist nicht zu entnehmen, für welchen Zeitraum der Betrieb des Zwischenlagers geplant ist. Die Formulierung im Antrag läßt keine Beschränkung der Nutzungsdauer erkennen.Weltweit existiert kein Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Daher muß angenommen werden, daß das Zwischenlager Lingen aufgrund von "Sachzwängen" zu einem faktischen "Endlager" wird, obwohl es dafür weder die technischen noch die rechtlichen Voraussetzungen bietet.
* Das radioaktive Inventar des Zwischenlagers bewegt sich in der Größenordnung des Inventars in einem Atomkraftwerk bzw. auch darüber. Das in der bundesdeutschen Sicherheitsphilosophie enthaltene Mehr-Barrieren-Konzept wird nicht eingehalten. Einzige Barriere gegen die Freisetzung von radioaktiven Stoffen ist der jeweilige Behälter. Die Gebäudestruktur ist nicht als zusätzliche Barriere ausgelegt. Das Zwischenlager ist nicht den Sicherheitserfordernissen entsprechend ausgelegt. Die gesamte Sicherheit durch nur eine wirkliche Barriere, den Behälter, realisieren zu wollen ist grob fahrlässig und kann in der BRD nicht genehmigungsfähig sein.Die Sicherheit der langfristigen Trockenlagerung von Brennelementen in Behältern ist nicht nachgewiesen. In den in der BRD in Betrieb befindlichen Behälterlagern hat es eine Vielzahl von Problemen gegeben, die die Langzeitsicherheit in Frage stellen.
* Durch die vom Zwischenlager ausgehende Gamma- und Neutronenstrahlung wird die Strahlenbelastung in der Umgebung des Zwischenlagers erhöht. Wie hoch die durch Niedrigstrahlung verursachte Strahlenbelastung ist, ist wissenschaftlich umstritten. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen ist das Strahlenrisiko pro Dosiseinheit mindestens um den Faktor 50 höher anzusetzen, als bei der Formulierung der Strahlenschutzgesetzgebung angenommen wurde.
* Es wird ferner nicht berücksichtigt, daß die Behälter mit der größten Wärmeleistung, d.h. mit der höchsten Strahlenintensität, direkt an der Außenwand stehen. Der Selbstabschirmungseffekt verringert sich somit.Das Minimierungsgebot der Strahlenschutzverordnung kann durch die im Antrag und im Sicherheitsbericht genannten Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Der § 28 der StrlSchV schreibt vor, auch unterhalb der Grenzwerte die Strahlenbelastung so gering wie möglich zu halten. Durch die im Sicherheitsbericht als Ziel genannte Einhaltung von Grenzwerten wird dem nicht ausreichend Rechnung getragen. Das im Antrag vorgestellte Konzept ist zur Erreichung dieses Schutzzieles nicht geeignet. Hier soll nämlich nur die Einlagerung von Behältertypen mit abdeckenden Eigenschaften genehmigt werden. Damit wird nicht betrachtet, für welche radioaktiven Stoffe unter Minimierungsgesichtspunkten welcher Behälter am geeignetesten ist. Die logische Folge ist das Bemühen der AKW-Betreiber, unter ökonomischen Gesichtspunkten jeweils die Auslegung der Behälter zur maximal möglichen Beladung mit radioaktiven Stoffen zu nutzen.
* Das Zwischenlager besitzt keine Rückhalteeinrichtungen für luftgetragene Freisetzungen. Eine Freisetzung radioaktiver Stoffe kann nicht ausgeschlossen werden, daher sind Maßnahmen zur Filterung der nach außen abzugebenden Hallenluft vorzusehen.
* Der pauschale Antragswert von 1,0 x 108 TBq (1Terabequerel = 1.000.000.000.000 Bequerel) für die einlagerbare Aktivität ist unzulässig. Eine reine Angabe in Bq ist wertlos, da nur radionuklidbezogene Angaben eine Einschätzung des Gefahrenpotentials erlauben. Der in den ausgelegten Unterlagen genannte Gesamtaktivitätswert erlaubt keine Aussage zur damit verbundenen maximalen Direktstrahlung, zur maximalen Freisetzung durch Diffusion und Permeation von Radionukliden im Normalbetrieb und zu möglichen Freisetzungen nach Un- oder Störfällen.
* Die Berechnungen zur Wärmeabfuhr sind im Sicherheitsbericht nicht nachvollziehbar dargestellt. Die Berechnungen werden nicht erläutert und die ihnen zugrundeliegenden Modelle nicht beschrieben. Die Ermittlung der maximal zulässigen Gesamtwärmeleistung wird ebenfalls nicht beschrieben.Die Kühlung der Lagerbehälter ist nicht inhärent sicher. Laut Sicherheitsbericht soll die Luftzufuhr mindestens bei einem Teil der Betriebszustände durch aktive Systeme erfolgen.Der Nachweis der statischen Sicherheit der Halle bei erhöhten Temperaturen wird nicht erbracht.
* Die Zwischenlagerung defekter Brennelemente ist in der vorgesehenen Form nicht zulässig. Für eine Zwischenlagerung defekter Brennelemente bzw. -stäbe sind erhöhte Sicherheitsanforderungen zu stellen, die hier nicht vorgesehen sind.
* Die Sicherheit für eine Langzeitzwischenlagerung der zur Einlagerung vorgesehenen Behälter ist nicht nachgewiesen. Es wird eine Zwischenlagerung der Behälter bis zu 40 Jahren beantragt. Für diese Zeit müßte die Sicherheit der Barrierewirkungen nachgewiesen sein. Dies ist z.B. nicht der Fall für die Langzeitwirkung der Metall- und Elastomerdichtungen, für die Korrosionssicherheit der Behälter von Innen, des Verhaltens des Abschirmmaterials unter Neutronenbeschuß, der Werkstoffestigkeit des Behälters und der Dichtheit evtl. Deckelschweißnähte. Die in den ausgelegten Unterlagen zum Teil behauptete Sicherheit kann nicht nachvollzogen werden. Insbesondere muß befürchtet werden, daß infolge von Materialversprödungen durch andauernde Neutronenstrahlung und Korrosion sowohl die Hüllrohre, als auch die Dichtungssysteme der Behälter beschädigt werden.
* Darüber hinaus ist bei gegenwärtigem Stand der Endlagerfrage damit zu rechnen, daß nach Ablauf der beantragten Zeit durch Sachzwänge eine Verlängerung der Zwischenlagerzeit nicht zu umgehen ist. Für eine Eignung der Behälter zur Zwischenlagerung Über 40 Jahre hinaus wurde noch nicht einmal der Versuch eines Nachweises unternommen.
* Die Betrachtung des Dichtungssystems der Brennelementbehälter ist unzureichend. Bei der Beurteilung der Dichtwirkung der Dichtungen wird nicht Berücksichtigt, daß vor der Lagerung ein Transport erfolgt. Desweiteren ergeben sich Probleme bzgl. Unwägbarkeiten durch die Beschichtung der Innenliner der Behälter nach Außen.
* Die nach Strahlenschutzverordnung zulässigen Grenzwerte werden bei zu unterstellenden Störfällen überschritten. Der Behauptung im Sicherheitsbericht, daß die Grenzwerte bei allen zu unterstellenden Störfällen eingehalten werden, wird widersprochen. Außerdem sind die betrachteten Störfallabläufe nicht abdeckend.
* Die Auswirkungen einer in Folge eines Störfalles verhinderten Wärmeabfuhr sind im Sicherheitsbericht nicht nachvollziehbar dargestellt. Es wird nicht erläutert, wie die Bedeckung von Behältern mit Gebäudeteilen verhindert werden soll. Die Berechnungen gehen beispielsweise offensichtlich immer von intakten Kühlrippen aus. Dies kann aber nach einem Störfall mit mechanischen Einwirkungen nicht unterstellt werden.
* Es werden für die Auswahl der Brandschutzeinrichtungen keine nuklearen Schutzziele definiert. Bei einer kerntechnischen Anlage müssen die mittels Brandschutzeinrichtungen erreichbaren Schutzziele Über denen konventioneller Anlagen liegen.
* Bei einem schweren durch äußere Einflüsse verursachten Unfall kann die Dichtigkeit der Behälter nicht garantiert werden. Falls die Abführung der Nachzerfallswärme nicht gewährleistet ist, kann auch Überhitzung zum Undichtwerden der Behälter führen.
* Der Störfall Flugzeugabsturz wird nicht ausreichend betrachtet. Die unterstellten Randbedingungen sind nicht abdeckend. Es ist fragwürdig, ob die durchgeführten Simulationsversuche mit den Behältern abdeckend sind. Außerdem beziehen sich die Ausführungen im Sicherheitsbericht hauptsächlich auf Castor-Behälter. Mit dem vorliegenden Antrag sollen jedoch auch andere Behältertypen eingelagert werden.
* Das Zwischenlager kann nicht wirksam gegen Sabotage und Kriegseinwirkungen geschützt werden. Z.. B. ist der Nachweis für die Sicherheit gegen panzerbrechende Waffen nicht gegeben.
* Die Errichtung eines Zwischenlagers mit einem Aktivitätsinventar von bis zu 10E20 Bq ist am Standort eines in Betrieb befindlichen Atomkraftwerkes und einer Brennelementefabrik (ANF) eine nicht zumutbare Erhöhung des Gefahrenpotentials. Der Standort ist zur Errichtung eines Zwischenlagers ungeeignet.
* Die Auswirkung von Wechselwirkungen mit anderen Anlagen sind unzureichend beschrieben. Die insbesondere durch die Nähe des Atomkraftwerkes Emsland, durch die Brennelementefabrik ANF und andere umliegende Industriebetriebe bedingten Wechselwirkungen, sowohl im Normalbetrieb, als auch im Störfall, sind im Sicherheitsbericht nur unzureichend dargestellt.