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Berlin, 26. Januar 2000

Atom/Transporte

Jürgen Trittin: Keine Atommülltransporte vor dem Herbst

Zu den heute vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) erteilten Genehmigungen für innerdeutsche Atommülltransporte aus den Atomkraftwerken Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg erklärt Bundesumweltminister Jürgen Trittin:

 

  1. Die Transporte von Atommüll waren im Mai 1998 ausgesetzt worden, nachdem bekannt geworden war, dass es bei diesen Transporten jahrelang zu radioaktiven Verunreinigungen an den Außenwänden der Behälter gekommen war. Dabei waren die festgelegten Grenzwerte teilweise um mehr als das Hundertfache überschritten worden. Obwohl diese Verstöße gegen international anerkannte Sicherheitsstandards den verantwortlichen Atomfirmen bekannt waren, wurden sie den Behörden gegenüber verschwiegen. Dieser Skandal offenbarte gravierende Mängel bei der Vorbereitung und Durchführung von Atomtransporten, die in der Öffentlichkeit zu einem massiven Vertrauensverlust in die Zuverlässigkeit der Atombetreiber und in die Sicherheit der Transporte führten.
  2. Als Konsequenz aus diesem Skandal hat das BMU in den zurückliegenden Monaten in einem sehr umfassenden und intensiven Beratungs- und Begutachtungsverfahren zum ersten Mal, seit es Atomtransporte in diesem Lande gibt, klare Kriterien und Bedingungen entwickelt, unter denen solche Transporte genehmigungsfähig sind. An diesem Prozess waren Experten des BMU, der Reaktorsicherheitskommission, der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, der Länderaufsichtsbehörden sowie unabhängige Gutachter des Öko-Instituts beteiligt. Für die innerdeutschen Atomtransporte von den Kraftwerken in die Zwischenlager stellten die Gutachter 60 Bedingungen auf. Die Voraussetzung für die Genehmigungen war, dass die Antragsteller die Erfüllung dieser Bedingungen gegenüber den Gutachtern nachwiesen. Zentrale Genehmigungsvoraussetzung ist, dass die von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) festgelegten Grenzwerte für mögliche radioaktive Kontaminationen an den Außenwänden der Behälter während des gesamten Transports sicher eingehalten werden.
  3. Nachdem die Betreiber die erteilten Auflagen für die innerdeutschen Transporte abgearbeitet hatten, war das dem BMU unterstellte BfS nach Recht und Gesetz verpflichtet, die Genehmigungen mit den entsprechenden Auflagen zu erteilen. Es handelt sich um eine "gebundene" Entscheidung, für die kein Ermessensspielraum zur Verfügung steht. Nach § 4 des Atomgesetzes ist ein Transportantrag zu genehmigen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.
  4. Die Erteilung dieser Genehmigungen ist nicht mit einer Entscheidung über den genauen Zeitpunkt eines Transports verbunden. Ob überhaupt und wenn ja wann von den Genehmigungen, die bis auf 2 Jahre befristet sind, Gebrauch gemacht wird, liegt zu aller erst bei den Atommüllverursachern. Allerdings enthalten die Genehmigungen eine Reihe von Auflagen und Hinweisen. Unter anderem haben die Genehmigungsinhaber einen konkreten Transporttermin unter Beachtung einer sechsmonatigen Vorlauffrist mit den Polizeibehörden der Länder abzustimmen. Demnach ist mit einer Wiederaufnahme von Atomtransporten nicht vor dem August dieses Jahres zu rechnen.
  5. Die Genehmigungen werden unmittelbar zur Wirkung haben, dass die Atomaufsichtsbehörden in Hessen und Baden-Württemberg den betroffenen Atomkraftwerken gestatten können, Castor-Behälter zu beladen und zum Transport bereitzustellen. Mit der Zwischenlösung einer Bereitstellung zum Abtransport können akute Entsorgungsengpässe in diesen Atomkraftwerken beseitigt werden.
  6. An der Durchführung von Atomtransporten hat sich in den vergangen Jahren immer wieder der tief greifende Konflikt um die Nutzung der Atomkraft entzündet. Dieser Konflikt kann dauerhaft nur beendet werden, wenn ein gesellschaftlicher Konsens über die Beendigung dieser Risiko-Technologie erreicht wird. Ich appelliere daher erneut an die Verantwortlichen in der Atomindustrie, sich diesem Konsens nicht zu verweigern. Wenn es nicht in den nächsten Wochen zu einer Verständigung zwischen Regierung und Konzernen über den Atomausstieg kommt, so ist zu befürchten, dass die Auseinandersetzungen um die Transporte wieder an Schärfe zunehmen. Eine Technologie, die nur gegen die Missbilligung eines großen Teils der Bevölkerung und um den Preis bürgerkriegsartiger Proteste durchgesetzt werden kann, schadet der Demokratie. Und wem das nicht als schlimm genug erscheint: Sie schadet in einem liberalisierten Strommarkt auf Dauer auch der eigenen Geschäftsbilanz.
  7. Ungeachtet dessen bleibt es Ziel der Politik der Bundesregierung, Atomtransporte zu vermindern und perspektivisch ganz vermeiden. Dies wird in die Novelle des Atomgesetzes einfließen.

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