Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.
Dr. Sebastian Pflugbeil
Gormannstr. 17
10119 Berlin
tel. 4493736
fax 44342834

24.6.2000

 

An den

Bundesvorstand von Bündnis 90 / die Grünen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Bundesvorstand Ihrer Partei hat zur Bundesdelegiertenkonferenz in Münster einen Antrag eingebracht, in dem es um die Novellierung der Strahlenschutzverordnung geht. Dieser Antrag wurde als V-24 in der Tagesordnung unter "Verschiedenes" eingeordnet, er konnte aus Zeitgründen nicht behandelt werden und wurde an den Parteirat überwiesen.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

 

15. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz
23./24. Juni 2000MünsterHalle Münsterland

AntragstellerInnen:

Bundesvorstand 

 

Gegenstand:

Strahlenschutzverordnung 

Verschiedenes 

Anmerkungen:

beschlossen auf der Bundesvorstandssitzung am 19.6.2000
Eingang nach Antragsfrist, kann nur als Dringlichkeitsantrag befasst werden
 

V 24 

 

 

 

Den Strahlenschutz verbessern

Die Umsetzung der EURATOM-Richtlinien zum Strahlenschutz ist längst überfällig; dies hätte bis zum 13. Mai diesen Jahres geschehen müssen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßen das Vorhaben des Umweltministers, über die notwendige Umsetzung des EU-Rechts hinaus den Strahlenschutz in Deutschland zu verbessern und in diesem Zusammenhang die Strahlenschutzverordnung grundlegend zu überarbeiten und neu zu strukturieren.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen insbesondere, dass der Entwurf der Strahlenschutzverordnung

  1. den Schutz der Bevölkerung verbessert, indem der Dosisgrenzwert für die allgemeine Bevölkerung um ein Drittel und für Arbeitskräfte um mehr als die Hälfte gesenkt wird

...

 

Punkt 1 Ihres Antrages, den ich zur Erinnerung eingefügt habe, enthält eine Behauptung, die zwar Presseerklärungen des BMU entspricht, in der Sache jedoch definitiv falsch ist. Unsere Gesellschaft hat zusammen mit der IPPNW in einer ausführlichen Stellungnahme den Entwurf der Strahlen-schutzverordnung analysiert. In dieser Stellungnahme zur Verbändeanhörung im BMU in Bonn, in einer Anhörung, zu der Frau Hustedt in Berlin eingeladen hatte, während eines Energiepolitischen Ratschlags in Berlin und in einem Gespräch in der Berliner Filiale des BMU wurde von verschie-denen Teilnehmern auf diesen Fehler hingewiesen.

Das BMU hat fälschlicherweise behauptet, daß der Grenzwert für die Bevölkerung von 1,5 auf 1 Millisievert pro Jahr gesenkt worden wäre.

Die genannten 1,5 mSv stammen aus dem § 44 Abs. 1 der noch gültigen Strahlenschutzverordnung von 1989. An dieser Stelle geht es um Grenzwerte für den außerbetrieblichen Überwachungsbe-reich, also einen Strahlenschutzbereich, der sich z.B. bei Kernkraftwerken innerhalb der Umzäu-nung befindet. Dort hält sich praktisch kaum jemand auf, deshalb ist in dem vorliegenden Entwurf der außerbetriebliche Überwachungsbereich gestrichen worden.

Für die Bevölkerung "im Staatsgebiet" gilt von der ersten Fassung der Strahlenschutzverordnung an das "30-Millirem-Konzept". Es begrenzt im § 45 Abs. 1 die Ableitungen über Luft und Wasser auf jeweils 0,3 Millisievert. Es sind damit bis heute maximal 0,3+0,3 = 0,6 Millisievert für die Bürger zulässig.

Im vorliegenden Entwurf der Strahlenschutzverordnung wird eine neue Kategorie eingeführt. Der neu eingeführte Grenzwert enthält wie bisher die Begrenzung von Ableitungen über Luft und Wasser auf maximal 0,6 mSv. Der Grenzwert wird aber auf 1 mSv festgesetzt. Die bisher geregelte Strahlenbelastungen aufgrund von Ableitungen über Luft und Wasser wird erweitert um einen Beitrag aufgrund von Direktstrahlenbelastung.

Für Bürger außerhalb von Strahlenschutzbereichen irgendwo in Deutschland dürften Strahlenbelastungen über Ableitungen bei bestimmungsgemäßem Betrieb der kerntechnischen Anlagen kaum eine Rolle spielen. Die Einführung des neuen Grenzwertes von 1 mSv bedeutet praktisch, daß die Bevölkerung überall in Deutschland mit bis zu 1 mSv Direktstrahlung belastet werden darf, auch dort, wo bisher überhaupt keine Belastung durch kerntechnische Anlagen vorliegt. Es mag sein, daß dabei an die CASTOR-Transporte gedacht wurde.

Es macht einen gewissen Sinn, den bisher nicht richtig geregelten Transport von CASTOR-Behäl-tern nun durch Einführung eines neuen Grenzwertes zu regeln. Es ist jedoch völlig ungerechtfertigt, der Öffentlichkeit und den Parteimitgliedern den neuen Grenzwert mit der Behauptung schmack-haft zu machen, damit die Grenzwerte für die allgemeine Bevölkerung um ein Drittel gesenkt zu haben. Das ist unwahr.

Ich bin gerne bereit, mit Ihnen gemeinsam die entsprechenden Stellen der alten und der neuen Strahlenschutzverordnung und mehrerer Kommentare anzusehen und zu erläutern.

Mit freundlichen Grüßen

 

Dr. Sebastian Pflugbeil
Präsident