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03.10.1999

Hintergrund zur Atomenergie für technische Laien

1. Kann ein Unfall wie in Tokaimura auch in einer deutschen Anlage vorkommen?
2. Was ist ein "Kritikalitätsunfall"?

Zu 1:
Ein ähnlicher Unfall wie in Tokaimura wäre prinzipiell denkbar gewesen in den
Atomfabriken von Hanau, die aber seinerzeit durch Betreiben der dortigen
rot-grünen Regierung stillgelegt wurden. Seitdem ist ein Unfallhergang in einer
deutschen Anlage so nicht vorstellbar. Wer damit aber impliziert, dass wegen
besserer Sicherheit ein solcher Unfall hierzulande nicht möglich ist, liegt
völlig falsch. Sondern es ist einfach so, dass verschiedenartige Anlagen auch
verschiedenartige Unfallhergänge haben.

Zu 2:
Einzelne Atome in spaltbaren Stoffen wie z.B. Uran 235 oder Plutonium 239 spalten
sich ständig auch spontan, also unbeeinflussbar. Dabei entstehen schnelle
Neutronen. Diese können wieder andere Atome zur Spaltung brin-gen, was zu einer
Kettenreaktion von Spaltungen führt. In einer Atombombe wird eine solch
unkontrollierte Kettenreaktion absichtlich herbeigeführt.

Zur Kettenreaktion ist allerdings eine größere Menge Spaltmaterials nötig, weil
die schnellen Neutronen sonst das Material verlassen, bevor sie eine Spaltung
anregen konnten. Die „kritische Masse", ab der eine Kettenreaktion möglich wird,
hängt aber nicht nur von der Menge des Spaltmaterials ab, sondern auch von dessen
Anordnung und möglichen „Moderatoren". Wasser oder Graphit bremst Neutronen, so
dass sie nicht so schnell davonfliegen und leichter eine weitere Spaltung
anregen. In Atomkraftwerken wird daher folgende Kombination gewählt: Eine große
Menge Spaltmaterial, das allerdings stark verdünnt(3,5 %) und in landen Stäben
untergebracht ist und da-mit keine Kettenreaktion möglich macht. Zwischen die
Stäbe füllt man dann Wasser oder Graphit, so dass durch diese Moderatoren
(Neutronenverlangsamer) doch wiederum die Kettenreaktion möglich wird, jedoch
stark ver-langsamt und damit technisch regelbar.

Tokaimura ist kein Atomkraftwerk, sondern eine Fabrik zur Herstellung der
erwähnten Uranstäbe. Eine verse-hentlich zu große Menge Uran in Verbindung mit
dem moderierenden Wasser der Prozess-Säure hat eine uner-wartete Kettenreaktion
in Gang gesetzt. Sie war offenbar nicht so heftig, dass sie das Gebäude gesprengt
und sich damit sofort selbst unterbrochen hat, sondern langsam und andauernd wie
in einem Atomkraftwerk. Genaueres wird erst noch untersucht. Auf jeden Fall ist
die Anlage nicht nur durch die heftige Strahlung, sondern auch durch die
freigesetzte Energie erheblich beschädigt. Die Bruchstücke der gespaltenen Atome,
die sog. „Spaltprodukte", sind extrem giftig und durch Anlageschäden in die Luft
entwichen.

Klaus Gärtner, LAG Energie, Hamburg

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