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AKW-Gegner stehen bereit
Frankfurter Rundschau, 19.6.99

Im Blickpunkt: Proteste werden vorbereitet
AKW-Gegner stehen bereit

Von Dietmar Ostermann (Hannover)

Nachdem die Atomindustrie im Ausstiegspoker tüchtig Druck gemacht hat, bastelt die Anti-AKW- Gemeinde an einer eigenen Drohkulisse: Rollen die im Vorjahr eingestellten Transporte wieder an, sollen gewaltfreie Massenblockaden den politischen Preis in die Höhe schrauben und wenn möglich gar Atommeiler vom Netz zwingen.

"Wenn ihr das nicht macht", hatten Atomgegner Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Grüne) bei dessen Wendland-Besuch schon im Februar beschieden, "dann nageln wir den Kraftwerken den Arsch zu."
Inzwischen liegen die Werkzeuge bereit. Seit Monaten laufen bundesweit Vorbereitungen für eine Verstopfungsstrategie ganz eigener Art: "Rollt der erste Transport, egal wo, sind wir da", sagt Jochen
Stay, Sprecher der Kampagne "X-tausendmal quer überall". Dem Bündnis verschiedener Antiatom-Gruppen liegen bereits rund 1200 Anmeldungen für eine gewaltfreie Sitzblockade und ebenso viele
Solidaritätserklärungen vor, darunter vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND).

Von der Bonner Konsensrunde versprechen sich die Organisatoren nichts mehr; statt dessen wollen sie mit Aktionen wie 1997 in Gorleben künftig bundesweit verhindern, daß neuer Atommüll die 19 deutschen Kraftwerke womöglich mit dem Segen von Rot-Grün wieder Richtung Aufarbeitung oder in die Zwischenlager verläßt. Durch den von der damaligen Bonner Umweltministerin Angela Merkel (CDU) nach dem Castor-Skandal verhängten Transportstopp, so das Kalkül, gilt die Kapazität
in den Abklingbecken einiger Meiler als nahezu erschöpft. Könnte der Abtransport ausgedienter Brennelemente durch zivilen Ungehorsam weiter verhindert werden, müßten die ersten Reaktoren vielleicht schon im nächsten Jahr vom Netz, hoffen die Atomgegner. Zumindest soll die rot-grüne Regierung künftig bei jedem Atomtransfer zu gigantischen Polizeiaufmärschen gezwungen werden, wie sie bislang nur bei der Rücknahme von Wiederaufarbeitungsmüll aus Frankreich und
Großbritannien nötig waren.

Dabei setzen die Blockierer darauf, daß Bund und Länder sich solche Einsätze nur begrenzt leisten können, nicht genug jedenfalls, um in allen Abklingbecken wieder Platz zu schaffen. Im März 1997 mußten beim Castor-Transport nach Gorleben 30 000 Polizisten aufgeboten werden, um 9000 Demonstranten - darunter auch Trittin - in Schach zu halten. Das Land Niedersachsen errechnete Kosten von 111 Millionen Mark; wegen des Großeinsatzes machten 19 Dienststellen bis zu einer
Woche dicht.
Schon 1996 waren bei der Polizei Niedersachsens nach einem Transport 318 000 Überstunden aufgelaufen.

Für eine neuerliche Kraftprobe müßten freilich auch die Atomgegner am Tag X zunächst Tausende Demonstranten auf die Straße bringen. Blockade-Experten, so Kampagnensprecher Stay, hätten bereits alle AKW-Standorte in Augenschein genommen. Schon jetzt wird die Aktion sorgfältig vorbereitet; von Planen gegen Wasserwerfer über Lautsprecher und ausreichend Wechselklamotten im mobilen Demo-Camp bis hin zu Toilettenhäuschen soll alles parat sein, wenn der Castor rollt. Angeboten werden vorab Wochenendkurse in gewaltfreiem Widerstand. Für den Ernstfall rechnet Stay mit bis zu 10 000 Demonstranten. Gegen die Bonner Hoffnung, eine bis Sommer angepeilte Übereinkunft mit der Industrie zum Atomausstieg könnte die Gemüter beruhigen, setzen die Organisatoren die Vision vom schnellen AKW-Aus:
"Diesmal geht es nicht nur um symbolischen Protest, diesmal können wir eingreifen und Kraftwerke vom Netz holen."


[ dokument info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 18.06.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 19.06.1999

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