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IPPNW Körte str. 10 10967 Berlin
[An Grüne Kreis-/Landesverbände]
Heidelberg/Berlin, 14.09.1999
Checkliste zum Atomausstieg
Liebe GrüneWas ist die Bilanz nach 10 Monaten rot-grüner Atompolitik?
- Im Juli 1999 vergab die Bundesregierung eine 36-Millionen-Mark-Bürgschaft (Hermes) für die Nachrüstung des slowenischen Atomkraftwerks Krsko durch die Siemens AG.
- In Kürze dürfte die Bundesregierung zugunsten von Siemens Ihre Finanzzusage (EU-Kredite & Bürgschaft) für die Fertigstellung der beiden Atomkraftwerksblöcke Khmelnitzki-2 und Rowno-4 in der Ukraine geben.
- Weil viele glaubten, wir bräuchten für den Atomausstieg nur die rot-grüne Koalition in Bonn (Berlin) und könnten hierbei auf eine massive Kampagne der grünen Basis und der Anti-Atom-Bewegung / der Umweltverbände verzichten, war es für Atomwirtschaft, Medien und SPD ein leichtes Spiel, alle Chancen für einen schnellen Atomausstieg zunichte zu machen.
- Weil sich das grüne Führungspersonal parteiinterne Strömungskämpfe und individuelle Profilierungs-Aktionen leistete und seit Monaten bereitwillig die geschickt lancierte Kampagne gegen den Umweltminister mitspielt, war es Atomwirtschaft, Medien und SPD ein leichtes, den für Atomfragen zuständigen Umweltminister kaltzustellen und das Druckpotential der grünen Bundestagsfraktion auf die Bundesregierung erst gar nicht aufkeimen zu lassen (ganz im Gegensatz zum teilweise deutlichen Widerstand der SPD-Fraktion gegen Bundeskanzler Schröder!).
Das Bonner (Berliner) Führungspersonal der Grünen steht unter einem gewaltigen Druck von Bundeskanzler Schröder, der SPD und den Medien: belohnt wird systematisch das Einknicken vor den Interessen der (Atom-)Wirtschaft.
Parteiführung, Fraktion und Regierungsmitglieder agieren längst aus der Defensive, bereit nach jedem Strohhalm zu greifen, der der Öffentlichkeit (vor den nächsten Wahlen) als Atomausstieg verkauft werden kann.
Wir glauben, daß man vor diesem Hintergrund jetzt nicht überstürzt eine Vereinbarung mit der Atomwirtschaft eingehen sollte, deren Folgen in der derzeitigen Stimmung nicht hinreichend abgeschätzt werden (können).
Die derzeit absehbare Verhandlungslösung mit den Atomkraftwerksbetreibern hat so wenig mit einem Atomausstieg zu tun und verlangt einen derart hohen Preis, daß wir dringend davon abraten, diese zu akzeptieren!
Der Bonner/Berliner Politikbetrieb wird es unseres Erachtens nicht ermöglichen, eine rationale Güterabwägung über die Vor- und die Nachteile des in wenigen Wochen zu erwartenden Entwurfs einer Vereinbarung mit der Atomwirtschaft vorzunehmen.
Wir wenden uns daher an Euch/an Sie, in der Hoffnung, daß die grüne Basis einen kühlen Kopf bewahrt und eine rationale Entscheidung über die grüne Atompolitik trifft.
Da nach dem Vorliegen des Verhandlungsergebnisses mit der Atomwirtschaft in wenigen Wochen die Zeit für eine ernsthafte Prüfung zu knapp sein wird, um eine belastbare Entscheidung zu treffen, wollen wir Euch/Ihnen hiermit frühzeitig eine "Checkliste zum Atomausstieg" an die Hand geben.
Mit atomkritischen Grüßen
Dr. Angelika Claußen |
Bernd Hanewald |
Henrik Paulitz Tel. 06221-75 88 77 |
Anlagen:
- IPPNW-Checkliste zum Atomausstieg
- Artikel zu K2R4
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Checkliste zum Atomausstieg
14. September 1999
"Heute bestimmt die Wirtschaft die Politik."
(Prof. Dr. jur. Gerd Winter, Uni Bremen,
ehem. Sachverständigenkommission Umweltgesetzbuch
beim Bundesumweltminister 1992-97, taz 6.9.99)
"Konsenssuche bedeutet die Teilung
der politischen Macht mit demokratisch
nicht legitimierten Kräften."
(Kommentar Walter Hamm, FAZ 6.9.99)
1. Was bedeutet Atomausstieg?
Der SPD-nahe, exponierte Atomkritiker Klaus Traube (ehemaliger Atommanager) zeigte sich im taz-Interview (28.8.99) äußerst enttäuscht von der Atompolitik der Regierung Schröder. Er hält den Sofortausstieg sachlich unumwunden für gerechtfertigt. Als Mindestmaß für einen kompromißhaften Atomausstieg definiert er die Abschaltung von einem Drittel der 19 laufenden Atomkraftwerksblöcke in dieser Legislaturperiode. Denn eine neue Bundesregierung könne in der nächsten Legislaturperiode jedes Ausstiegsgesetz und jeden Vertrag mit den Atomkraftwerksbetreibern wieder rückgängig machen. Und von einem Atomausstieg könne nur dann die Rede sein, wenn eine nennenswerte Anzahl von Atomkraftwerken in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden würde. Die Abschaltung eines Drittels der deutschen Atomkraftwerke könnte darauf basieren, daß man gegenüber den Atomkraftwerksbetreibern AKW-Betriebszeiten von 25 Kalenderjahren je Kraftwerk durchsetzen würde. Dann würden 7 Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Bei AKW-Betriebszeiten von 20 Kalenderjahren könnten mit 10 Atomkraftwerken gut die Hälfte in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden.
2. Welches Verhandlungsergebnis ist wahrscheinlich?
Aus heutiger Sicht dürften die Verhandlungen der Bundesregierung mit der Atomwirtschaft darauf hinauslaufen, daß AKW-Betriebszeiten von mehr als 30 Jahren vereinbart werden. Das hätte zur Folge, daß in dieser Legislaturpersiode allein das Mini-Atomkraftwerk Obrigheim vom Netz genommen werden müßte. Möglicherweise wird unabhängig von der Laufzeit zusätzlich vereinbart, ein zweites Atomkraftwerk – vermutlich das kleine AKW Stade – vom Netz zu nehmen. Damit würden sich die Grünen in Bonn/Berlin zufrieden geben.
3. Für welche Laufzeit kalkulierten die EVU die Wirtschaftlichkeit ihrer Atomkraftwerke?
Laut Gesellschaftsvertrag wurde beispielsweise das Atomkraftwerk Stade auf 17 Jahre Nutzungsdauer ausgelegt. Die Nutzungsdauer und die Kreditlaufzeiten der meisten deutschen Atomkraftwerke wurde in der Größenordnung von 19 Jahren angesetzt. In diesem Zeitraum wurden/werden nicht nur die Kredite verzinst und getilgt, die Betreiber machten zeitgleich überdurchschnittlich hohe Gewinne, weil die Preisaufsicht der Länder den mächtigen Energiekonzernen über die Tarifstrompreise diese zusicherte. Die jetzt etwas sinkenden Strompreis führen allenfalls dazu, daß die Energieversorger auf ein "übliches" industrielles Gewinniveau kommen. Vergessen wir nicht die staatliche Subventionierung der Atomenergie (42 Milliarden DM), die steuerliche Begünstigung der milliardenschweren Atomrückstellungen (65 Milliarden DM) und die lächerlich geringe Unfallschadenhaftung (1 Milliarden DM) etc.
4. Welche atomare Leistung haben Obrigheim und Stade?
Derzeit sind in Deutschland 19 Atomkraftwerke in Betrieb. Die Bruttostromerzeugung aller Atomkraftwerke belief sich 1997 auf 170.392.174 MWh (atw 3/98). Die Bruttostromerzeugung des Mini-Atomkraftwerks Obrigheim mit einer Brutto-Leistung von 357 MWe (zum Vergleich Biblis B: 1.300 MWe) lag mit 2.916.180 MWh gerade einmal bei 1,7%. Bei einer alleinigen Abschaltung von Obrigheim würden also weniger als 2% der atomaren Stromerzeugung in Deutschland wegfallen. Die Bruttostromerzeugung des ebenfalls relativ kleinen Atomkraftwerks Stade (Brutto-Leistung: 672 MWe) lag mit 5.218.720 MWh bei nur 3,1%. Zusammen würden mit der Stillegung von Obrigheim und Stade lediglich 4,8% der atomaren Stromerzeugung wegfallen. Bezogen auf die gesamte Stromerzeugung wären es nur rund 1,6%. Das zeigt: Mit dem absehbaren Verhandlungsergebnis kommen die Energieversorger den ausstiegswilligen Kräften in der Regierung überhaupt nicht entgegen!
5. Kann ein Super-GAU in Deutschland passieren?
Jeden Tag kann es auch in den 19 von Siemens /KWU errichteten Atomkraftwerken zu einem Super-GAU durch menschliches oder technisches Versagen kommen. Erinnern wir uns nur an den Beinahe-GAU 1987 im Reaktorblock Biblis A, der über ein Jahr lang von den deutschen Betreibern und Behörden verheimlicht wurde. Die Betriebshandbücher für alle deutschen Atomanlagen mußten daraufhin umgeschrieben werden. Wieder einmal zeigte erst ein schwerer Störfall ein neues, zuvor völlig unvermutetes Unfallszenario auf! Die Unfälle in Harrisburg (1979) und in Tschernobyl (1986) zeigten u.a. mit der Gefahr von Wasserstoffexplosionen bei Kernschmelzunfällen völlig neue Unfallrisiken auf, die beim Bau der in Deutschland errichteten Siemens-Meiler noch nicht bekannt waren und gegen die diese Anlagen nicht gesichert sind. Zahllose, auch schwere Störfälle in den vergangenen Jahren dokumentieren das hohe Risiko. Und mit der Liberalisierung der Energiemärkte wird jetzt aus Kostengründen schrittweise der Prüfaufwand in deutschen Atomkraftwerken weiter reduziert, es ist absehbar, daß gefährliche Risse mit noch geringerer Wahrscheinlichkeit rechtzeitig gefunden werden. Berechnungen auf der Grundlage des materiellen Schadens von Tschernobyl für einen möglichen Super-GAU in der dichtbesiedelten Bundesrepublik ergeben die unvorstellbare Schadenssumme von 5.000 - 12.000 Milliarden DM. Vom menschlichen Leid ganz zu schweigen! Allein ein Sofortausstieg aus der Atomenergie ist eine hinreichende Antwort auf dieses gewaltige Risiko.
6. Was ist der Preis für die Abschaltung von ein bis zwei Atomkraftwerken?
Der vermeintliche Atomausstieg, hat seinen Preis.
Erstens werden 17-18 Atomkraftwerke in Deutschland mit Einverständnis der rot-grünen Bundesregierung ungestört weiterbetrieben. Eine Vereinbarung mit der Atomwirtschaft wird in der Konsequenz auf eine Friedenspflicht mit den Atomkraftwerksbetreibern hinauslaufen. Die rot-grüne Bundesregierung wird auf eine sicherheitsorientierte Atomaufsicht, auf eine Verschärfung von sicherheitstechnischen Auflagen und Grenzwerten, auf die Realisierung einer neuen Sicherheitsphilosophie, auf eine scharfe Überprüfung des Entsorgungsnachweises, auf eine adäquate Haftungsverpflichtung für den Betrieb der Atomkraftwerke etc. etc. verzichten.
Zweitens beinhaltet der vorgezeichnete Pakt mit der Atomwirtschaft den Bau von standortnahen Zwischenlagern. Mit dieser kurzfristigen "Lösung" des Atommüllproblems würde die rot-grüne Bundesregierung den Betreibern ihre Hauptsorge nehmen. Führende grüne Politiker/innen sollen die Atomwirtschaft bereits aufgefordert haben, doch jetzt schon die Genehmigung von Zwischenlagern zu beantragen. Die Anti-Atom-Bewegung hat derzeit wegen der vollen Lagerbecken in zahlreichen Atomkraftwerken reale Chancen, mit einer Verstopfungsstrategie den Weiterbetrieb zu unterbinden. Mit dem Bau standortnaher Zwischenlager wird der Castor-Widerstand zumindest deutlich erschwert. Denn: "Ziel ist, daß sich ... Transporte bestrahlter Kernbrennstoffe grundsätzlich erübrigen" (Wirtschaftsminister Müller & Atomkonzerne). Das jetzt beantragte, standortnahe Zwischenlager am Atomkraftwerk Lingen soll übrigens für Brennelemente aus 50 Reaktorbetriebsjahren ausgelegt werden. Das zeigt, daß die Energieversorger mit dem Bau standortnaher Zwischenlager das Ziel eines langfristigen Auslaufens ihrer Anlagen verfolgen.
Drittens verlangt die Atomwirtschaft zum Beispiel eine Limitierung der Einspeisung u.a. der regenerativen Energien und eine Entschärfung der Fusionskontrolle europäischer Energiekonzerne (Wirtschaftsminister Müller & Atomkonzerne), um die bisherige Monopol- bzw. Oligopolstruktur der deutschen Energiewirtschaft auf europäischer Ebene mit deutlich größeren und mächtigeren Konzernen in der Tendenz reproduzieren zu können (vgl. z.B. Fusion VEBA/VIAG), etc. etc.
7. Worin soll die Friedenspflicht der Bundesregierung künftig bestehen?
Aus dem Eckpunktepapier von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (freigestellter VEBA-Manager, VEBA ist der größte Atomstromerzeuger in Deutschland) und den Atomkraftwerksbetreibern EnBW, RWE, VEBA und VIAG vom Juni 1999 geht hervor, wie stark die Bundesregierung den reibungslosen Betrieb der verbleibenden 17-18 Atomkraftwerke künftig hinnehmen bzw. fördern müßte.
Punkt 10 sieht vor, daß die Sicherheitsüberprüfungen der Atomkraftwerke "gemäß dem bestehenden Regelwerk" vorzunehmen ist. Das läßt keine Spielräume für eine dringend notwendige neue Sicherheitsphilosophie, die neue Erkenntnisse über Kernschmelzunfälle berücksichtigt.
Punkt 12 sieht vor, daß der AKW-Betrieb, "die Sicherheit der Anlagen und Einhalten der Entsorgungsgrundsätze vorausgesetzt, nicht durch behördliche Interventionen gestört wird".
Punkt 15 sieht vor, daß notwendige Prüfungen und Genehmigungen "mit der gebotenen Gründlichkeit, aber ohne Zeitverzug" zu bearbeiten sind. Die "Dauer von Genehmigungsverfahren, z.B. zu den Nukleartransporten", hat die Bundesregierung "kurz (zu) halten" und "zügige Abwicklung von atomrechtlichen und anderen, den Betrieb von Kernkraftwerken oder die Entsorgungsanlagen betreffenden Verwaltungsverfahren der Länder sicherzustellen."
In Punkt 21 soll die Bundesregierung den AKW-Betreibern zusichern, daß mit der Schaffung von standortnahen Zwischenlagern "die Entsorgungsnachweise der Eigentümer/Betreiber nicht in Gefahr kommen und nach der o.g. Übergangszeit die geordnete Zwischenlagerung als Entsorgungsnachweis genügt."
Punkt 24 sieht vor, daß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Kernenergienutzung nicht durch einseitige, nur die Kernenergie betreffende Maßnahmen, insbesondere im Steuerrecht beeinträchtigt" werden. Eine Uransteuer wäre somit praktisch ausgeschlossen.
Punkt 26 sieht generell vor, daß "andere Korrekturen am atomrechtlichen Rahmen, namentlich solche, die den Interpretationsspielraum des Gesetzes für den laufenden Betrieb und die Gewährleistung der Sicherheit betreffen," nicht vorgenommen werden, "das gilt insbesondere für das behördliche Eingriffsinstrumentarium".
Es liegt somit völlig auf der Hand, daß eine Vereinbarung mit der Atomwirtschaft dazu führen wird, daß es keine "grüne" Atomaufsicht geben wird (unabhängig davon, ob ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, eine schriftliche Übereinkunft o.ä. dies festhalten wird). Der grüne Umweltminister wird sich ebenso wie zuvor Herr Töpfer und Frau Merkel um den reibungslosen Betrieb der Atomkraftwerke zu kümmern haben. Die Drohgebärden der Grünen würden nach einer Einigung mit den Betreibern innerhalb kürzester Zeit Schnee von gestern sein. Das würde die Partei massiv verändern.
8. Stimmt der Preis für die Abschaltung von ein bis zwei Atomkraftwerken?
Der rot-grüne Koalitionsvertrag sieht den Bau standortnaher Zwischenlager als Preis der Regierung für den Ausstieg vor. Aber obwohl sich die Bundesregierung auf Druck der Atomkraftwerksbetreiber in den vergangenen Monaten in der Diskussion auf immer längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke einließ, hält sie unerschütterlich daran fest, den Betreibern ihre Entsorgungsprobleme für den Atommüll zu nehmen. Da die Abschaltung von ein bis zwei Atomkraftwerken in dieser Legislaturperiode kein Atomausstieg ist, ist es aber überhaupt nicht gerechtfertigt, der Atomwirtschaft die gewünschten standortnahen Zwischenlager für die langjährige Atommüllentsorgung zu genehmigen. Da sich die Bundesregierung zudem verpflichten muß, den Betrieb der verbleibenden 17-18 Anlagen (Stichwort: "Friedenspflicht") und die Europäisierung der Energiewirtschaft tatkräftig zu unterstützen, ist der Preis für die Abschaltung der kleinen Uralt-Meiler Obrigheim und Stade viel zu hoch. Jetzt ein solches Verhandlungsergebnis zu akzeptieren wäre deutlich schlechter als überhaupt nichts zu verändern!
9. Wie verläßlich sind die Zusagen der Atomwirtschaft?
Es wäre naiv anzunehmen, daß die Zusagen der Atomwirtschaft für die nächsten 15 Jahre verläßlich wären. Auch ein neues Gesetz wird sie nicht daran hindern, eine künftige Bundesregierung unter Druck zu setzen, um den Weiterbetrieb und sogar einen Neubau durchzusetzen. Gesetze lassen sich ändern. Selbst die rot-grüne Regierung wird sie nach der Vereinbarung wieder häppchenweise zu weiteren Zugeständnissen nötigen. Verläßlich ist nur, was schnell und nachprüfbar passiert. Sicherheit bringt nur ein schneller Atomausstieg, der gegen die Atomwirtschaft durchgesetzt werden muß. Die Atomwirtschaft verweist nicht umsonst seit Jahren gerne auf Schweden, wo der Beschluß zum Ausstieg aus der Atomenergie immer wieder torpediert und letztlich nur sehr zögerlich umgesetzt wird.
10. Werden Geheimabsprachen mit der Atomwirtschaft ausgeschlossen?
Mit einem Verzicht auf schärfere Sicherheitsbestimmungen für die laufenden Atomkraftwerke, der Akzeptanz der standortnahen Zwischenlagerung als Entsorgungsnachweis etc. etc. würde die rot-grüne Bundesregierung neue juristische Pflöcke einrammen, die einer nachfolgenden, potentiell ausstiegswilligeren Bundesregierung (beispielsweise nach einem schweren Störfall) einen schnellen Atomausstieg weiter erschweren würde. Denn wenn der Staat heute die Zwischenlagerung als Entsorgungsnachweis ausdrücklich akzeptiert (in der Geschichtsschreibung wird sogar stehen, daß der Staat den Bau von Zwischenlagern verlangt habe), kann eine neue Bundesregierung in drei Jahren juristisch nur sehr schwer die Interpretation durchsetzen, den Atomkraftwerken fehle der Entsorgungsnachweis.
Weitere juristische Fallstricke könnten durch Geheimverträge zwischen der Bundesregierung und der Atomwirtschaft gelegt werden. Es wäre zu prüfen, inwieweit im Rahmen potentieller Verträge und Gesetzesnovellen die Gültigkeit möglicher Geheimverträge und Nebenabsprachen ausdrücklich verneint werden kann.
11. Werden die Grünen mit ihrem Pakt mit der Atomwirtschaft politisch erpreßbar?
Wenn die Grünen jetzt alles daran setzen, daß vor der nächsten Bundestagswahl zwei Atomkraftwerke abgeschaltet werden, werden sie möglicherweise von der Atomwirtschaft erpreßbar. Denn es kann sehr viel davon abhängen, wann die Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen. Da Obrigheim bereits 31 Betriebsjahre hinter sich hat, wird eventuell eine baldige Abschaltung durchsetzbar sein. Für das Atomkraftwerk Stade, das seit etwa 27,5 Jahren am Netz ist, könnte hingegen eine Stillegung am Ende der Legislaturperiode im Jahre 2002 vereinbart werden. Dann aber wäre es die Frage, wie wasserdicht die Stillegung tatsächlich abgesichert wäre. Denn wenn die Grünen die nächsten drei Jahre bangen müßten, ob die Betreiber Stade tatsächlich vereinbarungsgemäß stillegen und der Partei damit rechtzeitig zur nächsten Bundestagswahl ein Wahlgeschenk machen würden, wären sie möglicherweise in den kommenden Jahren in höchstem Maße politisch erpreßbar und müßten den Konzernen zahlreiche Zugeständnisse in anderen Politikfeldern machen.
12. Was unterscheidet das absehbare Verhandlungsergebnis von der Atompolitik unter Helmut Kohl?
Unter Bundeskanzler Helmut Kohl scheiterten die Atomprojekte Wackersdorf, Hamm-Uentrop und Kalkar. Der nagelneue Leistungsreaktor Mülheim-Kärlich mußte nach wenigen Monaten seinen Betrieb aufgeben. 1995 wurde schließlich das Atomkraftwerk Würgassen stillgelegt.
Fast alle Atomprojekte scheiterten bislang an der mangelnden Finanzierbarkeit bzw. Wirtschaftlichkeit. Gerade vor dem Hintergrund der Energiemarktliberalisierung könnten in den kommenden Jahren deutlich mehr als zwei Atomkraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen von den Betreibern stillgelegt werden. Ein vereinbarter Zeitplan mit der Atomwirtschaft könnte aber sogar den Effekt haben, daß weitere, unwirtschaftliche Atomkraftwerke nicht abgeschaltet werden, um immer wieder weitere Zugeständnisse in anderen Politikbereichen herauszuholen (Junktim-Strategie).
13. Ist rot-grün blind für die aktuellen Strategien der Atomindustrie?
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des "jahrelangen zermürbenden Streits" um die Kernenergie in Deutschland (Deutsche Bank) hat sich die deutsche Energiewirtschaft längst auf eine "Europäisierung" der Energiewirtschaft und auf die europaweite Standortsuche für fossile und nukleare Großkraftwerke verständigt. Die deutschen und die französischen Energieversorger dürften in den kommenden Jahren einen Großteil der Energieversorger im restlichen Europa aufkaufen und zu neuen, wiederum wenigen europäischen Giganten fusionieren, die europaweit Strom erzeugen und über weite Distanzen transportieren. Das Energie-Monopoly ist bereits angelaufen.
Der deutsche Kraftwerksbauer Siemens/KWU, Hersteller aller 19 in Deutschland laufenden Atomkraftwerke, bemüht sich seit Jahren intensiv um die Nachrüstung, Fertigstellung und um den Neubau von Atomkraftwerken in Osteuropa. Mit finanzieller Unterstützung der Regierung Kohl erhielt Siemens zum Beispiel den Auftrag für den Bau (Fertigstellung) des Atomkraftwerks Mochovce in der Slowakei. Um die Baukredite zurückzahlen zu können, soll Atomstrom u.a. nach Deutschland importiert werden.
Mit der absehbaren finanziellen Unterstützung der rot-grünen Bundesregierung dürfte Siemens auch bald einen Auftrag zum Bau (Fertigstellung) der ukrainischen Atomkraftwerke Khmelnitzki-2 und Rowno-4 bekommen! Auch in diesem Fall ist eine Refinanzierung der Kredite durch Atomstromimporte u.a. nach Deutschland wahrscheinlich. Siemens baut auch eine Stromtrasse vom litauischen Atomkraftwerk Ignalina (Tschernobyl-Typ!) nach Westen. Und am westrussischen Standort Smolensk plant Siemens den Bau eines Europäischen Druckwasser-Reaktors (EPR) und den Bau einer Stromtrasse von Smolensk (dort stehen bereits Reaktoren vom Tschernobyl-Typ) über Warschau nach Berlin und Kassel.
Es ist also nicht ausgeschlossen, daß Deutschland in den kommenden Jahren in zunehmendem Maße mit Atomstrom aus Osteuropa (und Frankreich) versorgt wird. Die Abschaltung von ein, zwei oder auch drei deutschen Alt-Reaktoren wird vor diesem Hintergrund ziemlich bedeutungslos! Und gegen die Stillegung weiterer deutscher Atomkraftwerke wird die Atomwirtschaft in einigen Jahren argumentieren, daß wir ja ohnehin schon viel Strom aus osteuropäischen Schrottreaktoren beziehen. Warum sollten wir dann die angeblich so "sicheren deutschen Atomkraftwerke" stillegen?
Das zeigt: Die neuen Atomkraftwerke für Deutschland werden jetzt voraussichtlich auch mit rot-grüner Hilfe von Siemens im benachbarten Ausland gebaut und der Strom im liberalisierten Markt nach Deutschland geliefert. Von Atomausstieg kann keine Rede sein.
14. Worum geht es der Atomwirtschaft eigentlich?
Wie ist der vehemente Widerstand der Energieversorger zu erklären, ein paar alte Atommeiler abzuschalten, die längst satte Gewinne eingefahren haben? Geht es bei dem Streit tatsächlich nur um die Atomenergie? Unter dem Stichwort MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionen) versuchen die multinationalen Konzerne auf dem gesamten Globus, ihre Rechtsansprüche zu verabsolutieren und die Handlungsmöglichkeiten der Regierungen einzuschränken. Weltweit sollen Regierungen beispielsweise vertraglich zusichern, daß sie den Unternehmen Entschädigungen zahlen, wenn der Ertrag von Investitionen durch eine Erhöhung der Unternehmenssteuern, Gesetzen zum Schutz der Umwelt, Verbraucherschutzverordnungen etc. etc. nachträglich geschmälert wird. Wird in den Wirtschaftswissenschaften bislang der Gewinn mit dem unternehmerischen Risiko, das beispielsweise aus einer nachträglichen Besteuerung durch den souveränen Staat resultiert, begründet, so soll künftig das Risiko der Unternehmen durch demokratisch legitimiertes staatliches Handeln praktisch beseitigt werden. Andere Rechtsansprüche – etwa die der Bevölkerung – sollen dem Interesse der Unternehmen auf möglichst uneingeschränkte wirtschaftliche Verwertung untergeordnet werden. Die politischen Systeme sollen sich zu reinen Dienstleistern für die Konzerne wandeln.
Die aktuelle Auseinandersetzung um die Atomenergie in Deutschland wird von der Wirtschaft dazu genutzt, Politiker, Juristen, Journalisten und die breite Öffentlichkeit schrittweise an die Denkweise heranzuführen, daß die wirtschaftliche Verwertung von getätigten Investitionen (Atomkraftwerke) in keiner Weise durch staatliches Handeln (z.B. nachträgliche Befristung der Genehmigungen, verschärfte Sicherheitsauflagen aufgrund neuer Erkenntnisse, Besteuerung etc.) geschmälert werden darf, ohne den Staat massiv zur Kasse zu bitten (Entschädigungsleistungen). Der Streit um die Atomenergie wird genutzt, um vor dem Hintergrund der Globalisierung und Liberalisierung die Machtfrage zwischen Großkonzernen und Staat, zwischen starken Einzelinteressen und demokratischen Mehrheitsentscheidungen sehr viel deutlicher als bisher zugunsten der ersteren zu entscheiden.
Mit seiner Forderung nach einem entschädigungsfreien Atomausstieg und die daraufhin seit Monaten andauernden juristischen Abwägungen in der Bundesregierung hat der Auto- und Atomkanzler Gerhard Schröder eventuell schon jetzt mehr zu dem von der Wirtschaft verlangten Paradigmenwechsel beigetragen als 16 Jahre Helmut Kohl.
Beim Atomrechtssymposium des Bundesumweltministeriums am 30.6./1.7.99 in Köln standen folgerichtig die Eigentumsrechte der Atomkraftwerksbetreiber (Art. 14 GG) absolut im Vordergrund. Das höherrangige Recht auf Leben und Gesundheit nach Grundgesetz Artikel 2 spielte – im Gegensatz zu früheren Rechtsgutachten atomkritischer Juristen – fast gar keine Rolle mehr. Fragen von Teilnehmer/innen des Symposiums nach Art. 2 GG blieben unbeantwortet. Eine seriöse juristische Abwägung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gegenüber den Eigentumsrechten der Atomwirtschaft wurde vor dem Hintergrund der erdrückenden Definitions- und Meinungsmacht der Atomkraftwerksbetreiber nicht vorgenommen. Stattdessen bemühten sich auch die atomkritischen Juristen emsig um die Frage, wie die Genehmigung standortnaher Zwischenlager beschleunigt werden könne. Verfassungsrechtliche Einschätzungen (und Urteile!) sind eben auch immer sehr stark beeinflußt von der öffentlichen Stimmung und von den Wünschen der Auftraggeber.
15. Wurden die Grünen vom Widerstand der SPD und der Atomwirtschaft überrascht?
Die Gründung der grünen Partei vor knapp 20 Jahren und die 80er Jahre waren gekennzeichnet von der tiefen Erkenntnis, daß Reformprojekte wie der Atomausstieg den geballten Widerstand der (Atom-)Wirtschaft und von Teilen des potentiellen Koalitionspartners (SPD) hervorrufen würde und nur mit Unterstützung eines starken außerparlamentarischen Drucks gegen diese durchgesetzt werden können. Wenn heute grüne Spitzenpolitiker/innen – etwa in Schreiben an die IPPNW – um Verständnis für die "schwierige politische Situation im Umgang mit einer sehr mächtigen Industrie und als bedeutend kleinerer Partner in einer Koalition mit einer SPD" werben, dann dokumentiert das nur die völlig unzureichende Vorbereitung und die mangelhafte Durchsetzungskraft – kurz: das vollständige Versagen – des grünen Führungspersonals.
Denn es war immer klar, daß ein SPD-Kanzler dem kleinen Koalitionspartner jederzeit mit der Alternative einer großen Koalition drohen könnte. Weil sich die FDP immer der Rückendeckung vermögender und einflußreicher Kreise versichern konnte, die über eine entsprechende Medienmacht verfügen und für die notwendige "öffentliche Stimmung" sorgten, konnte sie auch als kleiner Koalitionspartner sehr vieles durchsetzen. Das grüne Führungspersonal versäumte es dagegen, sich die notwendige Rückendeckung aus der Gesellschaft professionell zu organisieren und sich gemeinsam etwa mit den Umweltverbänden und der Anti-Atom-Bewegung auf den Regierungswechsel strategisch vorzubereiten. Selbst die eigene Parteibasis wurde nicht auf den Regierungswechsel vorbereitet und strategisch eingesetzt, um vom ersten Tag an im direkten Kontakt zur Bevölkerung vor Ort für die grüne Politik zu werben. Und in Bonn übertrafen sich die Politiker/innen gegenseitig darin, den eigenen Umweltminister zu torpedieren und jeweils individuelle Vorstellungen über immer längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke in die Notizblöcke der Journalisten zu diktieren.
Die Umweltbewegung warnte rechtzeitig davor, sich ausschließlich auf einen Regierungswechsel ohne eine begleitende außerparlamentarische Kampagne zu verlassen: "Es ist eine Illusion zu glauben, es bedürfe lediglich anderer parlamentarischer Mehrheiten, um die energiepolitische Wende durchzusetzen ... Selbst eine extrem engagierte und versierte grüne Energieministerin (bzw. ein Energieminister) würde in einer Koalitionsregierung den Ausstieg aus der Atomenergie und den Aufbau neuer Energiewirtschaftsstrukturen nicht im Alleingang schaffen. Ohne ein Mindestmaß an öffentlichem Druck läuft gar nichts. Denn während konservative Regierungen auf eine breite Unterstützung in Wirtschaft und Bürokratie vertrauen können, sind links-reformerische außerordentlich stark auf den Druck gesellschaftlicher Bewegungen angewiesen, um notwendige Schritte gegen die vielen Betonköpfe in den eigenen Ministerien, in der Industrie und den Banken durchzusetzen" (Henrik Paulitz, Manager der Klimakatastrophe - Die Deutsche Bank und ihre Energie- und Verkehrspolitik, 1994).
Wie konnte die grüne Führung diese Koalition beginnen und sich dabei vollständig auf eine positive Berichterstattung der Medien verlassen, ohne ihre Parteibasis und atomkritische Verbände auf die Straße zu schicken, um unabhängig von den Medien in der Gesellschaft eine Stimmung für den Atomausstieg und für eine Energiewende zu erzeugen? Die Bereitschaft der Verbände zu "strategischen Allianzen" und zum Organisieren einer massiven Öffentlichkeitskampagne am Beginn einer rot-grünen Koalition waren immer vorhanden! Doch gab sich die grüne Führung seit Jahren der Illusion hin, es bedürfe für die Durchsetzung des Atomausstiegs nur endlich einer rot-grünen Koalition und signalisierte den Verbänden immer wieder und bis zum heutigen Tag: ‘Wir machen das alleine. Und bitte habt Verständnis dafür, daß nicht mehr herauszuholen war.’
16. Ist das Verhandlungsergebnis ein Fall für einen grünen Sonderparteitag?
Die grüne Parteiführung möchte das Verhandlungsergebnis mit der Atomwirtschaft dem grünen Parteirat und nicht auf einem Sonderparteitag zur Diskussion stellen. In diesem Parteigremium sitzen überwiegend Funktionäre der Partei, die erfahrungsgemäß mehr als die Delegierten der Parteitage dazu tendieren, die Programmatik der Partei an das einfach Durchsetzbare anzupassen. Die grüne Basis und die Landesverbände werden sich überlegen müssen, ob die zentrale Richtungsentscheidung in der Atompolitik, dem Herzstück der Partei, nicht ein Fall für einen Sonderparteitag ist.
17. Werden es sich B’90/Die Grünen erlauben können, das Verhandlungsergebnis mit der Atomwirtschaft abzulehnen?
Führende Politiker werden im Herbst darauf verweisen, daß es sich Bündnis 90/Die Grünen überhaupt nicht werden erlauben können, das Verhandlungsergebnis abzulehnen. Bundeskanzler Schröder und die SPD würden einen Konfrontationskurs mit der Atomwirtschaft nicht mitmachen, vor der Öffentlichkeit stünde man dann als völlig gescheitert da. Tatsächlich dürfte sich die Zusage für die Abschaltung von zwei Atomkraftwerken für die breite Öffentlichkeit zunächst als einen gewissen Erfolg verkaufen lassen.
Doch dann kommen die bitteren Pillen: Die Öffentlichkeit wird schrittweise registrieren, daß die Grünen mit der zügigen Genehmigung von Zwischenlagern das Geschäft der Atomwirtschaft betreiben und den Betrieb der laufenden Atomkraftwerke langfristig absichern. Und mit einer wachsweichen sicherheitstechnischen Aufsicht könnte die grüne Partei insgesamt merkwürdig inhaltsleer wirken. Doch das sind parteistrategische Gesichtspunkte. Entscheidend ist die Frage, ob uns das Verhandlungsergebnis einem Atomausstieg näher bringt oder – so wie es sich bislang abzeichnet – uns davon entfernt. Wollen die Grünen eine glaubwürdige Politik betreiben und der Politikmüdigkeit keinen weiteren Vorschub leisten, dann müssen sie das Verhandlungsergebnis ggf. ablehnen. Vergessen wir nicht, daß drei Viertel der Bevölkerung zügig aus der Atomenergie in Deutschland aussteigen wollen. Ebenso viele lehnen die Finanzierung von Atomkraftwerken in Osteuropa ab (Forsa-Umfrage im Auftrag der IPPNW, Juli 1999).
Wenn im Herbst nicht absehbar ist, daß ein Großteil der Atomanlagen in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden und die Finanzierung neuer Atomkraftwerke in Osteuropa nicht eindeutig ausgeschlossen wird, dann sollte das Verhandlungsergebnis unbedingt abgelehnt werden. Ein solches Verhalten würde die Öffentlichkeit inzwischen vermutlich stärker honorieren, als viele Parteistrategen vermuten.
18. Können die Grünen einen Atomausstieg "im Dissens" durchsetzen?
Wenn die äußerst schwach und praktisch ohne die ernsthafte Nutzung von Druckmitteln geführten "Verhandlungen" mit der Atomwirtschaft kein akzeptables Ergebnis bringen, dann muß ein Atomausstieg "im Dissens" durchgesetzt werden. Es gibt genügend realistische Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Politik der Nadelstiche, mit der ein Ausstieg aus der Atomenergie zügig herbeigeführt werden könnte. Allein die fehlenden Entsorgungsnachweise wären Grund genug für eine Abschaltung der laufenden Atomkraftwerke. Mit einer stärkeren Besteuerung des Atomstroms, einer adäquaten Erhöhung der Unfallschadenhaftung etc. könnte der Betrieb der Atomkraftwerke unwirtschaftlich werden.
Das von Sozialdemokraten, Grünen und der Linkspartei regierte Schweden wird übrigens im Jahr 2000 eine spezielle Energiesteuer auf Atomstrom einführen. Diese Steuer ist eine Bedingung der Grünen für das Ja zum Staatshaushalt!!
Eine solche Politik müßte gegenüber der SPD durchgesetzt werden! Das kann nur durch eine ganz massive Öffentlichkeitskampagne unter Beteiligung aller aktivierbaren Kräfte gelingen. Über die grüne Basis und die verschiedensten Verbände müßte eine direkte Kommunikation mit der Bevölkerung aufgebaut werden. Eine "Zeitung zum Atomausstieg" (oder Faltblätter) und Unterschriftenlisten, die millionenfach (!) in die Bevölkerung getragen werden, könnte die zentrale Basis für den notwendigen Druck auf Bundeskanzler Schröder sein. Die Argumente der Atomwirtschaft, wonach ein schneller Atomausstieg nicht realisierbar wäre, sind einfach und überzeugend widerlegbar. Nur muß es getan werden und massenweise unters Volk gebracht werden. Die unverschämten und maßlosen Forderungen der Atomwirtschaft sind in einer professionellen Image-Kampagne offenzulegen, ein schneller Atomausstieg und eine Energiewende müssen nicht nur realistisch, sondern auch "chic" sein und Spaß machen.
Ein "Hilferuf einer Regierungspartei an die Gesellschaft" wäre einmalig und könnte ganz neue Energien freisetzen und zu einer massiven Mobilisierung führen, die immer neue Verbände in die Kampagne integriert und neue Ressourcen erschließt. Das Projekt Atomausstieg ist eine gesellschaftliche Veranstaltung oder gar keine.
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