Chronologie wesentlicher Stationen zum
"Ausstieg aus der Atomenergie"

Ausstieg aus der Atomkraft - früher oder später oder...?

1. Koalitionsvereinbarungen (Oktober 1998)

2. Erste Absprache zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Dr. Manfred
Timm (Vorstandsprecher der Hamburger Electricitäts-Werke und Koordinator
der Atomkraftwerksbetreiber) im Rahmen der Konsensgespräche (Januar 1999)

3. Verständigung über Eckpunkte zur Beendigung der Nutzung der vorhandenen
Kernkraftwerke in Deutschland zwischen der Bundesregierung (BR) und den
Eigentümern/Betreibern der in Deutschland errichteten
Kernkraftwerkskapazitäten (E/B) (Entwurf) (Juni 1999)

4. Fraktionsentscheidung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (im Bundestag)
    (Dezember 1999)

5. Interfraktionelle Abstimmung SPD/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
    (Fraktionen im Bundestag, Ministerien)

6. Anträge/Genehmigungen: Externe Zwischenlager/Castortransporte mit
bestrahlten Brennelementen

7. Zusammenfassende Kritik mit Begründung

8. Parlamentarische Initiative
1. Koalitionsvereinbarungen (Oktober 1998)

„Der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie wird innerhalb dieser
Legislaturperiode umfassend und unumkehrbar gesetzlich geregelt." , so
heißt es in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN vom 20.10.1998.

1.1 In einem ersten Schritt sollten hierzu (als Teil des sog. 100-Tage-Programms) die Atomgesetz-Novelle aus dem April 1998 weitgehend aufgehoben und gravierende Änderungen (Streichung des Förderzwecks, Verpflichtung zu Sicherheitsüberprüfungen, Klarstellung der Beweislastregelung, Beschränkung der Entsorgung auf die direkte
Endlagerung, Erhöhung der Deckungsvorsorge, Schaffung von Zwischenlagerkapazitäten am Kernkraftwerksort bzw. in dessen Nähe)
vorgenommen werden. Der Zeitplan sah die Absegnung des Gesetzentwurfes in
den Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für den 27.01.99 vor.
Bereits zwei Tage später sollte der Entwurf in den Bundestag eingebracht
und das Gesetz schließlich zwischen Mai und Juli in Kraft treten.

1.2 Zweitens war vorgesehen, in (Konsens-)Gesprächen zwischen
Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen „Schritte zur Beendigung
der Atomenergie und Entsorgungsfragen möglichst im Konsens zu
vereinbaren". Die Bundesregierung setzte sich hierfür einen zeitlichen
Rahmen von einem Jahr nach Amtsantritt. Als Ergebnis wurde dabei ein
öffentlich-rechtlicher Vertrag (zwischen Betreibern und Bundesregierung)
angestrebt.

1.3 Danach sollte drittens ein Gesetz eingebracht werden, „mit dem
der Ausstieg aus der Kernenergienutzung entschädigungsfrei geregelt wird;
dazu werden die Betriebsgenehmigungen zeitlich befristet."

1.4 Das Thema Wiederaufarbeitung ist in den Koalitionsvereinbarungen nur
indirekt (s. oben, Beschränkung auf die direkte Endlagerung) zu finden.
Gleichwohl kündigte Bundesumweltminister (BUM) Jürgen Trittin bereits im
Herbst 1998 das entschädigungsfreie Ende (gesetzliches Verbot!) der
Aufarbeitung deutscher Brennelemente im Ausland bis zum 31.12.1999 an.

2. Erste Absprache zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Dr.
Manfred Timm (Vorstandsprecher der Hamburger Electricitäts-Werke und
Koordinator der Atomkraftwerkbetreiber) im Rahmen der Konsensgespräche
(Januar 1999)

Im Januar 1999 begannen die Konsensgespräche zwischen Bundesregierung und
den Betreibern der Energieversorgungsunternehmen. In einer Pressekonferenz
am 26.01.1999 stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder u.a. folgende
Einigungspunkte fest (Anlage 1 auf Anforderung per Fax):

2.1 Die sog. Restlaufzeiten sind einvernehmlich festzulegen.

2.2 Der Betrieb der Kernkraftwerke ist bis zum Ende der Restlaufzeiten
sicherzustellen.

2.3 Bis zum Inkrafttreten des Verbots der Wiederaufarbeitung muß eine
Zwischenlagerung der abgebrannten Brennelemente an den Kraftwerksorten
(für die Dauer der Restlaufzeiten) technisch realisiert sein.

Kritik:

• Unter Berücksichtigung der häufig wiederholten Aussage Schröders „Einen
Ausstieg aus der Atomenergie gibt es nur im Konsens" heißt das im
Klartext: Einen Ausstieg aus der Atomenergie gibt es bestenfalls zu den
von den Atomkraftwerkbetreibern diktierten Bedingungen.

Verstärkt in diese Richtung weisen im Sommer 1999 die Ergebnisse der
Sondierungsgespräche des Bundeswirtschaftsministers (BWM) Werner Müller
mit den Konzernchefs der Energieversorgungsunternehmen (EVU).

3. Verständigung über Eckpunkte zur Beendigung der Nutzung der vorhandenen
Kernkraftwerke in Deutschland zwischen der Bundesregierung (BR) und den
Eigentümern/Betreibern der in Deutschland errichteten Kernkraftwerkskapazitäten (E/B) (Entwurf) (Juni 1999)


Hier heißt es u.a.:

3.1 „3. BR respektiert die ökonomischen und unternehmerischen Belange
der kernenergiebetreibenden Unternehmen sowie die entsprechende
Verantwortung der Entscheidungsträger in den Unternehmen."

3.2 „7. Beide Seiten stimmen darin überein, dass es gemeinsames Ziel von
BR und E/B ist, die deutsche Energiewirtschaft zu einer führenden Position im europäischen Wettbewerb zu entwickeln. Deshalb ist die Beendigung der
Kernenergienutzung durch diese Verständigung so ausgestaltet (...), daß
den E/B daraus keine internationalen Wettbewerbsnachteile erwachsen."

3.3 8. ..."Beide Seiten schließen darüber hinaus einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die BR beabsichtigt, dem Deutschen Bundestag (und dem Bundesrat) und E/B ihren Aufsichtsgremien zur Zustimmung vorzulegen."

3.4 9. ..."Die Politik des Ausstiegs aus der Kernenergienutzung zur
Stromerzeugung wird verwirklicht durch Verbot des Neubaus von
Kernkraftwerken einerseits und das geordnete Auslaufen bestehender
Kernkraftwerke andererseits. Neue Kernkraftwerke werden demgemäß in der
Bundesrepublik Deutschland nicht errichtet."

3.5 „12. Weiterhin wird E/B in diesem Vertrag eine Ausnutzung der
Restlaufzeiten zugesichert, die, Sicherheit der Anlagen und Einhalten der
Entsorgungsgrundsätze vorausgesetzt, nicht durch behördliche
Interventionen gestört wird."

3.6 „14. Unabhängig von diesem öffentlich-rechtlichen Vertrag zur
Laufzeitbegrenzung wird diese auf maximal 40 Kalenderjahre ab
Inbetriebnahme gesetzlich begrenzt."

3.7 „17. Radioaktive Abfälle müssen nach einer Übergangszeit von
längstens 5 Jahren grundsätzlich am Kraftwerksstandort oder in dessen Nähe
zwischengelagert werden."

3.8 „18. E/B verpflichten sich, abgebrannte Brennelemente nur noch bis
spätestens Ende 2004 in ausländische Wiederaufarbeitungsanlagen zum Zwecke
der Wiederaufarbeitung und Rezyklierung zu verbringen unter der
Voraussetzung, daß bis Ende 1999 Transporte in diese Anlagen wieder
möglich sind."

3.9 26. ..."Andere Korrekturen am atomrechtlichen Rahmen, namentlich
solche, die den Interpretationsspielraum des Gesetzes für den laufenden
Betrieb und die Gewährleistung der Sicherheit betreffen, werden nicht
vorgenommen, das gilt insbesondere für das behördliche
Eingriffsinstrumentarium."

Kritik:

• Die Konstruktion des öffentlich-rechtlichen Vertrages gibt den
Oppositionsparteien im Bundestag über die Mitzeichnung im Bundestag sowie
über den Bundesrat einen Schlüssel zur Blockade in die Hand.
(Öffentlich-rechtliche Verträge sind darüber hinaus kündbar!)

• Die Befristung auf 40 Jahre Volllastbetrieb ist kein Ausstieg aus der
Atomenergie sondern bedeutet bestenfalls ein Auslaufenlassen der
Kraftwerke über einen Zeitraum hinaus, der den Betreibern bislang selbst
rentabel erschien: Von insgesamt 14 AKW, die in den Industrieländern
zwischen 1989 und 1997 stillgelegt wurden, sind nämlich 13 nur zwischen 15
und 24 Kalenderjahren am Netz gewesen. Nur eines hatte 26 Jahre lang Strom
produziert.

• Die von den Stromkunden zu bezahlende teure Entsorgung über die
Wiederaufarbeitung soll mehrere Jahre weiterlaufen.

• Die Aufsicht über die Atomkraftwerke wird gegenüber dem jetzigen
Rechtszustand abgeschwächt.

Fazit:

Die Vorschläge laufen darauf hinaus, die Situation der Betreiber für die
Zeit des geplanten Auslaufens der Atomkraftwerke lediglich rechtssicher
auszugestalten. 4. Fraktionsentscheidung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (im
Bundestag)


Basierend auf den Ausführungen von BUM Jürgen Trittin in einem Schreiben
an die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag (Dezember
1999) nähert sich diese nach Abstimmung mit dem Bundesvorstand den
Vorstellungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder und BWM Werner Müller in
den entscheidenden Punkten an:

4.1 Die Gesamtlaufzeit der AKWe soll - ein" insgesamt überzeugendes
Gesamtpaket" vorausgesetzt - bei maximal 30 Jahren liegen. Das letzte
Atomkraftwerk wird danach im Jahr 2019 abgeschaltet.

4.2 Den Betreibern der AKWe wird die Möglichkeit der „flexiblen
Ausgestaltung der Laufzeiten einzelner Anlagen im Rahmen der gesetzlich
definierten, fixen Regellaufzeit" angeboten. Schalten die
Kernkraftwerkbetreiber einzelne Anlagen eher ab, so dürfen andere um so
länger betrieben werden.

4.3 Für Kernkraftwerke, die das Alter von 30 Jahren bereits überschritten
haben bzw. bis zum Ende der Legislaturperiode überschreiten werden, wird
eine Übergangsfrist festgelegt. Entgegen ursprünglichen Auffassungen setzt
man dafür jetzt drei Jahre (früher ein Jahr) an.

4.4 Bezüglich der Aufarbeitung bestrahlter Brennelemente wird jetzt ein
„schnellstmögliches Verbot" angestrebt.

4.5 Ferner wird das Gebot zur standortnahen Zwischenlagerung übernommen.

Die weiteren Forderungen aus den Koalitionsvereinbarungen (s. oben)
bleiben bestehen. Darüber hinaus wird bis zum Jahr 2002 eine Besteuerung
der Kernbrennstoffe vorgesehen.

Kritik:

• Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag rückt mit
diesen Zugeständnissen von praktisch allen wesentlichen Forderungen der
Vergangenheit ab.

• Aus einem Sofort-, wird über einen 10- und
25-Jahre-Ausstieg, schließlich ein solcher in 30 + 3 Jahren. Ganz so, als
hätte es nie ein Harrisburg oder eine Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
gegeben.

• Hinsichtlich der zugestandenen flexiblen Ausgestaltung der
Laufzeiten wird den AKW-Betreibern die Möglichkeit eingeräumt, sich mit
wirtschaftlichen Vorteilen von Anlagen zu trennen, die aus
Wettbewerbsgründen ohnehin bald stillgelegt werden müßten. Bei dieser
Verfahrensweise bleibt zwar das kumulierte Gesamtrisiko während des
Reaktorbetriebs gleich, nicht jedoch zwangsläufig die produzierte Menge an
erzeugtem Atommüll (u.a. Plutonium). Würde beispielsweise der Kernreaktor
Brunsbüttel (1976, 806 MW) bereits im Jahr 2003 statt erst 2006
abgeschaltet und liefe dafür, das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (1981,
1345 MW) 3 Jahre länger, so entstünde deutlich mehr Plutonium, als bei
einer festen Laufzeit beider AKWe.

• Die zugestandene Übergangsfrist von drei Jahren hat (im Fall des
Dissenses) zur Folge, dass in dieser Legislaturperiode kein AKW
abgeschaltet wird. (Bei einer maximalen Gesamtlaufzeit von 25 Jahren und
einem Jahr Übergangsfrist dagegen gingen bis zum Jahr 2002 sieben
Reaktoren vom Netz!)

• Die Genehmigung und der Bau von Zwischenlagern können je nach Art und
Zahl der zu erwartenden rechtlichen Interventionen einige Jahre dauern. Da
der Transport bestrahlter Brennelemente nach La Hague und Sellafield erst
mit Inbetriebnahme der Zwischenlager beendet werden soll, ist über mehrere
Jahre hinweg mit einer Vielzahl von risikobelasteten Atommülltransporten
zu rechnen. 5. Interfraktionelle Abstimmung SPD/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Fraktionen im Bundestag, Ministerien)


5.1 15. Januar: In einer gemeinsamen Sitzung verabreden die
Fraktionsspitzen von SPD und Bündnisgrünen einen Zeitplan zum
Atomausstieg.

5.2 Unter Leitung von BK Gerhard Schröder besprechen am 19. Januar die
beteiligten Ressortchefs - Justizministerin Herta Däubler-Gmelin,
Innenminister Otto Schily, Kanzleramtsminister Frank Walter Steinmeier
(alle SPD), Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) sowie
Außenminister Joschka Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin (beide
Bündnis 90/Die Grünen) - die Eckpunkte für ein Ausstiegsgesetz, das keine
Entschädigungen vorsieht und dennoch vor dem Bundesverfassungsgericht
Bestand haben soll.
Aus dem BMU heißt es hierzu: „Zum heutigen Ministergespräch im
Kanzleramt

1. Es besteht Einigkeit, dass die weiteren Konsensverhandlungen auf der
Basis von 30 Jahren maximaler Laufzeit und einer Übergangsfrist von 3
Jahren geführt werden. (Die Energieversorger halten hingegen weiter an
ihrer Forderung nach mindestens 35-jähriger Laufzeit fest: Das
„Müller-Papier vom Sommer ist der Kompromiss." ( Et, 01/02/2000))
2. Der Bundeskanzler wird auf dieser Basis am 4.2. ein erstes
Sondierungsgespräch mit den Chefs der vier Holdings führen.
3. Die Ergebnisse dieses Gesprächs werden rückgekoppelt. In der
Woche ab dem 7.2. kommt die Staatssekretärsrunde erneut zusammen, um ihren
Abschlußbericht fertigzustellen.
4. Nach Abschluß dieser Runde werden die Konsensverhandlungen mit
den Konzernen stattfinden. Teilnehmer, BK, ChBK, BMWi und BMU.
5. Einigkeit besteht auch darin, dass bei der Konstruktion des
Ausstiegs alles vermieden werden soll, was eine Zustimmungspflichtigkeit
durch den Bundesrat bedeuten würde. Das bedeutet, dass die
Flexibilisierung über Strommengen kaum als gangbar erscheint.
6. Ziel ist, bis Ende Februar die Eckpunkte einer
Atomgesetz-Novelle vorzulegen, so dass diese der BDK vorgelegt werden
können.

(Et, 01/02/2000: Am 19. Januar verständigten sich dann Bundeskanzler
Schröder, Wirtschaftsminister Müller, Justizministerin Däubler-Gmelin
sowie Umweltminister Trittin und Außenminister Fischer über die
rechtlichen Fragen des Atomausstiegs; laut Umweltminister Trittin ist dies
die „endgültige Position der Bundesregierung".)

5.3 Verschiedene PM: Bis Ende Februar 2000 muss nach Angaben der
Fraktionschefs Peter Struck (SPD) und Kerstin Müller (Grüne) geklärt
werden, ob ein Atomkonsens mit der Stromwirtschaft möglich ist oder nicht.
Ebenfalls bis Ende Februar soll in Form von rot-grünen „Eckpunkten"
abgesprochen werden, wie ein Ausstiegsgesetz für den Fall des Scheiterns
der Konsensgespräche aussieht. Dieses Gesetz soll noch vor der Sommerpause
ins Parlament eingebracht werden und bis Jahresende beschlossen sein (der
Fahrplan sieht den Beginn des Gesetzgebungsverfahrens für ein
Ausstiegsgesetz für März vor).

Kritik: Weshalb erfolgt die interfraktionelle Abstimmung erst jetzt? 6.
Anträge/Genehmigungen: Externe Zwischenlager/Castortransporte mit
bestrahlten Brennelementen


6.1 Januar/Februar 2000: Anträge auf Einrichtung externer Zwischenlager

Die Betreiber deutscher Kernkraftwerke richten sich auf eine reduzierte
Zahl von Atomtransporten ein. Beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS)
gingen in den vergangenen Wochen neun Anträge auf neue Zwischenlager ein,
die in unmittelbarer Nähe einzelner Atommeiler entstehen sollen. Beantragt
wurden Lagerkapazitäten für die Standorte Brokdorf, Unterweser, Stade,
Grohnde, Krümmel, Brunsbüttel. Neckarwestheim, Philippsburg und Biblis.
Die geplanten Kapazitäten liegen zwischen 80 und 169 Stellplätzen, in
denen abgebrannte Brennelemente aus den jeweiligen Kraftwerken
zwischengelagert werden sollen.
14.02.2000: VIAG-HV in München: Auf die Frage (Irene Sturm), ob für die
vier bayer. AKW's bereits ein Antrag auf Bau von atomaren Zwischenlagern
gestellt wurde, teilte der Vorstandsvorsitzende der VIAG AG, Prof. Wilhelm
Simson mit, daß bisher für die bayer. AKW's (Ohu 1, Ohu 2, Grafenrheinfeld
und Gundremmingen) kein Antrag gestellt worden ist. Simson wörtlich: "Das
wird in den nächsten Wochen und Monaten geschehen." (Inzwischen erfolgt)

Kritik:

Die Laufzeiten der Kernkraftwerke sind bislang nicht festgelegt. Bevor
dies nicht geschehen ist, können auch keine noch anfallenden bestrahlten
Brennelementemengen und damit auch keine Zwischenlagerkapazitäten
angegeben werden.

6.2 26. Januar 2000: BfS erteilt Genehmigungen für Transporte nach Ahaus
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat fünf innerdeutsche
CASTOR-Transporte mit bestrahlten Brennelementen aus den Kraftwerken
Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg in das westfälische Zwischenlager
Ahaus genehmigt. Der Präsident des BfS Wolfram König sagt dazu: "Für
innerdeutsche Transporte ist die für die Sicherheit erforderliche Vorsorge
getroffen. Insbesondere ist durch zusätzliche Auflagen gegenüber früheren
Genehmigungen gewährleistet, dass die international festgelegten
Grenzwerte für radioaktive Verunreinigungen eingehalten werden."
Voraussichtlich frühestens ab August kann der erste Transport abgebrannter
Brennelemente in ein deutsches Zwischenlager rollen. Dies ergibt sich aus
weiteren Auflagen der Genehmigung. Der Genehmigungsinhaber muss
entsprechend einer Forderung der Länderinnenminister den konkreten
Transporttermin sechs Monate vorher bei der zuständigen Polizeibehörde
anmelden. Die einzelnen Genehmigungen sind befristet auf zwei Jahre
erteilt. (BUM Jürgen Trittin: Nachdem die Betreiber die erteilten
Auflagen für die innerdeutschen Transporte abgearbeitet hatten, war das
dem BMU unterstellte BfS nach Recht und Gesetz verpflichtet, die
Genehmigungen mit den entsprechenden Auflagen zu erteilen. Es handelt sich
um eine "gebundene" Entscheidung, für die kein Ermessensspielraum zur
Verfügung steht. Nach § 4 des Atomgesetzes ist ein Transportantrag zu
genehmigen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.)


Kritik:

Aufgrund der eingetretenen zeitlichen Verzögerungen verliert die
Bundesregierung mit der Genehmigung innerdeutscher Transporte ein
wichtiges Druckmittel gegenüber den AKW-Betreibern.

7. Zusammenfassende Kritik mit Begründungen


• Der Einsatz der Kernspaltung zur Deckung eines Teils des Strombedarfs
ist mit zahlreichen Risiken belastet. Die Schädigung der Gesundheit vieler
Menschen beim Uranerzabbau, menschliches Versagen während der
(Uran-)Anreicherung im Rahmen der Brennelementeherstellung,
Niedrigstrahlung und das sogenannte Restrisiko während des Normalbetriebs
der Reaktoren, Neutronenstrahlung, hot spots und Unfälle im Verlauf von
Transporten, radioaktive Verseuchung weiter Landstriche im Umfeld der
Wiederaufarbeitungsanlagen und eine unsichere Endlagerung des Atommülls
für Tausende von Jahren erfordern den unverzüglichen Ausstieg aus dieser
Risikotechnologie.

• Atomenergie ist darüber hinaus - sofern man die
externen Kosten einrechnet - die teuerste der derzeit praktizierten
Energiebereitstellungsarten.

• Atomenergie behindert ferner das rasche
Ausschöpfen aller Energieeinsparungsmöglichkeiten, der effizienten
Energienutzung, der Kraft-Wärme-Kopplung sowie der regenerativen Energien.

Die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben diese Problematik
erkannt. Um so schärfer ist ihr Einknicken vor den Energiebossen zu
verurteilen. Die diesen bislang eingeräumten Zugeständnisse erinnern eher
an eine Bestandsgarantie für Laufzeiten bis zur durch Materialermüdung
begründeten Altersgrenze, denn an ein Ausstiegsszenario. Konsens heißt
jetzt das neue Lieblingswort. Und Konsens bedeutet dabei selbst nur
einseitige Übernahme der Forderungen der AKW-Betreiber.

03.03.2000
Volker Hartenstein, MdL (Bayern)
war Mitglied der Arbeitsgruppe "Atomausstieg" im BUM für die bayer. Grünen