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Annelie Buntenbach (MdB)

Erklärung der Abgeordneten
Annelie Buntenbach, Monika Knoche und Irmingard Schewe-Gerigk
zur Abstimmung über die Rentenreform am 26.1.2001
gemäß §31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags

Wir können der Rentenreform in der vorliegenden Form nicht zustimmen, weil wir die ihr zugrundeliegende Entscheidung, für einen Teil der Alterssicherung auf Privatvorsorge statt auf die Ausweitung der solidarischen, paritätisch verfaßten Pflichtversicherungssysteme zu setzen, für falsch halten. Die paritätische Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme ist eine prägende Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. Auf diesem Fundament sind große gesellschaftliche Fortschritte in Richtung auf Gerechtigkeit, Teilhabe und Antidiskriminierung erzielt worden. Das Abrücken von diesem gestaltenden
Prinzip ist begründungspflichtig. Dem partiellen Zugewinn an sozialer Gerechtigkeit durch die Reform z.B. bei der Bekämpfung verschämter Altersarmut und der Aufstockung der Beiträge für Kindererziehung stehen eine Reihe von negativen Auswirkungen der Systemveränderung entgegen, die wir nicht akzeptieren können.

Die Entscheidung für Privatvorsorge geht zulasten sozial Schwächerer, die trotz staatlicher Zuschüsse bzw. Steuererleichterungen immer freiwillig einen Teil (mindestens 1%) selbst aufbringen müssen. Wenn die Entscheidung für die Zahlung zur Altersvorsorge oder der Winterjacke für das Kind fallen muß, wird sie oft genug für die Winterjacke fallen, mit
den entsprechenden Folgen im Alter. Wenn nicht privat vorgesorgt wird, braucht man in Zukunft um Jahre längere Beitragszeiten, um über die Rentenversicherung bei der späteren Rentenauszahlung das Niveau der Sozialhilfe zu erreichen. Bei einem durchschnittlichen Frauenverdienst bedeutet dies, daß erst bei mehr als 35 Beitragsjahren eine Rente auf
Sozialhilfeniveau erreicht würde. Wenn jemand wegen Erwerbslosigkeit nicht mehr in die private Altersvorsorge einzahlen kann, wird künftig zwar der Vertrag ruhen, aber es gelten für diesen Teil nicht die Regeln der solidarischen Sozialversicherung, nach der die Bundesanstalt für Arbeit für die Rentenbeiträge geradesteht, zumindest während der Zahlung von Arbeitslosengeld. In der gesetzlichen Krankenversicherung sind dadurch Milliardenausfälle zu erwarten, für die innerhalb der bisherigen Systematik der GKV keine Kompensation durch Steuerzufinanzierung möglich ist. Der System-bruch eines Ausstiegs aus der Parität - die Senkung der Lohnnebenkosten in der Rentenversicherung kommt ausschließlich den Arbeitgebern zugute, die private Vorsorge ist aber gleichzeitig für ein angemessenes Absicherungsniveau unabdingbar - kann nicht aufgewogen werden durch staatliche Förderung im Bereich privater Vorsorge.

Wir halten es für sehr problematisch, daß einerseits die Etablierung einer kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge mit
einer Steuerzufinanzierung von 20 Mrd. jährlich aufgebaut wird und andererseits eine Zunahme von Sozialhilfebedürftigkeit zu erwarten ist.

Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtergerechtigkeit können wir dem Gesetz nicht zustimmen. Die schon angesprochenen Belastungen sozial Schwächerer treffen in besonderem Maße Frauen, die im Durchschnitt bekanntlich immer noch ca. ein Drittel weniger verdienen als Männer. Gleichzeitig werden Frauen mehr für ihre private Vorsorge
zahlen müssen, um später die gleiche monatliche Leibrente zu erzielen wie Männer. Nach jetzigem Stand muß eine dreißigjährige Frau, um ab dem 65. Lebensjahr 100 Mark Leibrente zu erhalten, 28,71 DM bezahlen, während ein gleichaltriger Mann nur monatlich 23,70 zu entrichten hat. Frauen leben nämlich laut Statistik durchschnittlich fünf Jahre länger.

Daß die Privatwirtschaft so rechnet, ist eine Sache, daß die staatliche Förderung sich nicht gleiche Bedingungen für Männer und Frauen zur unabdingbaren Voraussetzung macht, ist für uns nicht nachzuvollziehen.

Schließlich ist auch in der Pflegeversicherung ermöglicht worden, gleiche Tarife für Frauen und Männer vorzusehen! Ebenfalls unter frauenpolitischen Gesichtspunkten völlig kontraproduktiv ist das Faktum, daß bei Eheleuten, wenn die Frau nicht erwerbstätig ist, also auch nicht privat vorsorgt, trotzdem private Altersvorsorge der Frau staatlich gefördert wird. Dies gilt aber nicht, wenn sie erwerbstätig ist, und z.B. wegen ihres niedrigen Einkommens keine eigenständige Privatvorsorge trifft. Dies ist ein weiteres Erwerbshindernis für Frauen und eine völlig überflüssige Besserstellung der Hausfrauenehe.

Wie stark sich die absehbaren Umverteilungswirkungen in der Realität geltend machen, hängt nicht zuletzt von der Entwicklung des Rentenniveaus aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab, das haben die Gewerkschaften immer wieder thematisiert. Den Wegfall des Ausgleichsfaktors begrüßen wir, ebenso wie die Festlegung der Bundesregierung auf ein Rentenniveau von 67% als Minimum für die Zukunft. Allerdings sollten sich diese 67% von einer Nettogrundlage her
berechnen, die nicht durch den Abzug der Privatprämie vom Nettoentgelt gegenüber dem jetzigen Stand reduziert wird.

 

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