zurück

Rede Annelie Buntenbach im Bundestag 5.4.2000
- es gilt das gesprochene Wort! -

Der Kosovokrieg, die deutsche Beteiligung an den völkerrechtswidrigen NATO-Luftangriffen auf Jugoslawien war eine Zäsur in der politischen Geschichte der Bun-desrepublik. Auch das Gesicht der Grünen hat dieser Krieg nachhaltig verändert - über ein solches Ereignis kann man auch ein Jahr später nicht mit Distanz spre-chen und streiten. Trotzdem ist eine nüchterne und kriti-sche Bilanz notwendig, die nicht die jahrelangen Men-schenrechtsverletzungen im Kosovo, die ethnischen Diskriminierung und Vertreibungen relativiert, die sich aber frei macht von dem immensen Emotionalisierungs-druck, unter dem noch vor einem Jahr die Auseinandersetzung gestanden hat.

Wer sich jetzt darauf beruft, daß die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo so grausam und augenscheinlich gewesen sind, daß es nicht den Beleg eines Massa-kers von Racak braucht, keinen Nachweis für die reale Existenz des sog. Hufeisenplans, muß sich fragen las-sen, warum dies vor einem Jahr in der Öffentlichkeit an so exponierter Stelle vorgebracht worden ist. Warum wird einer Behauptung des UCK-Führers Thaci über 100.000 angeblich im Stadion von Pristina zusammen-gepferchte Menschen nicht klar widersprochen, wenn auf den Aufklärungsphotos dort überhaupt niemand zu sehen ist?

All dies - und hierzu gehört auch der m.E. illegitime Rückgriff auf Auschwitz und Völkermordszenarien - ist damals in der Öffentlichkeit geradezu aufeinander ge-stapelt worden, um nur ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen, daß die Entscheidung für das militärische Ein-greifen der NATO ohne jede Alternative für eine fühlen-den Menschen sei. Dieses Pathos war völlig kontrapro-duktiv für die Auseinandersetzung mit sachlichen Argu-menten, mit den ausgesprochen bedrückenden belegba-ren Fakten über die Situation vor Ort sowie die m.E. durchaus existierenden Handlungsalternativen. Deshalb gehört zu einer kritischen Bilanz auch die Aufarbeitung von Racak, die Aufklärung über die Bedeutung des sog. Hufeisenplans u.ä. mehr, wie sie Kolleginnen aus meiner Fraktion bereits eingefordert haben. Hier steht auch die Bundesregierung in der Verantwortung, ihren Beitrag zu leisten.

Wir - hier spreche ich für eine Minderheit meiner Frak-tion - haben damals wie heute die NATO Luftangriffe abgelehnt, aus grundsätzlichen Erwägungen, weil mit Krieg kein Frieden zu machen ist, weil sie völkerrechts-widrig waren, ebenso wie auch die Kriegführung selbst da völkerrechtswidrig war, wo sie gerade im serbischen Teil besonders zivile Ziele und Infrastruktur ins Visier genommen hat.
Weder haben die Luftangriffe die sog. "humanitäre Ka-tastrophe" verhindert noch die Region stabilisieren können. Mit großer Sorge sehen wir, daß immer wieder Gewalt aufflammt, daß die Ethnisierung in den Köpfen auf allen Seiten un-erträgliche Ausmaße erreicht hat.
Inzwischen sind, nach der Rückkehr vieler Kosovo-Alba-ner im Sommer letzten Jahres, laut UNHCR 200.000 Roma, Serben u.a. aus dem Kosovo geflüchtet. Die ge-waltsame Vertreibungskampagne gegen nicht-albani-sche Bevölkerungsgruppen, deren Fäden bei der UCK und ihren Nachfolgeorganisationen zusammenlaufen, hat ein ethnisch reines Kosovo und die Loslösung von Jugoslawien zum Ziel. Dieser Politik, die in krassem Gegensatz zur immer wieder betonten Ausrichtung an einem multi-ethnischen Kosovo steht, tritt weder die UNMIK noch alle NATO-Staaten mit der erforderlichen Eindeutigkeit entgegen.
Die aktuellen Konzepte der NATO-Staaten, zur Zukunft der Kosovo-Region sind genauso unklar wie vor dem Krieg. Für militärische Aktionen scheint es möglich, unterschiedliche Interessen zu bündeln, bei zivilen Per-spektiven schwanken die Positionen zwischen der Ermutigung der UCK bei ihren Separationsbestrebungen und dem Versuch, deutliche Grenzen zu ziehen gegen-über der Vertreibungspraxis, neuen Menschenrechts-verletzungen und Illusionen über die westliche Unter-stützung für Autonomiebestrebungen jenseits des Rah-mens der Bundesrepublik Jugoslawien. Solche wider-sprüchlichen Signale aus den USA und europäischen Staaten tragen dazu bei, das Konfliktpoten-tial in der Region noch zu verschärfen. Dies ist kein militärisches, sondern ein politisches Problem. Der Auf-bau der Zivilgesellschaft hinkt hoffnungslos hinterher, z.B: bei Polizei und Justiz. Für die UNMIK im Jahr, hier beziehe ich mich auf eine Äußerung von Tom Königs, nur soviel Geld zur Verfügung zu stellen wie für einen halben Tag Bombardierung ist schlicht absurd. In die-sem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß in dem Antrag, den das Parlament heute zum Stabi-litätspakt verabschieden wird, von der Position Abschied genommen wird, daß mit Sanktionen gegen die Zivilbe-völkerung Jugoslawiens Weg zur Demokratie beschleu-nigt werden könnte - diese Position, von der ich hoffe, daß die Bundesregierung dafür Unterstützung aus der Staatengemeinschaft gewinnen kann, ist ein Beitrag zur Deeskalation.

Einen weiteren Beitrag zur Deeskalation kann die Bun-desregierung in der Flüchtlingspolitik leisten: Keine Abschiebung von Straftätern à la Beckstein noch die umgehende Abschiebung aller Kosovo-Albaner. Viel-mehr brauchen wir, wie die Ausländerbeauftragte dies vorgeschlagen hat, einen Rückkehrbeauftragten, der mit aller Sorgfalt die jeweilige Situation für die vielen Rück-kehrwilligen auslotet und das Verkraftbare möglich macht. Auf gar keinen Fall dürfen Roma und andere Menschen aus nicht-albanischen Bevölkerungsgruppen in den Kosovo abgeschoben werden, wie dies vor eini-gen Tagen aus Baden-Württemberg geschehen ist. Wenn KFOR-Einheiten Roma, für deren Leib und Leben sie im Kosovo nicht die Verantwortung übernehmen können, zur montenegrinischen Grenze eskortieren, ist es völlig unverantwortlich, diese Menschen in den Ko-sovo abzuschieben. Die Bundesregierung darf keinen Zweifel daran lassen, daß sie den Betroffenen weiterhin Schutz bietet.

* * *

      zurück