B90/Grüne - BDK in Rostock
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29.10.2001

ANTRAG des KV Lippe zur BDK in Rostock

Gewaltspirale durchbrechen: Sofortiges Ende aller Kriegshandlungen gegen Afghanistan- Stop der Bombardierungen und Hilfe für Flüchtlinge- Ursachen von Terrorismus bekämpfen- Kein Einsatz von deutschen Bundeswehrsoldaten


Beschlussvorschlag: Die BDK in Rostock fordert den Bundesvorstand und die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen auf, sich klar und deutlich gegen den Krieg in Afghanistan zu positionieren und in Gesprächen mit dem Koalitionspartner alles dafür zu tun, um darauf hinzuwirken, dass die Kriegshandlungen gegen Afghanistan sofort beendet werden- auch um den Preis der Regierungsverantwortung.
Darüber hinaus erwarten wir, dass die grüne Bundestagsfraktion sich öffentlich für ein sofortiges Ende der Bombardierungen ausspricht und sich für wirksame humanitäre Maßnahmen einsetzt und dahingehend auch auf die SPD einwirkt. Eine Beteiligung deutscher Bundeswehrsoldaten in Afghanistan wird strikt abgelehnt und statt dessen eine Intensivierung aller nicht-militärischen Maßnahmen gegen den Terrorismus eingefordert. Außerdem setzen sich die Grünen für alle nur menschenmöglichen Schutzmaßnahmen für Flüchtlinge wie z.B. Schutzkorridore ein.


Begründung: Bündnis 90/ Die Grünen sind haben sich seit ihrer Gründung als Verfechter von Menschenrechten und einer nachhaltigen Friedenspolitik verstanden. Zu unseren Grundwerten gehören nach wie vor Basisdemokratie und Gewaltfreiheit. Wir sind daher entsetzt über das Verhalten unseres Bundesvorstandes und unserer Fraktionsspitze im Zusammenhang mit dem Militärschlag der USA gegen Afghanistan. Wir unterstreichen, dass die Partei, die in den vergangenen Wochen als "Bündnis 90/ Die Grünen" öffentlich in Erscheinung getreten ist, nicht die Partei ist, der wir beigetreten sind.


Die "Zivilisation" kann nicht verteidigt werden, indem die Antwort auf Terror Krieg ist

Wir alle verurteilen die Terroranschläge auf die USA auf das Schärfste und solidarisieren uns mit den Opfern. Wir sind übereinstimmend der Meinung, dass die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Sie sollen ergriffen, vor Gericht gestellt und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verurteilt werden. Es kann und darf bei allem Schock aber nicht sein, dass die sogenannte "zivilisierte Welt" mit "militärischen Schlägen" antwortet, bei denen unschuldige Menschen sterben müssen. Die furchtbare Tragödie des 11. September darf weder zu weiterem Hass und Vergeltung führen, noch zu innen- und außenpolitischer Aufrüstung. Wir müssen endlich begreifen, dass es keinen noch so "hochgerüsteten" Schutz gegen Terror und Gewalt gibt. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass Krieg niemals ein Mittel zur Lösung eines Konfliktes ist. "Auge um Auge macht die ganze Welt blind". (Gandhi)


Krieg gegen ein Volk am Rande des Existenzminimums kann zu keiner Lösung führen.

Wir widersprechen entschieden der Auffassung, dass "die Aktionen zur Bekämpfung der Terroristen gerechtfertigt" seien und "das Kriterium der Zielgenauigkeit und Verhältnismäßigkeit der Mittel auch von künftigen Aktionen erfüllt wird". Ebenso unhaltbar ist für uns die Aussage, dass "der Militäreinsatz völkerrechtlich durch das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung der USA legitimiert" und "der UN- Sicherheitsrat die Einsätze ausdrücklich gebilligt habe". Die "Aktionen zur Bekämpfung" sind ein Krieg- und der läuft- wie die bittere Realität zeigt, weder "zielgenau" noch "verhältnismäßig" ab. Tausende von unschuldigen Zivilisten werden getötet; Millionen von Afghanen sind vom Hungertod bedroht und die Restinfrastruktur eines bitterarmen Landes wird zerstört. Der Krieg gegen die Taliban ist keine "Selbstverteidigung". Das Talibanregime hat weder einen Angriff auf die USA durchgeführt, noch einen geplant. Somit ist dieser Krieg völkerrechtswidrig, selbst wenn die UNO dafür gestimmt hat. Militärische Vergeltung von Straftaten sieht das Völkerrecht nicht vor. Damit ist jede Vergeltungsaktion völkerrechtswidrig und deshalb lehnen wir jede von Rache geprägte Eskalationsstrategie ab. Wir empfinden es als absurd, Terroristen mit Bomben "bekämpfen" und dabei unschuldige Zivilisten "schonen" zu wollen. Darüber hinaus ist es für uns mehr als zynisch, Afghanistan aus der Luft abwechselnd mit Bomben und Nahrungsmitteln zu bewerfen. Hier schließen wir uns der deutlichen Kritik von Hilfs- und Flüchtlingsorganisationen an: Die "Abwürfe" sind aus unserer Sicht nicht nur wenig effizient und in der teilweisen Zusammensetzung der Nahrungsmittel in den Paketen (Erdnussbutter, Tütensuppen, Plastikbesteck) katastrophal, sondern darüber hinaus lebensgefährlich, weil Menschen sie aus Minenfelder bergen müssen.


Sofortiger Stopp der Bombardierungen & Hilfe für Flüchtlinge

In Afghanistan, einer der ärmsten Regionen der Welt, leiden mehr als 35 Prozent der Bevölkerung an Unterernährung; etwa sechs bis acht Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Nach Aussagen von Flüchtlings- und Hilfsorganisationen sind die Möglichkeiten der Versorgung mit Hilfsgütern allein schon aufgrund der Beschaffenheit des Landes sehr schwierig und teilweise nur durch den Einsatz von Großraumflugzeugen und Transporten über Land zu bewerkstelligen, die derzeit unmöglich seien. Erschwerend hinzu komme- so die Deutsche Welthungerhilfe und die Ernährungsorganisationen der Vereinten Nationen (FAO)- dass wegen der militärischen Auseinandersetzungen die Bauern derzeit das Wintergetreide nicht aussähen könnten, so dass Afghanistan im kommenden Jahr noch stärker von Hilfslieferungen abhängig sein wird, wenn die Angriffe nicht eingestellt werden. Der Winter steht in Afghanistan unmittelbar vor der Tür; lebensnotwendige Hilfe muss jetzt geleistet werden. Dazu ist ein sofortiges Ende aller Bombardierungen notwendig.


Wie gegen Terrorismus vorgehen? Kurz- und langfristigere Alternativen

Nur wenn wir uns mit den Ursachen von Terrorismus befassen, können wir Lösungen finden, die die furchtbare Spirale aus Gewalt und Gegengewalt wirkungsvoll durchbrechen. Aufgabe von Politik ist es, sich mit diesen Ursachen zu befassen. Dabei muss als Grundvoraussetzung klar sein, dass es keine "gerechte" oder "gerechtfertigte" Gewalt für die Durchsetzung von politischen Zielen gibt.

Das Ziel der terroristischen Anschläge am 11. September, die wir aufs Schärfste als ein Verbrechen verurteilen, für dass es keine Rechtfertigung gibt, waren die Symbole der wirtschaftlichen und militärischen Macht der USA. Die moderne Weltwirtschaftsordnung produziert aber immer mehr "Verlierer". Deshalb könnten immer mehr Menschen glauben, dass ihnen dieses Wirtschaftssystem keine Zukunftsperspektive bietet. Gerade wir Grünen sind bei der Suche nach effektiven Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus jetzt in der Pflicht, zu benennen, dass seine sozialen und politischen Ursachen auch in einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung liegen. Wobei wir ausdrücklich unterstreichen, dass ein Massenmord an Zivilisten niemals ein moralisch akzeptables Mittel ist, um wirtschaftliche Ungerechtigkeit anzuprangern. Wir können Veränderungen in den Köpfen von Menschen aber nur durch politische Prozesse erreichen. Zum Beispiel dadurch, dass Außen -und Wirtschaftspolitik zu einem globalen Interessensausgleich beitragen muss.

Wir betrachten es als unabdingbar, Terroristen sowohl politisch als auch ideologisch zu isolieren, um dem Terrorismus in seinem eigenen Umfeld den Nährboden zu entziehen. Hier hat Politik versagt und eine große Chance verspielt. Wären die Gelder, die jetzt für den Militäreinsatz ausgegeben werden, in humanitäre Hilfe in islamischen Ländern umgesetzt worden, hätte der Rückhalt der Terroristen in der Bevölkerung drastisch gemindert werden können, weil das "Feindbild USA" abgebaut worden wäre. Durch den Militäreinsatz geschieht nun das genaue Gegenteil: Der Krieg führt zu einer Radikalisierung in der islamischen Welt. Zusätzlich birgt das Flüchtlingselend die zusätzliche Gefahr, dass Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, das Potential stellen, aus dem militaristische Gruppen ihren Nachwuchs rekrutieren.

Langfristig werden wir Terrorismus aber nur durch Toleranz, Gerechtigkeit, die Förderung von Menschenrechten sowie einer Neuausrichtung von Sicherheitspolitik durch Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung (mit einer erheblichen Aufstockung der Mittel in diesem Bereich) den Boden entziehen können.


Kein Einsatz von deutschen Bundeswehrsoldaten

Wir distanzieren uns ausdrücklich von der beinahe gebetsmühlenartigen Zusicherung der "uneingeschränkten Solidarität Deutschlands" und kritisieren die Aussage, ein militärischer Einsatz Deutschlands sei denkbar. Zum Einen muss in einem Bündnis partnerschaftliche Kritik jederzeit möglich sein. Zum Anderen kann es nicht sein, dass bei der Planung des weiteren Vorgehens- das bisher in keiner Weise zeitlich begrenzt wurde- Partner ausgeschlossen werden. Wir wissen z.B. nicht, welches Land die USA mit welchen politischen und militärischen Zielen als nächstes angreifen werden. Mit großer Besorgnis weisen wir auf die Gefahr einer Eskalations- und Solidaritätsfalle durch "vorauseilenden Gehorsam" hin. Eine Beteiligung deutscher Bundeswehrsoldaten an militärischen Aktionen lehnen wir grundsätzlich ab.


Mit 24 Ja- Stimmen bei 8 Nein- Stimmen und 2 Enthaltungen beschlossen bei der Sonder- KMV des Kreisverbandes Lippe von Bündnis 90/ Die Grünen am 29. 10. 2001.

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