Falls es einen TOP NATO auf der BDK gibt, stellen wir folgenden
Antrag an die BDK


Keine Umsetzung der neuen NATO-Strategie
ohne Debatte und Ratifizierung im Parlament!

Am 24. April 1999 hat die NATO in Washington eine neue NATO-Strategie verabschiedet. Die Ver-abschiedung fand während und vor dem Hintergrund des Krieges in Jugoslawien statt. Sie wurde öf-fentlich relativ wenig wahrgenommen, wozu auch beitrug, daß sie weder im Parlament noch von den Parteien diskutiert wurde.
Diese Ignoranz ist angesichts der weitreichenden Konsequenzen, die sich aus der neuen Strategie auch für die Bundesrepublik ergeben, wenig verständlich und akzeptabel. Für Bündnis 90/Die Grünen mag als Erklärung gelten, daß die Auseinandersetzung mit dem Kosovo-Krieg zu jener Zeit alles andere überlagerte. Auf der anderen Seite ist gerade vor dem Hintergrund des Kosovo-Krieges, in dem die NATO wider die damals noch gültige Strategie handelte, indem sie sich selbst mandatierte und damit die später verabschiedete Strategie bereits ausprobierte, die Ignoranz einer neuen Gewichtung der Bedeutung des Militärs in der Außenpolitik doppelt unverständlich.

Die neue NATO-Straegie entwickelt das 1991 nach dem Ende des Kalten Krieges verabschiedete Konzept von Rom weiter in Richtung Aufgabenerweiterung und Unabhängigkeit von der UNO und beschreibt damit einen Paradigmenwechsel in der Politik der NATO.
Keinem der 19 NATO-Parlamente wurde das neue strategische Konzept bisher zur Ratifizierung vor-gelegt.

Auswirkungen der neuen NATO-Strategie auf die Bundeswehr machen sich bereits bemerkbar. Im Zug der stärkeren Orientierung der NATO auf "kleinere kampforientierte Einheiten" ist die Bundes-wehr teilweise umorganisiert worden. Die Krisenreaktionskräfte wurden von 56.000 auf 66.000 Mann aufgestockt, während die Gesamt-Bundeswehr von 340.000 auf 324.000 Mann und Frau abgebaut wurde. Das entspricht ganz im Sinn der neuen NATO-Strategie einer qualitativen Aufrüstung der Bundeswehr und wird eine Erhöhung des Militärhaushaltes nach sich ziehen. Die neue NATO-Strategie wird in der Bundesrepublik bereits Schritt für Schritt umgesetzt - ohne jedoch im Parlament debattiert und ratifiziert worden zu sein.

Wir meinen, daß dem Bemühen der rot-grünen Bundesregierung, innerhalb der NATO-Partner nach dem Regierungswechsel nicht als unsicherer Kantonist zu gelten, mit den Beschlüssen der Regierung und Regierungsparteien zum NATO-Einsatz in Jugoslawien und den WEU-Beschlüssen unter deut-scher EU-Präsidentschaft nun Genüge getan worden ist. Die Bundesrepublik sollte ihr neues Gewicht innerhalb der NATO - seit dem Kosovo-Krieg zählt sie de facto zu deren Kernstaaten - nun nutzen, der Programmatik der Regierungsparteien entsprechend auf eine Entmilitarisierung der Außenpolitik hin-zuwirken.
Die neue NATO-Strategie enthält genügend völkerrechtswidrige und offensive Elemente, um noch einmal gründlich hinterfragt zu werden. Sie widerspricht dem 2+4 -Vertrag, dem NATO-Vertrag und - was den Einsatz der Soldaten betrifft - unserem Grundgesetz. Ziel einer rot-grünen Bundesregierung müßte sein, sie mindestens zu modifizieren, wenn nicht zurückzunehmen. Ein deutsches Nein zur neu-en NATO-Strategie in Washington hätte wegen des Einstimmigkeitsprinzips in der NATO das neue Konzept verhindert. Aber auch nach der Verabschiedung in Washington hat ein deutscher "Rückho-lantrag" Einfluß und eine die neue Strategie zu Teilen oder ganz ablehnende deutsche Haltung bliebe sehr wahrscheinlich nicht allein. (Die Regierungen verschiedener "Südländer" stehen der neuen NATO-Strategie durchaus skeptisch gegenüber.)

Wir fordern die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf, die seit fast einem Jahr fällige Debatte im Parlament über die neue NATO-Strategie und deren Implikationen für die Bundeswehr nun einzufordern und in der Debatte auf die völkerrechtswidrigen und offensiven Elemente der neuen Strategie hinzuweisen.

Des weiteren fordern wir unsere Regierungsmitglieder und insbesondere Außenminister Fischer auf, auch aus Gründen der Transparenz und demokratischer Entscheidungsprozesse innerhalb des Kabinetts auf der Vorlage des neuen NATO-Konzepts im Bundestag zur Entscheidung über eine Ratifizierung zu bestehen.


Begründung:

Die neue NATO-Straegie entwickelt das 1991 nach dem Ende des Kalten Krieges verabschiedete Konzept von Rom weiter in Richtung Aufgabenerweiterung und Unabhängigkeit von der UNO:

Riskovorsorge als Aufgabe der NATO - bei immer mehr definierten Risiken

Nach dem Ende des kalten Krieges gab sich der westliche Militärpakt (während der östliche sich auf-löste) eine neue Existenzberechtigung , indem er das sicherheitspolitische Umfeld neu definierte. An die Stelle der "Hauptbedrohung der Vergangenheit" traten Risiken, die "ihrer Natur nach vielgestaltig" sind und "aus vielen Richtungen" kommen, "was dazu führt, dass sie schwer vorherzusagen sind" (Rom, Ziffer 9). Die Risiken ergaben sich für die NATO "weniger aus der Wahrscheinlichkeit eines kalkulierten Angriffs auf das Hoheitsgebiet der Bündnispartner", als vielmehr aus "Instabilitäten", "der Verbreitung von ... Massenvernichtungswaffen und ballistischer Flugkörper", dem Vorhandensein großer Militärarsenale, die (wieder) gegen die NATO gerichtet werden könnten oder auch "der Unter-brechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen sowie von Terror- und Sabotageakten" (Rom, Ziffer 10-13). Regional verortete die NATO bereits 1991 die Risiken in Mittel- und Osteuropa, dem GUS-Raum sowie am südlichen Mittelmeer und im Nahen Osten, betonte aber zugleich: "Die Sicherheit des Bündnisses muss jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen." (Rom, Ziffer 13 und wortgleich Washington, Ziffer 24). Schon 1991 war also die Out-of-area-Ausrichtung der NATO und damit die Umorientierung auf Offensivaufgaben beschlossen worden. An dieser Stelle ist absolute Kontinuität der NATO-Strategie zu verzeichnen. Allerdings ist die Liste der Sicherheitsrisiken erweitert worden: Neben dem Risiko "des organisierten Verbrechens" wird z.B."die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte" neu angeführt (Washing-ton Ziffer 20). Flüchtlingsbewegungen können nach der neuen Stategie also als Sicherheitsrisiko für die NATO-Staaten gewertet werden.

Im Rahmen der "Risikovorsorge" definierte die NATO bereits 1991 als grundlegende Sicherheitsauf-gaben (Rom, Ziffer 21):
1. Sicherheit, also das Gewährleisten einer kriegs- und bedrohungsfreien Zone als Fundament "für ein stabiles ... Sicherheitsumfeld" (Rom, Ziffer 21) für die NATO-Staaten.
2. Konsultation "über alle Fragen", die die "vitalen Interessen" der NATO-Staaten berühren.
3. Abschreckung und Verteidigung.
Die 4. Aufgabe von Rom, das Bewahren des strategischen Gleichgewichts, wurde in Washington fal-lengelassen und ersetzt durch "Krisenbewältigung" und "Partnerschaft". Hintergrund ist, dass in Euro-pa keine Militärblöcke mehr bestehen, zwischen denen ein Gleichgewicht hergestellt werden müsste bzw. könnte. Die Warschauer Vertragsorganisation ist zerfallen, nicht nur fast alle mittelosteuropäi-schen Staaten, sondern auch die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sind über die "NATO-Partnerschaft für den Frieden" mittlerweile mit der NATO verbündet, so dass in Europa kein eigentliches Gegenge-wicht zur NATO mehr vorhanden ist. Der Terminus "Krisenbewältigung" beschreibt die offensive militärische Ausrichtung, zu der die NATO sich nun offen bekennt. In diesem Zusammenhang wurde in der Schlussbemerkung ein wichtiger Satz des 1991er-Dokuments eliminiert: "Dieses Strategische Konzept bekräftigt erneut den defensiven Charakter des Bündnisses..." (Rom, Ziffer 58)

Neues Verhältnis zu UNO und Völkerrecht
Während die NATO 1991 noch "die Freiheit und Sicherheit aller ihrer Mitglieder im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen ... gewährleisten" wollte, will das Bündnis nunmehr bei der "Er-füllung seiner grundlegenden Sicherheitsaufgaben" nur noch "die friedliche Beilegung von Streitig-keiten in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen anstreben" (Ziffer 11). Die friedli-che Beilegung von Konflikten ist in Kapitel VI der Charta geregelt. Kommen Soldaten zum Einsatz, bedarf es der Zustimmung beider Konfliktparteien. In den letzten Jahren sind keine Blauhelm-Soldaten - mandatiert nach Kapitel VI - mehr zum Einsatz gekommen. Auch der NATO-Einsatz in Bosnien-Herzegovina stützte sich auf ein UN-Mandat nach Kapitel VII, in dem es um "Maßnahmen bei Bedrohung und Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen" (darunter Kampfeinsätze) geht. In diesen Fällen will die NATO ebenfalls "in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht" handeln. Dabei denkt sie einerseits an Fälle, in denen die NATO als Dienstleister im Auftrag der UNO oder OSZE, also mit einem Mandat, tätig wird. Dazu hat sich die NATO 1994 erstmals bereit erklärt. Andererseits wird im neuen strategischen Konzept auf die "späteren Beschlüsse in bezug auf Krisenreaktionseinsät-ze auf dem Balkan" hingewiesen. Der folgenreichste solcher Beschlüsse, der Grundlage für den NATO-Einsatz in Jugoslawien war, erfolgte ohne Abstützung auf ein UN-Mandat. Die NATO manda-tierte sich selbst. Dieses Vorgehen wird im neuen strategischen Konzept als Prinzip verankert. Damit ist die Grundlage für NATO-Angriffe nach dem Vorbild des Krieges in Jugoslawien gelegt.

Die NATO versteht sich als zentrale Organisation im Geflecht ineinandergreifender Organisationen: Während die NATO ihr Sicherheitsumfeld, den euro-atlantischen Raum, gestaltet (Washington, Ziffer 12), leisten die nachgeordneten Organisationen UN, OSZE, EU und WEU "ausgeprägte Beiträge" (Washington, Ziffer 14-17). Die UNO trägt dabei zu Sicherheit und Stabilität bei, die OSZE konzen-triert sich auf die "Förderung von Demokratie und Menschenrechten" und "ist besonders aktiv auf den Gebieten vorbeugende Diplomatie, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Wiederaufbau nach Konflikten". Hinsichtlich der EU werden die Einbeziehung der Petersberg-Aufgaben der WEU in den Amsterdamer Vertrag (darunter fallen auch Krisenbewältigungseinsätze) sowie die engeren institutio-nellen Beziehungen zur WEU gewürdigt (Washington, Ziffer 17). Aus dieser Rolle resultiert, dass die NATO sich nicht mehr an die UN-Charta und das bestehende Völkerrecht gebunden fühlt. Insofern fällt die neue NATO-Strategie hinter die zivilisatorisch-rechtlichen Errungenschaften der internatio-nalen Staatengemeinschaft zurück

Die Drohung mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen findet sich wortgleich im Vertrag von Washington (Ziffer 62) wie im Vertrag von Rom (Ziffer 55): "Nukleare Streitkräfte werden weiterhin eine wesent-liche Rolle spielen, indem sie dafür sorgen, daß ein Angreifer im Ungewissen darüber bleibt, wie die Bündnispartner auf einen militärischen Angriff reagieren würden." Der Vorstoß von Außenminister Fischer, auf den Ersteinsatz zu verzichten, ist somit leider folgenlos geblieben.

 

AntragstellerInnen:
Sylvia Kotting-Uhl, Rolf Gramm, Renate Schenk, Jörg Haberer, Gerd Jünger, Krystyna Grendus, Ha-rald Grendus, Peter Kühn, Lilo Opitz, Hanna Engert, Marietta Laub, Hans-Peter Schobert, Wolfgang Hoffmann, Heinz-Ludwig Nöllenburg, Edith Wolber (alle KV Odenwald-Kraichgau), Irmtraud Spinnler (KV Heidelberg), Ralf Henze, Ralf Spindler (beide KV Mannheim), Bärbl Mielich (KV Breisgau-Hochschwarzwald), Felicitas Weck (KV Hannover), Karl-Wilhelm Koch (KV Daun), Kar-sten Hinrichsen (KV Steinburg), Werner Hesse (KV Lüchow-Dannenberg), Rudolf Ladwig (KV Ha-gen),