Resolution
der Stadtversammlung Bündnis 90/Die Grünen in München am 4.5. 99

Für ein sofortiges Ende der Luftangriffe auf Jugoslawien!
Für die politische Durchsetzung der Rechte der Kosovo-Albaner!

I. Nach nunmehr sechs Wochen andauernden Luftangriffen auf Jugoslawien ist die Erkenntnis unausweichlich, daß die Strategie der NATO gescheitert ist. Die Bomben und Raketen, die Nacht für Nacht schwere Schäden in Serbien anrichten - und dies nicht nur an militärischen oder für die Infrastruktur des Militärs wichtigen Einrichtungen - vermochten die Gewalt und die Vertreibung im Kosovo nicht zu stoppen. Mitten in Europa sind mehrere hunderttausend Menschen auf der Flucht, viele Menschen werden vermißt und Berichte über Massaker und Vergewaltigungen sind alarmierend. Erst nach dem Krieg werden wir in vollem Umfang erfahren, wie grausam dieser Konflikt gewesen ist. In der Überzeugung, der serbischen Politik der "ethnischen Säuberungen" im Kosovo in den Arm fallen zu müssen und in dem verständlichen Bemühen, die Bündnispartner Deutschlands von der Vertrauenswürdigkeit der deutschen Außenpolitik zu überzeugen, hat sich die neue Regierung - und mit ihr Bündnis 90/Die Grünen - auf eine Friedenserzwingungspolitik für den Balkan eingelassen, die zum Scheitern verurteilt war.

Wir verschließen nicht die Augen vor der Tatsache, daß nationalistische Tendenzen von Teilen der Kosovaren zur Verschärfung der Lage beigetragen haben. Für die massenhafte Vertreibung und zahlreiche Morde an Kosovo-Albanern trägt jedoch die serbische Regierung die Verantwortung. Es führt aber kein Weg an der Feststellung vorbei, daß der Eskalation durch die NATO-Luftangriffe eine Eskalation der Vertreibung am Boden gefolgt ist. Die Lage der Kosovo-Albaner hat sich verschlimmert, statt sich zu verbessern. Militärische Mittel sind offensichtlich nicht geeignet, den angestrebten Zweck zu erfüllen.

Darüber hinaus haben die Luftangriffe noch andere schädliche, ja verhängnisvolle Folgen:

· Die Bombardierungen haben die serbische Gesellschaft in eine kollektive Opferrolle gezwungen - und deren Blick für die Opfer, die die Politik ihrer Regierung fordert, verstellt. Mit jedem Tag, an dem die Luftangriffe andauern, isolieren sich die Serben mehr von der Idee und den Werten des zusammenwachsenden Europas. Es wird Jahrzehnte dauern, diesen Schaden wiedergutzumachen.

· Präsident Milosevic, verantwortlich für zahlreiche Kriegsverbrechen, hat nach wie vor starke Rückendeckung bei den Serben. Alles spricht dagegen, daß er unter dem Druck von Luftangriffen nachgeben wird, solange die serbische Öffentlichkeit so geschlossen hinter ihm steht.

· Die serbische Opposition, ein wichtiger Bündnispartner für die Herstellung eines demokratischen und friedlichen Miteinanders im ehemaligen Jugoslawien, wurde marginalisiert und meldet sich erst jetzt wieder vorsichtig zu Wort.

· Die Umgehung der Vereinten Nationen schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für beliebige Gewaltanwendung unter dem Signum des Völkerrechts.

· Die Brüskierung Rußlands stärkt die dortigen nationalistischen und kommunistischen Kräfte und kann sich zu einer ernsten Gefahr für den Weltfrieden entwickeln.

Angesichts der offen zu Tage liegenden Erfolg- und Perspektivlosigkeit der NATO-Strategie fordern wir die Regierungsmitglieder, die Bundestagsfraktion und den Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen auf, sich für ein sofortiges Ende der Luftangriffe einzusetzen. Die Logik des Krieges droht die Politik der NATO-Staaten immer stärker zu dominieren. Es ist nun höchste Zeit, zur Logik des Friedens zurückzukehren.

II. Es gibt zum momentanen Zeitpunkt alternative Handlungsmöglichkeiten, die sofort umgesetzt werden können:

Innerhalb von sechs Wochen:

1. Mit dem Angebot an Rußland, die Luftangriffe auf Jugoslawien sofort einzustellen, könnte jetzt ein vollständiges wirtschaftliches Embargo Restjugoslawiens erreicht werden (insbesondere die Blockade der Energie- und
Rohstoffversorgung). Für die russische Regierung könnte das Ende der Luftangriffe als Verhandlungserfolg den innenpolitischen Handlungsspielraum vergrößern. Diesen Schritt könnten daher beide Mächte ohne Gesichtsverlust
gehen.

2. Unter der Leitung der Vereinten Nationen müssen Verhandlungen beginnen, mit dem Ziel, den Flüchtlingen eine sichere Rückkehr und ein friedliches und gleichberechtigtes Leben im Kosovo zu garantieren.

3. Die an Restjugoslawien angrenzenden Staaten und Provinzen (Rumänien, Bulgarien, Makedonien, Montenegro, Albanien) müssen mit tatkräftiger Hilfe und finanziell unterstützt werden, damit sie die Versorgung der Flüchtlinge und die
wirtschaftlichen Probleme (auch aufgrund des Embargos) tragen können. Die mögliche zukünftige Mitgliedschaft in der EU sollte bei der Umsetzung des Embargos ein Anreiz sein.

4. Die UN überwacht das Embargo und benennt am Konflikt bislang nicht beteiligte Verhandlungsführer (z.B. Nelson Mandela, Shimon Peres), die über den Abzug der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo mit Milosevic verhandeln. Sie versucht so schnell wie möglich UN-Beobachter in den Kosovo zu entsenden.

5. Die kosovo-albanischen Flüchtlinge werden vor Ort und in den Aufnahmeländern der EU versorgt, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können.

6. Die Untergrundorganisation UCK wird entwaffnet.

Später:

1. Das Embargo wird mit jedem Verhandlungserfolg stufenweise gelockert. Dazu muß der festgelegte Fahrplan vorliegen, der zu einer großen Balkankonferenz führt.

2. Die vertriebenen Kosovo-Albaner kehren in ihre Heimat zurück und werden vorerst von der EU wirtschaftlich unterstützt.

3. Die polizeiliche Gewalt liegt im Kosovo allein bei der UN. (Die UN-Polizei sollte von Staaten gebildet werden, die bislang nicht an dem militärischen Konflikt teilgenommen haben.

4. Eine dauerhaft angelegte Balkankonferenz unter dem Dach der OSZE wird mit dem Ziel eingerichtet, eine politische Lösung für den Konflikt zu erarbeiten und die gesamte Region, einschließlich Jugoslawiens, langfristig in den Prozeß der
europäischen Einigung zu integrieren.

Wir fordern die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen auf, sich für die Umsetzung der o.g. Alternativen einzusetzen. Wir verlangen eine ausführliche öffentliche Stellungnahme zu unserem Vorschlag auf der BDK in Bielefeld am 13.05.1999.

Wir fordern die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag außerdem auf, in zukünftigen Krisensituationen militärische Handlungsoptionen außerhalb von UN-Einsätzen nicht mehr ins Kalkül zu ziehen und zu verhindern. Der Einsatz im Kosovo muß die erste und letzte Beteiligung Deutschlands an militärischen Auseinandersetzungen ohne UN-Mandat bleiben.