Dieser Antrag der LAG Frieden/ Internationales Berlin erhielt auf der LDK am 7.5.1999 in
Berlin zwar nicht die Mehrheit, aber er konnte eine starke Minderheit der Versammlung auf sich
vereinigen: 61:68:0 (in der folgenden schriftlichen Abstimmung 61:71:0).

Der Antrag wird als BDK-Antrag eingebracht.

Sofortige Beendigung der Bombenangriffe und des Krieges!
Zurück zur Politik!

Im Kosovo führt das Milosevic-Regime einen Vertreibungskrieg gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit. Es wiederholen sich die massiven Menschenrechtsverletzungen des Krieges in Bosnien-Herzegowina. Vor allem die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien und ihre Handlanger tragen dafür die die Verantwortung. Der Anteil der UCK an der Entwicklung hin zum Krieg und an den Menschenrechtsverletzungen darf aber nicht verschwiegen werden.

Bündnis 90/ Die Grünen verurteilen die Verbrechen gegen die Menschenrechte, die Morde, Folterungen und Vergewaltigungen und die ethnisch begründete Vertreibungspolitik. Uns eint der Wille, die immer weiter eskalierende Gewalt und die hunderttausendfache Verletzung der Menschenrechte zu beenden. Uns verbindet der Einsatz dafür, Deutschland zu einem offenen Land für die Flüchtlinge aus der Region zu machen. Für uns steht die Notwendigkeit des politischen Handelns gegen das Milosevic-Regime außer Zweifel.

Wir wenden uns in diesem Zusammenhang gegen eine Parallelsetzung der mörderischen Verbrechen des Milosevic-Regimes und des Holocaust. Dies bedeutet eine unzulässige Relativierung des Nazi-Faschismus und des Völkermordes an den europäischen Juden. Unabhängig davon stehen Bündnis 90/ Die Grünen zu der Verpflichtung, entsprechend den Maximen „Nie wieder Auschwitz!“ und „Nie wieder Krieg!“ politisch zu handeln.

Außenpolitik muß Friedenspolitik sein

Wir stehen vor der Aufgabe, eine gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber zu führen, wie den Menschenrechten in Zukunft mit den von uns vertretenen Mitteln der Konfliktprävention, der zivilen Konfliktbearbeitung und - konfliktlösung Geltung verschafft werden kann. Wir verlangen von der Bundesregierung, daß sie unverzüglich aus dem Verteidigungshaushalt erhebliche Mittel dafür zur Verfügung stellt. Es geht darum, den zivilen Alternativen zu „Militärschlägen“ gesellschaftliche Anerkennung sowie Umsetzungsmöglichkeiten zu verschaffen. Die neue Natostrategie der Selbstmandatierung - unter Führung der USA als „Weltpolizei“- der zufolge die Nato nach eigenem Ermessen „Militärinterventionen“ durchführt, lehnen wir kategorisch ab.

In allen Mitgliedstaaten der Nato ist die Entwicklung und materielle Ausstattung von zivilen Mitteln zur Konfliktprävention und Konfliktlösung absolut unterentwickelt. Ein unerträglich großer - und im Rahmen der neuen Nato-Strategie in Zukunft wieder steigender - Anteil der Ressourcen der westlichen Gesellschaften wird immer noch für Militär verwendet. Hier sind
grundlegende Änderungen nötig.

Wir fordern die Bundesregierung auf, sich entsprechend der Ankündigung im Koalitionsvertrag für die Stärkung der Mechanismen der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung im Rahmen der UN, der OSZE und der EU einzusetzen. Es müssen endlich überzeugende Vorschläge für einen Beitrag der deutschen Außenpolitik hierfür gemacht werden. Das betrifft die Stärkung des Instrumentariums ziviler Sanktionen - wie Boykotte und Embargos - durch einen Unterstützungsfonds für die jeweils benachbarten Staaten . Das betrifft aber auch die Einrichtung eines effektiven Frühwarnsystems, von Dialogforen und die Unterstützung der Arbeit von Friedensfachkräften in Konfliktregionen durch das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Auswärtige Amt.

Wären sich die Westmächte in den letzten Jahren in ihrer zivilen Jugoslawienpolitik bis hin zum Embargo so einig gewesen wie sie es jetzt in diesem Krieg sind, sähe die politische Situation in der Region mit Sicherheit ganz anders aus. Zu den Fehlern der letzten Jahre gehören auch die mangelnde Unterstützung der serbischen Opposition und die halbherzigen Gespräche Europas mit Rugova, dem Vertreter der kosovo-albanischen Mehrheit .

Zu den Fehlern der letzten Monate gehört, daß ein militärisches Drohszenario aufgebaut wurde, das auf einer Eskalationslogik basiert, die zu einer Ausweitung des Krieges auf die gesamte Balkan-Region führen kann.

Der Ausstieg aus der militärischen Logik ist notwendig

Seit dem 24. März bombardieren Nato-Einheiten militärische und zivile Ziele in Jugoslawien. Das erklärte Ziel, ein Friedensabkommen zwischen Repräsentanten der kosovo-albanischen Mehrheit und dem Milosevic-Regime zu erzwingen und so die Vertreibungen zu unterbinden, die jahrelange Unterdrückung zu beenden und eine Autonomie-Regelung durchzusetzen, wurde nicht erreicht. Die militärische Strategie ist gescheitert. Milosevic hat die Vertreibungsaktionen zu einem ungeheuren Vertreibungsfeldzug gegen die gesamte kosovarische Zivilbevölkerung gesteigert, ohne daß die Bomben der Nato dies verhindern konnten.

Die Mehrheit der bündnisgrünen Bundestagsfraktion und auch Mitglieder der bündnisgrünen Partei haben die Luftangriffe der Nato trotz massiver Bedenken unterstützt; viele stellten sich von Anfang an dagegen. Die BefürworterInnen unterstützten die Bombenangriffe trotz der prinzipiellen Zielsetzung der Zivilisierung der Außenpolitik und trotz der grundsätzlichen Absage an militärische Gewalt in unserem „Grundkonsens“ und im Wahlprogramm 1998 mit der Begründung, den Schutz der Menschenrechte der AlbanerInnen im Kosovo nur noch durch diese militärischen Mittel garantieren zu können. Viele fühlten sich dazu gezwungen in einer Situation, die dadurch charakterisiert war, daß allein die Bombenangriffe durch fast alle
westlichen Staaten massiv unterstützt wurden, während zivile Methoden wie ein Öl-Embargo und Strategien der wirtschaftlichen und politischen Integration der Balkan-Staaten sowie die Unterstützung der Opposition über Jahre hin keineswegs mit einem auch nur entfernt vergleichbaren Einsatz an Mitteln verfolgt wurden.

Das Reden vom Krieg als „ultima ratio“ (letztes Mittel) hat bei vielen Menschen die Hoffnung geweckt, dieses Mittel sei auch effektiv zur Verteidigung der Menschenrechte der AlbanerInnen im Kosovo, zur Verhinderung der Vertreibungen und der Greueltaten. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt .

Außenpolitik ist immer auch Interessenpolitik einzelner Staaten. Gerade deshalb ist das Völkerrecht als Grundlage der internationalen Politik unabdingbar. Der Bruch des Völkerrechts zeigt und forciert eine Schwächung der Vereinten Nationen. Er wird sich auch auf andere Konflikte und die internationale Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen negativ auswirken.

Die oft undurchschaubare Informationspolitik - insbesondere der Nato - darf nicht verhindern, auch eine realistische Bestimmung der Interessen vorzunehmen und die Spielräume für nicht-militärische Konfliktlösungen öffentlich zu diskutieren. Wer die gegenwärtige Politik von vornherein als alternativlos darstellt, verliert jede Zukunftsfähigkeit.

Ein schnelles Ende der Luftangriffe durch die Nato ist gegenwärtig nicht in Sicht. Im Gegenteil, das Risiko der Eskalation und Ausweitung wächst. Es wird verstärkt über den Einsatz von Bodentruppen diskutiert. Der notwendige Ausstieg aus der militärischen Logik wird immer schwieriger.

Nach sechs Wochen Bombenkrieg ziehen wir folgende Bilanz:

- Die humanitäre Katastrophe konnte nicht verhindert werden. Der serbische Vertreibungsterror nahm unvorstellbare Ausmaße an.
- Milosevic konnte nicht zur Unterzeichnung des Rambouillet-Friedensabkommens gezwungen werden.
- Die innenpolitische Stellung des Regimes Milosevic wurde bislang durch den Krieg gestärkt. Nicht klar ist bisher, inwieweit seine militärische Macht geschwächt wurde.
- Montenegro, Mazedonien und Albanien sind tiefgreifend destabilisiert worden.
- Die Beziehungen zu Rußland befinden sich in einer tiefen Krise.
- UNO und OSZE werden weiter politisch marginalisiert.
- Das völkerrechtliche Legitimationsdefizit der Luftangriffe droht dauerhaft das System internationaler Organisationen und die völkerrechtliche Ordnung zu gefährden.
- Die zivilen Opfer der Luftangriffe und die ökologischen und materiellen Schäden haben ungeheure Ausmaße angenommen.

Der Landesverband Berlin von Bündnis 90/Die Grünen stellt fest, daß die fortgesetzte Zerstörung von Infrastruktur und Wirtschaft eines ganzen Landes das Ziel eines friedlichen Zusammenlebens in einem multiethnischen Kosovo und in der gesamten Region in immer weitere Ferne rückt. Haß und Gewalt kann auf diesem Wege nicht der Boden entzogen werden.

Die militärische Logik führt zur Eskalation. Sieg oder Kapitulation - aus der Sicht der Militärs steht diese Alternative im Raum. Das Ziel eines militärischen Sieges würde jetzt den Übergang zum Bodenkrieg in Verbindung mit der Dauer-Bombardierung der jugoslawischen Infrastruktur bedeuten und die Gefahr eines Flächenbrandes in der gesamten Region in Kauf nehmen. In dieser Situation gilt es, politische Verantwortung zu zeigen und die Logik der Kriegführung politisch zu durchbrechen.

Zurück zur Politik

Der Landesverband Berlin von Bündnis 90/ Die Grünen fordert den sofortigen, einseitigen und endgültigen Stop der Bombenangriffe, der nicht an Bedingungen geknüpft werden darf. Wir wollen den Ausstieg aus der militärischen Eskalationsspirale. Der Landesverband erklärt darüber hinaus, daß der Entsendung von Bodentruppen unter keinen Umständen zugestimmt werden darf.
Auch ein Bodenkrieg der Nato ohne direkte Teilnahme deutscher Truppen darf weder politisch noch materiell unterstützt werden.

Der einseitige Waffenstillstand richtet sich nicht nur an die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien mit dem Ziel, die Politik der Vertreibungen zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren, sondern auch an andere gesellschaftliche Kräfte, die eher als Milosevic zu Verhandlungen bereit sind. Er soll auch das internationale Umfeld
beeinflussen, die Rolle Rußlands und anderer Länder sowie der Vereinten Nationen als Vermittler stärken, die serbische (und auch die russische) Bevölkerung aus dem Zwang zur Solidarisierung mit dem Milosevic-Regime befreien und der Opposition in Jugoslawien mehr Spielräume verschaffen.

Wir treten dafür ein, daß der Waffenstillstand und die Bedingungen für ein Friedensabkommen getrennt werden, damit der Waffenstillstand nicht durch die Uneinigkeit über ein Friedensabkommen blockiert wird. Insbesondere auch die Lage der weit über 150.000 im Kosovo umherirrenden Flüchtlinge macht einen Waffenstillstand zur Aufnahme von Versorgungsflügen zum humanitären Gebot.

Um Druck auf das jugoslawische Regime auszuüben, müssen an die Stelle militärischer Sanktionen zivile Boykottmaßnahmen treten, die gegen das Regime und seinen Vertreibungskrieg - und nicht in erster Linie gegen die serbische Bevölkerung - gerichtet sind (Ölembargo, Isolierung auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene). Diese Boykottmaßnahmen müssen mit positiven Anreizen verknüpft werden (EU-Assoziation mit Beitrittsperspektive).

Wir sind an der Seite derer, die auf Gewalt verzichten und sich zur Kooperation zusammenfinden. Diese Botschaft muß ganz ausdrücklich die serbische Bevölkerung einschließen und ansprechen. Es ist wichtig, daß nach einem Waffenstillstand auf allen Ebenen der Gesellschaft, in Kirchen, Gewerkschaften, Berufsverbänden, in Medizin und Wirtschaft Möglichkeiten der Zusammenarbeit erörtert werden. Nur so kann eine Perspektive für die zukünftige Entwicklung geschaffen werden.

Um den Ausstieg aus der militärischen Eskalationsdynamik zu ermöglichen, die Vertreibung der KosovarInnen, die Kampfhandlungen und die Menschenrechtsverletzungen auf Seiten der jugoslawischen Armee, der serbischen Milizen und der UCK zu beenden und um eine Rückkehr der Vertriebenen zu ermöglichen, hält der Landesverband Berlin folgendes für unumgänglich:

- Wir fordern die Bundesregierung auf, innerhalb der Nato für ein sofortiges und bedingungsloses Ende der Bombardierungen einzutreten und sich weiterhin gegen den Einsatz von Bodentruppen einzusetzen.

- Wir fordern die schnelle Aufnahme von Versorgungslieferungen aus der Luft für die Flüchtlinge im Kosovo.

- Wir fordern den Beginn von Verhandlungen über einen sofortigen Waffenstillstand im Kosovo, der durch ein ausreichend starkes, im Kosovo zu stationierendes UN- Kontingent unter UN-Hoheit mit Zustimmung der Konfliktparteien überwacht wird.

- Wir fordern die Aufnahme von Verhandlungen, ausgehend von den Initiativen von Außenminister Fischer, des ukrainischen Präsidenten Kutschma und der russischen Regierung.

- Wir fordern eine Verstärkung der Mittel und Maßnahmen für die Versorgung und Unterstützung der Flüchtlinge in Albanien, Mazedonien und Montenegro.

- Wir fordern eine verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen durch die Länder der Europäischen Union und dabei auch einseitige Schritte Deutschlands.

- Wir fordern die unbürokratische Aufnahme von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern der jugoslawischen Bundesarmee und von serbischen Oppositionellen sowie einen Abschiebestop für diese Personengruppen.

- Wir fordern einen Abschiebestop für alle Flüchtlinge aus der betreffenden Region sowie die legale Möglichkeit für einzelne Flüchtlinge, zu ihren Familien in den EU-Staaten zu gelangen.

- Wir begrüßen ausdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung um eine Balkan-Konferenz als Beginn eines umfassenden ökonomischen und politischen Wiederaufbauprogramms.

- Wir fordern von der EU wirtschaftliche Unterstützung für die ganze Region, z.B. durch einen „Balkan-Marshall-Plan“, und die mittel- bis langfristige Integration in die EU.

- Wir fordern die Stärkung von UNO und OSZE; die Strategie der Selbstmandatierung der Nato lehnen wir ab.

Der Aufforderung zur Desertion und Kriegsdienstverweigerung an alle am Krieg beteiligten Soldaten muß Nachdruck verliehen werden. Daher fordern wir den Bundesvorstand auf, ein Büro einzurichten, um desertierenden und kriegsdienstverweigernden Soldaten professionelle Hilfe anzubieten.

Der Landesverband Berlin fordert die gesamte grüne Partei - insbesondere alle MandatsträgerInnen - auf, sich für die Umsetzung dieser Forderungen einzusetzen.

LAG Frieden/ Internationales Berlin
Ursula Hertel-Lenz, Bernd Lupfer, Ingo Ritz, Martina Fischer, Mathias Drechsel, Dietmar
Lingemann, Pia Paust-Lassen, Bernhard Weinschütz