Rede von Annelie Buntenbach
Zur BDK von Bündnis 90/Die Grünen
Am 13. Mai 1999 in Bielefeld
- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

Ich spreche hier für eine Minderheit in der Bundestagsfraktion, die die sofortige Einstellung der NATO-Luftangriffe for-dert. Wir wollen die Einstellung aller Kampfhandlungen erreichen. Eine Lösung kann nur im Ausstieg aus der militärischen Eskalationslogik liegen, wir unterstützen jede diplomatische Initiative, die zur Beendigung der Kampfhandlungen beitragen kann. Um der Diplomatie eine echte Chance zu geben, ist allerdings die Einstellung der Bombardierung die Voraussetzung.

Seit inzwischen mehr als sieben Wochen führt die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal seit Ende des 2. Welt-kriegs Krieg, ist die Bundeswehr an einem Kampfeinsatz beteiligt. Das formulierte Ziel, nämlich eine humanitäre Kata-strophe zu verhindern, hat die NATO damit nicht erreichen können. Der unsäglichen ethnischen Vertreibungspolitik
hat sie nicht Einhalt geboten. Im Gegenteil: Die Luftangriffe haben die Lage im Kosovo verschlimmert und eskaliert. Die Situation für die Flüchtlinge und die Zivilbevölkerung hat sich inzwischen unerträglich zugespitzt - sowohl für die Flüchtlinge in den Lagern, von denen viel mehr auch in der Bundesrepublik und den anderen westlichen Staaten aufgenommen werden müssen, als auch für die Binnenflüchtlinge im Kosovo, die dringend versorgt werden müssen. Inzwischen muß doch jedem klar sein, daß man den Flüchtlingen nicht mit der Fortsetzung der Luftangriffe hilft, im Gegenteil! Wenn wir den internationalen Hilfsorganisationen den Zugang in den Kosovo ermöglichen wollen, muß die NATO die Luftangriffe einstellen!

Die Vertreibungspolitik von jugoslawischen Truppen und Paramilitärs gegen die kosovo-albanische Bevölkerung ist durch nichts zu rechtfertigen - auch nicht durch die NATO-Luftangriffe. Wir alle sind uns darüber einig, daß Menschen-rechte nicht zu den inneren Angelegenheiten eines Staates gehören. Der Verletzung von Menschenrechten müssen wir, gleich wo sie stattfinden, mit Entschiedenheit entgegentreten. Das ist keineswegs ein Plädoyer für Bomben auf den NATO-Partner Türkei, der seit Jahren schon übelste Menschenrechtsverletzungen an den Kurden begeht. Ich halte militärische
Mittel grundsätzlich nicht zur Durchsetzung von Menschenrechten geeignet - auch Krieg ist Menschenrechtsverletzung. Die chirurgische Bombardierung, den Computerkrieg, der menschliches Elend, Tod und Zerstörung ausschließen würde, gibt es in der Realität nicht. Nicht mit Militär, sondern mit dem entschiedenen Einsatz von zivilen Mitteln müssen wir der Verletzung von Menschenrechten entgegentreten.
Das heißt als allererstes, Menschenrechtsverletzungen auch als solche zu benennen, damit niemand mehr in solche Gefahrensituationen abgeschoben werden kann, nicht in die Türkei und nicht in den Kosovo. Wenn noch am 11.März wenige Tage vor Beginn der Bombardierung, die ja mit der drohenden humanitären Katastrophe begründet wurde, Verwaltungsgerichte Urteile gegen Flüchtlinge fällen, weil angeblich im Kosovo keine ethnische Verfolgung drohen würde, ist das für die, die in der Bundesrepublik Verantwortung tragen, beschämend.
Es hätte in den letzten Jahren eine Fülle von zivilen Möglichkeiten gegeben, Einfluß zu nehmen - gerade die Grünen haben immer wieder darauf hingewiesen. Sowohl wirtschaftliche und politische Anreize, als auch Druckmöglichkeiten, die Unterstützung der demokratischen oppositionellen Kräfte. Wie kann man sagen, alles sei versucht worden, alle zivilen
Mittel ausgeschöpft, wenn die NATO erst nach vier Wochen Bombardierungen insbesondere auf Treibstoffdepots auf die Idee kommt, ein Ölembargo ins Auge zu fassen?

Wären sich die westlichen Staaten in den letzten Jahren über einen zivilen Druck so einig gewesen wie bei diesen Luftangriffen, dann sähe die Situation in der Region ganz anders aus.

Dieser Krieg richtet sich - wie jeder Krieg - vor allem gegen die Zivilbevölkerung in ganz Jugoslawien. Darüber können auch Begrifflichkeiten wie "humanitärer Einsatz" oder "Luftschläge" nicht hinwegtäuschen. Die sogenannten "Luftschläge" töten und verletzen Menschen. Tote Zivilisten sind eben kein "Kollateralschaden", sondern tote Zivilisten.
In diesem Krieg werden zwar keine chemischen Waffen im engeren Sinne eingesetzt, aber die Bombardierung von Che-miefabriken, die Bombardierung von Raffinerien hat für die Bevölkerung und die Umwelt eine sehr ähnliche Wirkung. Seit einigen Wochen ist nicht nur der Einsatz von Splitterbomben, sondern von panzerbrechenden Waffen mit abgereichertem Uran öffentliches Thema. Diese Munition verseucht auf Jahrzehnte die Umwelt, verursacht Krebsleiden und langfristige
genetische Schäden. Seit dem Golfkrieg, in dem diese Waffen eingesetzt wurden, ist unter Experten unbestritten, daß sie zu einer immensen Krebsrate im Südirak und unter den Veteranen geführt hat. Ich hätte von der deutschen Regierung einen Aufschrei erwartet und nachdrücklichen Protest bei der NATO gegen diese besonders brutale und inhumane
Kriegführung. Stattdessen erklärt das Auswärtige Amt, Waffen mit abgereichertem Uran seien harmlos und meine Nachfrage, auf welche Untersuchungen die Bundesregierung sich bei solchen Aussagen stützt, wird damit beantwortet, man verfüge über keinerlei Studien. Das ist ein Umgang, der dem Problem in keiner Weise angemessen ist!

Mit den Luftangriffen wurde eine Eskalationsspirale forciert. Im Laufe dieses Krieges ist ihre Zahl verdreifacht worden. Immer mehr zivile Ziele werden bombardiert, die Lebensgrundlagen und die Umwelt in ganz Jugoslawien zerbombt. Die Luftangriffe lösen kein einziges Problem, sondern schaffen viele neue. Sie stärken den mörderischen Nationalismus
auf Seiten der serbischen Jugoslawen ebenso, wie den auf Seiten der albanischen. Sie schwächen die demokratischen Kräfte in Jugoslawien. Die Luftangriffe verunmöglichen Versorgungsflüge und den Zugang von Hilfsorganisationen für die vielen Binnenflüchtlinge im Kosovo. Wie sollen denn Serben und Kosovoalbaner multiethnisch zusammenleben, wenn
die Eskalationsspirale nicht endlich unterbrochen wird?

Jeder, der sagt, man darf nicht aufhören zu bomben, muß sich fragen, was dieser Krieg denn für die Menschen erreicht hat. Jeder muß sich darüber im klaren sein, daß immer mehr zivile Opfer sterben, aber davon noch kein albanischer Flüchtling gerettet wird, daß die Bomben Brücken und LKWs treffen mit Flüchtlingen, die als Schutzschilder mißbraucht werden.

Sie werden getötet, und niemand wird dafür gerettet. Es ist doch nicht so, daß sollte nicht mehr bombardiert werden, es keine Möglichkeit mehr gäbe, auf die jugoslawische Regierung Druck auszuüben. Wir haben doch jenseits der offensichtlich gescheiterten militärischen Strategie das ganze Instrumentarium von zivilen Sanktionen, mit dem wir den Druck aufbauen bzw. aufrechterhalten können, seine Stellung schwächen und ihn wegen seiner Menschenrechtsverletzungen politisch isolieren. Seit Beginn der Bombardierungen sind wir, die wir uns dagegengestellt haben, immer wieder von denjenigen, die die Luftangriffe befürworteten, nach unseren Alternativen gefragt worden. Jetzt nach sieben Wochen Bombardierungen will ich die Beweislast umkehren und angesichts der erschreckenden Bilanz fragen, was hat dieser Krieg den Menschen gebracht? Die Entscheidung für den Krieg war nicht alternativlos. Der Krieg ist keine Alternative.

Die ursprünglichen Ziele der NATO, nämlich die Verhinderung einer humanitären Katastrophe und die jugoslawische Unterschrift unter den Rambouillet-Vertrag sind nicht erreicht worden und zumindest das erste Ziel ist unerreichbar gewor-den. Die öffentlichen Äußerungen drehen sich immer mehr um die Frage der Glaubwürdigkeit der NATO, um die Wah-rung des Gesichts, darum, daß man einem Slobodan Milosevic jetzt erst recht nicht nachgeben darf. Diejenigen, die mit einer Fortsetzung des bisherigen Kurses diesen Weg der nach oben offenen Eskalationsskala weitergehen wollen, die müssen auch sagen wo er hinführt, was er in der Region noch anrichten wird und wieviele Opfer in der Zivilbevölkerung
er noch kosten kann.

Jede neue Drohkulisse, die die NATO nun aufbaut erfordert eine erneute Eskalation. Darum geht es mir um einen Ausstieg aus der militärischen Eskalationsspirale, nicht um eine Unterbrechung. Eine Feuerpause reicht nicht aus, weil die NATO sich damit erneut unter einen selbstgewählten Zugzwang setzt. Wenn nach der gesetzten Frist nicht alle ihre Forderungen erfüllt sind, ist der Einstieg in die nächste Eskalationsstufe vorprogrammiert. Wird dann wieder mit doppelter Intensität weitergebombt, werden dann Bodentruppen eingesetzt?

Spätestens aus Rambouillet sollten wir gelernt haben, daß der Zugzwang solcher Drohszenarien in die Sackgasse führt!

Es ist keine Frage, daß etwas unternommen werden muß um die Konflikte, die kleinen und großen Kriege im ehemaligen Jugoslawien zu beenden. Dabei darf aber auch nicht vergessen werden, daß es gerade die deutsche Außenpolitik unter Kohl war, die durch ihre Anerkennungspolitik und Parteinahme die Auflösung Jugoslawiens gefördert hat. Auch die UCK ist von der Bundesrepublik und der Nato massiv gefördert worden. Die Nato kann darum unmöglich die Rolle eines Vermittlers oder Sicherheitsgaranten im Kosovo spielen. Spätestens seit Beginn der Luftangriffe ist die NATO zur Kriegspartei ge-worden und kann bei der internationalen Absicherung nicht die tragende Rolle übernehmen.

Ich begrüße und unterstütze alle Maßnahmen, die ein schnelles Ende des Krieges herbeiführen können, und da hat Joschka Fischer ohne Zweifel erhebliches geleistet, um den Blick wieder aus der militärischen Sackgasse auf die Diplomatie zu lenken. Allerdings glaube ich, daß die Diplomatie nur eine echte Chance hat, wenn die Bombardierungen eingestellt werden. Wie soll denn China noch für die Unterstützung im Weltsicherheitsrat gewonnen werden, wenn gleichzeitig eine NATO-Bombe die chinesische Botschaft in Belgrad trifft?

Es ist richtig, daß wir jetzt nach vorne schauen müssen, wie wir aus diesem Krieg herauskommen, zu einer politischen Lö-sung - aber deshalb können wir nicht die sieben Wochen Bombardierung, an denen die Bundesregierung beteiligt war, im nachhinein als Friedenspolitik umdefinieren. Wenn wir in der Öffentlichkeit, in der eigenen Partei das Mandat für zivile Wege der Konfliktlösung zurückgewinnen wollen, müssen wir eingestehen, daß die NATO-Bombardierungen ein Fehler waren. Sonst werden die Menschen uns nicht das Vertrauen entgegenbringen, daß ähnliches nicht wieder geschieht. Die neue Nato-Strategie macht deutlich, daß der Einsatz im Kosovo ohne völkerrechtliche Legitimation kein Einzelfall war, sondern ein Präzedenzfall. Wir müssen darum zum Völkerrecht zurückkehren und diesen Krieg sofort und endgültig beenden.

Wir müssen es schaffen, die Debatte um diesen Krieg und die Diskussion, welche Konsequenzen wir daraus ziehen zu tren-nen. Die Vermischung wird der zentralen Bedeutung des Themas nicht gerecht. Wir können es uns bei Verlust unserer Zukunftsfähigkeit nicht leisten, uns die Klärung der inhaltlichen Frage durch die strategische Frage verstellen zu lassen,
ob wir eine Position erfolgversprechender in der Regierung oder in der Opposition vertreten können. Zuerst aber muß diese Position geklärt werden.

Derzeit erscheint dieser Krieg in der Öffentlichkeit als gemeinsames rotgrünes Projekt. Von da bis zum Ausstieg aus der Koalition gibt es einen großen Spielraum und viele politische Möglichkeiten, die erst einmal genutzt werden können.

Ich will nicht aus der Regierung aussteigen, sondern den Kurs der Regierung verändern. Die Partei, die Bundestagsfraktion soll ihr gesamtes Gewicht in der Öffentlichkeit und in den anstehenden politischen Entscheidungsprozessen geltend ma-chen für ein sofortiges Ende der Bombardierung und den Aussteig aus der militärischen Eskalationsspirale. Wir müssen doch unsere Ziele in der Gesellschaft auch offen verfechten können! Warum soll z.B. hier nicht möglich sein,
was in ande-ren europäischen Ländern geht? Es muß ja nicht gleich wie in Frankreich der Innenminister sein, der gegen die NATO-Bomben auf die Straße geht, das wäre in Deutschland eher unwahrscheinlich.

Mit jedem Tag, an dem die Luftangriffe fortgesetzt werden, rückt die Möglichkeit zur zivilen Versöhnung in weitere Ferne, werden die Gräben tiefer, die es später wieder zu überbrücken gilt. Die Menschen im Kosovo leiden, die Binnenflüchtlinge drohen zu verhungern, wenn sie nicht versorgt werden, in ganz Jugoslawien gibt es täglich mehr zivile Opfer, Tote und Verletzte. Eine neue Generation vom Krieg traumatisierter Kinder wächst heran, Opfer, die zu selbst zu Gewalttätern zu werden drohen. Gerade im Interesse der Menschen müssen wir den Krieg beenden. Das heißt, den ersten Schritt zu tun und die NATO-Luftangriffe sofort und endgültig einzustellen.