Elisabeth Schroedter, MdEP
Europäische Union: Ohne klare Haltung gegenüber Russland
Die Doppelzüngigkeit der Europäischen Union nimmt angesichts des Tschetschenienkriegs immer groteskere Züge an.
Vier Monate tobt bereits der russische Krieg gegen die eigene Zivilbevölkerung in Tschetschenien. Die russische Armee zerstört Dörfer und lebensnotwendige Infrastrukturen, vertreibt die Bevölkerung aus ihren Häusern und Städten. Willkürliches Einsperren von Jugendlichen, Vergewaltigungen, Massaker - täglich werden die Menschenrechte verletzt. Die internationale Gemeinschaft wechselt zwischen Empörung, leiser Betroffenheit und Schweigen angesichts der Menschenrechtsverletzungen einer Atommacht. Wie sollen aber angesichts dieser unklaren Haltung die Menschen in den osteuropäischen Transformationsländern, und gerade in den Konfliktgebieten des Nordkaukasus, für die demokratischen Werte einer westlichen Gesellschaftsordnung gewonnen werden, wenn ihnen offensichtlich die grundlegenden Menschenrechte aufgrund einer verschobenen Interessenslage nicht zugebilligt werden.Dieser Glaubwürdigkeitsverlust, den sich die internationalen Organisationen durch ihr Schweigen und ihre Untätigkeit selbst zufügen, wird es ihnen immer schwerer machen, internationale Krisenmediation und -bewältigung ernsthaft und legitimiert voranzutreiben. Es scheint, als seien Menschenrechte im Zweifelsfall doch teilbar.
Das Europäische Parlament hat seit vier Monaten sein politisches Gewicht in die Waagschale geworfen und in scharfen Resolutionen den Rat aufgefordert, mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen die russische Regierung zu einer politischen Lösung des Tschetschenienkonfliktes zu bewegen. Wesentliche Impulse kamen dazu aus der Grünen Fraktion, so die Forderung nach Einfrieren des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (dieses umfangreiche Abkommen hat als grundlegende Voraussetzung eine Menschenrechtsklausel, d.h. die Anerkennung der Menschen- und Minderheitenrechte im Sinne der Konventionen des Europarates und der Pariser Charta für ein neues Europa), die Forderung, das Abkommen für wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit nicht zu unterzeichnen, die TACIS-Hilfe einzufrieren, Russland keine neuen Kredite zu geben und die Nahrungshilfegelder zu stoppen (hierbei handelt es sich um Finanzkredite, die es Russland ermöglichen, Produkte der europäischen Überproduktion billig einzukaufen). Das EP hat diese Beschlüsse mit überzeugender Mehrheit gefasst. Da ich alle Resolutionen für die grüne Fraktion vorbereitet und auch mit den anderen Fraktionen verhandelt habe, kann ich nur sagen, dass es selten so wenig Dissens bei solch scharfen Formulierungen gab. Natürlich setzen wir mit diesen Beschlüssen auch unsere guten Beziehungen zur Duma im Kooperationsausschuss auf´s Spiel.
Die Wahrung von Frieden und die Anerkennung der Menschenrechte scheinen je nach geographischer Lage eines Landes von der internationalen Gemeinschaft unterschiedlich aufgefasst und bewertet zu werden. Wurde der Vergleich mit dem Nazi-Holocaust im Kosovo als Legitimation, einen Krieg zu führen, angeführt, gibt es nun aus Angst vor einer möglichen Isolation Russlands noch nicht einmal Sanktionen gegen den russischen Staatsterror. Natürlich ist auch mir klar, daß die weltpolitische Lage und Rußlands Rolle bei der Stabilität in Europa ein militärische Eingreifen verbietet. Auch Kosovo hat Zweifel daran gelassen, daß Militär ein geeignetes Mittel zur Krisenbewältigung ist und die Frage nach politischen Mitteln neu gestellt. Aber gerade die privilegierten Beziehungen zu Rußland (In den Beziehungen zu Rußland kam zum ersten das neue Instrument der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik, die "gemeinsamen Strategie", zur Anwendung, welches ein vielfältiges Spektrum politischer Normen und diplomatischer Instrumente
enthält.), würden ein gemeinsames und wirkungsvolles Handeln zulassen und böten auch die Möglichkeit, alle diplomatischen und politischen Mittel einschließlich wirtschaftlicher Sanktionen auszureizen, um Russland zum
Verhandeln zu bewegen. Die Hoffnung, dass das EP einen wichtigen Beitrag zur Beilegung der Krisen im Kaukasus leisten kann, ist berechtigt durch die Erfahrung aus dem ersten Tschetschenienkrieg. Damals habe ich viel länger gebraucht, meine KollegInnen davon zu überzeugen, dass Russland mit dem Stopp der Abkommen an den Verhandlungstisch gezwungen werden kann. Und es ist damals gelungen, eine OSZE-Langzeitmission nach Grosny zu senden, die, wenn auch mühselig, die Verhandlungspartner an einen Tisch gebracht und die Umsetzung des Waffenstillstandsabkommen überwacht hat.Aber entgegen der Erfahrungen von 1995/96 hat der Rat sich in den letzen vier Monaten zu keinen substantiellen Sanktionen durchringen können, weder auf dem Helsinkigipfel, noch auf der Ratssitzung am letzten Montag. Die Maßnahmen, die den russischen Interimpräsidenten Putin dazu bringen sollen, sich an den Verhandlungstische zu setzten, sind so gering, dass man sie weder als ein politisches Zeichen deuten, noch als ökonomische Sanktion bezeichnen kann. Sie bleiben weit hinter den Forderungen des Parlaments zurück, selbst wenn der Rat dem Parlament folgen mußte und das Wissenschafts- und Technologieabkommen nicht in Kraft setzte.
Die Kritik des Rates, dass Russland das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen nicht erfüllt hat, hat hingegen nicht mit der Menschenrechtsklausel und deren Verletzung durch den Tschetschenienkrieg zu tun, sondern hat handfeste handelspolitische Gründe, weil Russland der EU nicht die gewünschten Handelspräferenzen gewährt.
Durchsetzen konnte sich das Parlament mit seiner Forderung, die neuen Technischen Hilfen (TACIS) ausschließlich auf die Unterstützung der Projekte der Demokratisierung, insbesondere für die der Medien, sowie der humanitären
Hilfen für das Kriegsgebiet zu beschränken. Letzteres war ein von den Grünen vorgeschlagener Paragraph der jüngsten Tschetschenienresolution des Europäischen Parlaments. Angesichts der vielen zivilen Opfer des Krieges, der gezielten Zerstörung der Dörfer und der Vertreibung muss die EU das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland auf Eis legen und es nur bei Einhaltung eines Waffenstillstandes und der Bereitschaft zu politischen Verhandlungen
wieder aufnehmen.Auch in der Frage des dringend notwendigen internationalen Schutzes und der internationalen humanitären Hilfe für die Flüchtlinge sieht die Staatengemeinschaft bisher tatenlos zu. Die kleine inguschische Nachbarrepublik betreut seit Wochen mehr Flüchtlinge als die eigene Bevölkerung zählt. Es gibt trotz Kälte und Frost keine größere internationale Organisation, die mit Zelten, Decken, Nahrungsmitteln, medizinischer und sozialer Versorgung hier Unterstützung leistet. Es sind nur lokale Organisationen mit einigen wenigen Mitarbeitern vertreten.
Die Situation wird immer mehr zur menschlichen Katastrophe und währt schon länger als es im Kosovo der Fall war, ohne dass vergleichbare humanitäre Hilfe in die Region geschickt wird. Russland erschwert den Zugang zu der
Region und leistet gegen derartige Hilfe trotzig Widerstand. Doch auch von den tschetschenischen Kriegsherren drohen Übergriffe auf westliches Personal.Aufgrund dieser fehlenden Sicherheitsbedingungen weigern sich die großen Hilfsorganisationen wie das "Internationale Rote Kreuz" und "Ärzte ohne Grenzen", westliches Personal in die Region zu schicken. So wird die internationale humanitäre Hilfe von der russischen Organisation des Roten Kreuz verteilt, was jedoch mit großen organisatorischen Schwierigkeiten verbunden und dadurch unzureichend ist.
Zudem weigert sich Russland, internationale Beobachter zuzulassen. All dieses müsste die internationale Staatengemeinschaft veranlassen, alles Mögliche den Druck auf die russische Regierung zu erhöhen. Es geht um nichts Geringeres als um Menschen.
Januar 2000
Elisabeth Schroedter ist Mitglied des Außenpolitischen Ausschusses für die
Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
und arbeitet schwerpunktmäßig zu Osteuropa.
Weitere Informationen über Ihre Arbeit findet Ihr/finden Sie unter
>>http://www.elisabeth-schroedter.de<<