Monika Knoche, Mitglied des Deutschen Bundestages Berlin, 20.11.2001 Offener Brief Die Entscheidung am 16.11.01
Wir alle acht KriegsgegnerInnen und AutorInnen des Positionspapiers vom 11.11.01 hatten am 16. November 2001 weder ein demokratisches Mittel noch eine freie Wahl, das Blatt zu wenden. Der Bundeskanzler hatte sich entschieden, die Frage über den
Bundeswehreinsatz nicht als Einzelfrage zur Abstimmung zu stellen,
sondern diese Sachfrage mit der Vertrauensfrage gem. Art. 68 GG zu
verbinden, was nach Art. 80 Abs. 1, Satz 2 GG zulässig ist. Die Frage nach dem Bundeswehreinsatz stellt eine "ganz normale
" Sachfrage dar, für deren Beschluß nach Art. 42 Abs.2
GG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen nötig ist. Selbst wenn wir alle acht mit Nein gestimmt hätten, wären
es 336-4= 332 JA-Stimmen gewesen und der Bundeswehreinsatz wäre
beschlossen gewesen. Das Ergebnis hätte nur dann anders sein können, wenn mindestens
664 Mitglieder des Bundestages zur Abstimmung gekommen wären:
Dann nämlich wären 332 Stimmen nur noch die Hälfte,
nicht aber die Mehrheit der abgegeben Stimmen gewesen und unsere acht
Nein-Stimmen hätten den Einsatz verhindern können. Der Preis
wäre die Beendigung der Koalition gewesen. Hinsichtlich der Frage, ob unterschiedliche Mehrheitsquoren in einer
verbundenen Abstimmung wie dieser zulässig sind, bestanden bei
einigen Zweifel. Aber selbst, wenn wir mit einstweiligen Verfügungen
o.ä. operiert hätten, wäre die Unsicherheit geblieben,
wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden würde. Denn wenn
auch unterschieldiche Positionen zu dieser Frage vertreten werden,
so ist sie doch bislang nicht entschieden worden. Unser JA und NEIN war zuletzt die einzige aller möglichen Antworten, die wir verbliebenen KriegskritikerInnen aus doppelter Unfreiheit treffen konnten. Dem Krieg in Afghanistan vorgelagert war die Resolution aller Parteien außer der PDS im Deutschen Bundestag, wonach eine uneingeschränkte Solidarität unter Einschluss militärischer Gewalt als Antwort auf den Terrorakt ausgesprochen wurde. Dieser Resolution habe ich mich - wie ihr wisst- widersetzt und alle Zusammenhänge und mir bekannten Hintergründe dargestellt: Es gibt kein UN-Mandat, es gibt keinen NATO-vertragsrechtlich begründeten Bündnisfall, die alleinige Federführung liegt bei den US-Amerikanern in diesem falschen Krieg. Der Bundestag hat keinen Einfluss auf Art, Weise und Ziel des deutschen Bundeswehreinsatzes. Die Bundestagsfraktion B'90/DIE GRÜNEN war zu keinem Zeitpunkt
bereit, eine politisch fundierte Diskussion über Krieg als Mittel
der Bekämpfung von Terroristen zu führen. Weder zwischen
dem vorbereitenden Bundestagsbeschluss und dem de-facto-Eintritt der
Bundeswehrbeteiligungsbereitstellung wurden Beschlüsse gefasst,
noch wurde sich in der ganzen Zeit nach dem Kosovo-Einsatz mit dem
Thema Krieg als Instrument auseinandergesetzt. Wir acht Bundestagsabgeordneten haben am 11. November unser NEIN
in einem Positionspapier politisch begründet. Für die inhaltliche
Positionierung bekamen wir von der gesamten Friedensbewegung und aus
der Partei große Unterstützung und Respekt - nicht so von
einem Großteil der eigenen Fraktion. Ganz im Gegenteil. Auch in der SPD-Fraktion häuften sich die Stimmen der KritikerInnen aus dem pazifistischen, dem linken und dem Gewerkschaftslager. Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle ParlamentarierInnen davon ausgegangen,
dass das Kanzlerwort gilt, wonach er seine Kriegsbeteiligungsbereitstellung
auf der Mehrheit des Bundestagsplenums gründen wolle. Im weiteren übertrug der Bundeskanzler die Schuldfrage zum Fortbestand der Koalition ohne Not aber in gezielter Absicht an den GRÜNEN Koalitionspartner. Damit hatte er einseitig die Regierungsgrundlage zu Lasten der GRÜNEN aufgekündigt. In dieser Situation war die Solidarität der GRÜNEN Bundestagsfraktion mit sich selbst und die Integrität der GRÜNEN Politik insgesamt und aller ihrer Mitglieder gefragt. Fraktionsspitze und Parteispitze der GRÜNEN waren nicht bereit, dieser Demütigung und der Verunmöglichung der Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten geschlossen entgegen zu treten. Das Junktim Vertrauensfrage und Sachentscheidung brüskiert die Würde des Parlamentes. Dies hätte zu einem Aufstand unserer Partei- und Fraktionsspitze führen müssen, angesichts der Tatsache, dass die Grundprinzipien der parlamentarischen Demokratie (sachgebundene freie Entscheidung) Schröders Machtkalkül unterworfen wurden. In dieser Situation haben wir acht vorgeschlagen, dass die GRÜNE
Bundestagsfraktion geschlossen die von Schröder aufoktroyierte
Vertrauensfrage verneint. Das hätte zur Folge gehabt: Diese hier von mir dargestellte Position wurde in Krisengesprächen mit den Vorständen in Partei und Bundestagsfraktion ausführlich erörtert und letztlich verworfen. Eine Gesamtstrategie und politisch souveräne Antwort war nicht möglich. Stattdessen hat der Parteivorstand von den Abgeordneten ein "imperatives Mandat" zur Vertrauensfrage eingefordert. (etwa sinngemäß so: Wir Bundestagsabgeordneten hätten nicht das Recht mit unserem Votum über die Vertrauensfrage einen Letzt entscheid über den Fortbestand der rot-grünen Koalition zu treffen). Das sei das Vorrecht der Partei. Dies haben wir zurückgewiesen. In dieser Konstellation hatten wir acht KriegskritikerInnen keine Chance mehr, durch unser geschlossenes Nein das Kriegsmandat zu verhindern: Auch mit unseren Nein-Stimmen hätten die JAs für den Beschluß des Bundeswehreinsatzes ausgereicht. Die Unfreiheit des Mandats, die schwarze Stunde des Parlaments, galt für niemanden so stark wie für uns acht! Folgende Überlegungen waren für uns handlungs- und entscheidungsleitend: · Hätten wir geschlossen mit NEIN gestimmt, hätten
wir das Kriegsmandat nicht verhindert, weil die dazu erforderliche
einfache Mehrheit auch ohne uns acht vorhanden war. Konsequenz wäre
aber gewesen: Schröder hätte Neuwahlen ausrufen und dennoch
zugleich die Armee ausschicken können. Die Gruppe der acht wollte mit ihrem Abstimmungsverhalten den Kriegseinsatz
der Bundeswehr verhindern. Die Gruppe der acht wollte mit ihrem Abstimmungsverhalten
nicht die rot/grüne Regierung verlassen und das fraglich Mandat
einer anderen Regierung überlassen. Wir sind zu keiner anderen politisch verantwortbaren Lösung dieses unauflösbaren parlamentarischen Novums gekommen. Mit guten Grüßen Monika Knoche |