KRIEG IN AFGHANISTAN Positionspapier der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Steffi Lemke, Christian Simmert, Winfried Hermann, Monika Knoche, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-Christian Ströbele und Sylvia Voß Der Krieg in Afghanistan dient nach unserer Ansicht nicht der zielgerichteten Bekämpfung terroristischer Strukturen und trifft in besonderem Maße die Zivilbevölkerung. Eine direkte oder indirekte Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg in Afghanistan lehnen wir aus folgenden Gründen ab:
Zusammengenommen: Der Krieg gegen Afghanistan ist politisch falsch, dient nicht der zielgerichteten Bekämpfung des Terrorismus, ist humanitär verantwortungslos und schafft neue politische Probleme. Es handelt sich um ein Abenteuer, an dem sich niemand, auch nicht die Bundesrepublik, beteiligen sollte. Eine Unterstüzung dieses Krieges durch deutsche Sodaten ist deshalb nicht zu verantworten und muß unterbleiben. Darüber hinaus sprechen grundsätzliche Erwägungen gegen die Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung zur Bereitstellung von Bundeswehreinheiten:
Solidarität mit den Opfern des 11. September und ihren Angehörigen ist uns eine menschliche und politische Verpflichtung. Sie bedeutet aber nicht, einem Freund und Verbündeten mit verbundenen Augen in eine Sackgasse zu folgen. Solidarität heißt vielmehr, eigene Vorschläge vorzulegen, die beide vor der Sackgasse bewahrt und tatsächliche Beiträge zur Schwächung und Bekämpfung des Terrorismus leistet. Terrorbekämpfung und Krieg Eine Festnahme der als Hintermänner Verdächtigen in Afghanistan und anderen Ländern muß zuerst einmal durch Auslieferung bewirkt werden, wie in anderen Fällen zuvor. Dieser Weg ist nicht ausreichend verfolgt worden. Oder sie kann - wenn nicht anders zu bewerkstelligen - durch gewaltsame, polizeiliche bzw. militärische Mittel erfolgen. Das Ziel muß aber in der gerichtlichen Aburteilung der Täter bestehen, auch wenn dieses Ziel schwierig zu erreichen ist. Die Schwierigkeiten dieses Ziels können nicht bedeuten, sich einfach andere, einfachere Ziele zu setzen oder Gewalt gegen Gruppen oder Länder anzuwenden, die nur mittelbar mit den Verbrechen in Verbindung stehen. Die terroristischen Verbrecher müssen isoliert werden, sie dürfen nicht die Chance erhalten, in der Wahrnehmung der Menschen nicht nur in islamischen Ländern zu Helden oder Märtyrern zu werden. Einen "Krieg" gegen die Täter , tatsächlich aber gegen das Land, in dem sie Unterschlupf gefunden haben, zu führen wertet die Täter politisch auf, macht sie in der Wahrnehmung vieler Menschen in der Region zum Gegenpol zu den USA oder "dem Westen". Der Argumentation und Propaganda Usama ibn Ladins wird so in die Hände gespielt. Wer Krieg gegen ein Land an die Stelle der Verbrechensbekämpfung setzt, wird die Terrorismusbekämpfung politisch schwächen. Die Zerstörung eines (teilweise längst verlassenen) Teils der Infrastruktur von Al Qaida kann diesen Mangel nicht ausgleichen.
Der Sturz der Taliban ist im Interesse des afghanischen Volkes und der Menschenrechte wünschenswert. Dieses Ziel kann aber nicht bedeuten, den Afghanen eine äußere Lösung aufzuzwingen. Der gegenwärtige Krieg trägt nichts dazu bei, eine stabile, tolerante und funktionierende Regierung in Afghanistan zu ermöglichen. Die Strategie, gemeinsam mit der "Nordallianz" als Bodentruppe zur Ergänzung der Luftangriffe die Taliban zu stürzen, eröffnet mehr Risiken als Chancen. Die "Nordallianz" besteht aus zerstrittenen Milizen, die selbst viele grausame Verbrechen, wie Mord und Massenvergewaltigungen begangen haben. Ein Sieg der Nordallianz würde zum Kampf der Sieger untereinander führen, und zum dauernden Widerstand der Mehrheit der afghanischen Bevölkerung, der Paschtunen, gegen diese Allianz der ethnischen Minderheiten. Gegen oder ohne die Paschtunen ist Afghanistan aber nicht zu regieren, von einer friedlichen Entwicklung ganz zu schweigen. Andere Akteure, die eine Alternative zur "Nordallianz" bilden könnten, sind nicht in Sicht. Damit fehlt der Kriegsstrategie jenseits ihrer militärischen Überlegenheit die entscheidende Voraussetzung zum Erfolg: eine soziale und politsche Basis im Land. Auch der greise Ex-König - ein ehrenwerter Mann - verfügt im Land lange über keine Machtbasis mehr. Die Alternative, US- oder UN-Truppen das Land verwalten zu lassen (ähnlich wie im Kosovo) besteht in Afghanistan nicht, da die Truppen mittelfristig zwischen die Fronten geraten und von allen - vermutlich auch von der Nordallianz (die das bereits angekündigt hat) - bekämpft würden. Das bedeutet insgesamt, daß die Kriegsstrategie bezogen auf Afghanistan über keinerlei politische Konzeption verfügt, der der Krieg dienen könnte. Soldaten in eine solche Sackgasse zu schicken ist verantwortungslos. Man braucht kein Pazifist zu sein, um einen Krieg ohne realistisches politisches Konzept für abenteuerlich zu halten.
Jenseits dieser und anderer kurzfristiger Aufgaben gilt es aber vor allem, politische Maßnahmen zu ergreifen, die eine Schwächung und Bekämpfung der Terrors erleichtern. Hier wäre etwa an der massiven Stärkung eines internationalen Strafgerichtshofes zu denken, der von allen akzeptiert und handlungsfähig gemacht werden sollte. Auch internationale Maßnahmen gegen ABC-Waffen und deren Proliferation mit einer umfassenden Kontrolle der fraglichen Substanzen in allen Ländern als erster Schritt sind das Gebot der Stunde. Hier brauchen wir schnelle und wirksame Maßnahmen. Schließlich geht es insbesondere um Anstrengungen, das Umfeld aller Formen politischer Gewalt auszutrocknen. Terrorismus stellt ja nur die spektakulärste Ausdruckform politischer Gewalt dar und kann nur im Zusammenhang mit dieser bekämpft werden. Auch wenn viele Terroristen gerade nicht zu den ärmsten der Armen gehören, so instrumentalisieren sie doch die Armut und Verzweifelung vieler Menschen in der Dritten Welt für ihre Zwecke. Deshalb müssen die Bemühungen wesentlich intensiviert werden, einerseits die Lebensbedingungen und Akzepzanz sowie die Bildungsmöglichkeiten und Entwicklungschancen in vielen - hier auch islamischen - Teilen der Welt zu verbessern, und zugleich die vielen schwelenden oder akuten Regionalkonflikte zu lösen. Wenn der Kaschmirkonflikt, der Palästinakonflikt und andere, auch zukünftige Krisen- und Gewaltherde nicht endlich befriedet werden, dann kann dies mit der Perspektivlosigkeit und Massenarmut in großen Teilen der Dritten Welt eine gefährliche Verbindung eingehen. Gewalt- und Terrorbekämpfung muß auch hier ansetzen. Schließlich kommt es darauf an, der Gefahr eines globalen Konfliktes der Kulturen endlich einen ernsthaften Dialog der Kulturen entgegenzusetzen. Davon ist viel und gern gesprochen worden, aber wenig substantielles geschehen. Hier Konfliktprävention zu versuchen bedeutet, über Sonntagsreden hinauszugehen und auf gleicher Augenhöhe über brennende Probleme zwischen den Ländern, Gesellschaften und Staaten zu sprechen. Man sollte sich die deutsch-französische, deutsch-israelische und deutsch-polnische Versöhnung zum Vorbild nehmen, um auch mit den Ländern der muslimischen Welt einen umfassenden gesellschaftlichen Dialog zu führen.
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