11. September 2001 und die Folgen
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Stellungnahme von Sylvia Kotting-Uhl zum Länderratsbeschluß

Liebe Parteifreundinnen und -freunde,

als eine der 7 baden-württembergischen Länderratsdelegierten und davon eine der beiden, die der Grund sind, warum Baden-Württemberg nur "mit großer Mehrheit" der Resolution zur Außenpolitik zustimmte, möchte ich euch meine Stellungnahme zum dort gefassten außenpolitischen Beschluss geben.

Dieser Beschluss greift alle Argumentationen, die von den GegnerInnen militärischer Schläge in den letzten Wochen vorgebracht wurden, auf und bindet sie ein. Die Strategie, dem Terrorismus langfristig durch die Förderung von Menschenrechten, Toleranz und internationaler Gerechtigkeit den Nährboden zu entziehen, ist ebenso in der Resolution enthalten wie die Neuausrichtung der Sicherheitspolitik durch Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung. Die erhebliche Aufstockung finanzieller Mittel in diesem Bereich wird gefordert. Jede von Rache geprägte Eskalationsstrategie wird abgelehnt und die Glaubwürdigkeit rechtsstaatlicher Demokratien an der Beibehaltung ihrer eigenen Prinzipien auch bei der Ermittlung und Bestrafung der Attentäter und Hintermänner des 11. September festgemacht.
Die Verpflichtung auf all diese - und mehrere - politischen Konzepte hat mich veranlasst, den Beschluss nicht abzulehnen, sondern mich in der Schlussabstimmung zu enthalten. Gleichwohl bin ich mir bewußt, dass diese Punkte (8 von 10), was das konkrete Handeln betrifft, als die Lyrik der Resolution betrachtet werden können, während es aktuell nur auf die Zustimmung zu den (an diesem Tag noch nicht ausgeführten) Militärschlägen ankam.

Die beiden letzten Punkte der Resolution unterstützen die Ausrufung des Bündnisfalles und geben die Zustimmung zu einer militärischen Beteiligung der Bundesrepublik. Sie tun dies deutlich, stellen aber Bedingungen. Als Bedingungen werden genannt, auf deutscher Seite in eigener Verantwortung und unter Beachtung verfassungsmässiger Regeln wie dem Parlamentsvorbehalt Entscheidungen über die Art der Hilfe zu treffen und bei militärischem Vorgehen die Zivilbevölkerung zu schonen.
Diese Bedingungen sind in meinen Augen unerfüllbar. Sie widersprechen der Konzeption von Kriegshandlungen. Weder kann ein deutsches oder anderes Parlament dezidiert geplantes militärisches Vorgehen diskutieren, das oft genug von der Geheimhaltung lebt, noch können sogenannte "Kollateralschäden" vermieden werden, wenn die angreifende Partei eigene Verluste ausschließen oder zumindest so gering wie möglich halten will.

Ich halte das militärische Vorgehen aber grundsätzlich für ein in diesem Fall zweifelhaftes Mittel. Man kann den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags unter Einbeziehung der Neuen Nato-Strategie (die vom deutschen Parlament nie ratifiziert wurde!) als gegeben betrachten - zwangsläufig ist das keineswegs, es bleibt eine politische Entscheidung. Bei einer politischen Entscheidung stellt sich die Frage nach Kriterien dieser Entscheidung, z.B. nach Zweckmäßigkeit und Angemessenheit. (Kriterien, die übrigens auch das Völkerrecht bei einer solchen Entscheidung anlegt.) Ich bezweifle sowohl im Fall der Zweckmäßigkeit wie der Angemessenheit, dass der militärische Angriff diesen Kriterien genügt. Zweckmäßig sind im Falle eines Verbrechens -zumal mit nicht eindeutig definiertem Täterkreis - Maßnahmen der Verbrechensverfolgung. Die müssen dem Ausmass des Verbrechens angepasst werden - konzertiert, international, geballt in diesem Fall organisiert werden. Im Gegensatz zum militärischen Vorgehen können sie zielgenau eingesetzt werden und unterliegen auch nach Beginn der Aktion einer demokratischen Kontrolle.

Den GegnerInnen der militärischen Aktion wurde in den Diskussionen der letzten Wochen immer vorgehalten, dass ihre vorgeschlagenen Konzepte nur langfristig greifen würden, der militärische Angriff wurde alternativlos als die kurzfristig greifende Maßnahme bezeichnet. Von Kurzfristigkeit ist jedoch in allen amerikanischen Äußerungen nicht die Rede. Im Gegenteil hat Präsident Bush von Anfang an sein Volk auf einen langanhaltenden Kampf eingeschworen, der auch eigene Opfer fordern würde. Dass die von den Ereignissen des 11. September traumatisierte amerikanische Gesellschaft zu diesem Kampf bereit ist - ja, ihn zu brauchen glaubt, um das Trauma der bewußt gewordenen eigenen Verletzbarkeit zu verarbeiten - verwundert nicht. Die uneingeschränkte Solidarität von Ländern wie dem unsrigen, die jegliche Entscheidung über das gemeinsame Handeln der gekränkten Nation überläßt, unterstützt und verantwortet jedoch, dass eine Entscheidung solcher Dimension aus dem Bauch getroffen wird. Die vielbeschworene Besonnenheit Bushs, der vier Wochen bis zum militärischen Schlag versteichen ließ, galt nicht einer sorgsamen Überlegung bei der Wahl der Mittel - das Mittel Militäreinsatz stand lange fest, bevor die Schuld bin Ladens feststand - sondern der Sicherung einer geradezu weltweiten kritiklosen Unterstützung in diesem Krieg.

Terroristen mit Bomben ergreifen und dabei Unbeteiligte schonen zu wollen, ist so absurd, wie es geradezu zynisch ist, Afghanistan aus der Luft sowohl mit Bomben wie mit Nahrungsmitteln zu bewerfen. Der Krieg nimmt nun seinen Lauf mit allen unvermeidbaren Konsequenzen, die man bedauernd zur Kenntnis nehmen wird. Die Chance, die weltweit zugesagte Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu einem politischen Bündnis zu machen, die immensen Finanzmittel, die nun in diesen Krieg fließen, stattdessen zu Lösungsansätzen der globalen Konfliktursachen aufzuwenden, Terroristen politisch und ideologisch zu isolieren und dem Terrorismus vor allem in seinem eigenen sozialen Umfeld den Nährboden zu entziehen - diese Chance wurde vertan.

Ist der Beschluss des Länderrates ein erneuter Beweis für die erlernte den Anforderungen dieses Landes entsprechende Regierungsfähigkeit der Grünen? In meinen Augen ist er ein erneuter Beweis für die immer noch nicht erlernte Rollenverteilung. Aus den Reden von Regierungsmitgliedern, Fraktionsvorsitzenden und Parteivorsitzenden war kein qualitativer Unterschied herauszuhören. Mit den gleichen Argumenten warben sie für die Zustimmung zur vorgelegten Resolution des Bundesvorstandes. Mag sein, dass es für eine Erlernung von Rollenverteilung in diesem Fall zu spät war, dass die abverlangte Zustimmung zu Bündnisfall und Militäreinsatz keinen Spielraum läßt, ohne die Koalition zu gefährden. Ich hätte mir gewünscht, dass die Partei es trotzdem darauf ankommen läßt. Wenn Kerstin Müller sagt: "Wir sind keine pazifistische Partei mehr", dann stimmt das wohl für die Führungsebene, vertieft aber die bereits bestehende Kluft zur Basis und zu unserem (WählerInnen-)Umfeld, das - wie Meinungsumfragen ermittelt haben -in deutlicher Mehrheit Militärschläge als Antwort auf den 11. September ablehnt. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass wir selbst einer der zu bedauernden Kollateralschäden dieses Krieges sein werden.

Sylvia Kotting-Uhl, Sinsheim, 10.10.01