Nachhaltigkeit und gruene Provinz
von Peter Hartung

1. Fragen zum Thema: Nachhaltigkeit und Struktur- und Arbeitsmarktpolitik/Nachhaltigkeit und neue Technologien

Die sog. "First-Mover-These" enthält die konkrete Fragestellung: Bringen umweltbezogene Innovationssprünge den Firmen auch Wettbewerbsvorteile? Kann Regulierung Einfluß auf die Innovationsdynamik und damit auf mögliche Wettbewerbsvorteile haben?

Die Befürworter dieser These gehen davon aus, daß Umweltpolitik eine aktive Rolle für die Verbesserung und Sicherung der Wettbewerbsposition von Firmen spielen kann, weil sie in dynamischer Sicht Wettbewerbsvorteile schafft, indem die Firmen aufgrund der Regulierung neue innovative Technologien und Produkte entwickeln. Für den Bereich des integrierten Umweltschutzes (bzw. der Anwendung sauberer Technologie) kann im großen und ganzen offenbar diese These bestätigt werden. Umweltschutzmaßnahmen können in diesem Bereich eine positive Auswirkung
auf die Wettbewerbsfähigkeit haben. Für die Anwendung hingegen von nachgelagerter Technologie (den "End-of-Pipe"-Umweltschutz)) stellt Umweltschutz jedoch ein Kostenfaktor dar.

Frage:
Ist es richtig, daß bei umweltorientierten Prozeßinnovationen mit Ressourceneinsparung die Steigerung der Ressourcenproduktivität Hand in Hand geht mit hohen rbeitsproduktivitätssteigerungen?

Ist es richtig, daß solche Firmen zwar eine höhere Stabilität der Arbeitsplätze (aufgrund höherer Profite) und höhere Bezahlung (aufgrund innerbetrieblicher Qualifizierung) bieten können, aber nicht mehr Arbeitsplätze?

Wie verhindert man hohe Arbeitslosigkeit in einer "nachhaltigen Gesellschaft"?

Ist es richtig, daß Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Freizeitverhalten nicht zu "nachhaltigen Lebensstilen" führt?

Ist Nachhaltigkeit "automatisch" mit Werten wie Solidarität, Gemeinsamkeit, Gleichheit, Gerechtigkeit verknüpft?

Wo ist eine spezifisch nachhaltige Sozial- und Arbeitspolitik?

Wo sind die Analysen über die konkreten beschäftigungspolitischen Auswirkungen einer ökologischen Nachhaltigkeitspoltik?

Wie prägend ist Erwerbsarbeit oder deren Fehlen für die Entwicklung nachhaltiger Lebenschancen und Lebensstile?

Wie gestaltet sich, wie gestalten wir, neben der Verteilung der Stoffströme die Verteilung der Arbeit und wie wird "neue soziale Arbeit" und die "Eigenarbeit" zukünftig organisiert, finanziert und sozial abgesichert?

2. Stadt und Land - benachteiligte Regionen in Hessen - technologische Rückständigkeit - Stand des Technikeinsatzes, der Qualifizierung/Qualifikation und der Arbeitsorganisation in Unternehmen aus benachteiligten Regionen

Die Region Oberhessen zwischen Büdingen und Schotten, Gedern und Echzell gilt nicht als diejenige, in der die dortigen Klein- und Mittelbetriebe und einige wenige größere Betriebe an der Spitze des unternehmerischen Fortschritts "marschieren". Die Produktionsstruktur ist veraltet, der Immissionsschutz wird vernachlässigt, es kommt zu Umweltbelastungen durch schadstoffhaltige Abwässer und Emissionen von Luftschadstoffen, Staub und Lärm. Das Lohnniveau sowohl von gewerblichen als auch Dienstleistungs-Beschäftigten ist unterdurchschnittlich, betriebliche Mitbestimmung (Betriebsräte) fehlen in vielen Betrieben, Tarifverträge werden nicht angewendet. Insbesondere die gewerblichen Beschäftigten gelten als gut qualifiziert, "zuverlässig" und bodenständig (d.h. wenig mobil), arbeiten an veralteter Technik, in überkommenen Arbeitsstrukturen und in traditioneller Arbeitsorganisation. Das hat auch seine Vorteile, da sich darin Zeitsouveränität für die Beschäftigten erhält.

Wie gehen wir um mit solchen Ungleichzeitigkeiten?

Was hat hier Priorität für unser umweltpolitisches Handeln?
Der Schutz der Werksnachbarschaft vor den Immissionen veralteter Technikstruktur?
Oder der Erhalt der bestehenden Verhältnisse als quasi "verdeckte Subventionierung" technologisch rückständiger Betriebe, die nur dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten können, daß man sie mit Modernisierungsforderungen nicht behelligt?
Oder aber das Propagieren z.B. alternativer Energieerzeugung per Windkraft, die hier vehement abgelehnt wird, denn man liebt sein ruhiges Landschaftsbild und will darin nicht den dynamischen Drall rotierender Rotoren?
Oder diejenigen, die ihre abgeschriebenen Anlage verkommen lassen, aber dennoch Durchschnittsprofite oder sogar Extraprofite erwirtschaften und von uns nichts wissen wollen?

Also: Wie sieht grüne "Nachhaltigkeits- und Modernisierungspolitik" für benachteiligte Regionen aus?

Wie soll grüne "Nachhaltigkeits- und Modernisierungspolitik" die Blockaden lösen, die darin bestehen, daß Unternehmen den Status Quo erhalten wollen und daß neue Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit setzen, hier kein Interesse haben sich anzusiedeln?

Wie handeln wir politisch in Regionen, die schon immer hessische Armenhäuser und Dumping-Regionen waren, wo der Müll abgeladen wird, wo die Holzabfälle massenhaft verbrannt werden, wo der Basalt aus dem Berg gesprengt wird und riesige Landschaftswunden hinterläßt, wo die Löhne niedrig und die Profite nicht schlecht sind, wo man seine Ruhe haben will und schon gar nicht grüne Ideen oder gar grüne Handlungsvorschläge?

Habt Ihr schon mal daran gedacht, daß Wahlergebnisse von weit unter fünf Prozent in manchen Ortsteilen hier in Oberhessen ganz einfach am Fehlen der Wählerbasis (vergleichbar der in den größeren Städten) liegen können? Wie oft höre ich: "Ihr macht gute Arbeit, ihr seid die Fleißigsten hier im Stadtparlament, aber wählen können wir Euch nicht, bei denen von Euch da in Wiesbaden und in Berlin! Nein, den Fischer meinen wir natürlich nicht!"

Im Vergleich zur FDP (der es dennoch nach der Wahl in Nidda gelingt, für ein "Wirtschaftsgespräch" aus dem Stand über 100 Bosse in den Saal zu bringen, um mit ihnen über Wirtschafts- und Strukturpolitik hier in der Region zu
diskutieren) stehen wir noch "gut" da, dafür ist aber die FWG die drittstärkste Gruppierung. Haben wir ein Politikkonzept, mit dem wir Wählerinnen und Wähler bei den Wählergemeinschaften "abholen" können?

Worin besteht das politische Handlungsangebot des Landesvorstands für die oben beschriebenen Fragestellungen? Was ist Euer Angebot für eine grüne Politik für die wirtschaftlich benachteiligten ländlichen Regionen in Mittel- und Nordhessen oder hier am Vogelsbergrand, wo 50 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Frankfurt arbeiten müssen und zwei Drittel der selbständigen Handwerksbetriebe ebenfalls ihre Aufträge in Frankfurt und weiter entfernt erledigen müssen?

Und: Wer soll zukünftig Ansprechpartner für diese Fragestellungen beim Landesvorstand werden? Und wie können wir ein Forum organisieren, in das diese Fragestellungen behandelt werden können? Wo besteht konkret eine Mitarbeitmöglichkeit für Aktive in der Provinz mit weiten Anfahrwegen, aber mit Internet-Anschluss?

Was kann mensch tun für die "grünen Stadtmäuse" und für die "grünen Landmäuse"?

Denn wir haben noch ein Problem, das heißt: Welche grüne Politik brauchen die benachteiligten hessischen ländlichen Regionen?

Welche grüne Politik haben wir für Regionen, die eine verzögerte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung nehmen?

Zur Erinnerung: Die grünen Landesstimmenverluste im Wetteraukreis lagen im Vergleich mit der vorherigen Landtagswahl zwischen sage und schreibe 40 bis 60 Prozent!

Peter Hartung