Hessische Gesellschaft für Demokratie und Ökologie e.V. Landesstiftung der Heinrich-Böll-Stiftung
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Podiumsdiskussion


Zwischen
Völkermord und NATO-Bomben -

Menschenrechte
und Völkerrecht
nach(?) dem

Kosovo-Krieg


Mittwoch, 05. Mai 1999, 19.00 Uhr
Bürgertreff Gutleut, Frankfurt am Main
Eintritt: frei

Podium:

Reinhard Bütikofer, politischer Geschäfts-führer von B 90/Die Grünen
Dr. Marie-Janine Calic, Stiftung Wissen-schaft und Politik (angefragt)
Prof. Dr. Michael Bothe, Institut für öffentliches Recht, Goethe-Universität, Chefredakteur von "International Peacekeeping"
Dr. Bruno Schoch, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Uwe Hiksch, MdB, "Frankfurter Kreis", SPD (angefragt)

Moderation: Birgit Laubach, Beirat HGDÖ


Nach dem Scheitern des Friedensvertrages von Rambouillet befindet sich die rot-grüne Regie-rung vor ihrer vielleicht größten Zerreißprobe.

Zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg nehmen bundesdeutsche Soldaten aktiv an ei-nem Krieg auf fremden Territorium teil. Der umstrittene NATO-Einsatz - der mit dem not-wendigen Schutz der Menschenrechte im Koso-vo begründet wurde - konfrontiert die Bundes-regierung derzeit mit einem Dilemma, das vielschichtige Facetten aufweist.

Die Rufe nach einer sofortigen Beendigung der Kampfhandlungen werden - selbst innerhalb der jeweiligen Koalitionsparteien - immer lauter und die Regierung gerät zunehmend unter Rechtfertigungszwang.

Auf internationaler Ebene stellt der NATO-Einsatz unbestritten Richtlinien des Völkerrechts und die Autorität der UN in Frage. Dar-über hinaus widerspricht der NATO-Einsatz bündnisgrünen Grundprinzipien, in dem er auch ohne explizites UN-Mandat als "ultima ratio" akzeptiert wird. Andererseits ist es jedoch unabweisbar, daß ohne militärischen Druck der Völkermord im Kosovo erst recht nicht aufzuhalten ist.

Ist die Anwendung von Gewalt zur Bekämpfung von Gewalt - im Prinzip ein Widerspruch - auf Dauer tragfähig? Die Erfahrungen des NATO-Einsatzes zeigen, daß die Luftangriffe bisher weder das Milosevic-Regime in die Knie haben zwingen können, noch eine Massenvertreibung der Kosovo-Albaner verhindert haben. Milose-vic geht bisher innenpolitisch gestärkt aus dem Konflikt hervor, der demokratischen Oppositi-on bleibt nichts anderes, als sich hinter das Re-gime zu stellen. Darüber hinaus droht die Destabilisierung der ganzen Region eine neue Qualität anzunehmen.

Was sind vor diesem Hintergrund politisch und moralisch vertretbare Handlungsstrategien?

Wie kann die Dynamik des Militärischen zugun-sten des Politischen aufgehoben werden?

Sollte die NATO die Bombardierung bedin-gungslos beenden?

Würde sie nicht damit den notwendigen Druck von Milosevic nehmen, den Genozid im Koso-vo zu beenden?

Sind diplomatische Initiativen denkbar, die einen konditionierten Waffenstillstand anstreben? Oder ist gar der Einsatz von Bodentruppen un-ausweichlich?

Aber auch grundsätzliche Fragen einer zukünfti-gen Außenpolitik stellen sich immer dringender: Wie soll sich die internationale Staatengemein-schaft in Zukunft gegenüber innerstaatlichen Pogromen verhalten?

Wie wären Völkerrecht und die UN-Institutionen weiter zu entwickeln, um auf Krisenherde - wie dem Kosovo - entsprechend reagieren und agieren zu können? Hätte die Veran-kerung eines sog. "Nothilferechtes" in der UN-Charta überhaupt eine realpolitische Chance?


Auszüge aus den umfänglichen Stellung-nahmen der letzten Wochen zum Krieg im Kosovo:

"Als Menschen, die aufgrund pazifistischer Grundeinstellung jegliche militärische Gewalt für menschenunwürdig halten, sind wir über die Entwicklung des Krieges im Kosovo und die Intervention der NATO in Jugoslawien zutiefst betrübt und beunruhigt. Wir stimmen jedoch grundsätzlich mit der Entscheidung der Bundes-regierung darin überein, zu versuchen, die Vernichtungspolitik der serbischen Regierung im Kosovo mit allen möglichen und verantwortbaren Mitteln zu beenden."
Aus: Offener Brief an Joschka Fischer aus der Grünen-hochburg Frankfurt am Main, Nordend, vom 9. April 1999


"Bundestag und Bundesregierung werden aufge-fordert, auf die NATO einzuwirken, die Kampfhandlungen unverzüglich mit einer unbefristeten Feuerpause zu unterbrechen. Der SPD-Parteitag fordert die SPD-Bundestagsfraktion auf, dem Einsatz von kämpfenden Bodentrup-pen unter keinen Umständen zuzustimmen. Un-abhängig von der Entscheidung anderer Nato-Staaten wird die BRD nicht am Einsatz von Bo-dentruppen teilnehmen. [...] UNO und OSZE müssen wieder zu den entscheidenden Gremien internationaler Entscheidungsprozesse werden. Rußland muß wieder aktiv an den internationa-len politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden.."
Aus: "Entschließungsantrag an den SPD-Bundesparteitag am 12. April 1999" vom Andrea Nahles, MdB-SPD, der bei nur 20 Prozent Zustimmung abgelehnt wurde.


"Für uns alle junge grüne Politikerinnen und Politiker macht der Kosovo-Konflikt einmal mehr deutlich, daß die grüne Programmlage auch im Bereich der Außen- und Friedenspolitik deutlicher Nachbesserungen bedarf. Sie muß dabei endlich auch bereit sein, Realitäten, die sie im tagespolitischen Einzelfall akzeptiert, auch in den Grundsätzen nachzuvollziehen.

Wollen wir tatsächlich als Menschen- und Völkerrechtspartei die Politik dieses Landes entscheidend mitgestalten, so können wir uns nicht weiterhin auf unsere Gedankengebäude aus ei-ner anderen Zeit zurückziehen, sondern müssen uns der Debatte um eine neue Weltordnung of-fen stellen und den Realitäten ins Auge schauen.

Verantwortung ist nie angenehm. Unverantwortlichkeit ist unmoralisch und ungrün."
Aus: Stellungnahme junger Grüner vom 13. April 1999