Elmar Altvater rechnet mit der Kriegspolitik der GRÜNEN ab


Mit Prof. Dr. Elmar Altvater hat am Dienstag einer der wichtigsten wissenschaftlichen Köpfe der grün-alternativen Bewegung seinen Rückzug aus der Partei angekündigt. Dies teilt er in einemBrief an Parteigremien mit.

Altvater, auch als Mitglied der Friedensbewegung bekannt, nahm an einem Treffen von etwa dreißig grünen Politikern des linken Flügels teil, bei dem über Konsequenzen aus dem Bielefelder BDK- Beschluß geredet wurde.
In seinem Brief rechnet er mit der Kriegspolitik der grünen Partei ab:
Wie viele andere bin ich von dem Bielefelder Beschluß vom 13. 5. 99 zutiefst enttäuscht. Mehr noch, ich bin entsetzt. Er enthält nichts anderes als die Unterstützung einer Außenpolitik, die nicht nur für einen illegalen Krieg verantwortlich ist, sondern Verbrechen gegen die Menschlichkeit billigend und unterstützend hinnimmt. Sie verfolgt mit den anderen NATO-Staaten obendrein ein Kriegsziel, das jede diplomatische Lösung ausschließt: entweder die Kapitulation Jugoslawiens, wie sie im Rambouillet-Diktat (von Vertrag zu sprechen verbietet die politische Kultur) vorgesehen war
oder die Zerstörung von Land und Gesellschaft Jugoslawiens und möglicherweise darüber hinaus.

Die Rechtfertigung des Bielefelder Beschlusses mit den »Friedensinitiativen« des Außenministers ist daher lächerlich,
wenn man Dummheit attestiert, oder zynisch, wenn man annimmt, daß die Leute wissen, worum es geht. Das Kriegsziel der NATO schließt diplomatische Lösungen aus, und deshalb sind ja bislang alle Initiativen, von welcher Seite sie auch gekommen sind, abgelehnt worden: Es lautet schlicht und ergreifend Kapitulation und folglich muß bis zum bitteren Ende, ohne Berücksichtigung der Verluste vor allem unter der Zivilbevölkerung, weitergebombt werden.

Von manchen Grünen ist die Kritik an der NATO-Politik als Verabschiedung vom politischen Realismus interpretiert worden. Nein, diejenigen, die den Beschluß von Bielefeld tragen, haben sich aus der Politik verabschiedet und sich einer militärischen Logik unterworfen, deren Erfolgskriterium die Zerstörung des Landes Jugoslawien ist.

Das ist ein Realismus, der zwar unter den obwaltenden Umständen Regierungsfähigkeit ermöglicht -- doch um welchen horrenden Preis? Was folgt, wenn die Grünen den Preis nicht zahlen können, wenn die Grünen als politischer Machtfaktor wegen dieser Art von »Realopolitik« verschwunden sein werden? Man könnte das Verbrecherische des NATO-Kriegs auch als eine Folge von außenpolitischen Entscheidungen seit 1991, an denen die BRD führend beteiligt war, sehen: die Auflösung Jugoslawiens und die vorschnelle Anerkennung von Slowenien, Kroatien ohne Versuch,
die Integrität Jugoslawiens zu erhalten. Es wäre möglich gewesen, Milosevic damals zu stoppen. Statt dessen hat man Bosnien und Herzegowina als ein Mini-Jugoslawien bewahrt, sich zugleich aber aktiv daran beteiligt, die serbische Mehrheit aus der Krajina in einem heute fast nicht mehr erinnerten ethnical cleansing zu vertreiben. Die ersten Karten Bosniens und Herzegowinas nach ethnischen Kriterien wurden von den EU-Vertretern gezeichnet; 1992 auf einer Friedenskonferenz in Sarajevo haben wir über die scheinbare Blödheit, daß die EU die ethnischen Teilungen der
Nationalisten auf allen Seiten mitmache, noch gelacht. Leider wurde daraus bitterer Ernst.

Bis heute wird nicht berücksichtigt, was der damalige UNO- Generalsekretär Perez de Cuellar 1991 an Genscher schrieb: Es soll keine Partei begünstigt werden, ein Plan für ganz Jugoslawien sollte ausgearbeitet werden, der auch von allen Minderheiten akzeptiert werden kann. Das wäre immer noch ein Ziel, auch für den Kosovo. Eine international gesicherte Schutzzone müßte dazu gehören, aber keineswegs mit der NATO, sondern unter OSZE- und/oder UNO-Ägide. Eine Balkan-Konferenz ist nur dann erfolgversprechend, wenn sofort die schrecklichen Bombardements
gestoppt werden. Sonst wird sie den Boden bereiten, auf dem die Saat von Elend, Flucht und Krieg aufgeht. Infolgedessen ist der Bielefelder Beschluß im besten Fall inkonsistent.

Daß die Bombardements heftiger als je fortgesetzt werden, läßt eher vermuten, daß die NATO den gesamten Balkan zu dominieren trachtet. Dies wäre Politik, ermöglicht durch ein militärisches Verbrechen: Geopolitisch den Arm nach Rußland, zum Kaukasus, zum Mittleren Osten und nach Zentralasien auszustrecken. Kann grüne Außenpolitik sich daran beteiligen oder dies stillschweigend und billigend in Kauf nehmen?

Politischer Realismus bringt mich dahin, eine solche Politik, auch wenn sie nur impliziert und noch nicht ausformuliert ist, strikt abzulehnen - wegen des Brandgeruchs, der von ihr ausgeht, wegen der Gefahren für das Projekt eines friedlichen Europa. Wir haben genug jener »happy days« erlebt, von denen der entsetzliche NATO-Sprecher redet, wenn er Bilanz der Hunderte von Bombenangriffen zieht. Ich bin gerade gestern aus Brasilien zurückgekehrt, und dort ist man erschrocken über die Art und Weise, wie die NATO mit ihren »Irrtümern« umgeht.

Ich habe nicht von den Menschenrechten usw. gesprochen, und ich werde mich in Zukunft hüten, mich darauf zu beziehen. Denn mit der Menschenrechtsrhetorik ist in den vergangenen Wochen von den Fischers, Schröders, Scharpings etc. ein solches Schindluder getrieben worden, daß man sehr vorsichtig sein muß, sich dieses Diskurses zu bedienen.

Sonst wird man möglicherweise wie die Genannten Menschenrechte verteidigen, indem man Menschen umbringen
läßt. Das ist die Volte zur prämodernen Inquisition, jedoch in Zeiten der Globalisierung, in denen die Souveränität des
Nationalstaats nicht mehr gilt. Außenpolitik müßte darin bestehen, für Institutionen zu sorgen, die gerade diese Volte verhindern. Die Unterstützung der NATO-Politik hingegen ist ein zivilisatorischer Rückfall. Wer das als »Realpolitik« bezeichnet, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Was soll eine rot-grüne Regierung, wenn diese einen verbrecherischen Krieg unterstützt? Schlimmer und dümmer hätte
es eine konservative Regierung auch nicht gemacht. Meine Konsequenz: Ich werde aus der Grünen Partei, der ich seit 1979 (AL) angehöre, nicht sofort austreten, aber meinen Beitrag ab sofort einstellen. Ich werde ihn zur Unterstützung von jugoslawischen Gruppen verwenden, die die schrecklichen Folgen der grünen Politik auszubaden haben.

Ich hätte nichts dagegen, wenn die Partei mich, weil ich keinen Beitrag zahle, ausschließt. Wenn sich zeigen sollte, daß die derzeitige Mehrheit ihren Kurs der Kriegspolitik fortsetzt, werde ich allerdings in dieser Partei auch dann nicht bleiben, wenn man mich nicht ausschließen sollte.

Dieser Entschluß fällt mir nicht leicht. Die Arbeit am grünen Projekt hat zu viel Lebensenergie beansprucht, als daß man damit leichtfertig umgehen könnte. Doch es gibt auch den Rubikon, und der ist in Bielefeld von der Delegiertenmehrheit überschritten worden.

Mit traurigen Grüßen

Elmar Altvater