From: IMI@GAIA.de (Informationsstelle Militarisierung e.V.)
Organization: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Subject: [IMI 0048] Wegen Krieg: Grünen-Austritt von IMI-Beirätin C. Haydt
Date sent: Tue, 30 Mar 1999 00:00:00 +0000

Liebe Freundinnen und Freunde!

Claudia Haydt ist eine (sehr aktive) Beirätin der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.. Von ihr stammte z.B. die erste Erklärung von IMI zum Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien [IMI 0046]. Claudia Haydt ist am Wochenende aus ihrer (bisherigen) Partei "Bündnis 90 / Die Grünen" ausgetreten. Sie hat dazu eine Begründung geschrieben, die wir im folgenden dokumentieren.

Der Parteiaustritt wurde von einer Reihe von Medien aufgegriffen (dpa: verschiedene Meldungen, die bundesweit von vielen Zeitungen übernommen wurden, Südwestrundfunk (SWR): Radio-Meldung, Studio-Gespräch, Fernsehmeldung, Schwäbisches Tagblatt u.a. Eine der dpa-Meldungen sowie einen der Berichte im SWR und den Bericht im Schwäbischen Tagblatt dokumentieren wir hier im Anschluß an die Begründung von Claudia Haydt.

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Claudia Haydt
Burgholzweg 116/1
72070 Tübingen
Tel. 07071/42367

Stadträtin und
Fraktionsvorsitzende der
Alternativen und Grünen Liste Tübingen

Hiermit teile ich meinen Austritt aus der Partei Bündnis 90 / Die Grünen mit.

Eine weiteres Verbleiben in dieser Partei ist für mich weder vertret- noch verantwortbar, denn

1. Bündnis 90 / Die Grünen hat sich nun vollständig von einer pazifistischen Partei zu einer Kriegstreiberpartei entwickelt,

2. durch ehemals pazifistische Identifikationsfiguren wurde die Kriegsrhetorik hoffähig gemacht, und

3. durch die Befürwortung dieses verfassungswidrigen Krieges wird ein weiterer Beitrag dazu geleistet, daß Völkerrecht durch Faustrecht ersetzt wird.

Es ist fahrlässig die komplexe Krise im Kosovo auf die Entscheidung zwischen "tatenlos zusehen" oder "Kriegführen" zu reduzieren. Nun wird von Menschen, die es eigentlich besser wissen, gebetsmühlenhaft betont, man habe ja nicht länger zusehen können und müsse jetzt mit Bomben Frieden bringen. Durch Bomben läßt sich kein Frieden schaffen! Das Gegenteil ist der Fall, Gewalt gebiert Gegengewalt. Warum jetzt hunderte von Menschen durch NATO-Bomben sterben müssen, um das Morden im Kosovo "endgültig" zu beenden, leuchtet schon ohne pazifistische Grundhaltung nicht ein. Gleichzeitig sorgen die Bomben für eine Destabilisierung der gesamten Region und die Auswirkung auf die Ost-West-Beziehungen insgesamt sind alles andere als der direkte Weg zum Weltfrieden.

Die Grünen sind in die argumentative Falle getreten, vor der sie selbst immer gewarnt haben. Noch 1994 warnte selbst Joschka Fischer davor, daß "humanitäre" Begründungen, zum Türöffner für die weltweite Interventionsfähigkeit der Bundeswehr werden könnten (1).

Grüne Politiker/innen haben dafür gesorgt, daß Alternativen zum Krieg gar nicht mehr ernsthaft erwogen werden konnten. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, darauf hinzuweisen, daß bisher für friedliche und wirklich humanitäre Alternativen nur ein Bruchteil der Ressourcen zur Verfügung standen, die jetzt für den Krieg zur Verfügung stehen. Statt dessen haben grüne Politiker/innen die Existenz von Alternativen geleugnet. So haben sie alternative Lösungen erst totgeredet und nun sorgen sie mit dafür, daß die schwachen Ansätze von Ausgleich, Kompromiß und Hoffnung auf politische Lösungen vollends totgebombt werden.

Grüne Identifikationsfiguren haben durch ihr noch vorhandenes moralisches Gewicht dazu beigetragen, daß Krieg zur "humanitären Aktion" erklärt werden konnte. Sie waren neben den Medien ein ganz zentraler Faktor für die breite Akzeptanz des NATO-Krieges. Da "nicht einmal mehr die Grünen" gegen den Einsatz waren, entstand in der deutschen Öffentlichkeit der Eindruck, daß der Krieg unausweichlich und gerechtfertigt sei.

Die Gewinner dieses Krieges sind die Hardliner und Kriegstreiber auf allen Seiten, sowie die Kriegswaffenindustrie. Verlierer sind die kritischen demokratischen Kräfte in allen Lagern, besonders in Serbien, im Kosovo, in Rußland. Schaden nimmt auch die UNO und das Völkerrecht, das nun nach der Bombardierung des Irak zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ausgehebelt wurde und das so immer mehr zur Bedeutungslosigkeit verdammt ist.

Unsensibel und ohne historisches Bewußtsein führt deutsches Militär nun seinen ersten Kriegseinsatz nach dem 2. Weltkrieg ausgerechnet gegen Serbien. In diesem Land haben deutsche Truppen schon während des Dritten Reiches mit äußerster Brutalität gewütet. Die Erinnerung daran ist in der serbischen Bevölkerung noch heute lebendig. Und wieder fallen deutsche Bomben auf Belgrad! Es ist mehr als beschämend, an welche Tradition Deutschland hier anknüpft.

Eine Partei, die mit Orwellschem Vokabular arbeitet, die Völkerrecht bricht und die mithilft, deutsches Militär wieder in allen Regionen der Welt einsetzbar zu machen, eine solche Partei kann nicht mehr meine Partei sein.

Mit etwas wehmütigen und dennoch friedlichen Grüßen

Claudia Haydt

(1) "Für die Zukunft sehe ich die erhebliche Gefahr, daß die Bundesregierung, Koalition und Generalität nach den Gesetzen der Salamitaktik Anlässe suchen und Anlässe schaffen werden, um die Barrieren abzuräumen, die es gegenüber der Außenpolitik des vereinigten Deutschlands noch gibt. Als Vehikel dienen dabei die Menschenrechts- und Humanitätsfragen." (30.12.1994, Die Woche)

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dpa-Meldung 1:
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Kosovo-Konflikt - Tübinger Grüne verläßt Partei Tübingen. Wegen des Kosovokonfliktes hat Claudia Haydt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Tübinger Gemeinderat ihrer Partei den Rücken gekehrt. "Bündnis 90 / Die Grünen hat sich nun vollständig von einer pazifistischen Partei zu einer Kriegstreiberpartei entwickelt", begründete die Religionssoziologin gestern ihren Austritt. Nach Haydts Auffassung wurde "durch ehemals pazifistische Identifikationsfiguren die Kriegsrhetorik hoffähig gemacht". Durch Bomben lasse sich aber kein Frieden schaffen. Grüne Politiker hätten mit dafür gesorgt, "daß Alternativen zum Krieg gar nicht mehr ernsthaft erwogen werden konnten". (...)

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SWR-Meldung 1:
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Tübingen. Die grüne Fraktionsvorsitzende im Tübinger Gemeinderat, Claudia Haydt, ist wegen des Kosovokonflikts aus der Partei Bündnis 90/ Die Grünen ausgetreten. Die Bündnisgrünen hätten sich vollständig zu einer Kriegstreiberpartei entwickelt, so Claudia Haydt. Grüne Politiker hätten dafür gesorgt, daß Alternativen zum Krieg im Kosovo nicht ersthaft erwogen werden konnten. Claudia Haydt will trotz des Austritts vorerst Fraktionsvorsitzende der Alternativen und Grünen Liste im Tübinger Gemeinderat bleiben.

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Schwäbisches Tagblatt Meldung:
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Tübingen (mi). Die grüne Basis bröckelt: Claudia Haydt, die Vorsitzende der AL-Fraktion im Tübinger Gemeinderat, ist am Samstag aus der Partei ausgetreten. Ihre Begründung: Die Grünen hätten sich "zu einer Kriegstreiberpartei entwickelt." "Durch Bomben läßt sich kein Frieden schaffen", schreibt die frühere grüne Kreisrätin und jetzige Stadträtin in einer Pressemitteilung. Mit ihrere Zustimmung zu den Bombenflügen der Bundeswehr hätten grüne Spitzenpolitiker "die Kriegsrhetorik hoffähig gemacht." Haydt, die auch im Beirat der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) sitzt: Es wäre Aufgabe der Grünen gewesen, darauf hinzuweisen, daß bisher für friedliche und wirklich humanitäre Alternativen nur ein Bruchteil der Ressourcen zur Verfügung standen, die jetzt für den Krieg zur Verfügung stehen." Mit ihrer Befürwortung "dieses verfassungswidrigen Krieges" trügen die Grünen dazu bei, "daß Völkerrecht durch Faustrecht ersetzt wird." Besonders bitter für die langjährige (seit 1988) Grüne: "unsensibel und ohne historisches Bewußtsein führt deutsches Militär nur seinen ersten Kriegseinsatz nach dem zweiten Weltkrieg ausgerechnet gegen Serbien. In diesem Land haben deutsche Truppen schon während des Dritten Reiches mit äußerster Brutalität gewütet." (...)

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